Innerhalb einer Woche ist die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland um mehr als 40 auf einen Wert von 155 gestiegen. Sie liegt damit fast so hoch wie auf dem Höhepunkt der tödlichen dritten Corona-Welle. Der Anstieg zieht sich durch alle Altersgruppen und ist deutlich höher als im letzten Jahr zur gleichen Zeit. Täglich kommt es zu knapp 20.000 Neuinfektionen.
Damit einhergehend steigt auch die Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivstationen in allen Altersgruppen stark an. Innerhalb des letzten Tages wurden über 600 Corona-Infizierte hospitalisiert. Die Hospitalisierungsinzidenz liegt aktuell bei 3,29. 2058 Erkrankte liegen auf der Intensivstation – eine Zunahme um 74 im Vergleich zum Vortag.
„Wir befinden uns in einer kritischen Situation der Pandemie,“ erklärte daher auch der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Wenn diese Entwicklung anhält, haben wir schon in zwei Wochen wieder 3000 Patienten auf Intensivstationen,“ warnte er.
Wie bei den vorherigen Wellen nimmt auch diesmal die Anzahl der Corona-Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern zu. In der letzten Woche kam es zu 78 Ausbrüchen in medizinischen Einrichtungen (ein Anstieg um 23 zur Vorwoche) und 122 Ausbrüchen in Alten- und Pflegeheimen (ein Anstieg um 44 zur Vorwoche). Insgesamt kam es dabei zu knapp 2000 neuen Fällen.
Nicht selten enden diese Ausbrüche tödlich. In einem Pflegeheim in Brandenburg erhöhte sich letzte Woche die Zahl der verstorbenen Bewohner auf elf. In einer Pflegeeinrichtung in Mecklenburg-Vorpommern kam es bei einem Ausbruch zu 17 Toten.
Dieser Anstieg ist eine direkte Folge der kriminellen Öffnungspolitik und des Abbaus von Schutzmaßnahmen in allen Bereichen. Besonders bei den Schulen zeigt sich die Rücksichtslosigkeit aller Landesregierungen. Bei den 5- bis 19-Jährigen liegt die Sieben-Tage Inzidenz mittlerweile über 180 und bei den 10- bis 14-Jährigen sogar über 330.
In den letzten vier Wochen kam es zu 190 Corona-Ausbrüchen an Kindergärten und 768 an Schulen. In beiden Fällen können aber die letzten zwei Wochen auf Grund von Nachmeldungen noch nicht abschließende bewertet werden. Die Zahl der Schulausbrüche nimmt seit Anfang August deutlich zu. Diese Zahlen lassen sich klar auf die Öffnung der Schulen und den Abbau der Schutzmaßnahmen zurückführen.
Trotzdem halten alle Landesregierungen an ihrer unsicheren Schulpolitik fest. Bereits seit dem Schulstart nach Ende der Sommerferien überboten sie sich darin, wer am schnellsten Schutzmaßnahmen wie Abstandsregelungen oder Maskenpflicht abschafft. Am 2. November fiel auch im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW die Maskenpflicht für knapp 2,5 Millionen Schülerinnen und Schüler. Schulleitungen wurde vom Schulministerium ausdrücklich untersagt, sich diesen gefährlichen Regelungen zu widersetzen.
Auch in Schleswig-Holstein und Sachsen soll die Maskenpflicht nach den Herbstferien wieder aufgehoben werden – ganz im Gegensatz zum Verlangen vieler Schüler. „In der Schülerschaft sind wir uns weitgehend einig: Lieber setzen wir im Unterricht Masken auf und sind sicher vor Corona, als zu Hause unterrichtet zu werden,” erklärte beispielsweise Oliver Sachsze, stellvertretender Vorsitzender des Landesschülerrats
Besonders deutlich verfolgt Thüringen eine Durchseuchungspolitik. Obwohl die Inzidenz unter den 15- bis 34-Jährigen bei 273 liegt und unter den 5- bis 14-Jährigen bei 527, hält die Linkspartei-geführte Landesregierung weiter am unsicheren Präsenzunterricht fest. Selbst die Maskenpflicht gilt weiterhin für Grundschüler nicht. Testungen gibt es zwar wieder, doch auch ungetestete Schüler dürfen in gesonderten Lerngruppen weiter in die Schule kommen.
Auch an den Universitäten, die vor kurzem ihr Wintersemester wieder in Präsenz begannen, mehrt sich das Infektionsgeschehen. Mitte Oktober wurden die fast drei Millionen Studierenden an deutschen Universitäten unter unsicheren Bedingungen zurück in Präsenz geschickt. Jetzt deuten sich die ersten Folgen dieser Politik an.
In Göttingen musste die Fakultät der Wirtschaftswissenschaften ihre Orientierungswochen auf Grund der Zunahme von Corona-Infektionen abbrechen. Stadtsprecher Dominik Kimyon erklärte, es sei schwer festzustellen, wo genau die Infektionen herstammen.
Sieben Infektionen gab es auch bei den Orientierungswochen der Leuphana-Universität in Lüneburg, die sich vor allem auf drei Arbeitsgruppen zurückführen lassen. In der Leibnitz-Universität Hannover kam es zu zwei bestätigten Infektionen im Zusammenhang mit der Orientierungsphase.
An der Freien Universität Berlin musste das Korea-Institut nur eine Woche nach Wiederaufnahme der Präsenzlehre erneut in Onlineformate umsteigen. Auch bei den Geschichts- und Kulturwissenschaften wurden Infektionen gemeldet, darunter mehrere Impfdurchbrüche. Zuvor hatte das Präsidium der Universität erklärt, dass es aufgrund der hohen Impfquote mit keinen gravierenden Ausbrüchen rechne.
Gegen diese Durchseuchungspolitik an Universitäten wächst der Widerstand. Auf der letzten Sitzung des Studierendenparlaments der Humboldt-Universität brachte die Hochschulgruppe der IYSSE eine Resolution ein, die sich gegen den Präsenzunterricht ausspricht und „die sofortige Rückkehr zu Online-Lehrveranstaltungen“ fordert. Nach einem Änderungsantrag wurde der folgende Text verabschiedet:
Das StuPa kritisiert den aktuellen Kurs des Präsidiums, möglichst viele Lehrveranstaltungen in Präsenz abzuhalten, ohne gleichzeitig effektive Schutzmaßnahmen zu schaffen. Durch diese kurzfristige und chaotische Entscheidung werden Studierende gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt, Risikogruppen wird die Teilnahme an den Lehrveranstaltungen verwehrt. Auch Studierende, die aufgrund der Pandemie Berlin verlassen haben, stehen nun von einer Sekunde auf die andere vor der Aufgabe, eine Wohnung in Berlin zu finden.
Wir fordern die Universitätsleitung auf, die Dozent:innen zu verpflichten, echte Wahlmöglichkeiten zu schaffen und Studierenden die Entscheidung zu überlassen, ob sie in Präsenz oder digital an den Veranstaltungen teilnehmen möchten. Dadurch darf den Studierenden, die digital an einer Veranstaltung teilnehmen, kein Nachteil entstehen.
Außerhalb von Kindergärten, Schulen und Universitäten kommt es noch an zahlreichen anderen Orten zu Corona-Ausbrüchen, an denen Arbeiter ohne ausreichende Sicherheitsmaßnahmen zusammen sein müssen. In der vergangenen Woche konnte das RKI 643 Infektionen Ausbrüchen an Arbeitsplätzen, 1075 an Ausbildungsstätten und 71 an Flüchtlingsheimen zuordnen. Da aber bei der überwiegenden Mehrheit der Infektionen nicht festgestellt werden kann, woher sie kommen, ist die Dunkelziffer noch um einiges höher.
Die Explosion der Fallzahlen und die Gefahr einer tödlichen Herbst- und Winterwelle unterstreichen die Bedeutung der Strategie zur Ausrottung des Virus. Die internationale Redaktion der World Socialist Web Site erklärte Anfang der Woche in einem Statement:
Inmitten dieser Welle des Massensterbens schaffen Regierungen die verbleibenden Maßnahmen zur Verlangsamung der Ausbreitung von Covid-19 ab und behaupten dabei groteskerweise, dass die Gesellschaft lernen müsse, ,mit dem Virus zu leben‘. Dabei sind zwei parallele Prozesse zu beobachten. Länder, die nur begrenzte Maßnahmen ergriffen hatten, heben diese nun vollständig auf, und Länder mit zunächst härteren Maßnahmen geben dem zunehmenden Druck nach, dem Virus freien Lauf zu lassen.
Der Kampf für eine Eliminierung und Ausrottung des Virus kann nicht den Politikern überlassen werden, die bereits jetzt mindestens fünf Millionen Corona-Tote auf den Gewissen haben. Das Statement erklärt:
Grundsätzlich muss der Kampf gegen die Pandemie in die Schulen und die Betriebe aller Länder getragen werden, und zwar durch eine global koordinierte Kampagne, die Massen von Arbeitern weltweit vereint. Zu diesem Zweck wurde die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees gegründet. Sie wird als zentraler Knotenpunkt zur Koordinierung der weltweiten Kämpfe der Arbeiterklasse dienen, um die Pandemie zu beenden und Millionen von Menschenleben zu retten.
Der Aufbau eines koordinierten Netzwerks von Arbeiterorganisationen auf der ganzen Welt muss mit dem Aufbau einer sozialistischen Führung in der Arbeiterklasse – dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale – verbunden werden, um den Kampf gegen die Pandemie mit dem Kampf gegen Ausbeutung, Ungleichheit, Krieg, Diktatur und das kapitalistische System zu verbinden.