Die britische Socialist Equality Party lud am 12. Mai im Zentrum Londons zu einer öffentlichen Versammlung zum Thema "Perspektiven des Sozialismus im 21. Jahrhundert". Chris Marsden, der nationale Sekretär der britischen SEP, sprach über die politische Lage im Nahen Osten und Peter Schwarz, der Sekretär des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, über die politischen Lehren aus den französischen Präsidentschaftswahlen (http://www.wsws.org/de/2002/mai2002/psfr-m22.shtml).
Zu beiden Berichten wurden zahlreiche Fragen aus dem Publikum gestellt, die zu einer lebhaften Diskussion über das Programm und die Geschichte des Internationalen Komitees der Vierten Internationale führten.
Wir veröffentlichen an dieser Stelle Marsdens Rede, die gehalten wurde, bevor am selben Tag Israels regierende Likud-Partei eine Resolution verabschiedete, die einem Palästinenserstaat auf der Westbank und im Gazastreifen eine generelle Absage erteilte. Premier Ariel Scharon sprach sich auf der Zentralkomiteesitzung zwar gegen die Resolution aus, die auf Initiative von Parteigängern seines Rivalen Benjamin Netanjahu zustande gekommen war. Aber die Mehrheit des Zentralkomitees unterstützte sie.
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Eine menschliche Tragödie ereignet sich in den besetzten Gebieten. Die israelische Regierung unterwirft das palästinensische Volk seit Monaten unausgesetzten Militärangriffen, die schon Hunderte Menschenleben gekostet haben.
Für dieses Wochenende hatte sie eine Invasion des Gazastreifens geplant, wo die Flüchtlingslager dreimal so groß wie in Dschenin sind. Doch sie musste einen Rückzieher machen, weil die Pläne, wie sie sagt, an die Presse durchgesickert sind. Dies habe palästinensischen Milizen wie der Hamas und dem islamischen Dschihad mehrere Tage Zeit verschafft, um ihre Verteidigung aufzubauen, und die Armee fürchte unangemessen hohe israelische Verluste.
Die verzweifelte Situation, in der sich die Palästinenser befinden, wird daran deutlich, dass sie sich mit Selbstmordattentätern auf die Verteidigung vorbereiten, die mit genügend Sprengstoff beladen werden, um einen Panzer in die Luft zu sprengen oder außer Gefecht zu setzen. Diese jungen Männer, die sich unter normalen Umständen Gedanken über ihre eigene Zukunft und die ihrer Familien machen müssten, sehen keine andere Möglichkeit, als ihr Leben im Kampf für die Existenz ihres Volkes aufzuopfern.
Ein weiterer wichtiger Faktor, der die Gaza-Operation verzögerte, den die Regierung aber weniger gerne zugibt, ist der beträchtliche Druck, der hinter den Kulissen von Seiten Washingtons ausgeübt wird. Darüber später mehr. Doch hat dies alles die militärischen Aktionen nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.
Einmal mehr versucht die israelische Regierung, ihre Bemühungen, die wirtschaftliche, soziale und politische Infrastruktur der palästinensischen Autonomiebehörde zu zerschlagen, als reine Vergeltungsmaßnahmen für Selbstmordattentate hinzustellen. Aber diese Propaganda wird durch ein Treffen, das heute stattfindet, als Lüge entlarvt. Das Zentralkomitee der regierenden Likud-Partei ist zusammengetreten, um eine Resolution zu diskutieren, welche die Partei bindend und dauerhaft verpflichtet, die Schaffung eines Palästinenserstaates abzulehnen.
Natürlich hätte Premierminister Ariel Scharon selbst es lieber gehabt, wenn eine solche Resolution nie eingebracht worden wäre. Er hält es für politisch unklug, eine derart ungeschminkte Erklärung abzugeben, solange er und seine Verbündeten von der Arbeitspartei - wie Shimon Peres - sich verzweifelt bemühen, die Welt zu überzeugen dass Israel den Frieden wolle, während Arafat und die palästinensische Autonomiebehörde die Zerstörung des zionistischen Staates anstrebten.
Im Mittelpunkt dieser Regierungspropaganda steht die Behauptung, Arafat habe die außerordentlich großzügige Offerte von Scharons Vorgänger Ehud Barak ausgeschlagen, einen Palästinenserstaat auf neunzig Prozent der besetzten Territorien zu errichten, und sich stattdessen für einen Zermürbungskrieg entschieden.
Scharon will die Zerstörung der palästinensischen Autonomiebehörde
Tatsächlich besteht Scharon bevorzugte Lösung, sein überragendes Ziel darin, jeden Palästinenser aus der Westbank und dem Gazastreifen zu vertreiben und die besetzten Territorien in ein Großisrael zu integrieren. Sollte dies nicht gelingen, besteht seine Alternative in der Schaffung mehrerer palästinensischer Ghettos, die voneinander abgeschnitten und auf allen Seiten von der israelischen Armee umzingelt sind und von einer Marionettenregierung gelenkt werden, die unmittelbar den Vereinigten Staaten, Israels Gönnern, verantwortlich ist.
Dass Scharons Ziel in der Zerstörung der palästinensischen Autonomiebehörde besteht, ist das am schlechtesten gehütete Geheimnis der Welt. Es wäre überhaupt kein Geheimnis, wäre da nicht der Einfluss einer pro-zionistischen Medienwelt in den USA, die mehr als bereit ist, alle Lügen zu wiederholen, die Israels Krieg als legitim erscheinen lassen.
Seit seinem Besuch auf dem Tempelberg im September 2000 lanciert Scharon immer wieder systematische Provokationen, um das 1993 unterzeichnete Oslo-Abkommen zum Scheitern zu bringen, das die Verpflichtung zur Schaffung eines Palästinenserstaates enthält. Seit seinem Machtantritt hat er darauf bestanden, Arafat als eine Art Osama bin Laden zu behandeln, als - in seinen eigenen Worten - einen "Terroristen und Mörder".
Der Führer der Nationalen Einheitspartei, Rehavam Ze'evi, der mittlerweile ermordet wurde, hatte den Medien gegenüber erklärt, Scharon habe ihm versprochen, er werde "eiserne Taktiken anwenden, um den palästinensischen Terrorismus auszulöschen, und keine einzige jüdische Siedlung in den Gebieten räumen".
Scharon selbst versprach: "Das Jordantal wird für immer unter israelischer Herrschaft bleiben. Wenn ich über das Tal spreche, dann meine ich nicht bloß einen schmalen Landstrich, sondern den östlichen Sicherheitsstreifen, dessen Westgrenze der Hügelzug westlich der Allonstraße bildet." Einfacher ausgedrückt: Scharon proklamiert hier ewige israelische Kontrolle über die gesamte Westbank. Er hat es abgelehnt, wäre noch hinzuzufügen, irgend eine palästinensische Kontrolle über Ostjerusalem zu akzeptieren.
In einem Leitartikel über die bevorstehende Likud-Sitzung spricht die führende liberale israelische Zeitung Ha'aretz folgende apokalyptische Warnung aus: "Wenn es Ariel Scharon nicht gelingt, die Diskussion und Abstimmung über die Resolution zu verhindern, dann machen sich die Mitglieder des Likud-Zentralkomitees einer katastrophalen Politik verantwortlich. Sie werden in die nationale Geschichte als diejenigen eingehen, die den Staat in ein Unglück gestürzt und seine Entwicklung, wenn nicht seine Existenz selbst, gefährdet haben."
Danach erklärt Ha'aretz, dass die palästinensische Forderung nach politischer Unabhängigkeit und Souveränität "von der gesamten internationalen Gemeinschaft akzeptiert und durch moralische Grundsätze, die Verhaltensnormen zwischen Nationen und die Entscheidungen früherer israelischer Regierungen gestützt wird".
Doch die Zeitung kann nicht erklären, warum die entgegengesetzte Perspektive offizielle Politik der herrschenden Partei werden kann, und beschreibt dies lediglich als "Ausdruck emotionaler Wut, eines überlebten ideologischen Fanatismus und einer beunruhigenden Unfähigkeit, die Realität zu erkennen und die Ereignisse vorauszusehen".
Dies erklärt gar nichts. Es bedeutet nur, dass Ha‘aretz selbst die Realität nicht wahrnimmt, oder genauer, dass sie ihren Lesern den wahren politischen Sachverhalt nicht erklären will.
Aus liberalen oder linken zionistischen Kreisen ist keine Erklärung, geschweige denn eine Alternative zu dieser Entwicklung zu erwarten. Ha'aretz vertröstet sich damit, dass die "nationale Geschichte" ein negatives Urteil über Likud fällen werde. Nicht einmal die ideologisch korrumpierte liberale britische Presse würde sich so ausdrücken. Schließlich werden Bewegungen nicht nur in Israel, sondern überall von der Geschichte beurteilt. Israels Besonderheit besteht darin, dass die jüdische Nation der Dreh- und Angelpunkt aller wichtigen politischen Denkschulen ist.
Israels moralischer Autoritätsverlust
Israels liberale Intelligenz fürchtet, das Scharon durch sein Vorgehen das nationale zionistische Projekt in Gefahr bringt - und damit die Existenz des jüdischen Staates selbst.
Es gibt viele Gründe für solche Befürchtungen. Der offensichtlichste ist die Furcht, dass Scharons Brutalität den Zorn der arabischen Massen provoziert und es den korrupten Cliquen an der Spitze der arabischen Staaten unmöglich macht, sie unter Kontrolle zu halten.
Eine weitete Sorge ist das internationale Ansehen, ja, die moralische Autorität und die Legitimität, deren sich Israel bisher erfreute. Fast täglich erscheinen Artikel und Reden von pro-zionistischer Seite, die ein Wiedererwachen des Antisemitismus beklagen.
Zahlreiche völlig unterschiedliche Phänomene werden als Facetten einer übergreifenden anti-jüdischen Stimmung dargestellt, wie es sie seit der Niederlage der Nazis nicht mehr gegeben habe. Die gesamte arabische Welt und oftmals alle Moslems werden als Antisemiten gebrandmarkt. Extrem rechte Parteien und Politiker werden mit jedem in einen Topf geworfen, der es wagt, Scharons Krieg gegen die Palästinenser zu kritisieren.
Für zionistische Kreise kann es keinen andern Grund für die Ablehnung eines ihrer Meinung nach legitimen Kriegs gegen eine terroristische Bedrohung geben (der in allen wichtigen Punkten Washingtons "Krieg gegen den Terror" ähnelt), als einen kaum verhüllten Hass auf das israelische Volk. Ihrer Ansicht nach gibt es in Europa einen "natürlichen" Antisemitismus, der in der Nachkriegsperiode nur durch Schuldgefühle über den Holocaust abgeschwächt wurde.
Solche Auffassungen illustrieren die tiefe politische Sackgasse, in die der Zionismus das jüdische Volk manövriert hat. Niemand kann die wirkliche Gefahr eines wieder erwachenden Antisemitismus leugnen. Gleichgültig, was für ideologische Schwenks extrem rechte und neofaschistische Parteien vollziehen, unter der Oberfläche findet man immer diesen widerlichen judenfeindlichen Zug. Aber das kann nicht einfach mit der wachsenden Ablehnung gleichgesetzt werden, die Millionen Menschen, darunter viele fortschrittlich denkende Arbeiter und Intellektuelle, gegenüber dem israelischen Staat und seinem brutalen Umgang mit dem palästinensischen Volk empfinden.
In Ermangelung einer klaren politischen Perspektive ist die Abgrenzung nicht immer eindeutig. So hat die extreme Rechte schon hin und wieder Sympathie mit den Palästinensern geheuchelt, doch meistens zieht sie es vor, Gift und Galle gegen Moslems zu spucken. Trotzdem sind die politischen Verteidiger des Zionismus, die die Juden mit dem Staat Israel gleichsetzen, mitverantwortlich für die zunehmende Feindschaft gegen das jüdische Volk.
Zumindest in einer Hinsicht zeichnen die Zionisten ein verzerrtes Bild eines realen politischen Phänomens. Die enorme politische Sympathie, die dem Staat Israel wegen der Tragödie des europäischen Judentums entgegengebracht wurde, ist in der Tat im Schwinden begriffen. Der Grund dafür ist aber nicht in erster Linie die rassistische Ideologie eines Le Pen oder Haider, sondern es sind die Bilder von Dschenin - niedergewalzte Häuser, erschossene Frauen und Kinder, von israelischen Panzern in den Trümmern zermalmte Leichen.
Das Scheitern des zionistischen Projekts
Auch viele dem israelischen Staat positiv gegenüberstehende Menschen sind empört, wenn sie sehen, wie die jüdische Armee ein anderes Volk unterdrückt. Sich zu empören ist aber nicht genug. Man muss verstehen, wie es zu dieser Situation gekommen ist, und eine tragfähige politische Perspektive ausarbeiten, mit der das Abgleiten in die Barbarei aufgehalten werden kann. Kurz, es ist eine Abrechnung mit dem Zionismus notwendig.
Es ist hier nicht möglich, eine erschöpfende Darstellung der Ursprünge des Zionismus und seiner späteren Entwicklung zu geben. Artikel dazu finden sich auf der World Socialist Web Site. Aber einige wichtige Punkte müssen gemacht werden. Die Gründer des Staates Israel, wie David Ben Gurion, setzten sich das Ziel, einen liberalen, demokratischen und sogar sozialistischen Staat aufzubauen. Sie appellierten in verzerrter Weise an die aufgeklärten und progressiven Traditionen jüdischen Denkens.
Scharon und seine Likud-Partei gehen auf einen vom offiziellen Zionismus abweichenden Zweig, die Revisionisten, zurück, deren ideologischer Mentor Wladimir Jabotinski war. Dieser wandte sich gegen die Vorstellung, man könne einen jüdischen Staat gewaltfrei aufbauen, wenn das vorgesehene Gebiet bereits von einem anderen, dem palästinensischen Volk bewohnt wird. Er trat für einen rücksichtslosen, gewaltsamen Kampf zur Errichtung der jüdischen Kontrolle ein und hielt eine "freiwillige Verständigung mit den Arabern" für "unmöglich". Er war stark vom italienischen Faschismus beeinflusst und erklärte 1935 einem Journalisten gegenüber offen: "Wir wollen ein jüdisches Empire."
In den ersten beiden Jahrzehnten der Geschichte Israels waren die orthodoxen Zionisten der Arbeitspartei und ihre Vorläufer die bestimmende Kraft in der israelischen Gesellschaft. Ihr Bekenntnis zur Demokratie hielt sie allerdings nie davon ab, gemeinsam mit ihren rechten Gegnern die Palästinenser zu vertreiben und deren demokratische Rechte zu unterdrücken; trotzdem gab es aber immer noch den Versuch, den Zionismus in demokratischen Farben zu malen.
Heute ist es offensichtlich, dass die sogenannten Revisionisten historisch besser verstanden, was der Charakter des zionistischen Projekts ist und welche Methoden zu seiner Verwirklichung nötig sind.
Seit 1967 beruht das israelische Regime auf der brutalen Unterjochung unterdrückter Völker und ist offen expansionistisch und militaristisch. Fanatisch rechtsradikale Siedler und religiöse Zeloten geben in der israelischen Politik den Ton an. Die von den fortschrittlichen und weltlich orientierten jüdischen Arbeitern bevorzugten Parteien, wie die Arbeitspartei und Meretz, haben sich als unfähig erwiesen, eine Alternative zu der extremen Rechten zu entwickeln.
Das Versprechen der Arbeitspartei auf Frieden hat Schiffbrauch erlitten. Das Leben des Friedensnobelpreisträgers Itzak Rabin, eines der zentralen Architekten des Osloer Abkommens, fand durch die Mordkugel eines faschistoiden Studenten ein Ende. Der Co-Preisträger Shimon Peres sitzt heute zu Scharons Rechten und rechtfertigt eine Regierung, deren Ziel die Zerstörung jeder Chance auf eine Verhandlungslösung mit den Palästinensern ist. Der Mann, der gewählt worden war, Oslo mit Leben zu erfüllen - Ehud Barak - unterstützt heute in jeder Hinsicht Scharon.
Dies ist kein Zufall. Barak und Scharon - genau so wie Arbeits- und Likud-Partei - hatten immer mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen. Oder besser gesagt: sie hatten das gleiche strategische Ziel, unterschieden sich aber in der Taktik, wie es zu erreichen sei.
Noam Chomsky bemerkt in einem Artikel, der am Samstag im Guardian erschienen ist, völlig korrekt über den wirklichen Charakter des Osloer Abkommens: "Der 1993 in Gang gesetzte Friedensprozess' änderte die Modalitäten der Besatzung, aber nicht ihr grundlegendes Konzept. Kurz bevor er der Regierung von Ehud Barak beitrat, schrieb der Historiker Schlomo Ben-Ami, dass das Osloer Abkommen auf einem neokolonialistischen Konzept beruhte: auf der dauerhaften beiderseitigen Abhängigkeit'. Er wurde 2000 einer der Architekten der US-israelischen Vorschläge von Camp David, die sich in diesem Rahmen hielten. Damals verfügten die Palästinenser auf der Westbank über 200 versprengte Flecken. Bill Clinton und der israelische Ministerpräsident Ehud Barak schlugen eine Verbesserung vor: Die Konsolidierung in drei Kantone unter israelischer Kontrolle, buchstäblich ohne Verbindung untereinander, sowie einer vierten Enklave, einem kleinen Gebiet in Ostjerusalem, dem Zentrum der palästinensischen Kommunikation. Der fünfte Kanton war Gaza."
Weiter unten zitiert Chomsky Moshe Dayan von der Arbeitspartei, der vor drei Jahrzehnten dem israelischen Kabinett sagte, es solle den palästinensischen Flüchtlingen klar machen, dass "wir keine Lösung für euch haben. Ihr werdet weiter wie die Hunde leben, und wer will, kann gehen." Chomsky merkt an: "Zur Rede gestellt, antwortete er mit einem Zitat Ben Gurions, der einmal gesagt hatte: Wer das zionistische Problem von einem moralischen Standpunkt aus angeht, der ist kein Zionist.'"
Man könnte weit mehr darüber sagen, was Oslo für die Palästinenser bedeutet hat - mehr Armut, mehr Brutalität, eine Verdoppelung der zionistischen Siedlungen. Baraks angebliches Angebot von neunzig Prozent der besetzten Gebiete ist ein Märchen. Großjerusalem ist erweitert und auf die neuen, jüdischen Vorstädte ausgedehnt worden, die vorher fast ausschließlich zum arabischen Teil Ostjerusalem gehört hatten. Es besteht jetzt aus vollen dreißig Prozent der Westbank, ihrem wichtigsten Teil. Dieser war in Baraks neunzig Prozent nicht eingerechnet.
Jüdische Siedlungen machen weitere 15 Prozent der Westbank aus. Außerdem waren auch die Militärstraßen, die das palästinensische Gebiet kreuz und quer zerschneiden, im ursprünglich vorgeschlagenen Staat nicht enthalten - wenn man überhaupt von einem Staat sprechen kann. Sie machen das ganze Gebilde lebensunfähig. Neunzig Prozent - aber von nicht sehr viel.
Aus all dem sind Lehren über den besonderen Charakter des Zionismus zu ziehen.
Es ist nicht möglich, einen demokratischen Staat auf der Grundlage ideologischer oder religiöser Ausschließlichkeit und durch die gewaltsame Unterdrückung der demokratischen Rechte eines anderen Volkes aufzubauen. Wer versucht, den Zionismus mit Demokratie zu versöhnen oder die militärischen Übergriffe auf die besetzten Gebiete zu bekämpfen, während er gleichzeitig seine Loyalität zum Staat Israel bekennt, der bemüht sich umsonst. Diese Quadratur des Kreises ist nicht möglich. Der Entscheidung zwischen der Verpflichtung zur Demokratie und dem Glauben an den Nationalismus kann nicht ausgewichen werden.
Bankrott des arabischen Nationalismus
Auf besonders abstoßende Weise zeigt sich die ideologische Desorientierung, die der Zionismus hervorgerufen hat, in der Tatsache, dass fortschrittliche Antikriegsstimmungen in Israel oft zur Begründung einer apartheidartigen Trennung von Arabern und Juden ausgenutzt werden.
Dieses Wochenende haben mehr als 100.000 Menschen gegen Scharons Krieg in der Westbank und im Gazastreifen protestiert und "zwei Staaten für zwei Völker" gefordert. Solche Proteste sind ein Anzeichen für wachsende Unruhe und Opposition in der jüdischen Bevölkerung angesichts der brutalen Unterdrückung der Palästinenser. Sie drücken die Hoffnung auf eine demokratische Lösung aus. Der Ausgangspunkt für die offizielle israelische Friedensbewegung war jedoch immer die feste Überzeugung, dass es notwendig sei, den zionistischen Staat zu erhalten.
Die Partei, die dieses Programm verkörpert, die aus "Peace Now" hervorgegangene Meretz, und der linke Flügel der Arbeitspartei, mit dem sie zusammenarbeitet, vertreten die Ansicht, dass dies nur möglich sei, wenn den Palästinensern ein eigener Staat zugestanden wird. Sie betonen allerdings, dass die Grenzen eines Palästinenserstaats ausschließlich von Israels Sicherheitsinteressen bestimmt sein müssen, und sehen sogar Palästinenser, die in Israel arbeiten, als potenzielles Sicherheitsrisiko an, das auf ein absolutes Minimum reduziert werden soll. Kurz, die "Zwei-Staaten"-Position akzeptiert das sine qua non des Zionismus, die Unmöglichkeit des Zusammenlebens von Juden und Arabern.
Im Besonderen gibt es auch ein Allgemeines. Das Scheitern des Zionismus - eine Tragödie sowohl für die jüdischen als auch die palästinensischen Arbeiter und Bauern - ist nur ein Ausdruck der Unmöglichkeit, in der heutigen Zeit grundlegende demokratische und soziale Fragen auf der Grundlage einer nationalistischen Ideologie zu lösen.
Der Zionismus hat vor allem deshalb noch Einfluss auf die israelische Arbeiterklasse, weil es den israelischen Führern möglich ist, ihr Land im Vergleich zu seinen arabischen Nachbarn als eine Insel des Fortschritts und der Demokratie darzustellen. Im Nahen Osten gibt es kein einziges Regime, das die Bezeichnung Demokratie verdient. Alle zeichnen sich durch einen gähnenden Abgrund zwischen einer kleinen, enorm reichen Elite und einer weitgehend verarmten Bevölkerung aus. Die Politik wird von einer Handvoll Familien dominiert, die ihren Staat auf halbfeudale Art führen.
Die Tragödie der Palästinenser ist zudem nicht nur das Ergebnis der zionistischen Unterdrückung. Die Palästinenser hätten Israel alleine niemals besiegen können, und das war auch niemals ihre Vorstellung. Die PLO hat stets auf die Hilfe und Unterstützung der arabischen Regime gebaut, nur um immer wieder von ihnen verraten zu werden.
Als die Weltpolitik noch vom Kalten Krieg zwischen dem Westen und der Sowjetunion dominiert wurde, war es verschiedenen arabischen Regimen möglich, sich einen radikalen, anti-imperialistischen Anstrich zu geben. Der Pan-Arabismus wurde als populäre, ideologische Alternative zum Sozialismus propagiert. Die arabischen Massen sollten auf einer nationalistischen Grundlage von der imperialistischen Unterdrückung befreit werden. Ägyptens Nasser und andere erklärten das Streben nach palästinensischer Selbstbestimmung zum Schlüssel dieses Kampfes. Das Schicksal der Palästinenser beweist damit auch das Scheitern des Projekts des arabischen Nationalismus.
Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat allen radikalen Ansprüchen der arabischen Staaten ein Ende gesetzt - eine Tatsache, die ihren offensten Ausdruck in der Beteiligung der arabischen Länder am US-Krieg gegen den Irak gefunden hat. Der Spielraum zum Manövrieren ist der arabischen Bourgeoisie abhanden gekommen und ihr wirkliches Verhältnis zum Imperialismus ist zutage getreten.
Wie Leo Trotzki in seiner Theorie der permanenten Revolution erklärte, ist in einem Land mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung die Bourgeoisie nicht fähig, wirkliche wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit vom Imperialismus zu erlangen. Die arabischen Regime, selbst diejenigen, die auf der Grundlage einer Massenbewegung von unten an die Macht gekommen sind und aufgrund ihrer Kontrolle über reiche Ölvorkommen enorm mächtig erscheinen, sind Teil einer Weltwirtschaft, die von den Vereinigten Staaten, Europa und Japan dominiert wird. Sie können darin nur als märchenhaft reiche Diener der Großmächte fungieren.
Ihr eigener Reichtum ist von der wirtschaftliche Ausbeutung der Arbeiterklasse abhängig, und ihre Angst vor einer Herausforderung ihrer Herrschaft durch eine Bewegung der Arbeiterklasse sichert der imperialistischen Weltordnung ihre Loyalität.
Die arabische Bourgeoisie hat das Eintreten für den Pan-Arabismus zugunsten der Sicherung ihrer Partikularinteressen aufgegeben. Sie alle haben ihren Frieden mit Israel und den Vereinigten Staaten gemacht und sehen die palästinensische Frage als gefährliche Quelle von radikalen antiimperialistischen Stimmungen, die ihre eigene Macht und Privilegien bedroht.
Marxisten sind immer für die Perspektive eines vereinten Kampfes der arabischen und jüdischen Arbeiterklasse für die Vereinigten Sozialistischen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens eingetreten. Nur dadurch kann die Grundlage einer rationalen Entwicklung der Ressourcen in der Region geschaffen werden, die all ihren Völkern und den Völkern der ganzen Welt zugute kommt. Alle Alternativen zu dieser Perspektive - Alternativen, die als konkreter und realistischer ausgegeben wurden - sind gescheitert.
Diese Frage betrifft nicht nur die jüdischen und arabischen Arbeiter. Was im Nahen Osten geschieht, muss zu einem zentralen Anliegen der internationalen Arbeiterklasse werden. Auf der Welt gibt es viele Konflikte, die weitaus blutiger sind und mehr Leben gekostet haben als das, was auf der Westbank und im Gazastreifen vor sich geht. Aber kaum einer hat größere politische Bedeutung.
Die Rolle des US-Imperialismus
In ihrer Berichterstattung über den Nahen Osten hat die World Socialist Web Site stets sehr sorgfältig die Behauptungen der Bush-Regierung widerlegt, sie suche einen gerechten Ausgleich zwischen den Palästinensern und den Israelis.
Es ist nicht möglich, hier im Detail auf alle Drehungen und Wendungen einzugehen, die bisher stattgefunden haben, aber man sollte sich erinnern, dass Bush an die Macht kam, nachdem er sich über seinen Vorgänger Bill Clinton lustig gemacht hatte, weil dieser sich zu viel in den israelisch-palästinensischen Konflikt eingemischt habe. Aber nun beschäftigt diese Frage das Weiße Haus wie keine andere. Missionen sind dorthin entsandt worden, an denen u.a. Außenminister Colin Powell und Vize-Präsident Dick Cheney beteiligt waren. Bush hat Scharon und viele arabische Staatsoberhäupter getroffen. Er und seine Berater haben Hunderte Telefonate geführt und Bush hat sogar seine Unterstützung für einen Palästinenserstaat erklärt.
Aber trotz aller wortreichen gegenteiligen Äußerungen ist das Weiße Haus von Bush immer fest zu seinem Verbündeten gestanden. Die USA hätte Scharons Militäroffensive jederzeit stoppen können, wenn sie gewollt hätte. Israel ist für sein Überleben völlig von den USA abhängig, und jeder außer den fanatischen rechten Siedlern weiß das auch. Stattdessen hat die Regierung Bush ein zynisches doppeltes Spiel betrieben, indem sie zum einen formal für Zurückhaltung auf Seiten Israels aufgerufen hat, während sie andererseits immer darauf achtete, die Palästinenser als die schuldige Partei hinzustellen.
Die Differenzen zwischen den beiden Regierungen sind dennoch durchaus real, wenigstens was Taktik und Prioritätensetzung angeht.
Scharon wollte seinen Plan, die palästinensische Autonomiebehörde zu zerstören, als erste Priorität in Bushs "Krieg gegen den Terror" aufgenommen haben. Aber Bushs Prioritäten liegen woanders. Die erste Stufe im "Krieg gegen den Terror" war die Bombardierung von Afghanistan. Ihr Ziel war der Aufbau einer bedeutenden US-Militärpräsenz in Zentralasien, um sich die Hegemonie über die Ausbeutung und Verteilung von größtenteils noch unerschlossenen Öl- und Gasreserven im Kaspischen Becken zu sichern.
Die nächste Stufe ist Amerikas Plan, Krieg gegen Irak zu führen und erst dieses Land und dann den ganzen Nahen Osten in ein amerikanisches Militärprotektorat umzuwandeln. Zusammen würden diese beiden Stufen den USA die Kontrolle über den größten Teil der Weltölreserven verschaffen. Sie würden Amerika zum unangefochtenen Herrn der Welt machen, fähig, die Wirtschaft ihrer europäischen und japanischen Rivalen zu erdrosseln.
Mit einem solchen Preis vor Augen hat die Bush-Regierung es für notwendig befunden, Scharon bestimmte Grenzen zu setzen - oder es zumindest so erscheinen zu lassen. Bei all ihren Diskussionen warnen die arabischen Herrscher Bush davor, dass "die Straße" - gemeint ist die arabische Arbeiterklasse - sich erheben werde, wenn Bagdad bombardiert werde, während immer noch Palästinenser verkrüppelt und getötet werden.
Deshalb, um einen Krieg vorzubereiten, der Zehntausende Tote kosten könnte, drängt das Weiße Haus Scharon, sich gegenwärtig mit der zweitbesten Alternative zufrieden zu geben - einem verkümmerten, fest unter imperialistischer Kontrolle stehenden palästinensischen Gebilde.
Es muss gesagt werden, dass es in der Bush-Regierung mächtige Stimmen gibt, die dieses taktische Manöver als unverzeihlichen Rückzug ansehen und nichts lieber täten, als grünes Licht zur Vernichtung der Palästinenser zu geben. In jedem Fall gibt es keine Garantie, dass Scharon noch lange in der Lage sein wird, die faschistischen Kräfte unter Kontrolle zu halten, die in den letzten Jahren auf höchster Ebene in der israelischen Gesellschaft gezüchtet worden sind, und die in den USA ihr Pendant und ihre Verbündeten haben, die sich dort für eine militärische Lösung einsetzen.
Unterstützer von Scharons stärkstem Rivalen Benjamin Netanjahu haben die Resolution im Zentralkomitee der Likud-Partei eingebracht, in der die Bildung eines Palästinenserstaats abgelehnt wird. Für sie ist Scharon ein Zauderer, dessen taktische Schwenks angesichts des amerikanischen Drucks unverzeihlich sind. Netanjahus Hauptlosung ist denn auch "Palästinenserstaat bedeutet Selbstmord".
Wenn wir von der palästinensischen Frage sprechen, oder auch von der jüdischen Frage, so tun wir das vom Standpunkt aus, eine internationalistische und sozialistische Perspektive zu entwickeln, mit der die Arbeiterklasse der ganzen Welt gegen die Kriegspolitik des Imperialismus mobilisiert werden kann.
Das Schicksal des Nahen Ostens wird letztendlich in den Vereinigten Staaten und Europa entschieden, entweder von den politischen Vertretern des Kapitals, die ihre Pläne zu seiner militärischen und ökonomischen Unterwerfung durchsetzen, oder von den Bataillonen der internationalen Arbeiterklasse, die das Notwendige tun, um es zu verhindern.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale arbeitet daran, die Führung aufzubauen, mit der die gegenwärtige ideologische Konfusion und politische Desorientierung überwunden wird, die die Arbeiterklasse davon abhält, eine unabhängige Antwort auf die Bedrückungen des Kapitalismus zu finden.