Diese Woche in der Russischen Revolution

31. Juli – 6. August: Albtraum in Flandern

Wohl mehr als jede andere Schlacht der Weltgeschichte wird die Dritte Ypernschlacht auf Generationen hinaus zum Symbol für die Sinnlosigkeit und Barbarei des Kriegs. Giftgas, verschlammte Schlachtfelder, Stacheldraht, Bajonettangriffe gegen Maschinengewehre, endloser Granatenbeschuss, Krankheiten und Seuchen, die Arroganz und Inkompetenz der Offiziere, der fürchterliche Verlust hunderttausender junger Soldaten der Albtraum in Flandern hinterlässt dauerhafte Spuren im Bewusstsein der Menschheit.

Der Widerstand gegen den Krieg ist nicht zum Schweigen zu bringen. Derweil ist in Russland die Konterrevolution in vollem Gange. Während Trotzki in Petrograd in Haft sitzt, bildet Kerenski eine bonapartistische Regierung, um den Kapitalismus zu retten, den Krieg bis zum Sieg fortzusetzen und jeden Widerstand von Seiten der Arbeiter, Bauern und Soldaten zu zerschlagen.

Belgien, 31. Juli: Beginn der Dritten Flandernschlacht

Um 3:50 Uhr morgens beginnen die alliierten Truppen Großbritanniens und Frankreichs die so genannte Dritte Große Flandern-Offensive, auch Dritte Ypernschlacht genannt. Vorausgegangen ist über mehrere Wochen lang ein pausenloser und verheerender Artilleriebeschuss auf die deutschen Stellungen.

Achtzehn Divisionen der britischen 5. Armee greifen die deutsche 4. Armee auf 23 km Länge an, von Deulemont an der Lys bis nördlich Steenstraate in Belgien. Frankreich kann nur drei Divisionen zum Einsatz bringen, da der größte Teil der Streitkräfte durch die schweren Meutereien der letzten Wochen praktisch noch kampfuntauglich ist.

Ziel der Offensive ist es, die Kräfte der Mittelmächte an der Westfront zu binden, um im Osten Russlands Kerenski-Offensive gegen die deutschen und österreichischen Truppen zu unterstützen. Der Oberbefehlshaber des britischen Heers in Frankreich, Feldmarschall Sir Douglas Haig, plant, bis zur belgischen Küste durchzubrechen, um die deutschen U-Boot-Stützpunkte bei Ostende und Zeebrugge zu erobern. Dadurch soll die von den deutschen U-Booten ausgehende Gefahr für die britische Marine gebannt und eine Möglichkeit zur Einkesselung der deutschen Truppen gefunden werden.

Für die Offensive werden 26 britische und sechs französische Divisionen, 3535 Geschütze (davon 1423 schwere) und 680 Flugzeuge bereitgestellt. Dem gegenüber verfügt die deutsche 4. Armee nur über 18 Divisionen und viel weniger Geschütze. Regen und die Zerstörung der Entwässerungsanlagen durch Artilleriefeuer verwandeln das sumpfige Gelände in eine Schlammwüste, in der jede Truppenbewegung vor allem für die Artillerie äußerst beschwerlich ist. Das Ganze entwickelt sich zu einer zermürbenden Materialschlacht und fürchterlichen Menschenschlächterei, die sich bis November hinzieht. Monatelang werden Ruinen einzelner Orte umkämpft. Erstmals kommt es auch zu Luftkämpfen unter Beteiligung von über 100 Kampflugzeugen. Nur mit Mühe gelingt es der deutschen Heeresleitung, die nach kurzer Zeit kampfunfähigen Divisionen abzulösen.

Ihre zahlen- und waffenmäßige Unterlegenheit gleichen die Deutschen durch den erstmaligen Einsatz des chemischen Kampfstoffs Senfgas (Gelbkreuz) aus, das innerhalb von Sekunden Atemwege und Haut verätzt. Professor Adolf Julius Meyer, der Erfinder des Senfgases, triumphiert später: „Die Wirkung des Gelbkreuzes in der Flandernschlacht von 1917 steigerte sich mehr und mehr, und es kam wiederholt vor, dass der Gegner froh war, wenn er ein Viertel seiner Mannschaft unbeschädigt halten konnte.“

Die Kämpfe dauern bis Mitte November. Die eigentlichen Ziele der Großoffensive werden alle nicht erreicht. Das einzige Ergebnis – eine Verschiebung der Frontlinie um acht Kilometer – wird am Ende auf britischer Seite mit rund 50.000 Gefallenen und 38.000 Vermissten sowie 236.000 Verwundeten bezahlt, auf deutscher Seite mit rund 46.000 Gefallenen und Vermissten sowie 281.000 Verwundeten und schwer Erkrankten.

Petrograd, 31. Juli (18.Juli): Kerenski ernennt General Kornilow zum Oberbefehlshaber

Nach einem Treffen mit hochrangigen Generälen am 29. Juli (16. Juli nach gregorianischem Kalender) gibt Alexander Kerenski seine Entscheidung bekannt, Lawr Kornilow anstelle von Alexei Brussilow zum Oberkommandierenden der russischen Armee zu ernennen. Daran zeigt sich der wachsende Einfluss der Generalität auf die Provisorische Regierung seit den Julitagen. Wichtige Errungenschaften der Februarrevolution werden rasch wieder beseitigt.

Am Tag nach seiner Ernennung schickt Kornilow der Regierung ein Telegramm, worin er in aller Offenheit erklärt, er werde keinerlei zivile Kontrolle dulden. Er verlangt, dass die Regierung alle Forderungen erfülle, die die Generäle am 29. Juli erhoben haben. Dazu gehört die Wiedereinführung der Todesstrafe für Soldaten an der Front und im Hinterland und die uneingeschränkte Handlungsfreiheit der Generäle in Bezug auf operative Befehle und die Ernennung von Kommandanten. Die Generäle fordern insbesondere die Abschaffung der Soldatenräte, die seit der Februarrevolution das Recht haben, die Befehle der Offiziere zu diskutieren und darüber abzustimmen.

Die rechten Sozialrevolutionäre Boris Sawinkow und Maximilian Filonenko haben Kerenski zur Ernennung Kornilows stark zugeredet. Schon im Juni hatten sie die Ernennung Kornilows zum Befehlshaber der Südwestfront befürwortet. Die Kadettenpartei, die Konservativen und die alten zaristischen Militärcliquen ziehen Kornilow als möglichen starken Mann einer Diktatur in Betracht, die an die Stelle der seit Februar bestehenden Doppelherrschaft treten soll.

Der 1870 in einer Kosakenfamilie geborene Kornilow zeichnet sich durch außerordentliche Grausamkeit und Beschränktheit aus. Der zukünftige Kommandant der Weißen Armee, die unter dem Totenkopf kämpft, sympathisiert mit den monarchistischen und faschistischen Schwarzhundertern. Die revolutionären Massen, besonders seine eigenen Soldaten, verachten Kornilow, und das tun auch die andern Generäle. So hat ihn General Alexejew einmal als „Mann mit dem Herzen eines Löwen und dem Hirn eines Schafs“ bezeichnet.

In der ansteigenden Welle der Konterrevolution sind es gerade die Brutalität und der Hass auf die Revolution, die Kornilow für den Posten des Oberbefehlshabers qualifizieren. Er ist nicht in der Lage, zwischen den Bolschewiki einerseits und den „gemäßigten“ kleinbürgerlichen Sozialistenparteien andererseits, zu denen die Sozialrevolutionäre und Menschewiki gehören, zu unterscheiden. Für ihn sind alle Parteien, die die Februarrevolution und die Provisorische Regierung begrüßt haben, Teil der zahlreichen „inneren Feinde“ Russlands, die man rücksichtslos zerschlagen muss.

Westfront, 31. Juli: Zwei Dichter, Hedd Wyn und Francis Ledwidge, im Krieg getötet

Am ersten Tag der Dritten Ypernschlacht werden sowohl der irische Dichter Francis Ledwidge als auch der walisische Poet Hedd Wyn getötet.

Der 1887 geborene Ledwidge gehörte der vor dem Krieg entstandenen Bewegung Gaelic Revival an und war auch in Gewerkschaftskreisen aktiv. Er versuchte vergeblich, einen örtlichen Club der Gaelic League aufzubauen. Die Gaelic League war eine literarische und kulturelle Organisation, die den Gebrauch der irischen Sprache förderte und dem Nationalismus des frühen 20. Jahrhunderts verbunden war. Mehr Erfolg hatte er beim Aufbau einer lokalen Zweigstelle der Irish Volunteers. Diese Organisation verstand sich als Antwort auf die Ulster Volunteers (Kampforganisation für die irische Selbstverwaltung).

Obwohl Ledwidge anfangs auf Seiten der Minderheit der Irish Volunteers stand, die bei Kriegsausbruch die Teilnahme in der britischen Armee ablehnten, änderte er bald seine Meinung und ging im Oktober 1914 zum Militär.

Ledwidges Poesie war vom Landleben beeinflusst. Auch eine Resonanz auf die Radikalisierung des Osteraufstands von 1916 schwang mit. Im Gedicht „O’Connell Street“ würdigt er die Bedeutung, die der Tod der besiegten Kämpfer für künftige Generationen haben wird:

A Noble failure is not vain
But hath a victory of its own
A bright delectance from the slain
Is down the generations thrown.

Hedd Wyn, im Jahr 1887 als Ellis Humphry Evans geboren, wird ebenfalls bei Ypern getötet. Den Namen Hedd Wyn, auf Walisisch „seliger Frieden“, hat er 1910 angenommen.Seine Poesie ist stark von der Romantik beeinflusst, und seine Themen kreisen um Natur und Spiritualität, obwohl er seit Ausbruch des Weltkriegs immer wieder auch Kriegsgedichte schreibt. Wyn lehnt den Krieg anfangs auf christlich-pazifistischer Grundlage ab. Er wird 1916 eingezogen und Anfang 1917 von der Militärpolizei inhaftiert, weil er einen Heimurlaub überzogen hat. Für sein Gedicht „Yr Arwr“ wird Wyn posthum auf der National Eisteddfod, einem Poesie- und Musikfestival, einen Preis gewinnen.

Mehrere Werke Wyns sind ins Englische übersetzt worden, darunter das Antikriegsgedicht „Rhyfel“ (Krieg), dessen erbitterte Anfangszeilen lauten:

Why must I live in this grim age,
When, to a far horizon, God
Has ebbed away, and man, with rage,
Nowwields the sceptre and the rod?

Vatikan, 1. August: Papst Benedikt XV. warnt vor Selbstmord der europäischen Zivilisation

„Soll die zivilisierte Welt zu einem Feld des Todes verkommen?“ fragt der Papst. „Und soll das ruhmvolle und blühende Europa, als wäre es von universeller Tollheit getrieben, in den Abgrund stürzen und die Hand zu seinem eigenen Selbstmord reichen?“ Der Papst drängt die kriegführenden Nationen, in Friedensverhandlungen einzutreten.

Die katholische Kirche hat sich in dem Großen Krieg neutral verhalten. Aber als Haupt einer der ältesten und reaktionärsten Institutionen Europas äußert der Papst die Sorge, dass der weit verbreitete Hass auf den Krieg zu Unruhen und Revolutionen führen könnte, die die bestehende Ordnung in Frage stellen.

Gegen Sozialisten hegt Benedikt XV. einen tiefen Groll, wie schon sein Vorgänger Leo XIII., der sie als „gefährliche Vereinigung von Männern“ brandmarkte, die „sich am Fleisch versündigen, Herrschaft verabscheuen und Majestät verunglimpfen“. Am 25. Juli 1920, nach dem Sieg der Sowjetmacht in Russland, wird Benedikt XV. ein Edikt erlassen, das den Sozialismus als „verschworenen Feind christlicher Prinzipien“ verurteilen wird. In seinem Dokument zeigt sich der Papst alarmiert, dass „aus den Schwüren und Erwartungen der aufrührerischsten Elemente … eine gewisse universelle Republik hervorgeht, die auf absoluter Gleichheit der Menschen und Gütergemeinschaft beruht“, die „keine Unterscheidung der Nationalität kennt und weder die Autorität des Vaters über seine Kinder, noch die Autorität des Staates über seine Bürger, noch die Gottes über die Sache der Menschen anerkennt“.

Butte (Montana), 1. August: Bezahlte Schläger lynchen IWW-Organisator Frank Little

Im Verlauf heftiger Klassenkämpfe in den Kupferbergwerken von Montana wird Frank Little, Organisator der Industrial Workers of the World (IWW), in Butte (Montana) umgebracht.

Little ist IWW-Vorstandsmitglied und wendet sich öffentlich gegen die Beteiligung der USA am Ersten Weltkrieg. Er wird mitten in der Nacht aus dem Gasthaus entführt, in dem er abgestiegen ist. Die Entführer schleifen Little an ihr Auto gebunden die Straße entlang, verprügeln ihn und hängen ihn dann auf. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass die Kupferbergbaugesellschaft Anaconda die Täter angeheuert hat. Die offizielle Todesursache wird mit „Strangulierung durch Erhängen“ angegeben. An Littles Begräbnis in Butte nehmen tausende Arbeiter teil.

Little ist am 18. Juli in Butte angekommen, nachdem er der Deportation von Bergarbeitern in Bisbee (Arizona) wegen eines gebrochenen Fußgelenks knapp entgangen war. Sofort beginnt er, gegen die Teilnahme des US-Imperialismus am Ersten Weltkrieg zu agitieren, und prangert auch die Kupferkonzerne an, die Butte kontrollieren.

Im Juni demonstrieren Bergarbeiter in Butte gegen die Einberufung und gegen eine Katastrophe im Bergwerk Speculator, in der fast 200 Bergarbeiter umgekommen waren. Fast zwanzig Prozent des amerikanischen Kupfers wird von 12.000 Arbeitern in Butte und Umgebung gefördert.

Little wurde 1879 geboren. Er wurde 1906 Organisator der IWW und setzte sich für Meinungsfreiheit ein. Er organisierte Holzfäller und andere Arbeiter im Westen der USA. Während eines Streiks von Eisenerz-Hafenarbeitern in Duluth (Minnesota) im Jahr 1913 arbeitete Little mit dem IWW-Organisator James P. Cannon zusammen, der später an der Spitze der trotzkistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten stand.

Für den Lynchmord an Little wird nie jemand vor Gericht gestellt, geschweige denn verurteilt werden.

Oklahoma, 2. August: “Green Corn Rebellion” der Pächter gegen Einberufung

Ein Aufstand von Tausenden Pächtern in Oklahoma gegen die Einberufung zum Militär wird brutal unterdrückt. Hunderte werden verhaftet, drei Menschen werden getötet.

Auf Seiten der Pächter kämpfen auch Schwarze und Indianer von den Stämmen der Muskogee und Seminolen. Der Name „Green Corn Rebellion“ leitet sich von der Absicht der Pächter her, nach Washington zu marschieren und sich auf ihrem Marsch von grünem Mais zu ernähren.

In diesem Teil der USA hat der Sozialismus traditionell großen Einfluss. Im Seminole County, dem Zentrum der Rebellion, hat die Sozialistische Partei bei der Präsidentschaftswahl 1916 22 Prozent der Stimmen erzielt. Im gleichen Jahr haben Pachtbauern einen Verband namens „Gewerkschaft der Arbeiterklasse“ (Worcing Class Union, WCU) gegründet, inspiriert von der revolutionären Gewerkschaftsbewegung der IWW. Die WCU zählt nach eigenen Angaben 35.000 Mitglieder in Oklahoma und ist dabei, sich zu bewaffnen, um die willkürliche Selbstjustiz der Landbesitzer mit gewaltsamen Gegenangriffen zu vergelten.

Eine Lokalzeitung zitiert einen Aufruf zum Widerstand an die Pächter:

Jungs, es ist Zeit, gegen diesen Krieg mit Deutschland zu rebellieren. Jungs, schließt euch zusammen und weigert euch, zu gehen. Das ist ein Krieg der Reichen, den die Armen führen sollen. Wenn ihr euch weigert, ist der Krieg gegen Deutschland vorbei, und JP Morgan & Co sind am Ende. Der einzige Grund für diesen Krieg ist ihre Spekulation auf Kriegsgewinne.

Diesem Ruf zu den Waffen folgt am 2. August eine Armee von achthundert bis tausend Bauern. Sie zünden Brücken an und kappen Telegraphendrähte. Aber nach einem Scharmützel mit einer großen Polizeitruppe zerstreuen sich die Männer. Drei werden von den Sheriffs getötet. Darauf folgt massenhafte Unterdrückung. Etwa 450 Männer werden verhaftet, und 150 von ihnen werden zu langen Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren verurteilt. Die Sozialistische Partei von Oklahoma gerät ins Visier des Staates und löst sich auf, ebenso die IWW von Oklahoma.

Wilhelmshaven, 4. August: Gehorsamsverweigerung und Protest-Landgang von 600 Matrosen

Gegen 7 Uhr morgens verweigern 600 Marinesoldaten den Dienstantritt und unternehmen einen gemeinsamen Ausmarsch an Land. Beteiligt sind die Matrosen des Schlachtschiffes „Prinzregent Luitpold“, der Flaggschiffe „Kaiserin“ und „Friedrich der Große“ und mehrerer anderer Schiffe des zweiten, dritten und vierten Geschwaders der Hochseeflotte. Unmittelbarer Anlass der Protestaktion sind die Verhaftungen und schweren Bestrafungen, mit denen der Kommandant der „Prinzregent Luitpold“ am Vortag auf einen spontanen Landgang von 49 Kameraden reagiert hat. Diese hatten damit gegen die willkürliche Ersetzung der ihnen zustehenden Freiwache durch Exerzieren revoltiert.

Seit Monaten hat sich die kaiserliche Hochseeflotte wegen der Seeblockade der überlegenen britischen Flotte nicht mehr an Kampfhandlungen beteiligt. Der wiederholt willkürlich angesetzte militärische Drill bei gleichzeitig miserabler Verpflegung und Hungerrationen wird daher als reine Schikane empfunden. Der zweite, noch umfassendere Grund ist der Hass auf den Krieg und auf die Unterdrückung jeglicher Opposition gegen den Krieg.

Der Matrose Max Reichpietsch und der Heizer Albin Köbis führen den Protest an. In der Gaststätte „Zum weißen Schwan“ im Städtchen Rüstersiel bei Wilhelmshaven, wo sich die Matrosen versammelt haben, fordert Reichpietsch die Mitbestimmung der Matrosen bei der Verpflegung durch eine von ihnen gewählte Menage-Kommission. Vor allem aber fordert er den sofortigen Frieden ohne Annexionen. Beeinflusst von der USPD weist er auf die Bedeutung der Stockholmer Friedenskonferenz hin. Wenn diese ergebnislos bleibe, dann müssten die Matrosen durch gemeinsame Protestaktionen Druck auf die Regierung ausüben und diesen Frieden durchsetzen.

Albin Köbis endet seine Rede mit den Worten: „Wir sind die wahren Patrioten. Nieder mit dem Krieg! Wir wollen nicht mehr weiter Krieg führen!“

Obwohl die Matrosen ihren Ausmarsch auf 3 Stunden begrenzt und bewusst durch eine Wache an Deck die Kriegsbereitschaft aufrechterhalten haben, schlagen die Schiffskommandanten und Flottenadmiralität gnadenlos zu. Die als Anführer Identifizierten, aber auch viele Matrosen, die einfach nur mitgemacht haben, werden zu Dutzenden verhaftet, an Land gebracht und Verhören unter Folter und Androhung der Todesstrafe unterworfen. Die Militärrichter können sich auf Aussagen von Spitzeln unter den Matrosen stützen, um Geständnisse zu erpressen und Anklagen zu konstruieren, die die Matrosen schon wenige Tage später vor das Kriegsgericht bringen.

Seit Wochen sind unter Führung von Reichpietsch, Köbis und anderen Matrosen im Geheimen eine Organisation, ein sogenannter Soldatenbund, und eine Vertrauensleutebewegung aufgebaut worden. Reichpietsch und Köbis haben sich im Juni an die Führung der USPD gewandt, um Unterstützung geworben und Hunderte von Matrosen für die Mitgliedschaft in der USPD gewonnen. Doch der Parteivorsitzende Wilhelm Dittmann, erschrocken über den Besuch von Reichpietsch in Berlin, warnt vor „illegalen Aktionen“ und beschränkt seine Unterstützung für die revolutionären Matrosen auf Mahnungen zur Vorsicht.

Der Soldatenbund ist dabei, eine Revolte gegen den Krieg planmäßig, systematisch und vorsichtig vorzubereiten. Auf den unerwartet frühen Ausbruch spontaner Protestaktionen aus konkretem Anlass ist er politisch und organisatorisch nicht vorbereitet. Aufgrund der Spitzelaussagen werden auch Namenslisten von Matrosen gefunden, die mit ihrer Unterschrift die Stockholmer Friedenskonferenz und ihre Forderung nach einem sofortigen Verständigungsfrieden unterstützen.

Das reicht für die Ankläger, um Todesstrafen, lebenslange oder jahrzehntelange Haft wegen „Hochverrat“ und „vollendetem Aufstand“ zu fordern. Die Rebellion ist fürs Erste zerschlagen.

Lanarkshire (Schottland), 2. August: Streik von über 50.000 Bergarbeitern gegen steigende Lebensmittelpreise

Über 50.000 Bergarbeiter aus den Zechen in Lanarkshire legen einen Tag lang die Arbeit nieder, um gegen die steigenden Lebensmittelpreise zu protestieren. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind seit Kriegsbeginn in ganz Großbritannien stark angestiegen, und die Regierung hat im Frühjahr damit begonnen, bestimmte Nahrungsmittel zu rationieren.

Gleichzeitig stagnieren die Löhne, und für Arbeiter werden viele Nahrungsmittel unerschwinglich. Der eintägige Streik wird vom Exekutivkomitee der Bergarbeiter von Lanarkshire organisiert. Die offiziellen Gewerkschaften, die den Krieg unterstützen, begegnen dem Streik mit wütendem Widerstand. Sie haben sich mit Unternehmern und Regierung verschworen, während des Kriegs alle Streiks und Proteste zu verhindern. Die schottische Bergarbeiter-Exekutive weigert sich, an einem Regionaltreffen des Arbeiter- und Soldatenrats teilzunehmen, das am 11. August stattfinden soll. Zuvor hat sich schon eine ähnliche Versammlung, die Leeds Convention, im Juni mit der Februarrevolution solidarisch erklärt.

Im Distrikt Coalburn in South Lanarkshire verabschieden die Arbeiter eine weitere Resolution, in der sie mit Streik drohen, falls die Regierung versuchen sollte, in dem Gebiet militärische Einberufungen durchzusetzen oder die Industrie zu militarisieren.

Die Aktionen der Bergarbeiter bringen die wachsende Politisierung der Arbeiterkämpfe in Glasgow und umliegenden Industriegebieten zum Ausdruck. Hier führt das Clyde Workers Committee (CWC), das die Bergarbeiter im Februar 1915 gegründet haben, die Kämpfe an. Im Mai 1915 haben tausende Arbeiter unter sozialistischer Führung einen Mietstreik gegen Mietwucher durchgeführt. Die Bewegung hat sich über die ganze Stadt ausgebreitet und zu Massendemonstrationen geführt, und 20.000 Arbeiter haben sich bis November 1915 geweigert, die Mieterhöhungen zu bezahlen. Weil sich die Bewegung immer weiter ausdehnte und auch in den Armenvierteln Unterstützung gewann, hat sich die Regierung gezwungen gesehen, die Mieten auf Vorkriegsniveau einzufrieren, um eine weitere Ausweitung der Proteste zu verhindern.

Sydney (Australien), 2. August: Beginn des „Großen Streiks“ von 100.000 Arbeitern

Mehrere tausend Transportarbeiter versammeln sich in den Werkstätten der Eveleigh-Eisenbahn und im Straßenbahndepot Randwick, um Streikpläne zu diskutieren. Die Versammlung beschließt einen unbegrenzten Streik gegen die jüngsten Angriffe auf ihre Arbeitsbedingungen.

Der unmittelbare Auslöser für den Streik ist die Einführung von Zeiterfassung zur besseren Überwachung der Produktivität. Sie ist Teil umfassender „Reformbemühungen“. Dazu gehört auch die Einstellung zusätzlicher Vorarbeiter für eine bessere Überwachung der Transportarbeiter. Das Ziel ist die Erhöhung der Produktivität und Effizienz im Dienst der Kriegsanstrengungen.

In den folgenden Wochen breitet sich der Streik in den östlichen Bundesstaaten New South Wales, Viktoria und Queensland aus. Im Transportgewerbe und in anderen Industrien werden hunderttausend Arbeiter einbezogen. Es ist der bis dahin größte Streik der australischen Geschichte.

Die tiefere Ursache für die Massenbewegung ist die wachsende Opposition gegen den Krieg. Im Oktober 1916 haben die Arbeiter ein Plebiszit der Regierung zur Einführung der Wehrpflicht abgelehnt, um frisches Kanonenfutter für die Schlachten an der Westfront bereitzustellen. 1917 nehmen die Schlächtereien in Europa noch einmal zu. 77.000 australische Soldaten werden getötet, verwundet oder sind vermisst. Nachrichten über katastrophale Verluste auf den französischen Schlachtfeldern von Messines und Bullecourt heizen die Anti-Kriegsstimmung weiter an.

Der Premier von New South Wales, William Holman von der Nationalist Party, die Anfang des Jahres aus einer Spaltung mit der Labor Party entstanden ist, verurteilt den Streik als Werk der „Feinde Großbritanniens und seiner Verbündeten“. Holman behauptet: „Viele Gewerkschaften sind zum Werkzeug illoyaler Elemente und von Revolutionären geworden.“

Die Zentralregierung und die einzelnen Staatsregierungen bereiten sich darauf vor, die Streiks zu unterdrücken. Holman und Premierminister Billy Hughes (ebenfalls Nationalist Party) erklären, verantwortlich für die Aktion seien die revolutionär-syndikalistischen Industrial Workers of the World (IWW), die die Produktivität der Kriegswirtschaft untergraben wollten.

Im Juli 1917 verabschieden Nationalist und Labor Party im Bundesparlament das Gesetz gegen ungesetzliche Zusammenschlüsse, das darauf abzielt, die IWW und andere sozialistische Organisationen zu verbieten. Es ist nicht das erste Mal, dass gegen sie falsche Anklagen konstruiert werden. Hughes erklärt, die IWW stelle „die größte Bedrohung für die Gesellschaft“ dar.

London, 2. August: John Maclean fordert britische Regierung auf, inhaftierte sozialistische Kriegsgegner freizulassen

John Maclean, führendes Mitglied der British Socialist Party (BSP) und selbst erst vor einem Monat aus dem Gefängnis entlassen, verlangt in der BSP-Zeitung The Call die Freilassung von Peter Petroff. Dieser Sozialist, Mitglied der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, wird seit Januar 1916 von den britischen Behörden ohne Anklage festgehalten, weil er eine unbeugsame Antikriegshaltung einnimmt.

Petroff spielte in der Revolution von 1905 eine Rolle und wurde dann in die Verbannung nach Sibirien geschickt. Später konnte er nach Großbritannien flüchten, wo er mit Maclean und anderen Mitgliedern des Sozialdemokratischen Bunds in Kontakt trat, aus dem sich später die British Socialist Party (BSP) formierte. Seit 1916 wird die BSP von Kriegsgegnern geführt, die die nationalistische Fraktion der Kriegsbefürworter unter Henry Hyndman besiegt haben. Seit 1914 nimmt Petroff eine Antikriegshaltung ein, und so schreibt er z.B. Artikel für Nasche Slowo, die 1915 und 1916 in Paris erscheinende russisch-sprachige Tageszeitung, in der auch Leo Trotzki Artikel veröffentlicht. Petroff arbeitet mit dem Clyde Workers Committee zusammen und hat auf mehreren Massenversammlungen über den Krieg und über die Russische Revolution von 1905 gesprochen. Allerdings hat sich Petroff von Lenins Forderung in Zimmerwald, den Weltkrieg in einen Bürgerkrieg zu verwandeln, distanziert.

Petroffs Verhaftung wurde von Hyndman betrieben, der im Dezember 1915 in der BSP-Zeitung Justice einen giftigen Artikel gegen Petroff mit dem Titel „Wer und Was ist Peter Petroff?“ veröffentlicht hat. Er beschuldigt ihn mehr oder weniger, pro-deutsch zu sein, und verurteilt ihn wegen seiner Opposition gegen finanzielle Unterstützung für das Internationale Sozialistische Bureau der Zweiten Internationale. Petroff schreibt über Hyndmans Rolle: „Dieser Text erschien am gleichen Tag, an dem ich in Fife verhaftet wurde, wo ich auf zwei Bergarbeiterversammlungen sprechen sollte. Gleichzeitig wurden die Büros der Russischen Seeleutegewerkschaft und das Zentralbüro des Auslandskomitees der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei durchsucht. Interessanterweise stimmt das Vorgehen der Herausgeber von Justice genau mit der Haltung der Behörden überein.“

Maclean setzt sich nicht nur für Petroff und seine Frau Irma, sondern auch für den Sozialisten J.B. Askew ein, der zahlreiche Werke Kautskys ins Englische übersetzt hat und ebenfalls interniert ist.

Petroff bleibt noch bis Januar 1918 in Haft. Dann deportieren ihn die britischen Behörden in die Sowjetunion. Er wird eine ganze Weile für die sowjetische Regierung arbeiten. Später wird er wegen des Aufstiegs des Stalinismus‘ mit der Partei brechen und die Sowjetunion verlassen.

5. August (23. Juli): Verhaftung Trotzkis und Lunatscharskis

Während man Menschewiki und Sozialrevolutionäre bittet, an der neuen Koalitionsregierung teilzunehmen, steht für Trotzki und die Bolschewiki „nicht eine Einladung zur Teilnahme an der Regierung an, sondern eine Einladung zum Eintritt ins Kresty-Gefängnis“, wie Trotzki später sarkastisch bemerken wird.

Nachdem die Provisorische Regierung Haftbefehle gegen die führenden Bolschewiki, darunter Lenin, Sinowjew und Kamenew, ausgestellt hat, veröffentlicht Trotzki in der Zeitung Nowaja Schisn einen Offenen Brief an die Minister der Provisorischen Regierung. Darin schreibt er: „Ich halte es für nötig, Folgendes zu Ihrer Aufmerksamkeit zu bringen: Grundsätzlich teile ich die Ansichten Lenins, Kamenews und Sinowjews. Das habe ich in der Zeitung Vperiod [Vorwärts] und in all meinen öffentlichen Reden deutlich gemacht.“ Die Regierung reagiert auf diesen Brief, indem sie auch Trotzki zur Verhaftung ausschreibt.

6. August (24. Juli): Kerenski bildet zweites Koalitionskabinett

Eine neue Provisorische Koalitionsregierung mit Kerenski an der Spitze wird gebildet. Diesem Kabinett gehören Kerenski sowohl als Ministerpräsident als auch als Kriegs- und Marine-Minister, Nikolai Nekrassow als Vizepremier und Finanzminister, Viktor Tschernow (Sozialrevolutionär) als Landwirtschaftsminister, Matwei Skobelew (Menschewik) als Arbeitsminister und Nikolai Awksentjew (Sozialrevolutionär) als Innenminister an. Die Regierung verspricht, die „Ordnung“ wiederherzustellen, den Kapitalismus zu verteidigen, den Krieg fortzusetzen und die „feindlichen Agenten“ innerhalb Russlands zu vernichten.

Die neue Regierung gibt eine schwammige Proklamation mit einer Reihe demagogischer Versprechungen heraus. So will sie an einem bestimmten Datum Wahlen zur Konstituierenden Versammlung abhalten, die Autonomie garantieren, die Relikte zaristischer Privilegien abschaffen, eine Landreform durchführen und den Achtstundentag, Arbeitsplatzsicherheit und eine Sozialversicherung einführen. Sie wird kein einziges dieser Versprechen einhalten.

Während einer gemeinsamen Sitzung des Exekutivkomitees der Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten und des Exekutivkomitees des Kongresses der Bauerndeputierten verabschieden die Führer der Menschewiki und Sozialrevolutionäre am 7. August (25. Juli) eine Resolution, in der sie die neue Koalitionsregierung ihrer uneingeschränkten Unterstützung versichern.

In seiner Broschüre „Der Beginn des Bonapartismus“ warnt Lenin aus seinem Versteck heraus vor Kerenski, der nun als bonapartistischer Diktator hervortritt:

Der größte, der verhängnisvollste Irrtum, dem die Marxisten jetzt, nach der Bildung des Kabinetts Kerenski, Nekrassow, Awksentjew und Co. verfallen könnten, wäre der, Worte für Taten zu nehmen, das täuschende Äußere für das Wesen zu halten … Überlassen wir diese Beschäftigung den Menschewiki und Sozialrevolutionären, die um den Bonapartisten Kerenski herum schon geradezu die Rolle von Narren spielen …

Wenn wir nur sagen, in Russland sei ein vorübergehender Triumph der Konterrevolution zu verzeichnen, so wird das eine nichtssagende Floskel sein. Wenn wir aber das Entstehen des Bonapartismus analysieren und, furchtlos der Wahrheit ins Gesicht schauend, der Arbeiterklasse und dem ganzen Volk sagen, dass die Anfänge des Bonapartismus eine Tatsache sind, so werden wir damit den Grund legen für einen ernsten, beharrlichen Kampf auf breiter politischer Ebene, der sich auf tiefgreifende Klasseninteressen stützt, einen Kampf zum Sturz des Bonapartismus …

Soll die Partei dem Volke klar und deutlich die uneingeschränkte Wahrheit sagen, dass wir die Anfänge des Bonapartismus erleben, dass die ‚neue‘ Regierung Kerenski, Awksentjew und Co. lediglich die Kulisse ist, hinter der sich die konterrevolutionären Kadetten und die Militärclique verstecken, die die Macht in Händen hält, dass das Volk keinen Frieden, die Bauern kein Land, die Arbeiter keinen Achtstundentag und die Hungrigen kein Brot bekommen werden, solange die Konterrevolution nicht völlig liquidiert worden ist – soll die Partei das sagen, und jeder Schritt in der Entwicklung der Ereignisse wird ihr recht geben.

Russland hat mit erstaunlicher Schnelligkeit einen ganzen Zeitabschnitt zurückgelegt, in dem die Mehrheit des Volkes sich den kleinbürgerlichen Parteien der Sozialrevolutionäre und Menschewiki anvertraut hatte. Jetzt beginnt bereits diese Vertrauensseligkeit sich grausam an der Mehrheit der werktätigen Massen zu rächen.

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Ereignisse sich im schnellsten Tempo weiterentwickeln und das Land sich der nächsten Epoche nähert, wo die Mehrheit der Werktätigen genötigt sein wird, ihr Schicksal dem revolutionären Proletariat anzuvertrauen. Das revolutionäre Proletariat wird die Macht übernehmen und die sozialistische Revolution beginnen, es wird trotz aller Schwierigkeiten und möglichen Zickzacklinien in der Entwicklung die Proletarier aller fortgeschrittenen Länder mit in diese Revolution hineinziehen und sowohl den Krieg als auch den Kapitalismus besiegen.

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