Vergangenen Mittwoch beschloss die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) einstimmig die Aufhebung des 47 Jahre alten Beschlusses, Kuba von der Mitgliedschaft auszuschließen. Dies ist ein klares Anzeichen dafür, dass die wirtschaftliche und politische Position des US-Imperialismus in der ganzen Region geschwächt ist.
Die Entscheidung der OAS-Generalversammlung in San Pedro Sula (Honduras) fiel nach einer heißen Debatte, die 36 Stunden dauerte. Alle diplomatischen Vertreter Lateinamerikas unterstützten die Beendigung des 50-jährigen Boykotts, und es zeigte sich, dass Washington isoliert dastand. Die USA sind inzwischen das einzige Land in der Hemisphäre, das keine diplomatischen Beziehungen mit Kuba unterhält.
Die Vereinigten Staaten hatten den Ausschluss Kubas von der OAS-Mitgliedschaft durchgesetzt und all die Jahre dafür gesorgt, dass er aufrechterhalten wurde. Neun Monate nach dem Fiasko der 1961 von der CIA geplanten Invasion in der Schweinebucht entschied sich die Kennedy-Regierung, Kuba mit einem Wirtschaftsboykott zu isolieren, der bis zum heutigen Tage in Kraft ist. Im Januar 1962 beschloss die OAS in Punta del Este, Uruguay, Kuba aus der Organisation zu werfen. Sie erklärte damals: "Der Marxismus-Leninismus ist nicht mit dem inter-amerikanischen System vereinbar."
Vergeblich sperrte sich Washington dagegen, Kuba zum überragenden Thema des OAS-Gipfels zu machen. Am Vorabend der Sitzung gab die Obama-Regierung jedoch bekannt, sie sei mit Havanna übereingekommen, Gespräche über eine Anzahl Fragen aufzunehmen, z.B. über Terrorismus, Drogenhandel und Postdienste. Vor einiger Zeit hatte Obama eine leichte Lockerung der amerikanischen Wirtschaftssanktionen verfügt, die es amerikanischen Kubanern erleichtert, Kuba zu besuchen und Geld auf die Insel zu überweisen.
US-Außenministerin Hillary Clinton versuchte, in Honduras eine OAS-Resolution zu verhindern, die Kuba den Wiedereintritt in die Organisation ohne klare Vorbedingung anbot. Clinton und die ganze US-Delegation bemühten sich, Formulierungen im Text unterzubringen, die solche Bedingungen vorsehen. So sollte Kuba die Inter-Amerikanische Demokratie-Charta von 2001 akzeptieren. Diese Charta definiert "Demokratie" als "ein pluralistisches Parteiensystem" und greift auf frühere OAS-Dokumente zurück, die die Unverletzlichkeit des Privateigentums postulieren.
Die OAS-Mitglieder mit den engsten Beziehungen zu Havanna, nämlich Venezuela, Bolivien, Nicaragua und Ekuador, wiesen solche Bedingungen kategorisch zurück. Dienstagnacht schien die Organisation in eine Sackgasse zu geraten. Einige lateinamerikanische Außenminister warnten, dass ein Scheitern der Einigungsversuche das Ende der Organisation bedeuten könne.
Eine kleinere Gruppe von Außenministern, darunter Clinton, verhandelte hinter verschlossenen Türen, um Formulierungen zu finden, mit denen alle Seiten leben könnten. Am Ende wurde ein Kompromiss gefunden, aber erst nachdem Clinton abgereist war. Die USA stimmten einer mehrdeutigen Formulierung zu, während die Regierungen von Hugo Chavez, Evo Morales, Daniel Ortega und Rafael Correa sich mit einer Klausel abfanden, die die USA zufrieden stellt.
Die zweiteilige Resolution gibt bekannt, dass die frühere Entscheidung über Kubas Ausschluss aus der OAS aufgehoben wird. Dann heißt es weiter, die Wiederzulassung des Inselstaates werde "in Übereinstimmung mit der Praxis, den Zielen und den Prinzipien der OAS" aus einem "Prozess des Dialogs auf Wunsch der Regierung Kubas" hervorgehen.
Die Vorlage wurde ohne Gegenstimme angenommen.
Die Länder, die befürworten, dass Kuba ohne Vorbedingung wieder aufgenommen werden soll, sehen in dem zweiten Satz bloß eine Aussage über die Vorgehensweise, d.h. dass Kuba gemäß den zurzeit gültigen OAS-Regeln wieder zugelassen werden kann.
Die US-Delegation jedoch versucht den Satz als Bestätigung ihrer Forderung zu interpretieren, dass sich Kuba ausdrücklich erst zu der in früheren OAS-Dokumenten definierten "Demokratie" bekennen müsse. Noch auf dem Flug nach Kairo, wo Clinton sich Präsident Barack Obama anschloss, gab sie sich als Siegerin aus und sagte: "Ich bin froh, dass alle darin übereinstimmen, dass Kuba nicht einfach Platz nehmen kann."
Der Staatssekretär für Lateinamerika im Außenministerium, Thomas Shannon, der das Amt schon unter Bush innehatte, versuchte die Resolution ebenfalls schönzureden, und sagte, Washington habe kein Interesse daran, "alte Schlachten zu schlagen oder in der Vergangenheit zu leben". Er nannte die Maßnahme "einen staatsmännischen Akt", betonte aber, dass darin "unsere tiefe Verpflichtung zu Demokratie und den grundlegenden Menschenrechten unserer Völker" bekräftigt werde.
Aber solche pompösen Behauptungen können über die eigentliche Bedeutung der OAS-Abstimmung nicht hinwegtäuschen. Sie ist für Washington eine schmerzliche Niederlage, denn die US-Regierung wollte eigentlich nur eine wohl kalkulierte, schrittweise Annäherung an Kuba erreichen, aber ihre Kampagne für einen Regimewechsel in Havana nicht aufgeben.
Die OAS-Abstimmung wirft ein bezeichnendes Licht auf den schwindenden amerikanischen Einfluss in der Region. Zwei lange Kriege haben ihn geschmälert, und für Handel und Investitionen in Lateinamerika sind nicht nur Europa und China, sondern auch Brasilien eine wachsende Herausforderung. Washington ist heute nicht mehr in der Lage, den Regierungen südlich der amerikanischen Grenzen seine Bedingungen aufzuoktroyieren, die inzwischen die Interessen der eigenen herrschenden Eliten vertreten,
Die Bedeutung der Entscheidung wurde besonders von Castro-feindlichen Kubanern in den USA verstanden, die erbittert gegen die OAS-Entscheidung protestierten. Kubanisch-amerikanische Kongressmitglieder, wie der Demokratische Senator Robert Menendez aus New Jersey und die zwei Abgeordneten Mario und Lincoln Diaz-Balart, forderten vom Kongress, der OAS den Geldhahn zuzudrehen. Die Brüder Diaz-Balart nannten die OAS in einem gemeinsamen Statement eine "stinkende Peinlichkeit", während Menendez die Resolution als "in absurder Weise vage" bezeichnete. Er sagte, der Kongress werde diskutieren, "wie weit wir bereit sind, die OAS als Institution weiter zu unterstützen".
Die Staatschefs von Lateinamerika begrüßten den Beschluss freudig. Venezuelas Präsident Hugo Chavez sagte, die Resolution bedeute, dass "wir nicht mehr der Hinterhof der Vereinigten Staaten sind; wir sind keine Kolonie mehr".
Der Präsident von Honduras, Manuel Zelaya, erklärte, mit der Annahme dieser Resolution "ist der Kalte Krieg an diesem Tag in Sula zu Ende gegangen". Zelaya bezog sich auf den berühmten Ausspruch Fidel Castros in einer Rede vor Gericht nach dem gescheiterten Angriff von 1953 auf die Kasernen der kubanischen Armee in Moncada, und rief aus: "Dem Kommandante Fidel Castro sage ich: Heute hat dich die Geschichte freigesprochen’."
Der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva nannte die Entscheidung der OAS "einen Sieg für die lateinamerikanischen Völker". Lula gab diese Erklärung am Ende einer dreitägigen Rundreise durch Zentralamerika ab, die der Förderung von Wirtschaftsbeziehungen und Kapitalinvestitionen für brasilianische Konzerne und Banken diente. Ein Vertrag sieht zum Beispiel die Gründung einer Ethanol-Produktionsanlage in Costa Rica vor, die den US-Markt beliefern soll.
Über die Kubaner sagte der brasilianische Präsident: "Ich weiß nicht einmal, ob sie in die OAS zurückkehren wollen, aber auf jeden Fall werden sie nicht mehr so stark im Abseits stehn."
In Wirklichkeit sprach Lula nicht im Namen der "lateinamerikanischen Völker", sondern der brasilianischen Kapitalisten, die in Kuba eine potentielle Quelle für Superprofite sehen und ein Ende des amerikanischen Wirtschaftsembargos anstreben, weil dieses erhebliche Schwierigkeiten für die Ausbeutung von Arbeit und Ressourcen auf der Insel darstellt.
Nicht die Geschichte hat den Castroismus auf San Pedro Sula die Absolution ausgesprochen, sondern vielmehr die lateinamerikanische Bourgeoisie. Schon seit Längerem sind die Regierungen bemüht, normale diplomatische Beziehungen herzustellen. Die Versuche der Vereinigten Staaten, Kuba zu isolieren, kommen ihnen immer irrationaler vor.
Der Ausschluss Kubas durch den US-Imperialismus im Namen eines "interamerikanischen Systems", das sich angeblich auf "Demokratie und Marktwirtschaft" stütze, war ein durch und durch heuchlerisches Manöver. Unter jenen, die 1962 für den Ausschluss Kubas aus der OAS stimmten, befanden sich die stahlharten Diktatoren Trujillo von der Dominikanischen Republik, Somoza aus Nicaragua und Stroessner aus Paraguay.
Fidel Castro selbst wies auch nur den Gedanken daran zurück, dass Kuba in die OAS zurückkehren werde. Er bezeichnete sie als das "Kolonial-Ministerium der Vereinigten Staaten" und als "verrottete und widerwärtige Höhle der Korruption".
Die Regierungen der lateinamerikanischen Bourgeoisie haben den Ausschluss Kubas aus der OAS immer stärker in Frage gestellt. Schon in den 1970er Jahren hatten sie Kuba keineswegs mehr als Gefahr für ihre Stabilität betrachtet. Das nationalistische Regime in Havana hatte seinen revolutionären Ambitionen der 1960er Jahre abgeschworen. Castro gab seine Unterstützung für Guerillakriege auf und akzeptierte die herrschenden Machtverhältnisse in Lateinamerika. Er befolgte die Ratschläge der stalinistischen Bürokratie in Moskau, die Kubas Wirtschaft mit beträchtlichen Subventionen unterstützte, und ordnete sein Regime der Politik der "friedlichen Koexistenz" unter.
Im Jahr 1973 wurde schon einmal versucht, den Ausschluss Kubas von der OAS-Mitgliedschaft aufzuheben, nachdem die Organisation eine "realpolitische" Doktrin angenommen hatte. Diese Doktrin eines "ideologischen Pluralismus" sollte der wachsenden Zahl von US-gestützten Militärdiktaturen Rechnung tragen, die ganz offensichtlich den demokratischen Ansprüchen des so genannten interamerikanischen Systems nicht gerecht wurden. Im Juli 1975 beschloss die OAS, ihren Mitgliedern freizustellen, Beziehungen zu Kuba aufzunehmen. Gleichwohl konnte Washington alle Versuche unterdrücken, Havana wieder in die Organisation aufzunehmen.
Die Regierung in Kuba begrüßte zwar die Entscheidung als "historische Bestätigung", bekräftigte aber, nicht die Absicht zu haben, wieder in die OAS einzutreten. Am Tag vor der Entscheidung nannte der kranke ehemalige Präsident Fidel Castro die OAS einen "Komplizen bei allen Verbrechen gegen Kuba". In seiner regelmäßigen Kolumne namens "Betrachtungen" schrieb er, es sei "naiv zu glauben, die guten Absichten eines Präsidenten der Vereinigten Staaten rechtfertigten die Existenz dieser Institution", die er als "trojanisches Pferd" bezeichnete.
Das Castro-Regime kann zwar eine Reihe diplomatischer Siege verzeichnen, aber Kubas wirtschaftliche Lage erscheint immer verzweifelter. Am 1. Juni traten Ausnahme-Regelungen der Regierung Raul Castro gegen die Krise in Kraft. Elektrizität wird darin erheblich rationiert, so dass staatliche Ämter und private Geschäfte Licht und Ventilation die meiste Zeit ausgeschaltet lassen müssen. Wenn mehr als das zugeteilte Quantum Energie verbraucht wird, besteht die Gefahr, dass ganze Provinzen vom Strom abgeschaltet werden.
Wirtschafts- und Planungsminister Marino Murillo gab bekannt, dass sich die Erwartung eines sechsprozentigen Wirtschaftswachstums zerschlagen habe. Man gehe jetzt von einem Wachstum von nur noch 2,5 Prozent aus. Die kubanische Wirtschaft sei von der globalen Krise hart betroffen und habe noch zehn Milliarden Dollar schwere Verluste zu verzeichnen, weil im vergangenen Jahr zwei Hurrikane das Land verwüsteten. Die Importpreise sind gestiegen, aber der Preis für Nickel, den wichtigsten Exportartikel des Landes, ist gefallen. Auch Einnahmen aus dem Tourismus und Überweisungen aus dem Ausland sind zurückgegangen.
Weitere Sparmaßnahmen betreffen eine drastische Einschränkung des Busverkehrs und eine fünfzigprozentige Kürzung öffentlicher Gelder für das Mittagessen der Angestellten in den Staatsbetrieben.
Es sind die härtesten Maßnahmen seit der so genannten Sonderperiode, die auf den Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 folgte. Damals blieben die Subventionen aus Moskau aus, und das Bruttoinlandsprodukt ging um 35 Prozent zurück.
Als Raul Castro die Regierung von seinem Bruder übernahm, versprach er zwar, den Lebensstandard anzuheben. Aber die Regierungspolitik und der Druck der globalen kapitalistischen Krise bringen das gerade Gegenteil hervor und führen zu wachsenden gesellschaftlichen Spannungen.
Jahrzehntelang zog die Castro-Regierung ihre politische Legitimation aus ihrem Widerstand gegen die US-Aggression und stützte sich auf den Nationalismus der kubanischen Bevölkerung. Auch hielt sie, wenigstens vor kurzem, an einem gewissen Niveau an sozialer Gleichheit fest, selbst wenn es für die große Mehrheit der Bevölkerung Gleichheit auf Armutsniveau war.
Wird das amerikanische Embargo gegen Kuba aufgehoben, fließt ausländisches Kapital ein. Ton angebende Kreise des amerikanischen Industrie- und Finanzkapitals begrüßen das genauso, wie die herrschenden Eliten Lateinamerikas. Die politische und soziale Krise auf der Insel wird dadurch jedoch noch einmal erheblich verschärft.