Livio Maitan, 1923-2004 - eine kritische Würdigung

Am 16. September starb in Rom im Alter von 81 Jahren Livio Maitan. Er war - neben Michel Pablo (1911-1996), Ernest Mandel (1923-1995) und Pierre Frank (1906-1984) - der bekannteste Vertreter des Vereinigten Sekretariats, dessen Führung er 53 Jahre lang angehörte und dessen politische Linie er maßgeblich mit ausarbeitete.

Der Autor dieser Zeilen gehört dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale an, das 1953 gegründet wurde, um den orthodoxen Trotzkismus gegen die Revisionen zu verteidigen, die Pablo ins Programm der Vierte Internationale einführte. Seither war das Internationale Komitee in allen wichtigen politischen Fragen ein entschiedener Gegner der Tendenz von Pablo, Mandel und Maitan, aus der das Vereinigte Sekretariat hervorging. Der Tod des letzten namhaften Führers des Vereinigten Sekretariats, der die Spaltung von 1953 noch persönlich miterlebte, gibt Anlass, eine politische Bilanz zu ziehen. Dabei geht es nicht darum, die persönliche Integrität Maitans oder seine sozialistischen Überzeugungen in Frage zu stellen. Es geht darum, Lehren aus historischen Erfahrungen zu ziehen, die für die Orientierung in der heutigen Situation unverzichtbar sind.

Teil 1: Als "Trotzkist" in der Kommunistischen Partei

Maitans Leben zeigt exemplarisch, wo die politischen Konzeptionen hinführen, die das Vereinigte Sekretariat über ein halbes Jahrhundert verteidigt hat. Im Mittelpunkt dieser Konzeptionen stand die Auffassung, dass die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft nicht das Ergebnis einer unabhängigen politischen Bewegung der internationalen Arbeiterklasse sei, die sich ihrer historischen Aufgaben bewusst wird, sondern dass sie mittels anderer gesellschaftlicher und politischer Kräfte erfolgen könne, die sich unter dem Druck objektiver Kräfte nach links bewegen. Die Pablisten vertraten die Ansicht, dass "stumpfe Instrumente", die sich nicht auf die Arbeiterklasse stützen - stalinistische Parteien, maoistische Bauernarmeen, kleinbürgerliche Guerillas - unter dem Druck objektiver Ereignisse in revolutionäre Richtung gehen und den Weg zum Sozialismus bahnen können. Diese Konzeption führte geradewegs zur Liquidation der Vierten Internationale oder - soweit das Vereinigte Sekretariat formal an einer Organisation dieses Namens festhielt - zu einer völligen Neubestimmung ihrer politischen Aufgaben.

Die Vierte Internationale war 1938 auf Initiative Leo Trotzkis gegründet worden, weil nur so die Kontinuität des Marxismus gewahrt und die Arbeiterklasse auf zukünftige Klassenkämpfe vorbereitet werden konnte. Die stalinistische Bürokratie und die von ihr dominierte Dritte Internationale waren in den dreißiger Jahren endgültig ins Lager der Konterrevolution übergegangen. In der Sowjetunion war die Verteidigung der Privilegien der Bürokratie und die Unterdrückung der Arbeiterdemokratie zum wichtigsten Hindernis für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung geworden; auf internationaler Ebene behandelte der Kreml die kommunistischen Bruderparteien als Manövriermaße für seine diplomatischen Winkelzüge mit den imperialistischen Mächten, was 1933 in Deutschland und 1938 in Spanien verheerende Niederlagen zur Folge hatte.

Trotzki verlor auch während der schlimmsten Niederlagen niemals die Überzeugung, dass die objektiven Widersprüche der kapitalistischen Ordnung wieder in gewaltige Klassenkämpfe münden würden. Die Gründung der Vierten Internationale war nötig, um diese Kämpfe vorzubereiten. Sie mochte zahlenmäßig klein sein, verkörperte aber die Lehren und Erfahrungen aus Jahrzehnten intensiver Klassenkämpfe. Eine Rückkehr der stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien zu einem revolutionären Kurs schloss Trotzki dagegen definitiv aus. Auch wenn sich noch viele Arbeiter unter ihrem Einfluss befanden, waren sie zum Werkzeug anderer sozialer Interessen und Kräfte geworden.

Die meisten Prognosen und Standpunkte, die das Vereinigte Sekretariat seit 1953 vertreten hat, können heute einer abschließenden Beurteilung unterzogen werden. Nicht eine der politischen und gesellschaftlichen Kräfte, die es als neue revolutionäre Vorhut und als Ersatz für eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse anpries, haben die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt.

Pablos Voraussage, der Stalinismus werde unter dem Druck der Massen eine revolutionäre Rolle spielen und der Weg zum Sozialismus werde durch ein langes Stadium deformierter Arbeiterstaaten verlaufen, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Osteuropa entstanden waren, ist durch den Zusammenbruch dieser Staaten und der Sowjetunion wiederlegt worden. Die stalinistische Bürokratie hat sich, wie es Trotzki voraussagte, als Totengräberin der Errungenschaften der Oktoberrevolution erwiesen und selbst die Initiative zu deren Beseitigung ergriffen.

Maos Bauernarmeen, von den Pablisten als Vorbild für die Dritte Welt und als unbewusste Vollstrecker von Trotzkis Theorie der permanenten Revolution verherrlicht, haben nicht einer sozialistischen Zukunft den Weg bereitet, sondern einer brutalen Form des Kapitalismus. Maos Erben überwachen heute die Ausbeutung der chinesischen Abeiterklasse durch transnationale Konzerne zu Löhnen und Bedingungen, die schlimmer sind als irgendwo sonst auf der Welt.

Und nicht eine der vom Vereinigten Sekretariat idealisierten nationalen Befreiungsbewegungen, die sich dem "bewaffneten Kampf" verschrieben hatten, hat eine wirkliche Unabhängigkeit vom Imperialismus erreicht. Sie alle haben in negativer Weise Trotzkis Voraussage bestätigt, dass in den Ländern mit einer verspäteten bürgerlichen Entwicklung "die volle und wirkliche Lösung ihrer demokratischen Aufgaben und des Problems ihrer nationalen Befreiung nur denkbar ist mittels der Diktatur des Proletariats als des Führers der unterdrückten Nation und vor allem ihrer Bauernmassen". (1)

Die politischen Konzeptionen des Vereinigten Sekretariats waren aber nicht nur irrig, sie trugen maßgeblich zur Fehlorientierung von Jugendlichen und Arbeitern bei, die in den großen sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre nach einer Alternative zum Kapitalismus suchten.

Als sich die Hoffungen, die das Vereinigte Sekretariat auf den Stalinismus und den kleinbürgerlichen Nationalismus setzte, schließlich als illusorisch erwiesen, rückte es weiter nach rechts in den Dunstkreis des bürgerlichen Staates. Es ist bezeichnend, dass Maitan die letzten 13 Jahre seines politischen Lebens in den Reihen einer Partei verbrachte, die den Mitte-Links-Regierungen unter Romano Prodi und Massimo D’Alema als parlamentarische Stütze diente. Von 1991 bis 2001 saß er im Vorstand von Rifondazione Comunista, einer Nachfolgeorganisation der Kommunistischen Partei. Und bei seinem letzten internationalen Auftritt auf dem 15. Weltkongress des Vereinigten Sekretariats im Februar 2003 beglückwünschte er ein brasilianisches Mitglied des Vereinigten Sekretariats, das der bürgerlichen Regierung von Präsident Inácio "Lula" da Silva als Minister angehört.

Maitans Beitritt zur Vierten Internationale

Livio Maitan wurde 1923, ein halbes Jahr nach der Machtübernahme Mussolinis, in Venedig geboren. Er wuchs im faschistischen Italien auf und legte an der Universität Padua ein Diplom in klassischer Literatur ab. In den letzten Kriegsjahren schloss er sich dem sozialistischen Widerstand gegen die Nazi-Besatzung an und musste schließlich in die Schweiz fliehen, wo er das Kriegsende in einem Internierungslager erlebte. Danach war er als Organisator der sozialistischen Jugendorganisation tätig. 1947 traf er anlässlich eines sozialistischen Kongresses in Paris Ernest Mandel und schloss sich der Vierten Internationale an.

Es war die Zeit, in der Teile ihrer Führung Trotzkis Auffassungen in Frage stellten. Als Maitan 1951 ins Leitungsgremium der Vierten Internationale einzog, hatte Pablo, ihr damaliger Sekretär, die revisionistischen Standpunkte weitgehend ausformuliert, die zwei Jahre später zur Spaltung der trotzkistischen Weltpartei führen sollten. In diesem Jahr erschien Pablos Schrift "Wohin gehen wir?". Darin heißt es, die gesellschaftliche Wirklichkeit "besteht im wesentlichen aus der kapitalistischen Herrschaft und der stalinistischen Welt" und "die überwältigende Mehrheit der antikapitalistischen Kräfte befindet sich zur Zeit unter der Führung oder dem Einfluss der sowjetischen Bürokratie." (2)

Diese Auffassung, die unter dem Eindruck des beginnenden Kalten Kriegs formuliert wurde, ignorierte die Arbeiterklasse und ersetzte den in beiden Lagern tobenden Klassenkampf durch den Konflikt zwischen Sowjetunion und US-Imperialismus. Pablo war der Ansicht, die sozialistische Revolution werde in Form eines Kriegs zwischen den USA und der Sowjetunion beginnen, in dem die sowjetische Bürokratie an der Spitze der "antikapitalistischen Kräfte" eine fortschrittliche Rolle spielen würde. Der Vierten Internationale blieb unter diesen Bedingungen nichts weiter übrig, als der Eintritt in die stalinistischen Parteien - "die Integration in die wirkliche Massenbewegung", wie Pablo es nannte.

1953 veröffentlichte die amerikanische Socialist Workers Party einen Offenen Brief, der die Standpunkte Pablos entschieden zurückwies und zur Gründung des Internationalen Komitees aufrief, dem sich neben anderen auch die britische und die Mehrheit der französischen Sektion anschlossen.

Maitan stellte sich in diesem Konflikt auf die Seite Pablos, Mandels und Franks, des Führers der französischen Minderheit, und blieb bis zu seinem Lebensende aktives Führungsmitglied des Vereinigten Sekretariats. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher - über Antonio Gramsci, Leo Trotzki, die italienische Kommunistische Partei, die chinesische Revolution, die chinesische Kulturrevolution und das Ende der Sowjetunion - von denen allerdings nur wenige in andere Sprachen übersetzt wurden. Er schrieb auch regelmäßig für die Publikationen des Vereinigten Sekretariats und machte sich als Übersetzer von Trotzkis Werken ins Italienische einen Namen.

In Italien prägte Maitan ein halbes Jahrhundert lang das Gesicht der nationalen Sektion des Vereinigten Sekretariats.

Maitan und die Kommunistische Partei Italiens

Die Anpassung der Pablisten an den Stalinismus hatte in Italien besonders weitreichende Auswirkungen. In keinem anderen hochindustrialisierten Land mit Ausnahme Frankreichs verfügte die stalinistische Kommunistische Partei nach dem Zweiten Weltkrieg über einen derart großen Einfluss wie in Italien.

Das hing mit ihrer besonderen Tradition zusammen. Den größten Teil ihres Bestehens hatte die KPI in der Illegalität und im Kampf gegen die Herrschaft Mussolinis verbracht. Bekannte Führer wie Antonio Gramsci waren dem Faschismus zum Opfer gefallen. In der Resistenza, dem Widerstand, der sich nach dem Einmarsch der Alliierten gegen die deutschen Besatzer und Mussolinis Reststaat entwickelte, war sie die führende Kraft. Das verhalf ihr zu einer starken Verankerung in der Bevölkerung. Vor allem in einigen Regionen Norditaliens und der Toskana, wo es in zahlreichen Familien gefallene Mitglieder der Resistenza gibt, war sie die dominierende Kraft. Die Parteiführung unter Palmiro Togliatti bestand aber aus erprobten Gewährsleuten Moskaus. Viele hatten den Faschismus im sowjetischen Exil überlebt und waren tief in die schlimmsten stalinistischen Verbrechen verwickelt.

In Übereinstimmung mit der Linie Stalins verteidigte die KPI nach Mussolinis Fall uneingeschränkt die bürgerliche Herrschaft. Nur wenige Monate nach dem Sturz des Diktators und der offiziellen Kapitulation Italiens trat sie im Frühjahr 1944 in die Regierung von Marschall Pietro Badoglio ein und verhinderte damit einen radikalen Bruch mit der faschistischen Vergangenheit und eine revolutionäre Neugestaltung des politischen Lebens. Die politischen und wirtschaftlichen Eliten, die sich zwanzig Jahre lang auf die Herrschaft Mussolinis gestützt hatten, konnten dessen Fall dank der KPI unbeschadet überleben.

Die KPI gehörte bis zum Mai 1947 sämtlichen, sich schnell abwechselnden italienischen Koalitionsregierungen an. Dann stand der beginnende Kalte Krieg einer weiteren Regierungsbeteiligung im Wege. Die USA waren nicht bereit, in einem Stützpfeiler der Nato kommunistische Minister zu akzeptieren, die über einen direkten Draht zu Moskau verfügten. Es sollten fast 50 Jahre vergehen, bis die KPI - inzwischen umgewandelt in Linksdemokraten (DS) - erneut einen Ministerposten in Rom übernehmen sollte.

Die KPI blieb aber auch in diesen fünfzig Jahren eine entscheidende Stütze der bürgerlichen Ordnung in Italien, ja man kann ohne Übertreibung sagen, deren eigentliches Rückgrat. Sie verfügte als einzige politische Partei des Landes über eine Massenbasis und eine breit verwurzelte, zentralisierte Organisationsstruktur. Die Christdemokraten, die ewige Regierungspartei, bestanden aus zahlreichen sich heftig bekämpfenden Cliquen, ihre Wahlergebnisse verdankten sie vorwiegend dem Einfluss der katholischen Kirche. Die kleineren Parteien - Sozialisten, Sozialdemokraten, Radikale und Liberale - waren nicht viel mehr als die Vertreter von bestimmten Lobbyistencliquen.

Die KPI spielte in Italien eine ähnliche politische Rolle wie die SPD in Deutschland oder die Labour Party in Großbritannien. In der Periode des Nachkriegsbooms vermittelte sie den Interessenausgleich zwischen den Klassen. Das - mit Ausnahme eines Industriegürtels im Norden - vorwiegend ländliche und bitterarme Italien machte in dieser Zeit einen raschen Industrialisierungsprozess durch, der mit einem deutlichen Anstieg des Lebensstandards verbunden war. Erstmals konnten sich viele Familien einen Fernseher, ein eigenes Auto, Urlaub und vieles mehr leisten, das bisher außerhalb ihrer Möglichkeiten gelegen hatte. Der Wähleranteil der KPI stieg in dieser Periode kontinuierlich an, von knapp 20 Prozent bei der ersten Nachkriegswahl auf 34 Prozent Mitte der siebziger Jahre, dem Höhepunkt des Nachkriegsaufschwungs. Danach, mit der wachsenden sozialen Krise, ging er von Wahl zu Wahl zurück.

Eine revolutionäre, sozialistische Strategie hätte sich in der Nachkriegsperiode darauf konzentrieren müssen, die Arbeiterklasse auf den unausweichlichen Bruch mit der KPI vorzubereiten. Propaganda und taktische Initiativen hätten dazu dienen müssen, die KPI zu entlarven - d. h. der Abeiterklasse den unversöhnlichen Gegensatz zwischen ihren langfristigen Interessen und der Politik der KPI zum Bewusstsein zu bringen und auf dieser Grundlage einen politisch bewussten Kader heranzubilden. Der Ausgangspunkt einer derartigen Strategie hätte das Verständnis der konterrevolutionären Rolle des Stalinismus sein müssen.

Maitan vertrat einen völlig anderen Standpunkt. Seiner Auffassung nach war die KPI keine Stütze der bürgerlichen Ordnung, sondern ein Instrument, durch das sich die revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse vollzieht. In einem 200seitigen Buch über Theorie und Politik der KPI, das er 1959 veröffentlichte und 1969 neu auflegte, schrieb er: "Die KPI ist die politisch-organisatorische Form, in der sich im Nachkriegsitalien die Bewegung der Arbeiter- und Bauernmassen äußert. Anders gesagt, über sie und durch ihre Vermittlung üben die entscheidenden sozialen Kräfte, die für eine radikale Umformung der Struktur der gegenwärtigen Gesellschaft kämpfen, ihren Druck aus. Soweit sie den Masseneinfluss, über den sie verfügt, aufrechterhält und -erhalten will, muss die Führung - wenn auch in deformierter Weise - die Realität der Klassenbewegung übersetzen, in die sie sich eingereiht hat." Dies, so Maitan weiter, sei "der wesentliche gesellschaftliche Faktor, der die Wirklichkeit der Kommunistischen Partei erklärt; der erklärt, weshalb ihr Zehntausende proletarische Kader treu bleiben, auch wenn sie mehr als eine Illusion über die ‚Weitsicht’ und die ‚Unfehlbarkeit’ der Spitzen verloren haben". (3)

Hier steht die Realität buchstäblich Kopf. Während die KPI nach Kriegsende das entscheidende Hindernis für eine Offensive der Arbeiterklasse darstellte und ihren Einfluss über die Arbeiterbewegung nur dank der sozialen Zugeständnisse der Nachkriegsperiode behaupten konnte, behauptete Maitan, die Arbeiter hielten der KPI die Treue, weil sie ihre revolutionären Bestrebungen verkörpere, weil sie "die Realität der Klassenbewegung" übersetze.

Natürlich konnte auch Maitan die staatstragende Rolle der KPI und den bürokratischen Charakter ihrer Führung nicht völlig ignorieren. Deshalb behauptete er, die Partei habe einen Doppelcharakter: "Der Widerspruch der KPI beruht auf der Tatsache, dass sie keine revolutionäre Partei mehr ist und die Perspektive einer revolutionären Machteroberung ausdrücklich zurückweist, aber andererseits aufgrund ihres Ursprungs und ihres Charakters keine wirklich reformistische Partei sein kann und auch nicht sein können wird." (4)

Die angebliche Unmöglichkeit der Verwandlung der KPI in eine "wirklich reformistische Partei" begründete Maitan unter anderem damit, dass ihr "neobürokratischer Revisionismus gesellschaftlich nicht den Einfluss der Bourgeoisie oder des Imperialismus auf die Arbeiterbewegung zum Ausdruck bringt, sondern den Einfluss der bürokratischen Kaste der UdSSR, dieser konservativen aber dennoch antikapitalistischen Kraft." (5) Damit stellte er sich in direkten Gegensatz zu Trotzkis Einschätzung. Dieser hatte darauf beharrt, dass die stalinistische Bürokratie das "Werkzeug der Weltbourgeoisie im Arbeiterstaat" (6) sei und sowohl in der Sowjetunion als auch im Weltmaßstab keine antikapitalistische, sondern eine konterrevolutionäre Rolle spiele.

Die politischen Schlussfolgerungen aus Maitans Einschätzung der KPI ziehen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Arbeit der italienischen Pablisten.

Bereits 1951 traten die Mitglieder von Maitans Organisation, der Gruppi Comunisti Rivoluzionari (GCR), Pablos Empfehlungen folgend verdeckt in die KPI ein. Ein kleiner Organisationskern und die Zeitung Bandiera Rossa wurden zwar aufrechterhalten, aber die überwiegende Mehrheit der Mitglieder arbeitete bis 1969 in den Reihen der Stalinisten. Sie konnten dort nicht offen auftreten. "Wir lebten in der KPI wie Einsiedler, weil wir unsere Meinungsverschiedenheiten nicht ausgesprochen haben. Wir haben abgewartet, dass die Dinge reifen", berichtete ein damaliges Mitglied der GCR einem Historiker. (7)

Da sich ein großer Teil der italienischen Arbeiterklasse unter dem Einfluss der KPI befand, war eine Arbeit innerhalb dieser Partei nicht von vornherein abzulehnen. So leisteten die britischen Trotzkisten unter Gerry Healy zwischen 1947 und 1959 eine erfolgreiche Arbeit innerhalb der Labour Party. Aber der Entrismus der britischen Trotzkisten wurde von einer völlig anderen Perspektive angeleitet, als jener der italienischen GCR unter Livio Maitan. Sie machten sich keinerlei Illusionen über den konterrevolutionären Charakter der Labour Party. Ihre Arbeit war darauf ausgerichtet, die Arbeiterklasse auf den unvermeidlichen Bruch mit dieser Partei vorzubereiten. Sie führten einen erbitterten Kampf gegen die Parteibürokratie und erzogen auf dieser Grundlage einen marxistischen Kader - mit Erfolg. 1963 schloss sich die Jugendorganisation der Partei, die Young Socialists, den mittlerweile wieder unabhängigen Trotzkisten der Socialist Labour League an.

Aus Maitans pablistischer Perspektive ergaben sich ganz andere Schlussfolgerungen. Wenn die KPI "die politisch-organisatorische Form" war, in der sich "die Bewegung der Arbeiter- und Bauernmassen äußert", und wenn sie gezwungen war, "die Realität der Klassenbewegung (zu) übersetzen", um ihren Einfluss nicht zu verlieren, dann bestand die Aufgabe der Trotzkisten nicht darin, die Arbeiterklasse auf den Bruch mit der KPI vorzubereiten, sondern loyal in ihren Reihen zu arbeiten. Eine solche Perspektive machte die GCR unweigerlich zu einem linken Feigenblatt für den Stalinismus. Sie mochten zwar in der einen oder anderen Frage Kritik an der Parteiführung äußern, grundsätzlich unterstützten sie aber die Partei und schürten die Illusion, diese werde sich in eine revolutionäre Richtung entwickeln.

Gleichzeitig schnitt diese Orientierung die italienische Arbeiterklasse von den Perspektiven der Vierten Internationale ab. In Italien, wo es nie eine Sektion des Internationalen Komitees gab, musste die Tatsache, dass Livio Maitan als bekanntester Trotzkist die KPI unterstützte, Arbeiter und Jugendlichen abstoßen, die in den sechziger und siebziger Jahren in scharfen Konflikt mit der KPI gerieten. Die Radikalisierung dieser Jahre kam nicht der Vierten Internationale zugute, sondern floss in die Kanäle des Maoismus und Anarchismus oder endete in der Sackgasse des "bewaffneten Kampfs" und des Terrorismus. Letzterer nahm gegen Ende der siebziger Jahre breite Ausmaße an und stürzte die italienische Linke in eine schwere Krise.

Maitan trug in doppelter Hinsicht zu dieser Entwicklung bei. Zum einen beharrte er darauf, der KPI die Treue zu halten - auch noch 1968, als die Mehrheit seiner Organisation einen anderen Standpunkt vertrat und die GCR deshalb auseinanderbrach. Gleichzeitig schürte er als führender Vertreter des Vereinigten Sekretariats die Illusionen in den Maoismus und den "bewaffneten Kampf", die maßgeblich zur Desorientierung der militanten Bewegung jener Jahre beitrugen.

Teil 2: Castro, Che Guevara und bewaffneter Kampf

Erwartete das Vereinigte Sekretariat, dass sich in Osteuropa und den westlichen Industrieländern eine neue sozialistische Offensive aus den Reihen der stalinistischen Parteien entwickeln würde, so setzte es in den Entwicklungsländern und Lateinamerika auf kleinbürgerliche Nationalisten. Beiden Standpunkten war gemeinsam, dass sie eine unabhängige Offensive der Arbeiterklasse unter Führung der Vierten Internationale definitiv ausschlossen und die Initiative anderen sozialen Kräften überließen.

In China glorifizierten die Pablisten die Bauernarmeen Mao Tse-tungs. Pablo selbst stellte sich in den fünfziger Jahren in den Dienst der algerischen Befreiungsfront FLN und trat nach deren Sieg in die erste algerische Regierung von Ahmed Ben Bella ein, für die er die Beziehungen zu den nationalen Bewegungen in Afrika und auf der ganzen Welt koordinierte.

Als 1959 die Guerilla Fidel Castros die Batista-Diktatur aus Kuba vertrieb, wandelten sich die Pablisten zu begeisterten Anhängern der kubanischen Revolution. Die Behauptung, in Kuba sei ein Arbeiterstaat entstanden, bildete die Grundlage für die Wiedervereinigung der amerikanischen Socialist Workers Party, die 1953 die Initiative zur Gründung des Internationalen Komitees ergriffen hatte, mit den Pablisten.

Die Aussage, die Verstaatlichungsmaßnahmen des Castro-Regimes hätten Kuba in einen Arbeiterstaat verwandelt, bedeutete einen vollkommenen Bruch mit der marxistischen Auffassung des Sozialismus. Wenn kleinbürgerliche Guerillaführer, die sich vorwiegend auf die Bauernschaft stützten, einen Arbeiterstaat errichten konnten, ohne dass auch nur ansatzweise Organe der Arbeitermacht existierten, dann war die unabhängige und bewusste Rolle in der sozialistischen Revolution, die der Marxismus der Arbeiterklasse traditionell zugeschrieben hatte, offensichtlich fehl am Platz.

Die Sichtweise der Pablisten ignorierte zudem den internationalen Charakter der sozialistischen Revolution, auf den Trotzki stets höchsten Wert gelegt hatte. Historisch betrachtet stellt der Sozialismus ein höheres Entwicklungsstadium der menschlichen Gesellschaft dar als der Kapitalismus. Letzterer hat die Produktivkräfte bereits über den Rahmen des Nationalstaats hinaus entwickelt, und eine sozialistische Gesellschaft kann unmöglich hinter das bereits Erreichte zurückgehen. Aus diesem Grund ist die stalinistische Theorie vom "Aufbau des Sozialismus in einem Land" so grundfalsch. Von diesem Standpunkt aus betrachtet waren die Verstaatlichungsmaßnahmen des Castro-Regimes - die sich nicht wesentlich von ähnlichen Maßnahmen anderer nationalistischer Regierungen der Zeit unterschieden - von zweitrangiger Bedeutung. Viel wichtiger war die Frage, ob die kubanische Revolution einen Ansatz für die Entwicklung der internationalen sozialistischen Revolution bot. In dieser Hinsicht waren ihre Folgen jedoch verheerend.

Die Pablisten beließen es nämlich nicht dabei, Castros Kuba als Arbeiterstaat zu verherrlichen. Sie übertrugen das kubanische Modell des vom Lande geführten Guerillakampfs auf ganz Lateinamerika - mit zerstörerischen Folgen für die trotzkistische Bewegung. Als Che Guevara 1965 von Kuba nach Bolivien zog, um dort einen Guerillakampf zu beginnen, sicherte ihm das Vereinigte Sekretariat seine volle Unterstützung zu und die bolivianische Sektion erklärte ihre Bereitschaft, sich den Guerillas anzuschließen. 1967 fand in Kuba eine lateinamerikanische Solidaritätskonferenz statt. Das Vereinigte Sekretariat war durch Joseph Hansen von der amerikanischen SWP vertreten, der die "Unabdingbarkeit des bewaffneten Kampfs auf dem Weg zum Sozialismus" beschwor. (8)

1969 erklärte der 9. Weltkongress des Vereinigten Sekretariats schließlich unmissverständlich: "Die grundlegende und einzig realistische Perspektive für Lateinamerika ist die eines bewaffneten Kampfs, der viele Jahre dauern kann. Aus diesem Grund muss die technische Vorbereitung nicht nur als ein Aspekt der revolutionären Arbeit gesehen werden, sondern als der grundlegende Aspekt.... Der Guerillakampf wird für eine ganze Periode die grundlegende Achse bilden, selbst wenn die Initiative anfangs scheinbar von außen kommt oder einseitig erfolgt (wie das bei Ches bolivianischer Guerilla der Fall war)." (9)

Damit wurde die Theorie der permanenten Revolution dem bewaffneten Kampf zum Opfer gebracht und das Proletariat als revolutionärer Faktor durch die Kalaschnikow und die Handgranate ersetzt. So blutrünstig und radikal sich diese Perspektive gab, war sie doch nur Ausdruck eines abgrundtiefen Pessimismus und tiefer Verachtung gegenüber der Arbeiterklasse - und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Arbeiterklasse in Lateinamerika rasch wuchs und sich radikalisierte.

Wer die Perspektive des Vereinigten Sekretariats ernst nahm, den Städten den Rücken kehrte und zum Guerillakampf aufs Land zog, bezahlte dafür einen hohen Preis. Isoliert von der städtischen Arbeiterklasse und konfrontiert mit einer übermächtigen Armee wurden zahlreiche Jugendliche, die sich gutgläubig dem Vereinigten Sekretariat zugewandt hatten, zur leichten Beute der Militärs. In Argentinien bejubelte die Presse des Vereinigten Sekretariats Anfang der siebziger Jahre die spektakulären bewaffneten Aktionen der Revolutionären Arbeiterpartei (PRT-ERP) und erkannte diese als offizielle Sektion an, bevor sie dann ganz zum Maoismus abdriftete. Die PRT-ERP wurde schließlich vom Militär restlos zerstört und aufgerieben.

Livio Maitan spielte bei der Entwicklung und Verbreitung dieser politischen Linie eine maßgebliche Rolle. Er galt im Vereinigten Sekretariat als Spezialist für Lateinamerika und China und war direkt an der Ausarbeitung der entsprechenden Resolutionen und Beschlüsse beteiligt.

Laut Peng Shu-tse, einem chinesischen Pablisten der in dieser Frage nicht mit dem Vereinigten Sekretariat übereinstimmte, war Maitan der Autor eines Dokuments, mit dem das Exekutivkomitee des Vereinigten Sekretariats 1968 auf die Guerillastrategie einschwenkte. (10) Auf dem Weltkongress von 1969 gehörte dann Maitan neben Mandel zu den aktivsten Befürwortern der Guerillastrategie, die immerhin von knapp einem Drittel der Delegierten abgelehnt wurde.

Noch 1997 veröffentlichte er in Inprecor, dem offiziellen Organ des Vereinigten Sekretariats, einen Artikel zum dreißigsten Todestag von Che Guevara, der die damaligen Standpunkte zusammenfasst und ohne jede Kritik bestätigt. Der Artikel ist eine Lobeshymne auf Che Guevara, der darin - in Form verschiedener Zitate aus offiziellen VS-Publikationen - als "Sozialist par excellence", der durchdrungen sei "von dem internationalen Charakter der sozialistischen Revolution", und als "Symbol der neuen Generation von Revolutionären" geschildert wird. (11)

1968 und die Folgen

Maitans Bekenntnis zum Guerillakampf in Lateinamerika hatte unmittelbare Rückwirkungen auf Italien. Es trug maßgeblich zur politischen Konfusion und Verwirrung bei, die in den siebziger Jahren die linke Szene beherrschte und zur Entstehung einer Vielzahl maoistischer, anarchistischer, spontaneistischer und den bewaffneten Kampf propagierender Gruppen führte, die zeitweise Zehntausende von Anhängern zählten.

Die Radikalisierung der Jugend und der Arbeiterklasse, die Mitte der sechziger Jahre begann und sich in den siebziger Jahren fortsetzte, geriet in Italien in heftigen Konflikt mit der KPI, die sich scharf nach rechts wandte. 1972 übernahm Enrico Berlinguer die Führung der Partei. Sein "eurokommunistischer" Kurs - eine verstärkte Abgrenzung von Moskau und Annäherung an die Sozialdemokratie - wurde vom Vereinigten Sekretariat anfangs begeistert unterstützt. Sein rechter Inhalt war aber unverkennbar. Berlinguer strebte einen "historischen Kompromiss" mit den Christdemokraten und eine Regierungsbeteiligung an. Von 1976 bis 1979 unterstützte die KPI-Fraktion im Parlament sogar das Regierungslager, ohne dass die Partei selbst Minister stellte.

Die Tatsache, dass der bekannteste italienische "Trotzkist" auf eine Erneuerung der KPI setzte und gleichzeitig die in der Protestbewegung weit verbreiteten Illusionen über Mao und Che Guevara schürte, schnitt die junge Generation, die neu in die Politik eintrat, von den Perspektiven der Vierten Internationale ab.

Maitans eigene Organisation, die GCR, erlangte selbst nie größeren Einfluss. Ihre Mitgliederzahl stieg niemals über 200 und in ihrer gesamten Geschichte trat sie nur einmal, 1980, selbständig zu Wahlen an. Dennoch darf Maitans Einfluss nicht unterschätzt werden. Durch die Reihen der GCR gingen im Laufe der Jahrzehnte Tausende von Mitgliedern. Viele, die in den konfusen radikalen Gruppen der siebziger Jahre eine führende Rolle spielten, hatten zum einen oder anderen Zeitpunkt ihres Lebens Maitans Schule durchlaufen. In den neunziger Jahren sollten sich dann die meisten von ihnen unter dem Dach von Rifondazione Comunista wieder mit Maitan zusammenfinden.

1968, auf dem Höhepunkt der Studentenrevolte, verlor Maitan vorübergehend die Kontrolle über seine Organisation. Die Mehrheit der GCR wollte die Arbeit innerhalb der KPI beenden und die Organisation in der spontanen Bewegung auflösen. Sie lehnte nicht nur die Orientierung auf die KPI, sondern auch das Festhalten am Trotzkismus in irgend einer organisierten Form ab. "Das trotzkistische Erbe ist nunmehr ein gemeinsames Erbe aller Revolutionäre und seine Verteidigung kann nicht der Existenzgrund einer Organisation sein", begründete ein Sprecher der Mehrheit diesen liquidatorischen Kurs auf dem Kongress der GCR. (12)

Maitan war nicht bereit, die Arbeit innerhalb der KPI sofort aufzugeben, gestand seinen Gegnern aber zu, dass er sich gegebenenfalls anders orientieren werde. Die Organisation dürfe nicht zum Fetisch gemacht werden und die Priorität müsse heute "auf der Aktion in Richtung der neuen Avantgarden liegen", antwortete er seinen Gegnern auf dem Kongress. "An dem Tag, an dem in Italien eine revolutionäre Tendenz entsteht, die größer als die unsere und in der Lage ist, die Massenbewegung zu leiten, werden wir Kriterien anwenden, die wir für richtig halten. Wir werden uns nicht um das Erstgeburtsrecht streiten und zum Erfolg einer derartigen Bewegung beitragen können.... Aber eine solche Lage existiert nicht." (13)

Beiden Standpunkten war gemeinsam, dass sie die Entwicklung einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse unter dem Banner der Vierten Internationale von vornherein ausschlossen. Die Spaltung drehte sich nur um die taktische Frage, ob der richtige Zeitpunkt schon gekommen sei, vom Zug der KPI abzuspringen und sich auf den der kleinbürgerlichen Protestbewegung zu schwingen.

Aus der Mehrheit ging später die Gruppe Avanguardia Operaia hervor, die sich offen zu maoistischen Positionen bekannte. Sie begründete ihre Abwendung von der Vierten Internationale damit, dass diese dem Zusammengehen der Trotzkisten "mit objektiv linken Strömungen, wie dem Maoismus und Castrismus" im Wege stehe. Ein anderer Teil der Mehrheit wandte sich der Gruppe Il Manifesto zu, die 1969 von abtrünnigen Führungsmitgliedern der KPI, hauptsächlich Intellektuellen, gegründet wurde und eine Mischung aus klassischen KPI-Standpunkten in der Tradition Palmiro Togliattis, Konzeptionen der Frankfurter Schule und maoistischen Positionen vertrat. Heute ist von dieser Gruppe nur eine Tageszeitung gleichen Namens übrig geblieben.

Maitan gründete, gestützt auf die Minderheit, die GCR neu. Diese gab die Arbeit innerhalb der KPI bald auf und bemühte sich, Anschluss an die neu entstandenen radikalen Gruppierungen zu finden. Der 9. Kongress des Vereinigten Sekretariats hatte 1969 eine entsprechende Orientierung "auf die neue Avantgarde mit Masseneinfluss" beschlossen. Es war derselbe Kongress, der sich für den bewaffneten Kampf in Lateinamerika aussprach. Maitan brachte auf dem Kongress eine Resolution zur chinesischen Kulturrevolution ein.

Anfangs strebte auch Maitan nach einer engen Zusammenarbeit mit den KPI-Dissidenten von Il Manifesto. "In der Politik des Zusammengehens der revolutionären Linken müssen wir weiterhin dem Manifesto den Vorzug geben", schrieb er 1972. "Wir haben die Möglichkeit und müssen sie haben, uns in die Dialektik einzureihen, die im Manifesto bestanden hat und weiter besteht. Was nicht heißt, dass wir andere Kräfte ausschließen..." (14)

Dann wandte er sich ab Mitte der siebziger Jahre den Organisationen zu, die aus der Studentenbewegung hervorgegangenen waren. Aus der Vielzahl dieser Gruppierungen hatten sich als einflussreichste die PDUP (Partito di unità proletaria), Avanguardia Operaia und Lotta Continua herauskristallisiert. Sie schwärmten für Mao, Ho Chi Minh und Che Guevara und vertraten ein buntes Gemisch aus spontaneistischen und pseudorevolutionären Ansichten. Sie propagierten Streiks und Formen der "direkten Aktion" und spielten bei den politischen und sozialen Auseinandersetzungen der Zeit eine höchst aktive Rolle. Zusammen konnten sie auf einige Zehntausend Mitglieder und Unterstützer zählen.

Das Abflauen der sozialen Kämpfe nach 1974 warf sie in eine tiefe Krise. Eine Minderheit wandte sich dem bewaffneten Kampf und Terrorismus zu, der in Italien umfassendere und breitere Formen annahm, als in irgend einem anderen europäischen Land, und zusätzlich zur Desorientierung der Arbeiterklasse beitrug. Der Rest gab die radikalen, aktivistischen Formen des Kampfs auf und wandte sich traditionelleren Formen der politischen Auseinandersetzung zu. 1976 traten die drei oben genannten Organisationen unter dem Banner Democrazia Proletaria gemeinsam zur Parlamentswahl an.

Die GCR stellte sich voll hinter diesen Wahlkampf. Maitan trat an der Seite von Adriano Sofri von Lotta Continua auf Wahlversammlungen mit Tausenden von Teilnehmern auf. Doch das Ergebnis war enttäuschend. Die Christdemokraten blieben stärkste Partei, dicht gefolgt von der KPI, die das beste Ergebnis ihrer Geschichte erzielte. Democrazia Proletaria erhielt eine halbe Million Stimmen und sechs Mandate. Ihr Stimmanteil von 1,5 Prozent lag aber weit niedriger, als sie erhofft hatte. Lotta Continua, mit der die GCR am engsten zusammengearbeitet hatte, löste sich kurz nach der Wahl auf.

Aufgrund des Fehlens einer tragfähigen Perspektive für die Arbeiterklasse konnten die herrschende Klasse Italiens und ihre wichtigste politische Stütze, die KPI, die heftigen Klassenkämpfe zwischen 1968 und 1975 relativ unbeschadet überleben und zur Gegenoffensive übergehen. Die linken Organisationen verfielen in Katzenjammer, der die ganzen achtziger Jahre über anhielt. Democrazia Proletaria, ursprünglich als Wahlbündnis konzipiert, blieb bestehen und wurde zum Sammelbecken für die Überreste der radikalen Organisationen.

1989 schloss sich auch Maitans Gruppe, inzwischen umbenannt in Lega Comunista Rivoluzionaria (LCR), der Democrazia Proletaria an. Zwei Jahre später trat diese geschlossen Rifondazione Comunista bei, die aus der Auflösung der KPI hervorgegangen war. Dem Aufbau von Rifondazione widmeten Maitan und seine Anhänger seither ihre gesamte politische Energie, wie Alain Krivine in einem Nachruf auf Maitan bestätigt: "Seit 1991 wird Livio auf jedem Kongress in die Führung dieser neuen Partei gewählt. Es stimmt, dass die Mitglieder der Vierten Internationale seit ihrer Gründung beschlossen haben, sich vollständig an ihrem Aufbau zu beteiligen, in Übereinstimmung mit ihrer Führung. [...] Einige unserer Genossen nehmen verantwortliche Positionen ein, im Senat, in Parteigliederungen oder in der Leitung der Tageszeitung Liberazione." (15)

Teil 3: Im Vorstand von Rifondazione

Es ist hier nicht der Ort, die Geschichte des Partito della Rifondazione Comunista (PRC) im Einzelnen zu rekapitulieren. Wir beschränken uns auf die Rolle Maitans, der zehn Jahre lang im Vorstand der Partei saß, zum engen Vertrauten und Berater ihres Vorsitzenden Fausto Bertinotti wurde und groteske Illusionen über ihre Rolle und ihren Charakter verbreitete.

In den Lobeshymnen auf Rifondazione, die Maitan in der Presse des Vereinigten Sekretariats veröffentlichte, finden sich all jene charakteristischen pablistischen Floskeln wieder, mit denen er in früheren Jahren die italienischen Stalinisten, Mao Tse-tung, Fidel Castro und Che Guevara glorifiziert hatte. Man sucht vergebens nach einer nüchternen Analyse ihres Programms und ihrer Rolle in der italienischen Politik. Stattdessen schwadroniert Maitan über "Widersprüche", "objektive Dynamik" und das "Kräfteverhältnis".

Typisch ist eine Bilanz der Arbeit in den Reihen von Rifondazione, die eine Angehörige von Maitans Tendenz in diesem Jahr für International Viewpoint verfasst hat. Flavia D’Angeli schreibt:

"Seit die PRC existiert, hat die politische Strömung um Bandiera Rossa versucht, die Bedingungen für ein wirkliches Einbringen ihrer Mitglieder in die Aktivität der Partei zu schaffen, indem sie sich bemühte, Klasseninitiative und soziale Verankerung zu stimulieren. Rifondazione erschien uns als einmalige Gelegenheit und als Werkzeug, durch das wir uns durch einen komplexen Prozess von Zusammenstößen, Brüchen, Experimenten, Öffnungen und Neugruppierungen in Richtung der Neugestaltung eines neuen revolutionären politischen Subjekts bewegen konnten.

Wir haben keine gradlinige Entwicklung hin zu einer fertigen antikapitalistischen Kraft erwartet, sondern einen widersprüchlichen Prozess. So haben wir uns während einer ganzen Phase bemüht, innerhalb der Partei eine breite pluralistische Linke aufzubauen, zeitweise mit einem gewissen Erfolg, aber ohne dass es diesen Initiativen gelang, sich zu konsolidieren und eine homogene strategische Orientierung anzubieten.

[...] Wir investierten unsere Kräfte in der führenden Gruppe, in einer Arbeitsbeziehung mit den Genossen der Mehrheit bewusst, dass dieses Szenario am günstigsten für den Aufbau einer revolutionären Partei war, aber auch bewusst, dass Fortschritte keineswegs gesichert waren und Widersprüche fortbestanden." (16)

Hinter diesem Geschwätz über "komplexe und widersprüchliche Prozesse" verbirgt sich die schlichte Tatsache, dass Maitans Gruppe seit 13 Jahren eine politische Partei unterstützt, die der bürgerlichen Ordnung als linkes Feigenblatt dient, diese Ordnung bei jeder ernsthaften Krise verteidigt und aller Voraussicht nach in der nächsten italienischen Regierung sitzen wird, sollte Berlusconis Rechtskoalition abgewählt werden. Jede ernsthafte Untersuchung der Rolle von Rifondazione zeigt, dass sie weder ein "Werkzeug" für den "Aufbau einer revolutionären Partei" noch eine "antikapitalistische Kraft" darstellt, sondern ein entscheidendes Hindernis für eine unabhängige, sozialistische Orientierung der Arbeiterklasse.

Die Gründung von Rifondazione geht auf das Jahr 1991 zurück. Damals verabschiedete sich die Kommunistische Partei von ihrem Parteinamen, ihrem Parteisymbol und allem, was formal an die kommunistische Vergangenheit erinnerte, und bekannte sich zur Sozialdemokratie. Zwei Ereignisse hatten sie zu dieser Absage an den Kommunismus veranlasst: die Auflösung der Sowjetunion, die den traditionellen Beziehungen der KPI zu Moskau endgültig die Grundlage entzogen hatte, und die Implosion der traditionellen italienischen Regierungsparteien, der Christdemokraten und der Sozialisten, in einem riesigen Korruptionsskandal. Mit dem Abschied von der kommunistischen Symbolik bereitete sich die Demokratischen Partei der Linken (PDS), wie sich die KPI nun nannte, auf die Übernahme der Regierungsverantwortung vor, um die schwer erschütterte bürgerliche Ordnung zu retten.

Innerhalb der KPI gab es einen Flügel, dem dieser Rechtsschwenk zu weit ging. Er befürchtete, dieser werde ein gefährliches Vakuum auf der Linken entstehen lassen. So entstand Rifondazione Comunista, die "kommunistische Neugründung". In der neuen Formation fanden sich die stalinistischen Hardliner unter Armando Cossuta, der sich in den siebziger Jahren als moskautreuer Gegner von Berlinguers Eurokommunismus einen Namen gemacht hatte. Sie öffnete sich aber auch den zahlreichen radikalen Gruppen, die in den siebziger Jahren teils heftig gegen die KPI agitiert hatten.

Die Rechung der PDS ging allerdings vorerst nicht auf. Aus den Wahlen von 1994 ging nicht sie, sondern Berlusconis Forza Italia als Sieger hervor. Berlusconi sicherte sich eine Mehrheit, indem er erstmals seit dem Fall Mussolinis die Neofaschisten in die Regierung holte. Doch seine Rechtsregierung konnte sich nur wenige Monate halten. Massendemonstrationen gegen ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik brachten sie zu Fall.

Nun bewies Rifondazione zum ersten Mal ihre staatsragende Rolle. Sie sicherte der Übergangsregierung von Lamberto Dini, einem Ex-Minister Berlusconis und ehemaligen Notenbankchef, ein volles Jahr lang die parlamentarische Mehrheit. In den folgenden beiden Jahren unterstützte sie die Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi, ohne selbst in die Regierung einzutreten. Rifondazione sorgte so drei Jahre lang für die parlamentarischen Mehrheiten, die nötig waren, um einen drastischen Sozialabbau einzuleiten, den Haushalt zu konsolidieren und Italien für die Teilnahme am Euro zu qualifizieren.

1998 entzog Rifondazione Prodi schließlich die Unterstützung und löste eine Regierungskrise aus, die paradoxerweise damit endete, dass die KPI-Nachfolger erstmals den Regierungschef stellten. PDS-Führer Massimo d’Alema sicherte sich eine neue Mehrheit, indem er die Mitte-Links-Koalition nach rechts erweiterte. Rifondazione war nun nicht mehr in die Regierungsmehrheit eingebunden und konnte sich eine deutlichere oppositionelle Haltung leisten. Armando Cossutas Altstalinisten kehrten ihr deshalb den Rücken und gründeten eine eigene Partei, die Comunisti Italiani, die auch weiterhin die Regierung unterstützte.

Unnötig zu sagen, dass Maitan und seine Anhänger das Manöver von Rifondazione als Linksschwenk und Bestätigung ihrer Politik feierten. "Man muss Fausto Bertinotti Anerkennung zollen, weil er verstanden hat, dass die Partei vor der Gefahr stand, in eine Sackgasse zu geraten, zu scheitern und eine irreversible Aushöhlung zu erleiden", schrieb Maitan rückblickend und behauptete, Bertinotti habe beschlossen, "eine Kampagne gegen den Stalinismus zu eröffnen und gleichzeitig ein strategisches Nachdenken auf der Grundlage einer aktualisierten Analyse der grundlegenden Züge und der Dynamik des Kapitalismus in einer Epoche der Globalisierung zu stimulieren." (17)

In Wirklichkeit bedeutete der taktische Schwenk von 1998 keine strategische Neuorientierung. Die Mehrheit um Bertinotti hatte lediglich verstanden, dass sie mit den Regierungsparteien unterzugehen drohte, wenn sie deren unpopuläre Politik weiterhin sklavisch unterstützte. Das hätte Rifondazione ihrer wichtigsten Funktion beraubt: die wachsende Opposition gegen die Politik der Regierung aufzufangen und in sichere Kanäle zu lenken.

In den folgenden Jahren orientierte sich Rifondazione verstärkt an der Protestbewegung gegen die Globalisierung und versuchte darin Fuß zu fassen - ein Kurs, der von Maitans Tendenz begeistert unterstützt wurde, obwohl die tonangebenden Vertreter dieser Bewegung eine sozialistische Perspektive explizit ablehnen. Ihre Orientierung auf eine Regierungsbeteiligung in Italien hatte die Partei aber deshalb nicht aufgegeben. Das wurde spätestens im Juni 2003 deutlich. Unmittelbar nach dem Scheitern eines Referendums über die Ausdehnung des Kündigungsschutzes auf Kleinbetriebe, das Rifondazione initiiert hatte, trat Bertinotti vor die Presse und verkündete, die Partei bemühe sich um eine programmatische Übereinkunft mit den Mitte-Links-Parteien für die nächsten Wahlen und sei bereit, in einer zukünftigen Mitte-Links-Regierung Ministerposten zu übernehmen.

Fausto Bertinotti, der seit 1994 an der Spitze von Rifondazione steht, verkörpert den opportunistischen Charakter dieser Partei. 1940 geboren, gehörte er viele Jahre der KPI an, war aber nicht Mitglied von deren innerem Führungszirkel. Er stieg als Gewerkschaftsfunktionär im norditalienischen Industriegürtel auf und erwarb sich den Ruf eines linken Gewerkschafters. Er verfügt über die Fähigkeit, sich bei Bedarf links klingender marxistischer Formulierungen zu bedienen, während seine Politik von rein opportunistischen Überlegungen geprägt ist. Jeder praktische Schritt wird nach seinen unmittelbaren Folgen beurteilt. Längerfristige und grundsätzliche Überlegungen spielen bei der Ausarbeitung der politischen Linie keine Rolle. Die Lippenbekenntnisse zum Sozialismus dienen ausschließlich dazu, die Stimmung der Anhänger aufzufangen.

Maitan hat viel Energie darauf verwandt, Bertinotti in den glühendsten roten Farben zu malen. Er entwickelte eine enge Beziehung zum Rifondazione -Führer, mit dem er noch wenige Stunden vor seinem Tod eine ausführliche politische Diskussion führte. Seine Loblieder auf Bertinotti erinnern teilweise an feudale Hofberichterstattung. Vor vier Jahren besprach Maitan Bertinottis neu erschienenes Buch "Ideen, die nicht sterben" und schwärmte: "Was uns betrifft, so teilen wir Bertinottis Urteil: Der entscheidende Widerspruch liegt gegenwärtig darin, dass es mehr den je nötig ist, die Perspektive des Sturzes des Kapitalismus auf die Tagesordnung zu setzen, während das Kräfteverhältnis und der Rückgang des antikapitalistischen Bewusstseins dabei das größte Hindernis darstellen." (18)

Dem Führer von Rifondazione zu unterstellen, er wolle "die Perspektive des Sturzes des Kapitalismus auf die Tagesordnung setzen", ist angesichts seiner politischen Bilanz absurd. In Wirklichkeit ist Bertinottis Partei selbst ein entscheidendes Hindernis, das der Entwicklung von antikapitalistischem Bewusstsein im Wege steht.

Bertinotti hat sich für Maitans Unterstützung revanchiert, indem er seinerseits das Vorwort zu dessen 2002 erschienen Autobiografie verfasste und ihn mit Lob überhäufte.

Maitan hat die Parteimehrheit um Bertinotti auch gegen die Kritik des linken Parteiflügels in Schutz genommen. Die syndikalistisch geprägte Strömung Progetto Comunista lehnt nicht nur die Öffnung gegenüber dem Mitte-Links-Bündnis ab, sondern kritisiert auch die Anpassung an die Antiglobalisierungsbewegung. Diese dürfe "nicht zum Mythos gemacht" werden, erklärte ihr Führer Marco Ferrando. Maitan warf Ferrando deshalb öffentlich vor, er vertrete "eine sektiererische Sicht der Anti-Globalisierungsbewegung" und habe entschieden, "sich hinsichtlich des historischen Umwandlungsprozesses innerhalb der PRC zu marginalisieren". (19)

Ungeachtet vereinzelter Meinungsunterschiede und gelegentlicher Kritik, die Maitan stets unter zahlreichen Entschuldigungen vorbrachte, ist seine Bandiera-Rossa -Tendenz eine wichtige politische Stütze für Rifondazione und Bertinotti. Sie schirmt die Partei und ihren Führer gegen Kritik von links ab und verbaut der Arbeiterklasse gleichzeitig den Weg zu einer unabhängigen sozialistischen Orientierung. Nie und nirgends haben Maitan und seine Anhänger die Arbeiterklasse vor dem opportunistischen und prinzipienlosen Charakter dieser Organisation gewarnt. Zu keinem Zeitpunkt haben sie die Arbeiterklasse darauf vorbereitet, unabhängig von Rifondazione einen sozialistischen Weg einzuschlagen. Noch vor zwei Jahren schwärmte Maitan in International Viewpoint von ihrem "besonderen, ja einzigartigen Charakter in der Geschichte der italienischen Arbeiterbewegung" und fügte hinzu: "Es wäre heute nicht nur unter den Parteien der europäischen Linken schwierig, etwas Entsprechendes zu finden, sondern auch unter den Parteien, die sich in Europa und anderen Kontinenten mit der Arbeiterklasse und dem Sozialismus identifizieren." (20)

Das ist reine Augenwischerei. In Wirklichkeit unterscheidet sich Rifondazione nicht von anderen opportunistischen Parteien, die mit einem Bein in außerparlamentarischen Protest- und Streikbewegungen stehen, während sie mit dem anderen fest im bürgerlichen Politikbetrieb verankert sind. Die PDS in Deutschland, die pablistische Ligue Communiste Révolutionnaire oder die Kommunistische Partei in Frankreich, die Socialist Alliance in England und viele andere spielen in der einen oder anderen Form eine ähnliche Rolle. In Zeiten heftiger sozialer Konflikte werden sie zur linken Stütze der bürgerlichen Ordnung. Nicht zufällig unterhalten sie alle Verbindungen zu Rifondazione.

Maitans letzter internationaler Auftritt

Alain Krivine, Mitglied des Vereinigten Sekretariats und Führer der französischen LCR, hat Maitan bescheinigt, dass er auch auf internationaler Ebene ein Pionier der "Öffnung" gegenüber bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräften war.

"Mit dem Tod von Livio geht ein Kapitel zu Ende, aber dank ihm hat auch ein anderes begonnen, das der Öffnung", schrieb er in einem Nachruf auf Maitan. "Seit den neunziger Jahren hatten Livio und andere Führer der Internationale die Erscheinungen der Zersetzung und Neugestaltung der revolutionären Arbeiterbewegung begriffen. Sie wussten, dass dies nicht allein durch die Vierte Internationale erfolgen konnte und dass man zur Neugründung eines Programms und einer antikapitalistischen Kraft beitragen musste, die mit der sozialdemokratischen Kapitulation wie mit dem stalinistischen Verrat bricht. Schon zeichnete sich die Perspektive ab, bei der Neugruppierung der antikapitalistischen Kräfte zu helfen, was immer ihre Traditionen und Ursprünge sein mochten." (21)

Damit schließt sich der Kreis. Maitan hat die politische Orientierung, die das Vereinigte Sekretariat 1953 einschlug, zu ihrem logischen Ende geführt. Damals lehnte Pablo den Aufbau unabhängiger Sektionen der Vierten Internationale mit der Begründung ab, man müsse sich "in die wirkliche Massenbewegung" integrieren - in stalinistische Parteien, kleinbürgerlich-nationalistische Formationen und andere Organisationen, die in der Nachkriegszeit über Einfluss verfügten. Nachdem nicht eine von ihnen die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllt hat und die Sowjetunion zusammengebrochen ist, sucht das Vereinigte Sekretariat Anschluss an andere Kräfte, "was immer ihre Traditionen und Ursprünge sein mögen".

Damit ist die vollständige Integration in den bürgerlichen Politikbetrieb gemeint. Zu den "antikapitalistischen Kräften" zählte Maitan nämlich nicht nur Rifondazione in Italien, sondern auch die Arbeiterpartei (PT) in Brasilien, die seit zwei Jahren die Regierung des 175-Millionen-Landes stellt. Miguel Rossetto, ein Mitglied der Sektion des Vereinigten Sekretariats, steht dort an der Spitze des Ministeriums für Agrarreform. Auf dem 15. Weltkongress des Vereinigten Sekretariats, dem letzten, an dem Maitan teilnahm, hat er dies ausdrücklich gutgeheißen.

In seiner Eröffnungsrede verkündete er: "Im Prinzip haben wir nie am parlamentarischen Kretinismus, jener fatalen Krankheit der Arbeiterbewegung gelitten. Daher scheuen wir uns nicht, die Tatsache zu betonen, dass wir im vergangenen Jahrzehnt gewählte parlamentarische Vertreter in einer Reihe von Ländern hatten, von Brasilien bis zu den Philippinen, von Dänemark bis Portugal und dem europäischen Parlament. In Brasilien ist ein Genosse wie Miguel Rossetto, dessen Qualitäten und militanter Geist bekannt sind, heute Mitglied der Regierung, die aus dem außergewöhnlichen Erfolg des Volkes hervorgegangen ist, den die Wahl Lulas darstellt. Miguel hat mit der Aufgabe der Verwirklichung einer radikalen Agrarreform, die in der Lage ist, eine allgemeinere Dynamik des Bruchs mit dem System herbeizuführen, eine entscheidende Verantwortung übernommen. Wir werden seinen Kampf unterstützen und verfolgen und wünschen ihm unsere wärmste Solidarität." (22)

Die von Maitan prophezeite "Dynamik des Bruchs mit dem System" hat sich rasch als Hirngespinst erwiesen. Rossetto trägt Verantwortung in einer Regierung, die die neoliberale Wirtschaftpolitik ihrer rechten Vorgänger uneingeschränkt fortsetzt, das Vertrauen der brasilianischen Bourgeoisie besitzt und vom Internationalen Währungsfonds in höchsten Tönen gelobt wird. "Antikapitalistisch" ist sie nicht einmal dem Namen nach. Die Autorität, die Präsident Inácio "Lula" da Silva als militanter Gewerkschaftsführer gewonnen hatte, wird dabei eingesetzt, um die Arbeiterklasse ruhig zu halten, die sonst heftig rebellieren würde. Die Pablisten leisten dabei einen wertvollen Beitrag.

Wenn man aus Maitans Leben eine Lehre ziehen kann, so lautet sie, dass es keinen Ersatz für den geduldigen Aufbau einer internationalen sozialistischen Partei gibt, die die Arbeiterklasse unabhängig von bürgerlichen Parteien und bürokratischen Apparaten unter dem Banner der Vierten Internationale organisiert. Die tiefe Krise des globalen Kapitalismus, die sich in permanenten Angriffen auf die sozialen und demokratischen Rechte breiter Bevölkerungsschichten und in imperialistischen Kriegen wie im Irak äußert, wird einer solchen Partei eine hohe Anziehungskraft verleihen.

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Anmerkungen

1) Leo Trotzki, "Die permanente Revolution", Essen 1993, S. 183.

2) Zitiert nach: David North, "Das Erbe, das wir verteidigen", Essen 1988, S. 187. Dieses Buch enthält eine umfassende Darstellung der Spaltung von 1953 und der Auseinandersetzung zwischen Vereinigtem Sekretariat und Internationalem Komitee.

3) Livio Maitan, "PCI 1945-1969: stalinismo e opportunismo", Roma 1969, S.195.

4) Ebd. S. 201.

5) Ebd. S. 199; unsere Hervorhebung.

6) Leo Trotzki, "Das Übergangsprogramm", Essen 1997, S. 121.

7) Interview mit F.Villani in: Yurii Colombo, "Il movimento trotskista in Italia durante la stagione dei movimenti sociali", http://www.giovanetalpa.net/movtrot.htm

8) Quatrième Internationale, Nov./Dez. 1967

9) "Résolution du 9o Congrès Mondial sur l’Amérique Latine", Quatrième Internationale mai 1969

10) "Criticisms of the Positions of the SWP (USA)" by Peng Shuzi, 16th March, 1981

11) "Die Vierte Internationale, die kubanische Revolution und Che Guevara", Inprekorr Nr. 318 (übersetzt aus Inprecor Nr. 417, October 1997)

12) Bandiera Rossa, 15. April 1968, zitiert nach Yurii Colombo, op.cit.

13) Bandiera Rossa, 1. April 1968, zitiert nach Yurii Colombo, op.cit.

14) Quarta Internazionale n. 5-6, giugno 1972,

15) Alain Krivine, "Ciao compagno!", Rouge 30. September 2004

16) Flavia D’Angeli, "New turn for PRC", International Viewpoint 359, May/June 2004

17) Livio Maitan, "Refounding Rifondazione", International Viewpoint 340, May 2002

18) Livio Maitan, "On Fausto Bertinotti’s book", International Viewpoint 326, December 2000

19) Livio Maitan, "Refounding Rifondazione", International Viewpoint 340, May 2002

20) Livio Maitan, "Refounding Rifondazione", International Viewpoint 340, May 2002

21) Alain Krivine, "Ciao compagno!", Rouge 30. September 2004

22) Livio Maitan, "Opening Speech of the Congress", International Viewpoint 349, May 2003

Siehe auch:
50 Jahre Internationales Komitee der Vierten Internationale
(4. Dezember 2003)

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