34.1. Das Ende des Kalten Krieges und seiner geopolitischen Beziehungen führte zu einer Verschärfung der imperialistischen Rivalitäten und zum Ausbruch von Militarismus. Der US-Imperialismus versuchte als einzige verbliebene Supermacht, seinen wirtschaftlichen Niedergang durch aggressive Nutzung seiner Militärmacht auszugleichen. 1990 nutzten die USA die irakische Invasion in Kuwait als Anlass, um lange bestehende Pläne zu verwirklichen, ihre Vorherrschaft im Nahen Osten zu etablieren. Alle imperialistischen Mächte unterstützten den Golfkrieg 1990-91, um ihre eigenen künftigen räuberischen Ambitionen zu legitimieren; auch die Regimes in China und der Sowjetunion und die Gewerkschaftsbürokratien aller Länder unterstützten ihn. In dem Manifest Gegen imperialistischen Krieg und Kolonialismus von 1991 kam das IKVI zu dem Schluss, dass eine neue Ära des Neokolonialismus begonnen habe. „Diese noch nicht abgeschlossene, de facto-Aufteilung des Irak zeigt den Beginn einer Neuaufteilung der Welt durch die Imperialisten an. Die Kolonien von gestern sollen erneut unterworfen werden. Die Eroberungen und Annexionen, die laut den opportunistischen Apologeten des Imperialismus einer längst vergangenen Ära angehörten, stehen wieder auf der Tagesordnung.“[70]
34.2. Während der erste Golfkrieg unter dem Banner der Vereinten Nationen geführt wurde, hatte die Militärintervention gegen Serbien 1999, die von den USA angeführt wurde, kein solches Feigenblatt. Die Rechtfertigung für den Nato-Krieg auf dem Balkan, man müsse einen Völkermord an den Kosovaren verhindern, wurde in ein verallgemeinertes humanitäres Argument verwandelt, mit dem weitere neokoloniale Kriege gerechtfertigt wurden. In Wirklichkeit war der Krieg auf dem Balkan Teil einer allgemeinen Strategie der USA, um die Gelegenheiten zu ergreifen, die sich nach der Auflösung der Sowjetunion ergaben, vor allem in den neugegründeten rohstoffreichen Republiken Zentralasiens. Die Bush-Regierung nutzte die Terroranschläge vom 11. September 2001 als Rechtfertigung für die Invasionen in Afghanistan (2001) und im Irak (2003), mit denen sie die Ambitionen des US-Imperialismus auf Unterjochung des Nahen Ostens und Zentralasiens unterstützte. Bushs neue Doktrin des „Präventivkriegs“ war identisch mit dem Hauptanklagepunkt, der nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die Naziführer erhoben wurde – der Führung eines Angriffskrieges. Der beschränkte Widerstand im UN-Sicherheitsrat gegen den Irakkrieg, den Frankreich anführte, basierte auf der Furcht, die USA würden die Interessen der anderen Mächte im Nahen Osten gefährden. Die Entstehung einer beispiellosen international koordinierten Protestbewegung der Massen gegen den Irakkrieg zeigte das objektive revolutionäre Potenzial der Antikriegsbewegung und gleichzeitig ihre politische Schwäche. Diese bestand in der fatalen Illusion, die von allen pseudoradikalen Organisationen verbreitet wird, der Krieg ließe sich verhindern, wenn man Druck auf die Regierungen und die UN ausübe. Das Scheitern dieser Proteste unterstreicht die grundlegende Lehre des Marxismus, dass Kriege nur durch die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse zur Abschaffung ihrer Ursachen verhindert werden können, nämlich des Profitsystems und der veralteten Aufteilung der Welt in kapitalistische Nationalstaaten.
34.3. Die explosive Steigerung des amerikanischen Militarismus in den letzten zwei Jahrzehnten wirkte sich höchst destabilisierend auf die Welt aus, vor allem in Südasien. Die Spannungen zwischen Pakistan und Indien haben sich verschärft, da beide versuchen, durch das Schüren von chauvinistischer Stimmung gegenüber dem jeweiligen Rivalen von den akuten sozialen Spannungen im eigenen Land abzulenken. Beide Länder führten im Jahr 1998 Kernwaffentests durch, 1999 kam es fast zum Krieg als pakistanische Truppen und islamistische Aufständische die Region Kargil im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir infiltrierten. Nachdem die USA Pakistan dazu brachten, die Unterstützung für die Aufständischen einzustellen, übernahm das Militär unter Führung von General Pervez Musharraf die Macht. Im Jahr 2001 destabilisierten die USA Pakistan noch weiter, indem sie Musharraf zwangen, seine Unterstützung für das Regime der Taliban in Afghanistan einzustellen und den USA bei ihrer Intervention zu helfen. Neu-Delhi nutzte die Gelegenheit, die ihm Washingtons betrügerischer „Krieg gegen den Terrorismus“ bot, für eine zunehmend kämpferische Haltung gegenüber Islamabad. Als islamistische Aufständische im Dezember 2001 das Parlamentsgebäude in Neu-Delhi angriffen, ließ Indien über eine halbe Million Soldaten an der Grenze zu Pakistan aufmarschieren. Die beiden Atommächte standen monatelang kurz vor einem offenen Krieg, bevor sie Rückzieher machten. Die neokoloniale Besetzung Afghanistans, die seit mehr als zehn Jahren andauert, hat auf Pakistan übergegriffen und wurde unter Präsident Obama zum „AfPak“-Krieg. Die Eskalation der Drohnenangriffe durch die CIA und die verheerenden Einsätze der pakistanischen Armee in den Stammesgebieten in Pakistan, bei denen sie von den USA unterstützt wird, haben zu der tiefen politischen Krise in Islamabad beigetragen. Nichts zeugt mehr vom politischen Bankrott der Bourgeoisie und ihrer Agenten in der Arbeiterklasse auf dem ganzen indischen Subkontinent wie das Fehlen jeglicher Opposition gegen den AfPak-Krieg, der ersten direkten imperialistischen Intervention in Südasien seit 1947.
Vierte Internationale, Jg. 18, Nr. 1, S. 8.