35.1. Die weltweite Finanzkrise, die im September 2008 mit dem Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers begann, war nicht nur ein konjunktureller Wirtschaftsabschwung, sondern ein fundamentaler Zusammenbruch der kapitalistischen Ordnung. Die Hoffnung, dass die Billionen von Dollar, die die Regierungen ins Finanzsystem und in Großkonzerne steckten, die Wirtschaft stabilisieren würden, verging schnell. Durch die Rettungs- und Konjunkturpakete wurden die Schulden privater Schwindler und Spekulanten effektiv dem Staat übertragen und werden nun in allen Ländern der Arbeiterklasse aufgehalst, die dafür mit Sparprogrammen zahlen soll. Die Wirtschaftskrise entwickelt sich weiter und nimmt immer bösartigere Formen an. Nick Beams, der nationale Sekretär der australischen SEP, erklärte: „Ein Zusammenbruch bedeutet nicht, dass der Kapitalismus zum Stillstand kommt. Er signalisiert den Beginn einer neuen Periode der Geschichte, in der alte Strukturen, ökonomische wie politische, sowie Ideologien und Denkweisen, weichen und neue Formen politischer Kämpfe sich entwickeln, in denen das Schicksal der Gesellschaft entschieden wird..“[71]
35.2. Die zunehmende Wirtschaftskrise wird die geopolitischen Antagonismen noch weiter verstärken, vor allem zwischen den Vereinigten Staaten und China. Chinas schneller wirtschaftlicher Aufstieg bringt es unweigerlich in Konflikt mit seinen etablierten Rivalen und anderen aufstrebenden Mächten wie Indien, während es die Welt nach Treibstoff, Rohstoffen und Märkten durchkämmt. Um seine Schifffahrtsrouten zu schützen, vergrößert China sein Militär, vor allem seine Marine. Damit bedroht es jedoch die langjährige amerikanische Vorherrschaft im Westpazifik und dem Indischen Ozean. Die Vereinigten Staaten, der am meisten verschuldete Staat der Welt, haben ihre Position als wirtschaftliche Hegemonialmacht, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg innehatten, bereits verloren und setzen rücksichtslos ihre verbliebene Militärmacht ein, um ihren Rivalen zu schaden. Die USA werden ihre Vormachtstellung nicht friedlich aufgeben, und China, das selbst mit akuten wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichten zu kämpfen hat, kann es sich nicht leisten, sich von Washington Bedingungen diktieren zu lassen. Diese zunehmende Rivalität äußert sich bereits in Handels- und Währungsstreitigkeiten. Sie wird unausweichlich andere Mächte mit einbeziehen und könnte die Menschheit in einen weiteren katastrophalen Weltkrieg stürzen.
35.3. Ganz Asien ist zu einer Arena für die schärfer werdende Rivalität zwischen den USA und China geworden. Japan verstärkt sein militärisches Bündnis mit Washington, um seine ehemals vorherrschende Position in Nordostasien zu stärken. Indien hegt eigene Ambitionen, eine Weltmacht zu werden und ist eine strategische Partnerschaft mit Washington eingegangen. In jedem Land steht die herrschende Klasse vor einem grundlegenden Dilemma: Wie soll sie zwischen China, dem größten Handelspartner fast aller asiatischen Länder, und den Vereinigten Staaten, die immer noch die größte Wirtschaftsmacht und die stärkste Militärmacht sind, die Balance halten. Die verheerenden Folgen dieses geopolitischen Kampfes zeigen sich bereits in Afghanistan, das zu einem kolonialen Vorposten in Zentralasien unter amerikanischer Herrschaft geworden ist; und im Nachbarstaat Pakistan, das von politischen Krisen und Konflikten geschüttelt ist.
35.4. Sri Lanka wurde aufgrund seiner zentralen Lage an den Hauptschifffahrtsrouten durch den Indischen Ozean in diesen Strudel gezogen. Nach dem Ende des langen Bürgerkriegs im Jahr 2009 verschärfte sich die Rivalität zwischen den USA, China und Indien um die Vorherrschaft in Colombo. Als die Niederlage der LTTE kurz bevorzustehen schien, erkannten die USA spät, dass China seinen Einfluss beträchtlich gesteigert hatte, indem es Militär- und Wirtschaftshilfe an Sri Lanka leistete. Im Gegenzug wurde es Peking erlaubt, einen großen neuen Hafen in der südsrilankischen Stadt Hambantota zu bauen. Peking bemühte sich, um strategisch wichtige Hafenanlagen im Indischen Ozean, unter anderem auch in Burma, Bangladesch und Pakistan. Die Bedeutung der Insel für Washington unterstreicht ein Bericht des amerikanischen Senats vom Dezember 2009, in dem es ausdrücklich heißt, die USA „können es sich nicht leisten, Sri Lanka zu verlieren.“ Die Regierung von Sri Lanka vollzieht, wie alle anderen in der Region, einen prekären Drahtseilakt, der sie nicht davor bewahren wird, in einen Konflikt mit einbezogen zu werden, der für die Arbeiterklasse katastrophale Folgen haben wird.
35.5 Der von Präsident Mahinda Rajapakse 2006 wieder aufgenommene Krieg trieb die Insel ins Verderben. Mit Unterstützung aller Großmächte führten die Regierung und die Armee einen brutalen Abnutzungskrieg, in dem Zehntausende tamilische Zivilisten den Tod fanden und Städte und Dörfer in Schutt und Asche gelegt wurden. Der Krieg war von weitgehenden Angriffen auf demokratische Rechte begleitet. Seine ökonomischen Lasten wurden der Arbeiterklasse aufgehalst. Regierungsfreundliche Todesschwadrone, die eng mit dem Militär zusammenarbeiteten, töteten Hunderte Menschen oder ließen sie verschwinden, darunter Journalisten und Politiker. Das SEP-Mitglied Nadarajah Wimaleswaran verschwand im März 2007, als er auf die von der Marine kontrollierte Insel Kayts reiste. Die Regierung, die eine Untersuchung des Falls blockierte, ist politisch für sein Verschwinden und seine wahrscheinliche Ermordung verantwortlich.
35.6. Das Ende des Bürgerkrieges hat nicht den „Frieden und Wohlstand“ gebracht, den Präsident Rajapakse versprochen hat. Nachdem die Regierung die Insel für den Krieg bis über beide Ohren in Schulden gestürzt hat, ist sie gezwungen, noch tiefere Kürzungen bei Arbeitsplätzen, Sozialleistungen und Subventionen zu machen, um die Forderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu erfüllen. Die Löhne wurden seit fünf Jahren nicht mehr erhöht, während die Preise, auch von Grundlebensmitteln, in die Höhe geschossen sind, was für große Teile der Arbeiterklasse und der unterdrückten Massen zu Schwierigkeiten geführt hat. Die große Kluft zwischen Reich und Arm zeigt sich auch in den neuesten Sozialstatistiken, laut denen die unteren zwanzig Prozent der Gesellschaft nur 4,5 Prozent des gesamten Haushaltseinkommens besitzen, die obersten zwanzig Prozent hingegen 54,1 Prozent. Keine Partei des politischen Establishments in Colombo setzt sich politisch für die drängenden Bedürfnisse und Forderungen der arbeitenden Bevölkerung ein. Die Oppositionsparteien UNP und JVP haben die Regierung im Krieg und bei den marktwirtschaftlichen Reformen unterstützt, die vom IWF im Auftrag des Finanzkapitals diktiert wurden.
35.7. Die politische Schwäche der srilankischen Bourgeoisie zeigt sich daran, wie sehr die Regierung Rajapakses von dem riesigen Sicherheitsapparat abhängig ist, der in einem Vierteljahrhundert Bürgerkrieg aufgebaut wurde. Fast zwei Jahre nach dem Ende des Krieges sind die drakonischen Notstandsgesetze noch immer in Kraft, und kein Truppenteil wurde demobilisiert. Stattdessen dringt das Militär in Aspekte der Regierung ein, die bisher als ausschließlich zivile Angelegenheiten galten, beispielsweise das Programm zur Bekämpfung von Slums in Colombo, durch das 60.000 Familien zwangsumgesiedelt werden sollen. Die Militarisierung des Lebens äußert sich beispielhaft in Rajapakses Aufforderung an die Arbeiter, Opfer zu bringen wie Soldaten, um „die Nation aufzubauen“. Rajapakses Regierung wird immer mehr zu einer Verschwörergruppe von Politik und Militär, die sich kaum um das Parlament, die Verfassung oder die Gerichte schert. Der Polizeistaatsapparat ist vor allem auf die Unterdrückung jedes Widerstandes der Arbeiterklasse und der Massen vom Land gerichtet.
35.8. Keine der Ursachen, die zu dem langen Bürgerkrieg geführt haben, wurde durch die militärische Niederlage der LTTE beseitigt. Sechzig Jahre nach der formellen Unabhängigkeit hat es die srilankische Bourgeoisie nur geschafft, sich mit kommunalistischer Spaltungspolitik an der Macht zu halten. Sie hat die Einheit ausschließlich durch Gewalt aufrechterhalten, was sich zurzeit in der massiven militärischen Besetzung des Nordens und Ostens zeigt. Die berechtigte Wut der Tamilen über die seit Jahrzehnten fest verwurzelte Diskriminierung wird unweigerlich in neuen Formen wieder ausbrechen. Jedoch müssen die notwendigen politischen Lehren gezogen werden. Die Niederlage der LTTE war nicht in erster Linie eine militärische, sonder das Produkt der inhärenten Schwäche ihrer politischen Perspektive. Von Anfang an war ihr Ziel, mit Unterstützung Indiens oder anderer Regional- oder Weltmächte im Namen der tamilischen Bourgeoisie ein kapitalistisches Eelam aufzubauen. Als sich diese Kräfte gegen die LTTE stellten, blieb ihr nichts anderes als machtlose Bitten an die „internationale Staatengemeinschaft“, den Angriff des Militärs zu beenden. Die einzige gesellschaftliche Kraft, die in der Lage ist einen Kampf für wirklich demokratische Rechte gegen die srilankische Bourgeoisie und ihre imperialistischen Hintermänner zu führen, ist die Arbeiterklasse. Die LTTE hat jedoch eine Orientierung auf die Arbeiter – tamilische wie singhalesische – auf einer Klassengrundlage immer von Grund auf abgelehnt. In den Gebieten, die unter der Kontrolle der LTTE standen, ignorierte sie die demokratischen Rechte und sozialen Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung. Als sie vor ihrem letzten Gefecht stand, war die Führung der LTTE daher nicht in der Lage, einen breiten Appell an die tamilischen Massen zu richten, geschweige denn an die Arbeiterklassen der ganzen Insel und der Region. Der Zusammenbruch der LTTE ist ein deutlicher Beweis für den Bankrott aller Bewegungen, deren Grundlage bürgerlicher Separatismus ist.
35.9. Im letzten Vierteljahrhundert wurde jede politische Bewegung auf die Probe gestellt. Nur die SEP erwies sich in der Lage, einen konsistenten politischen Kampf für die Verteidigung der demokratischen Rechte der Tamilen und der ganzen arbeitenden Bevölkerung zu führen. Das ist eine entscheidende Komponente ihrer Strategie für eine sozialistische Republik von Sri Lanka und Eelam. Die Fähigkeit der SEP, politischen und physischen Angriffen von allen Seiten zu widerstehen, ergab sich aus der Stärke der Prinzipien, auf denen sie basiert. Die Verteidigung und Entwicklung der Theorie und Strategie der Permanenten Revolution ist die einzige Möglichkeit, für die politische Unabhängigkeit von allen Fraktionen der Bourgeoisie zu kämpfen. Indem die SEP seit über vierzig Jahren einen kompromisslosen Kampf für den Trotzkismus führt, hat sie tiefe Wurzeln in der Arbeiterklasse geschlagen und sich als einzige Partei etabliert, die die historischen Interessen der arbeitenden Bevölkerung verteidigt.
35.10. Sri Lanka zeigt im Mikrokosmos das vollständige Scheitern des nationalen Projektes in allen unabhängigen Staaten Südasiens, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden. In keinem dieser Staaten waren die bürgerlichen Regierungen in der Lage, die Forderungen der Massen nach angemessenem Lebensstandard und demokratischen Grundrechten zu erfüllen. Hunderte Millionen Menschen leben in Armut und Rückständigkeit. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg in Sri Lanka findet Parallelen in der ganzen Region in Form des reaktionären Missbrauchs kommunaler, ethnischer und sprachlicher Spaltungen durch rivalisierende Teile der herrschenden Elite, mit der diese ihre eigenen Interessen bedient. Die Arbeiterklasse steht vor einer neuen Ära revolutionärer Erhebungen, und es ist notwendig, die wichtigsten politischen Schlüsse zu ziehen. Nur durch die Vereinigung der Arbeiterklasse innerhalb und über nationale Grenzen hinweg kann die notwendige revolutionäre Kraft für die Abschaffung des veralteten kapitalistischen Systems und dessen Umwandlung in eine sozialistische Planwirtschaft entwickelt werden. Die SEP versucht, die besten revolutionären Traditionen der BLPI wiederzubeleben und sich auf das Programm des IKVI zu stützen, um für die Einheit der Arbeiter und der unterdrückten Massen für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Südasien als Teil der sozialistischen Weltrevolution zu kämpfen.
35.11. Andauernde Wirtschaftskrisen, wachsende inner-imperialistische Antagonismen, zunehmender Militarismus, wachsende soziale Ungleichheit und die tiefe Entfremdung der einfachen Bevölkerung von den bestehenden politischen Parteien und Strukturen sind unverkennbare Zeichen für eine neue, lange Periode von Kriegen und Revolutionen. Die Aufstände in Nordafrika und im Nahen Osten sind der jüngste Beweis dafür, dass die Krise des Kapitalismus immense Klassenkämpfe hervorruft. Es besteht jedoch noch immer ein großes Missverhältnis zwischen dem fortgeschrittenen Charakter des Zusammenbruchs des Kapitalismus und dem derzeitigen politischen Bewusstsein der Arbeiterklasse. Dies kann nur durch geduldigen und unermüdlichen politischen Kampf der revolutionären Partei gegen Sozialdemokratie, Stalinismus und Pablismus beseitigt werden. Diese Kräfte verhindern die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse. Durch einen konsistenten politischen Kampf in der Arbeiterklasse wird die Partei versuchen, das notwendige Bündnis zwischen dem Proletariat und der Bauernschaft zu schmieden, das für die Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung notwendig ist.
35.12. Die zentrale Aufgabe bleibt jedoch der Aufbau einer revolutionären Führung, um das Bewusstsein der Arbeiterklasse für ihre internationalen historischen Aufgaben zu wecken. Nur eine Partei, die sich auf die fortschrittlichste wissenschaftliche Theorie stützt und die notwendigen Lehren aus den früheren strategischen Erfahrungen der internationalen Arbeiterklasse gezogen hat, ist fähig, diese Rolle zu erfüllen. Allein das Internationale Komitee der Vierten Internationale und seine Sektionen verkörpern das historische Erbe des zeitgenössischen Marxismus – das heißt, des Trotzkismus. Auf dieser Grundlage wollen die SEP und ihre Schwesterparteien im IKVI die internationale Arbeiterklasse ausbilden, mobilisieren und vereinigen. Sie sind zuversichtlich, dass die weitsichtigsten und opferbereitesten Arbeiter und Jugendlichen für ihr Banner gewonnen werden und die materiellen Kräfte für die sozialistische Weltrevolution liefern werden.
Nick Beams, Der Zusammenbruch des Kapitalismus und die revolutionäre Perspektive der Vierten Internationale. http://wsws.org/de/articles/2008/okt2008/beam-o18.shtml.