10.1. Die Entscheidung Großbritanniens, Sri Lanka in die Selbstverwaltung zu entlassen, war nicht das Ergebnis eines Kampfs des Ceylon National Congress (CNC). Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Insel aufgrund ihrer strategisch wichtigen Position im Indischen Ozean als Hauptquartier des alliierten South East Asian Command genutzt. D.S. Senanayake nutzte die uneingeschränkte Unterstützung des CNC für den Krieg, um die Entlassung in die Selbstverwaltung nach dem Krieg hinter verschlossenen Türen auszuhandeln. Senanayake und seine Kollegen hatten sich nie ein höheres Ziel gesetzt, als den Status eines Dominion zu erlangen, d.h. eines Juniorpartners des britischen Imperialismus, dem London weiterhin die Außen- und Verteidigungspolitik diktieren konnte. Senanayakes oberstes Ziel bei den Verhandlungen war es, die politische Vorherrschaft der singhalesischen Eliten in jeder Vereinbarung zu bewahren. Er protestierte nicht dagegen, dass Großbritannien die Kontrolle über die Außenpolitik behielt, bestand aber darauf, dass Sri Lanka die Verhandlungen mit Indien über das Schicksal der tamilischsprachigen Plantagenarbeiter selbst führen durfte. Als London 1944 die Soulbury-Kommission ins Leben rief, um eine neue Verfassung zu entwerfen, sprach sich Senanayake dagegen aus, dass deren Mitglieder Gespräche mit Vertretern der Tamilen und der Muslime führten. Als die Soulbury-Kommission eine begrenzte Selbstverwaltung empfahl, aber sogar die Verleihung des Status eines Dominion verschob, entschieden sich Senanayake und die CNC-Führung im September 1945, die Empfehlungen des Berichts zu akzeptieren.
10.2. Als die BLPI-Führer in Sri Lanka aus dem Gefängnis kamen, hatten sie ein beträchtliches Prestige, denn sie waren die einzigen politischen Persönlichkeiten gewesen, die gegen den Krieg und für die Unabhängigkeit gekämpft hatten. Aber die opportunistische Orientierung, die Philip Gunawardena und N.M. Perera während des Krieges entwickelt hatten, manifestierte sich schnell in einer offenen Spaltung der Partei. Gunawardena und Perera weigerten sich, die Autorität des Regionalkomitees der BLPI in Sri Lanka anzuerkennen und gründeten unter dem Vorkriegsnamen LSSP eine neue Partei. Diese kehrte zum Programm von 1941 zurück und verwarf alle Dokumente und Entscheidungen, die die BLPI seit ihrer Gründung verfasst und getroffen hatte. Gunawardena und Perera öffneten die Türen der LSSP für Ex-Mitglieder und Abweichler und suchten Bündnisse mit verschiedenen bürgerlichen Vereinigungen. Die LSSP bezeichnete sich selbst als Befürworter der Vierten Internationale, aber machte keine Anstalten, aufgenommen zu werden. Die nationalistische Orientierung der LSSP stellte einen grundlegenden Bruch mit dem Trotzkismus und eine Rückkehr zum kleinbürgerlichen Radikalismus des Samasamajismus der Vorkriegszeit dar. In einem Statement von 1947 mit dem Titel: „The Bolshevik-Leninist Party of India: A Sectarian Dead-end“ (Die Bolschewistisch-Leninistische Partei Indiens: Eine sektiererische Sackgasse) erklärte Gunawardena, er sehe das ganze Projekt BLPI und den Trotzkismus als gescheitertes romantisches Abenteuer an.
10.3. Das Zentralkomitee der BLPI in Indien erklärte in einer Resolution zum Ausschluss von Gunawardena und Perera: „Die Spaltung ist kein Zufall; in ihr zeigt sich eine nichtproletarische Tendenz, die sich unter dem Druck kleinbürgerlicher Kräfte entwickelt hat… Die Differenzen, die heute auf organisatorischer Ebene sichtbar sind, werden sich zwangsläufig auch auf politischer Ebene zeigen.“ Der grundlegende Charakter der politischen Differenzen zeigte sich in der kurzzeitigen Wiedervereinigung 1946, die nach kurzer Zeit scheiterte.
10.4. Die ceylonesische Sektion der BLPI und die LSSP übernahmen die Hauptrolle in den militanten Streikbewegungen nach dem Krieg, wodurch sie den Einfluss der KP untergruben, die ihre Position als Streikbrecher für die Briten während des Krieges dazu benutzt hatte, einen Gewerkschaftsapparat aufzubauen. Im August 1946 kam es zu einem Generalstreik, der mit der Arbeitsniederlegung von Bankangestellten begann, sich innerhalb von zwei Monaten auf andere Teile der Arbeiterklasse ausbreitete und den britischen Gouverneur zwang, auf einige der wirtschaftlichen Forderungen der Arbeiter einzugehen. Die Streikenden forderten außerdem die Unabhängigkeit von Großbritannien. Die CNC-Minister, die alle Zugeständnisse an die Arbeiterklasse ablehnten, verletzten das Abkommen von 1946; damit provozierten sie einen zweiten Generalstreik von Mai bis Juni 1947, der gewaltsam niedergeschlagen wurde. Tausende von Angestellten im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft wurden bestraft und verloren ihre Stellen. In den letzten Tagen des Streiks setzte die Regierung noch ein Gesetz durch, das der Polizei umfassende Befugnisse verlieh.
10.5. Kurz nach dem Streik kündigte die britische Regierung im Juni 1947 an, die Insel werde zusammen mit Indien und Burma den Status eines Dominion erhalten. Ein Historiker erklärte dazu: „Den Herren in Whitehall war klar, dass Senanayake und die Gemäßigten im CNC unter zunehmendem Druck von linken Kräften standen und dass die sofortige Gewährung des Dominion-Status jetzt dringend nötig war, um ihr politisches Überleben zu gewährleisten.“[19] Bei den Wahlen zum Staatsrat Ende 1947 erlangte die neugegründete United National Party (UNP), die von Senanayake aus dem CNC und anderen bürgerlichen Organisationen gegründet worden war, die Mehrheit und bildete eine Koalitionsregierung. Die LSSP und die BLPI gewannen beide einen bedeutenden Stimmanteil.
10.6. Die opportunistische Anpassung der LSSP an die singhalesische Bourgeoisie zeigte sich sofort in ihren Manövern zur Bildung einer Koalition unter Führung des UNP-Politikers S.W.R.D. Bandaranaike. Bandaranaike war zuvor Parteichef der Sinhala Maha Sabha gewesen. Diese Partei war 1919 gegründet worden, um die singhalesische Mehrheit auf ausdrücklich rassistischer und religiöser Grundlage zu vereinigen. 1939 warnte Colvin R. de Silva vor Sinhala Maha Sabha und nannte sie eine „gefährliche reaktionäre Vereinigung“, die das Potenzial habe, zu einer „lokalen Variante des braunen Faschismus‘“ zu werden. [20] Die Versuche der LSSP, eine Regierungskoalition unter Bandaranaike zu unterstützen, war der Beginn eines gefährlichen Trends, singhalesischen Populismus als progressive Alternative zur UNP darzustellen. Die Manöver der LSSP scheiterten, da die BLPI sich weigerte, bei dieser reaktionären Scharade mitzumachen.
10.7. Die grundlegenden Unterschiede in der Klassenorientierung der BLPI und der LSSP zeigten sich noch stärker in der Frage der „Unabhängigkeit“, als die Briten das Land am 4. Februar 1948 in die Unabhängigkeit entließen. In einer bedeutsamen Stellungnahme, die am selben Tag unter dem Titel „Independence Real or Fake“ (Ist die Unabhängigkeit echt oder falsch?) erschien, erklärte BLPI-Führer Colvin R. de Silva den ceylonesischen Massen, dass es an der Unabhängigkeit eigentlich nichts zu feiern gebe. „Unser neuer Status ist nicht die Unabhängigkeit, es werden nur die Ketten neu geschmiedet, mit denen der britische Imperialismus Ceylon versklavt hat. Die Methode, mit der der britische Imperialismus seine Herrschaft ausübt, wird fortgesetzt… Nur Narren würden behaupten, es gäbe keine Veränderung in Ceylons ‚Status‘. Es gibt eine Veränderung. Aber diese Veränderung besteht nicht darin, dass Ceylon keine Kolonie mehr ist, sondern unabhängig wäre; sondern darin, dass der britische Imperialismus Ceylon nicht mehr direkt, sondern indirekt regiert.“[21] Die BLPI stimmte nicht nur gegen die Resolution der Regierung im Parlament zur Unabhängigkeit; sie organisierte auch eine Massenveranstaltung auf dem Galle Face Green im Stadtzentrum von Colombo, an der 50.000 Menschen teilnahmen, um gegen die offiziellen Zeremonien zu protestieren. Im Gegensatz dazu erklärte die LSSP die „Unabhängigkeit“ zu einem begrenzten Schritt nach vorne, enthielt sich bei der Abstimmung im Parlament, weigerte sich, an der Kundgebung der BLPI teilzunehmen, und bezeichnete sie als „exhibitionistisch, ultralinks,“ und als ein „Abenteuer von Salon-Bolschewisten“.
10.8. Der undemokratische Charakter der Unabhängigkeitsvereinbarung zwischen dem britischen Imperialismus und der srilankischen Bourgeoisie zeigte sich bereits in einer der ersten Aktionen der UNP-Regierung: Sie erließ Gesetze, die der großen Mehrheit der tamilischsprachigen Plantagenarbeiter die grundlegenden Staatsbürgerrechte aberkannte. Die BLPI stellte sich unmissverständlich gegen die undemokratischen Gesetze. In einer Rede im August 1948 erklärte Colvin R. de Silva, die Vorstellung, „der Staat müsse sich mit der Nation, und die Nation mit der Volkszugehörigkeit decken“, sei „eine veraltete Vorstellung und eine geplatzte Philosophie.“ Weiter erklärte er: „Im Faschismus ist es so, dass die Nation sich mit der Volkszugehörigkeit deckt und die Volkszugehörigkeit zum beherrschenden Faktor bei der Zusammensetzung des Staates wurde… Wenn die Regierung diese Frage vom Standpunkt der Kapitalistenklasse angeht, wird unsere Partei – wir von der Vierten Internationale – die Frage vom Standpunkt des Proletariats angehen. Das heißt, wir gehen sie von einem Standpunkt an, der unabhängig von der Volkszugehörigkeit ist und über ihr steht. Wir sind nicht bereit, die arbeitende Bevölkerung dieses Landes auf der Grundlage ihrer Abstammung zu unterscheiden. Wir sagen, ein Arbeiter ist zuallererst ein Arbeiter.“ Bezeichnenderweise demonstrierte die tamilische Elite aus dem Norden und Osten der Insel, die vom All Ceylon Tamil Congress (ACTC) repräsentiert wurde, ihren Klassenstandpunkt, indem sie sich gegen die Rechte der tamilischsprachigen Plantagenarbeiter aussprach. Sie stimmte für den Gesetzesentwurf. Eine Minderheit des ACTC war dagegen, trat aus und gründete die Federal Party (Föderative Partei).
10.9. Die weitsichtige Analyse des Charakters der Unabhängigkeit nach dem Krieg basierte auf Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution und erwies sich als richtig. Zwar lösten die Vereinigten Staaten Großbritannien als vorherrschende imperialistische Macht ab und die Existenz der stalinistischen Regimes in der Sowjetunion, Osteuropa und China ließ einen gewissen Spielraum für Manöver, aber die neuen „unabhängigen“ Staaten in Asien und Afrika blieben dem Imperialismus und dem wirtschaftlichen Rahmen untergeordnet, der in der Nachkriegszeit von den USA errichtet wurde. Dass sich Staatschefs wie Nehru in Indien, Sukarno in Indonesien, Nasser in Ägypten und Nyerere in Tansania als „Antiimperialisten“ oder „Sozialisten“ inszenieren konnten, lag zum einen an der unkritischen Unterstützung, die sie von den sowjetischen oder chinesischen Nationalisten erhielten, zum anderen an ihrer Politik nationaler Regulierung – an Importsubstitution, begrenzten Verstaatlichungen und einer gelenkten Wirtschaft. Wie illusorisch diese Unabhängigkeit letztlich war, zeigte sich mit dem Ende des Booms der Nachkriegszeit und dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems, das die Grundlage für nationale Reformpolitik gewesen war. Wie in anderen Ländern, zeigte sich auch in Indien und Sri Lanka, dass die nationale Bourgeoisie unfähig war, ihre demokratischen Aufgaben zu erfüllen. Die Grenzen sind noch die gleichen wie unter den ehemaligen Kolonialherren, deren Wirtschaftsinteressen weiterhin geschützt wurden. Sie zerschneiden bestehende sprachliche und kulturelle Verbindungen. Innerhalb der neuen Staaten haben sich die herrschenden Cliquen stets auf die undemokratische Herrschaft einer Ethnie, eines Stammes oder einer Religion über die anderen gestützt.