Wie sich die Ereignisse an der Wall Street in den nächsten Wochen auch genau entwickeln werden, eines steht jetzt schon fest: Es entfaltet sich eine Krise von historischen Ausmaßen. Nach jahrzehntelanger unablässiger Medienpropaganda, die uns von der Unfehlbarkeit des kapitalistischen Marktes und der Genialität der Finanzgenies an der Wall Street überzeugen wollte, steht die Wirtschaft der Vereinigten Staaten nun am Rande eines Zusammenbruchs, wie zuletzt während der Großen Depression in den 1930er Jahren.
Der Zusammenbruch der Investmentbank Bear Stearns am 14. März und ihre von JP Morgan Chase und der amerikanischen Notenbank (Fed) organisierte Übernahme sind ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte des Weltkapitalismus seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Diese Entwicklung ist ein Beleg dafür, dass die Widersprüche in der kapitalistischen Weltwirtschaft jetzt einen Punkt erreicht haben, an dem Finanzkatastrophen und sozialer und wirtschaftlicher Ruin wie in den 1930er Jahren nicht mehr nur möglich erscheinen, sondern immer wahrscheinlicher werden.
Das Schicksal der 14.000 Angestellten von Bear Stearns, von denen vermutlich mindestens die Hälfte ihre Arbeitsplätze verlieren wird und deren Altersersparnisse in Form von Firmenanteilen mit einem Schlag ausgelöscht wurden, sind ein Vorgeschmack der sozialen Katastrophe, die die Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten und weltweit zu überrollen droht.
Die am vergangenen Wochenende von der Fed ergriffenen Maßnahmen machen deutlich, dass Bear Stearns zum Startschuss für den Zusammenbruch einer ganzen Reihe von Banken und Finanzhäusern in den USA und international werden kann. Die Fed gab am Sonntagabend bekannt, dass sie als Teil der Übernahmevereinbarung mit JP Morgan Chase 30 Milliarden Dollar nicht liquiden Vermögens von Bear Stearns absichere.
Zusätzlich gab sie die Senkung des Diskont-Zinssatzes, mit dem Banken sich direkt Geld bei der Notenbank leihen können, um einen Viertelpunkt bekannt, und darüber hinaus die Gewährung unbegrenzter Kreditlinien für sechs Monate nicht nur für Geschäftsbanken, sondern auch für Investmentbanken und Maklerhäuser. Eine derartige Maßnahme hat es seit der Großen Depression nicht mehr gegeben. Normalerweise steht das so genannte Diskontfenster der Fed nur Geschäftsbanken offen, d.h. Einlagenbanken, nicht aber den weniger regulierten und traditionell spekulativeren Investmentbanken.
Mit ihrem Rückgriff auf eine Notfallregelung, um die der Federal Reserve Act 1932 auf dem Höhepunkt der Depression erweitert worden war und die der Fed erlaubte, Kredite auch an Investmentbanken zu vergeben, signalisierte die Notenbank, dass sie Zusammenbrüche weiterer großer Wall Street-Firmen befürchtete. Der erfahrene Ökonom Allen Sinai sagt voraus, dass "mehrere große Finanzinstitutionen" auf die eine oder andere Weise verschwinden werden.
Die Fed wartete mit diesen Maßnahmen nicht bis zu ihrem geplanten Treffen am Dienstag, auf dem die Zentralbank die Zinsen für kurzfristige Kredite vermutlich noch einmal um 0,75 Punkte senkte.
Nach einem sehr nervösen Handelstag schloss der Dow Jones Index für Industriewerte an der New Yorker Börse am Montag leicht gestärkt, doch die Finanzwerte erlitten mit Ausnahme von JP Morgan Chase weiter starke Verluste. Von den übrigen großen Investmentbanken fiel Lehman Brothers am stärksten und verlor nochmals neunzehn Punkte, nachdem schon der Freitag ein Minus von fünfzehn Punkten gebracht hatte. Lehman Brothers hat von allen Banken die meisten durch Hypotheken gedeckte Schuldverschreibungen im Portfolio. Citigroup, an ihrem Marktwert gemessen die größte Geschäftsbank der Welt, verlor sechs Prozent.
Der Dollar fiel auf einen neuen Tiefststand gegenüber dem Euro, dem Yen und dem Schweizer Franken.
Vor diesen neuen Maßnahmen hatte die Fed schon massiv Liquidität in die Finanzmärkte gepumpt und vereinbart, als Deckung hypothekengestützte Wertpapiere zu akzeptieren, die unverkäuflich sind und deren Wert äußert zweifelhaft ist. Das bedeutet, dass die US-Notenbank vielleicht faule Kredite in Höhe von Hunderten Milliarden Dollar in ihre Bilanz aufnimmt. Damit droht das weltweite Vertrauen in die Solvenz der Fed selbst unterhöhlt und der starke Verfall des US-Dollars auf den Weltwährungsmärkten beschleunigt zu werden.
Es wird weithin anerkannt, dass die gegenwärtige Finanzkrise die schlimmste seit dem Börsenkrach von 1929 ist, der in die große Depression mündete. Die Spätnachrichtensendung "NBC Nightly News" begann ihre Berichterstattung am Montag mit der Behauptung, dass es eine Rettungsaktion wie die für Bear Stearns "seit der Großen Depression nicht mehr gab".
In einer am Montag in der Londoner Financial Times veröffentlichten Kolumne schrieb der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan: "Die gegenwärtige Finanzkrise in den USA wird in der Rückschau wahrscheinlich einmal als die schlimmste seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eingeschätzt werden."
Im amerikanischen Wirtschafts- und Finanzestablishment gibt es auch scharfe Kritiker des Vorgehens der Fed und der Bush-Regierung, weil sie den Dollar und die globale Position des amerikanischen Kapitalismus unterminierten. Das Wall Street Journal veröffentlichte am Montag einen Kommentar, der mit folgenden Worten begann: "Wir haben bei der Panik auf den Kreditmärkten, die im August begann, den Punkt der größten Gefahr erreicht: Einen Ansturm auf den Dollar, der zum Chaos führen kann."
Weiter beklagte das Journal : "Der Haupterfolg der Fed bisher besteht darin, die Gefahr eines weltweiten Vertrauensverlustes in den Dollar heraufzubeschwören.... Die Fed muss ihre monetäre Glaubwürdigkeit wiederherstellen, sonst könnte die heutige Panik zum Crash von morgen werden."
Andere kritisieren, dass die Intervention der Fed das Wirken des "freien Marktes" störe. Die meisten Analysten betonten dagegen, dass die Maßnahmen wegen des Zustands der Weltfinanzmärkte notwendig seien. Ein völliger Zusammenbruch von Bear Stearns hätte zu Notverkäufen seiner Einlagen und zu einer Kettenreaktion auf allen Finanzmärkten geführt, weil der Wert aller Wertpapiere nach unten angepasst werden müsste. Das hätte die Bilanzen anderer Großbanken und Finanzinstitute ruiniert, die allesamt ähnliche Investitionen getätigt haben wie Bear Stearns.
Hätte man Bear Stearns untergehen lassen, so die New York Times, dann wäre der Markt, der von Kreditknappheit geprägt ist, "mit Hypothekenpapieren und anderen Anleihen überschwemmt worden". Das Ergebnis wäre ein "Tsunami" gewesen, der Hedgefonds und Maklerhäuser mit sich gerissen hätte.
In einem Bericht über Diskussionen zwischen Notenbankchef Ben Bernanke und anderen Fed-Direktoren mit US-Finanzminister Henry Poulson und seinem Stellvertreter Robert Steel stellte das Wall Street Journal fest: "Hätten sie Bear untergehen lassen, wäre möglicherweise der Rest der Wall Street mitgerissen worden. Der Wert eines großen Finanzhauses wäre über Nacht von acht Milliarden Dollar auf Null gefallen." Das hätte unter Umständen dazu geführt, dass überhaupt keine Kredite mehr vergeben und damit andere Wall Street-Banken ebenfalls in den Strudel gerissen worden wären. Ein Börsenkrach "in der Größenordnung wie 1987" wäre die mögliche Folge, der Schaden für die US-Wirtschaft "unermeßlich" gewesen.
Die Sorge greift um sich, dass die Werkzeuge des Federal Reserve Board - Zinssenkungen und die Bereitstellung von Krediten für die Banken - wirkungslos verpuffen. Der ehemalige Finanzminister Lawrence Summers warnte, dass das "wichtigste politische Werkzeug, auf das wir uns verlassen haben - die Fed verleiht Geld an Banken in der einen oder anderen Form" - so wirkt, als ob man "Viren mit Antibiotika bekämpfen" wollte. Summers und John Lipsky, ein hoher Beamter des Internationalen Währungsfonds, sind der Meinung, dass öffentliche Gelder eingesetzt werden müssen, um das US-Finanzsystem zu retten.
Viele Analysten haben darauf hingewiesen, dass die Fed die Krise deswegen nicht mit der Bereitstellung von mehr Kredit lösen kann, weil das zentrale Problem des Finanzsystems nicht zu wenig Liquidität, sondern eine zu geringe Zahlungsfähigkeit ist.
Die Krise begann unmittelbar mit dem Fall der Immobilienpreise, der 2006 einsetzte und sich seitdem beschleunigt hat. Das hat den Wert von hypothekengestützten Wertpapieren, die in den Tresoren der Banken und Investmenthäuser liegen, um Dutzende Milliarden Dollar vermindert und noch so viele Zinssenkungen werden deren Wert nicht wiederherstellen. Der einzige Weg, diese Solvenzkrise zu lösen, wäre ein erneutes Ansteigen der Immobilienpreise. Aber weil die USA vor einer Wirtschaftsrezession stehen - der vielleicht schärfsten seit dem Zweiten Weltkrieg, wie der Harvard-Ökonom Martin Feldstein meint - werden die Immobilienpreise weiter fallen und dadurch die Finanzkrise noch anheizen.
Die Abhängigkeit der Banken weltweit von dem hypothekengestützten Wertpapiergeschäft kann man daran ablesen, dass 2007 solche Papiere im Wert von 366 Milliarden Dollar herausgegeben wurden. 1998 hatte ihr Gesamtwert erst bei 16,4 Milliarden Dollar gelegen. Bear Stearns war nur die achtgrößte Ausgabebank dieser Wertpapiere, was bedeutet, dass noch so manchem Finanzhaus dasselbe Schicksal blühen kann.
Ihre Krise wird noch dadurch verschärft, dass der wirkliche Wert der Papiere, die sie halten, kaum zu bestimmen ist. Deswegen würden sie praktisch keinen Käufer für sie finden, falls sie sie auf den Markt werfen, um Erlöse zu erzielen. Der New York Times zufolge hatte Bear Stearns am 30. November letzten Jahres Hypotheken sowie durch Hypotheken und Wertpapiere gedeckte Schuldverschreibungen im Wert von 46 Milliarden Dollar in den Büchern. Im Jahresbericht der Bank hieß es, dass ein Wert von 29 Milliarden Dollar mittels Computermodellen bestimmt wurde, der aus mehr oder weniger verifizierbaren Marktdaten "abgeleitet" oder "gestützt" sei. Der Wert der übrigen 17 Milliarden basierte dagegen auf Schätzungen, die von "intern entwickelten Modellen oder Methoden abgeleitet sind und auf wichtigen Daten beruhen, aber im Großen und Ganzen nicht so ohne weiteres verifizierbar sind."
Die bei Bear Stearns angewandten Methoden werden überall im globalen Finanz- und Bankensystem eingesetzt. Das bedeutet, dass Hunderte Milliarden Dollar an Wertpapier gestützten Sicherheiten buchstäblich fiktives Kapital sind.
Die historischen Wurzeln der Krise
Die unmittelbare Ursache der Finanzkrise ist zwar der Zusammenbruch des Subprime-Hypothekenmarktes, seine historischen Wurzeln liegen aber in der veränderten Physiognomie des amerikanischen und weltweiten Kapitalismus in den vergangenen dreißig Jahren.
Die sechzig Jahre seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unterteilen sich grob in zwei Hälften. In der ersten Hälfte war die kapitalistische Wirtschaft der USA von ihrer verarbeitenden Industrie bestimmt. Die zweite Hälfte zeichnete sich durch eine immer stärkere Stellung der Finanzwirtschaft aus.
Im Verlauf dieses Prozesses wurde ein riesiger Kreditberg geschaffen und die Anhäufung von Profit bei den Banken und Finanzinstitutionen hatte immer weniger mit dem tatsächlichen Produktionsprozess zu tun, sondern fand durch immer komplexere Finanzoperationen und -manipulationen statt. Diese Akkumulationsweise hat ihr Zentrum in den Vereinigten Staaten, aber die Finanzkrise, die jetzt ausgebrochen ist, ist nicht einfach eine amerikanische Frage. Vielmehr findet die Krise der kapitalistischen Weltordnung ihren Ausdruck im amerikanischen Finanzsystem - dem Herz der Weltwirtschaft.
Während viele Experten an der Wall Street von der hereinbrechende Katastrophe sicher überrascht wurden, findet sich im ersten Kapitel des 2. Bandes von Karl Marx' Kapital ein sehr zeitgemäßer Hinweis auf den Hintergrund der Krise. Marx merkt an, dass für den Besitzer von Geldkapital (Banken und Finanzhäuser) "der Produktionsprozess nur als unvermeidliches Mittelglied, als notwendiges Übel zum Behuf des Geldmachens erscheint. Alle Nationen kapitalistischer Produktionsweise werden daher periodisch von einem Schwindel ergriffen, worin sie ohne Vermittlung des Produktionsprozesses das Geldmachen vollziehen wollen" (Das Kapital, Band 2, Berlin 1969, S. 62). Der hier von Marx als "periodisch" beschriebene Prozess ist nun zu einem dauerhaften Kennzeichen des amerikanischen Kapitalismus geworden.
Das hat jetzt dazu geführt, dass Betrug, Manipulation und offene Kriminalität zu zentralen Bestandteilen der Akkumulation von Reichtum geworden sind. Als die Börsenblase 2000/01 platzte, kamen mit dem Zusammenbruch von Enron und WorldCom einige dieser Methoden ans Licht. Aber sie wurden danach nicht aufgegeben, sondern in der Folgezeit noch viel stärker angewandt.
Die Reaktion der Fed auf das Platzen der Aktienblase war die gleiche wie in allen vorherigen Zeiten wirtschaftlicher Krise, angefangen mit dem Wall Street-Crash im Oktober 1987. Sie senkte die Zinsen und pumpte mehr Kredit in das Finanzsystem. Dieser Prozess führte zu der Immobilienblase, die sich im Anschluss an die Rezession von 2000/01 schnell aufblähte. Es tauchten betrügerische Praktiken auf, wie "Lockangebote" und "Lügenkredite" und das Verpacken von Schulden zweifelhafter Qualität in exotischen Finanzinstrumenten. Diese erhielten sodann die höchsten Bewertungen von den Rating-Agenturen, die selbst von der Zunahme dieser immer dubioseren Finanzpraktiken profitierten.
Ganz im Gegensatz zu den Behauptungen der Anhänger des "freien Marktes", dass Deregulierung zu mehr Transparenz führe, ist das Finanzsystem mehr denn je von Täuschung und Verschleierung geprägt. In den letzten zehn Jahren hat das Volumen von Finanzprodukten, die an keiner großen Börse gehandelt werden und völlig unreguliert sind, enorm zugenommen, wobei der Handel mit Derivaten von Aktien und Obligationen zwischen Finanzinstituten stattfindet. Und wenn "Wert", wie am Beispiel der Bilanz von Bear Stearns zu sehen, durch intern entwickelte Computerprogramme definiert wird, dann ist es nur noch ein kleiner Schritt zum bewussten Betrug.
Tatsächlich ist einer der Gründe für die Kreditverknappung das fehlende Vertrauen der Banken und Finanzhäuser in die Angaben ihrer Geschäftspartner, mit der Folge, dass sie sich gegenseitig keinen Kredit mehr gewähren.
Die Nachkriegsentwicklung der kapitalistischen Wirtschaft
Die Zunahme von Finanzmanipulationen und -kriminalität ist zwar von großer Bedeutung, aber nicht die eigentliche Ursache der Krise. Die Ereignisse, die an den höchsten Stellen der kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft für Unruhe sorgen, sind das Ergebnis historischer Veränderungen in der Struktur der kapitalistischen Weltwirtschaft.
Diese Prozesse haben dazu geführt, dass heute wieder gesellschaftliche und ökonomische Bedingungen wie in den 1920er und 1930er Jahren herrschen, die schließlich zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führten.
Die Stabilisierung der Weltwirtschaft nach den Verwüstungen der Großen Depression und des Kriegs beruhte auf der Stärke des US-Kapitalismus. Er bot die Grundlage für die Wiederbelebung des Weltmarkts, nachdem dieser in den 1930er Jahren praktisch aufgehört hatte zu existieren. Er machte ein neues internationales Währungs- und Finanzsystem möglich, wie es 1944 in Bretton Woods vereinbart wurde, und ermöglichte den Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft ab 1947 mit Hilfe des Marshall-Plans.
Die Verbreitung der produktiveren Methoden von der amerikanischen Industrie auf die übrigen entwickelten kapitalistischen Länder ließ die Profitraten ansteigen, was die Grundlage für den Nachkriegsboom legte.
Aber auch wenn bürgerliche Ökonomen in den Boomzeiten behaupteten, dass die keynesianische Wirtschaftspolitik -d.h. staatliche Einflussnahme auf das Zinsniveau und die Gesamtnachfrage - Krisen wie in den 1930er Jahren unmöglich gemacht habe, waren die Widersprüche in der kapitalistischen Produktionsweise nicht überwunden. Sie traten Ende der sechziger Jahre mit einem erneuten Fall der Profitrate und zunehmenden Problemen im internationalen Währungssystem erneut zum Vorschein. 1971 wurde die Golddeckung des Dollars aufgehoben und 1973 die festen Wechselkurse der Währungen.
In den 1960er und 1970er Jahren brachen in fast allen Ländern Arbeiterkämpfe von potenziell revolutionärem Ausmaß aus. Diese Bewegung konnte nur durch den Verrat der stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien sowie der Gewerkschaftsführungen unter Kontrolle gebracht werden.
Die Neutralisierung dieser Bewegung schaffte die notwendigen politischen Voraussetzungen für die umfassende Reorganisierung des Weltkapitalismus, die Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre begann. Mit dem "Volcker-Schock" von 1979, der eine Anhebung der Realzinsrate auf beispiellose Höhen und die bewusste Herbeiführung der schärfsten Rezession seit den 1930er Jahren bedeutete, begann eine Umstrukturierung der US-Wirtschaft, in deren Verlauf unprofitable Teile der Industrie geschlossen wurden und eine anhaltende Offensive gegen die Arbeiterklasse startete. Den Auftakt machte 1981 die Zerschlagung der Gewerkschaft der Fluglotsen.
Diese Offensive war verbunden mit der Einführung von neuen computergestützten Produktions- und Managementmethoden, die die Kosten senken und so die Profite erhöhen sollten. Diese Maßnahmen schlugen sich in einem ständigen Sinken der Reallöhne amerikanischer Arbeiter seit 1973 bis Ende der 1990er Jahre nieder. Dann kam es zu einem kurzen Anstieg, dem dann seit 2001 ein weiterer Niedergang folgte.
So wichtig diese Maßnahmen auch waren, die wesentlichste Veränderung in der Struktur des Weltkapitalismus bestand doch im Freiwerden riesiger Ressourcen und Reserven von Arbeitskräften in China und anderen Regionen der Welt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der stalinistischen Regimes zu Beginn der 1990er Jahre.
Dank der Ausbeutung dieser Ressourcen konnte die kapitalistische Weltwirtschaft nach der Rezession der 1990er Jahre einen Aufwärtstrend verzeichnen, verbunden allerdings mit wachsender Instabilität, die deutlich in der Asienkrise 1997/98 zutage trat.
Das Ausbluten der amerikanischen Wirtschaft, d.h. die immer größere Rolle des Finanzsektors und die weitgehende Zerstörung des Produktionssektors, sowie der Aufbau riesiger Produktionskapazitäten in China und anderswo sind zwei Seiten eines einzigen weltweiten Prozesses, dem das Wirtschaftswachstum in den letzten anderthalb Jahrzehnten geschuldet ist.
Die Ausweitung der Kreditfinanzierung in den USA und die Erzeugung einer Reihe von Booms - Aktien-, Internet- und Immobilienboom - haben die Märkte für Massenproduktion aus China und anderen Billiglohnländern aufnahmefähig gehalten.
Die Reduzierung von Produktionskosten durch Verlagerung der Produktion in Billiglohnregionen hat gleichzeitig der amerikanischen Notenbank erlaubt, ihre Niedrigzinspolitik beizubehalten, die Bedingung für kreditgestütztes Wachstum.
Eben diese Prozesse, die in der Vergangenheit das Wachstum gefördert haben, haben nun die Bedingungen für eine Weltwirtschaftskrise geschaffen, die Hunderte Millionen von Menschen in eine Katastrophe zu stürzen droht.
Die umfangreichen Investitionen in China sowie der damit einhergehende gestiegene Bedarf an Rohstoffen hat weltweit die Inflation angeschoben. Der Preisauftrieb wird zusätzlich vom anhaltenden Wertverlust des Dollars befeuert. Der Dollar wiederum fällt weiterhin, weil die Fed die Zinssätze senkt, um das Finanzsystem zu retten. Kurz, die Prozesse, die zuvor einen Aufschwung herbeigeführt haben, entfalten nun die entgegengesetzte Wirkung.
In den USA drohen die endlosen Angriff auf die soziale Lage der Arbeiterklasse und die Ausschöpfung der Mechanismen, mit denen in den letzten dreißig Jahren die Familieneinkommen aufrecht erhalten wurden, die Konsumausgaben zu dämpfen und die Rezession zu vertiefen. Zu diesen Mechanismen gehörten der verstärkte Eintritt von Frauen in den Arbeitsmarkt, die Verlängerung der tatsächlichen Arbeitszeit und die Aufnahme von Hypotheken zur Stabilisierung des Haushaltseinkommens.
Der ständige Wertverfall des Dollars heizt nicht nur die Inflation an. Er droht auch, den täglichen Zufluss von zwei Milliarden Dollar ausländischen Kapitals stocken zu lassen, mit dem das amerikanische Haushalts- und Außenhandelsdefizit finanziert wird.
Neben seiner unmittelbaren ökonomischen Wirkung ist der Niedergang des US-Dollar Ausdruck einer umfassenderen historischen Transformation. Als der Dollar vergangene Woche auf 1,56 Euro fiel, verloren die USA ihren Titel als größte Volkswirtschaft an die Eurozone. Das ist nicht nur von symbolischer Bedeutung.
Die Nachkriegsstabilisierung des Kapitalismus und der darauf aufbauende Boom hingen von der Stärke der US-Wirtschaft ab. Aber schon seit längerer Zeit, d.h. mindestens seit Beginn der 1980er Jahre, ist die globale Position des amerikanischen Kapitalismus ständig schwächer geworden. Dieser Niedergang wurde eine zeitlang durch die überragende Rolle überdeckt, die der Dollar immer noch als internationale Leitwährung spielte. Die Rolle des Dollars als Weltwährung bot den USA enorme Vorteile und stärkte ihr Finanzsystem. Er verlieh dem Land einen Anschein von Stärke, die es schon längst nicht mehr besaß.
Jetzt bricht der Dollar gegenüber allen wichtigen Währungen ein und unter großem Getöse wird seine tatsächliche Schwäche sichtbar.
Die Notwendigkeit eines sozialistischen Programms
Der Ausbruch der amerikanischen Finanzkrise ist für die amerikanische und die internationale Arbeiterklasse von größter Bedeutung.
Unabhängig von ihrem unmittelbaren Ausgang signalisiert sie, dass die grundlegenden Widersprüche des kapitalistischen Profitsystems erneut hervortreten. In den 1920er und 1930er Jahren zogen diese Widersprüche Hunderte Millionen Arbeiter, Jugendliche und die besten Schichten der Intellektuellen in den Kampf für den internationalen Sozialismus.
Im Zentrum der Aufgaben der Arbeiterklasse steht der Kampf für ein internationales sozialistisches Programm, dessen Ziel darin besteht, die Unterordnung der Wirtschaft unter die Diktate des privaten Profits zu beenden. Es strebt an, den enormen Reichtum, der durch die Hände der arbeitenden Bevölkerung in aller Welt geschaffen wird, zum Nutzen aller einzusetzen.
Die Finanzkrise entfaltet sich in den USA in einem Präsidentschaftswahljahr und doch hat keiner der Kandidaten der beiden großen Parteien auch nur das Geringste zu den Finanzbetrügereien der Banken oder zu den immer düsteren Aussichten für zig Millionen Amerikaner zu sagen. Der amtierende Präsident George Bush versucht, die wachsende Katastrophe als "Schnupfen" abzutun. Das alleine zeigt schon, dass beide Parteien vollkommen von der Finanzaristokratie abhängen.
In den letzten beiden Jahrzehnten haben die Hohepriester und Schreiberlinge des kapitalistischen Systems den Zusammenbruch der konterrevolutionären stalinistischen Bürokratenregimes in der Sowjetunion und Osteuropa genutzt, um in einer schier endlosen Kampagne den Sozialismus für erledigt zu erklären. Sie wollten glauben machen, dass der kapitalistische Markt, der auf Privateigentum und Profit und die Aufteilung der Welt in konkurrierende Nationalstaaten beruht, das historisch einzig mögliche Wirtschaftssystem sei.
Diese historische Lüge ist jetzt entlarvt. Sie ist genauso wertlos wie die exotischen Kreditprodukte, von denen Banken und Finanzhäuser behaupteten, sie repräsentierten tatsächlichen Wert.
Der Kampf für ein sozialistisches Programm kann nur erfolgreich sein, wenn ein politischer Kampf gegen die abgestandenen Theorien derer geführt wird, die für die Rückkehr zu einer keynesianischen Wirtschaftspolitik eintreten. Diese gehen davon aus, dass eine stärkere staatliche Kontrolle und Regulierung der Wirtschaft unter Beibehaltung des Privateigentums eine Lösung sei.
Die Geschichte lehrt aber, dass das Scheitern gerade dieses Kurses in den 1970er Jahren den Weg für das Programm des "freien Marktes" ebnete, das zu der heutigen Krise geführt hat.
Die arbeitende Bevölkerung er USA und weltweit darf nicht zulassen, dass ihr Schicksal von einem Finanzsystem bestimmt wird, das sie in den Abgrund zu stoßen droht. Sie müssen die Dinge selbst in die Hand nehmen.
Sie müssen sich über alle nationalen Grenzen hinweg zusammenschließen und gemeinsam für eine sozialistische Lösung der Krise kämpfen. Im Zentrum dieses Kampfes steht die Forderung, dass ganze Finanzsystem in öffentliches Eigentum zu überführen, es einer Rechenschaftspflicht zu unterwerfen und unter umfassende demokratische Kontrolle zu stellen.
Die Reichen und die Superreichen werden, unterstützt von ihren Lakaien in den Medien, ein solches Programm als nicht praktikabel verdammen und darauf hinweisen, dass es das Recht auf Privateigentum verletzt. Aber weil ihre Politik und ihre Dominanz in der heutigen Gesellschaftsordnung in die Katastrophe geführt haben, haben sie jedes Recht verwirkt, in Zukunft die Wirtschaft und die Gesellschaft zu lenken.
Eine ganze historische Periode lang wurde die wissenschaftliche Analyse von Karl Marx zurückgewiesen, dass die kapitalistische Gesellschaft von objektiven Gesetzen bestimmt wird, die notwendig zu einer gesellschaftlichen und ökonomischen Krise führen und eine höhere Form gesellschaftlicher Organisation notwendig machen. Aber diese Gesetze, die in "normalen" Zeiten den Blicken entzogen sind, sind jetzt genau in der Weise zur Oberfläche durchgebrochen, mit Marx' Worten, wie "das Gravitationsgesetz ...sich durchsetzt, wenn uns ein Haus um die Ohren fliegt".
Eine neue Ära ist jetzt durch den Ausbruch der amerikanischen Finanzkrise angebrochen, in der die Arbeiterklasse mit einem internationalen sozialistischen Programm um ihre Zukunft und die Zukunft der Menschheit kämpfen muss. Das ist die Perspektive der Socialist Equality Party und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.