Kenia: Gewalttätige Ausschreitungen nach Präsidentschaftswahl

Mindestens 300 Menschen sind seit der Präsidentschaftswahl in Kenia am 27. Dezember bei gewalttätigen Ausschreitungen ums Leben gekommen. Zehntausende sind aus Furcht vor weiteren Angriffen aus ihren Wohnungen geflohen. Amtsinhaber Mwai Kibaki erklärte sich zum Wahlsieger und wurde am 30. Dezember in aller Eile vereidigt, nachdem die Wahlkommission ihn zum Sieger ausgerufen hatte. Er behauptete, er habe 46,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können, gegenüber 44,3 Prozent für den Oppositionskandidaten Raila Odinga. Aber Kibakis knapper Vorsprung von nur 230.000 Stimmen bei fast neun Millionen abgegebenen Stimmzetteln wurde von der Opposition umgehend in Frage gestellt, und sie erhob den Vorwurf der Wahlfälschung.

Zwischen den Sympathisanten der rivalisierenden Kandidaten brachen Kämpfe aus, die in Kibera, einem Slum in Nairobi, den Odinga im Parlament vertritt, in der Küstenregion um Mombasa und in der Stadt Kisumu im Westen Kenias wüteten. In Kisumu genießt Odinga starke Unterstützung. Offenbar haben sich die Kämpfe bereits auf andere Gebiete ausgedehnt. Am 1. Januar wurde in der Stadt Eldoret in der Provinz Rift Valley eine Kirche niedergebrannt. Mindestens 35 Leichen wurden in ihren Trümmern entdeckt.

Es waren überwiegend Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Stammesgruppen. Kibaki gehört zum Volk der Kikuyu, der größten ethnischen Gruppe des Landes, die Politik und Wirtschaftsleben beherrscht. Odinga gehört dem kleineren Volk der Luo an. Die Opfer in der niedergebrannten Kirche waren alle Kikuyus.

Aber die Gewaltorgien gehen bisher hauptsächlich von den staatlichen Kräften aus. Reuters gibt Augenzeugenberichte wieder, nach denen die meisten Toten den Schüssen von Sicherheitskräften auf Demonstranten zum Opfer fielen. Associated Press zitierte am Montag anonyme Polizeioffiziere, sie hätten den Befehl erhalten, scharf zu schießen - was die Regierung bestreitet.

Ein Priester in den Slums von Nairobi, Pater Daniel Moschetti, sagte Reuters, die Gewalt treffe die Armen und nicht die wohlhabenden Politiker, die den Konflikt angeheizt hätten. "Die Politiker in ihren gesicherten Wohnbezirken stacheln den ethnischen Hass an", sagte er.

Die Führer beider politischen Lager putschen Stammeskonflikte hoch und nutzen sie aus. Ein Regierungssprecher sagte der BBC, dass Odingas Anhänger "organisierte ethnische Säuberungen betreiben". Odinga äußerte gegenüber Associated Press, Kibakis Regierung sei "unmittelbar des Völkermords schuldig".

Es ist kein Geheimnis, dass Washington und London Kibaki gerne weiter an der Macht sähen. Kenia ist ein strategisches Zentrum der amerikanischen Sicherheitsoperationen in Afrika. Es grenzt an Somalia und Äthiopien. Es ist außerdem das Wirtschaftszentrum Ostafrikas.

Oppositionskandidat Odinga ist Geschäftsmann und Anhänger des freien Marktes, aber für die Westmächte ein unbeschriebenes Blatt. Seine Partei Orangene Demokratische Bewegung (ODM) fordert von der Kikuyu-Elite, einen Teil ihrer Macht abzugeben, und befleißigt sich populistischer Rhetorik. Odinga selbst hüllt sich in den Mantel eines Vertreters der Interessen der Armen.

Am 30. Dezember forderten die Vereinigten Staaten und Großbritannien die Präsidentschaftskandidaten auf, das Wahlergebnis zu akzeptieren, und die US-Botschaft lobte in einer Stellungnahme die Arbeit der Wahlkommission. Ein Botschaftsvertreter appellierte an die Geduld und verlangte, alle Beschwerden über den Wahlverlauf an die Wahlkommission zu richten. Das US-Außenministerium nahm die gleiche Position ein. Sein Sprecher Tom Casey forderte alle Kenianer auf, das Endergebnis zu akzeptieren, und lobte ebenfalls die Kommission für "die weitgehend friedlich und ordnungsgemäß verlaufene Wahl".

Angesichts der Kritik an der Stimmenauszählung ist diese Haltung mittlerweile nicht mehr haltbar. Ein Wahlbeobachter der EU in einem Wahlkreis hatte Wahlbeamte sagen hören, Kibaki habe 50.145 Stimmen bekommen. Am 30. Dezember gab die Wahlkommission dann aber ein Ergebnis von 75.261 Stimmen für ihn bekannt. Der Chefbeobachter der EU erklärte: "Es ist der Wahlkommission nicht gelungen, die Zweifel am Auszählungsprozess auszuräumen."

Westliche Diplomaten versuchten die Wahlkommission zu einer Neuauszählung der Stimmen zu bewegen. Doch obwohl sie zugestand, dass es zu "Unregelmäßigkeiten" gekommen war - in einem Wahlkreis betrug die Wahlbeteiligung 115 Prozent, in einem anderen war ein Kandidat mit Wahlzetteln davon gerannt -, stand sie offensichtlich unter starkem Druck, das Resultat zu akzeptieren. Vier der 22 Mitglieder der Wahlkommission haben inzwischen die Korrektheit des Wahlergebnisses angezweifelt.

Das US-Außenministerium sah sich deshalb am 31 Dezember gezwungen, "ernste Bedenken" gegen die Wahl anzumelden. Tom Casey sagte: "Ich gratuliere niemandem." Der Eindruck, dass die USA mit dem Wahlergebnis hoch zufrieden seien, sei ein "Irrtum", sagte Casey. Er forderte, die "Probleme" im Rahmen des kenianischen Justizsystems und in Übereinstimmung mit der Verfassung zu lösen. Der britische Außenminister David Miliband sagte am 1. Januar in einem Interview, es gebe Berichte über Wahlunregelmäßigkeiten auf beiden Seiten. "Wir wissen nicht, wer gewonnen hat", meinte er.

Es gab zehn Präsidentschaftskandidaten, und bei der gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahl bewarben sich 300 Parteien und mehr als 2.000 Kandidaten. Die Hauptgegner aber waren Odingas ODM und Kibakis Party of National Unity (PNU, Partei der nationalen Einheit). Beide Organisationen sind lose Ad-hoc-Koalitionen, die von amtierenden oder ehemaligen Ministern geführt werden und zum Zweck des Wahlkampfs und der Geldbeschaffung zusammengewürfelt wurden. Kibaki warb mit der Parole "Weiter so", die für ökonomischen Konservatismus und Besonnenheit steht, während Odinga seine Forderung nach einer Neuverteilung der Macht mit vagen Versprechungen nach mehr öffentlichem Geld für die ärmsten Teile der Bevölkerung verband.

Kenia hat eine der ungleichsten Gesellschaften Afrikas. Ungefähr vierzehn Millionen Menschen leben unter der Armutsgrenze, das sind 60 Prozent der Bevölkerung.

Kibaki kam 2002 an die Macht. Als Anführer der multiethnischen Partei National Alliance Rainbow Coalition (NARC) gewann er eine breite Mehrheit gegen Uhuru Kenyatta von der Kenia African National Union (KANU). Kenyatta ist der Sohn Jomo Kenyattas, des Führers der Unabhängigkeitsbewegung, und war der Kandidat Daniel Arap Mois, der seit 1978 Präsident war. Kibakis Erdrutschsieg von 2002 war Ergebnis des verbreiteten Hasses auf Moi und seine repressiven politischen Maßnahmen und seine Korruptheit. Moi und sein Gefolge sollen zwei Mrd. Dollar aus der Staatskasse gestohlen haben. Raila Odinga war ein führender Vertreter der NARC, obwohl er seine eigene Partei, die National Democratic Party, zuvor im selben Jahr mit der KANU zusammengeschlossen hatte. Odinga war zwar von Moi in den 1990er Jahren wegen seiner Opposition gegen das Regime ins Gefängnis geworfen worden, legte aber seine Differenzen mit ihm bei, weil er darauf hoffte, Mois Nachfolger zu werden. Als Moi stattdessen Uhuru Kenyatta auserkor, verlagerte Odinga seine Unterstützung auf Kibaki.

Obwohl Kibaki versprochen hatte, die Korruption auszumerzen, war sein Regime schon bald in Skandale verwickelt. Beim Fall Anglo Leasing von 2004 waren zum Beispiel umfangreiche staatliche Aufträge an Briefkastenfirmen erteilt worden, die mit Präsidentenberatern in Verbindung standen. Vergangenes Jahr schlug die Regierung eine Untersuchung mehrerer Staatsaufträge nieder, die von der Korruptionsbekämpfungskommission angestrengt worden war. Weder Moi selbst noch sonst jemand aus seiner Verwandtschaft ist jemals vom Kibaki-Regime belangt worden.

Während die NARC aufgrund von Differenzen zwischen ihren Fraktionen auseinanderbrach, sicherte sich Kibaki Mois Gunst und gewann seine Unterstützung und beträchtliche finanzielle Mittel für diese Wahl. KANU ist heute ein wichtiger Bestandteil der PNU und Uhuru Kenyatta ist einer ihrer Abgeordneten. Die Familien Kenyatta, Moi und Kibaki sind die drei reichsten Kenias und bestimmen seit der Unabhängigkeit die Politik des Landes. Africa Confidential zufolge gibt es eine geheime Nachfolgeregelung, nach der Uhuru 2012 Kibaki nachfolgen soll. Odinga konnte die Unterstützung von Teilen der herrschenden Klasse gewinnen, die von dem engen Zirkel um Moi ausgeschlossen sind.

Obwohl sich an der Korruption wenig geändert hat und es Kritik an mangelnden Investitionen in die Infrastruktur gibt, unterstützen westliche Investoren und einheimische Geschäftsleute im Großen und Ganzen Kibaki, weil er weniger staatliche Regelungen erlassen hat. Der Vorsitzende des Verbandes der Verarbeitenden Industrie Kenias sagte der Financial Times : "Unternehmensvorstände sind unter Moi regelmäßig stark unter Druck gesetzt worden, um Jobs und Verträge zur Bereicherung der Elite zu verteilen." Unter Kibaki "gibt es zwar immer noch Anfragen, aber nicht mehr so penetrant". Die Wirtschaft wächst gegenwärtig mit einer Jahresrate von ungefähr sieben Prozent, verglichen mit 0,2 Prozent in 2002.

Die Kibaki-Regierung ist auch ein wichtiger Verbündeter der USA im "Krieg gegen den Terror" und hat bei der Ergreifung Dutzender angeblicher al-Qaida-Kader mitgewirkt. Die USA haben Kenia jüngst 14 Millionen Dollar für "Ausbildung und Ausrüstung" zukommen lassen. Anfang letzten Jahres wurde der Kenianer Abdulmalik Mohammed nach Guantanamo Bay überführt, nachdem er in Mombasa festgenommen und den Amerikanern übergeben worden war. US-Beamte gaben an, er habe gestanden, 2002 an dem Bombenanschlag auf ein Hotel in Mombasa beteiligt gewesen zu sein.

Muslimische Gruppen wehren sich gegen ein von den USA gefordertes Gesetz, das dem kenianischen Sicherheitsminister die Vollmacht geben würde, eine Person oder Organisation als "terroristisch" einzustufen. Ohne Zweifel hängen die Vorbehalte der USA gegen Odinga zum Teil damit zusammen, dass er muslimische Stimmen mit dem Versprechen gewonnen hat, ihre verfassungsmäßigen Rechte zu schützen.

US-Außenministerin Condoleezza Rice und der britische Außenminister David Miliband haben jetzt eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, in der sie beide Seiten zu einem "Geist des Kompromisses" ermahnen und sie auffordern, ihre Anhänger zur Beendigung der Gewalt zu bewegen. Der Vorsitzende der Afrikanischen Union, der ghanaische Präsident John Kufuor, ist nach Kenia entsandt worden, um die Lage zu beruhigen. Weil sie sehen, dass eine allein von Kibaki geführte Regierung wegen der großen Opposition gegen ihn nicht tragfähig wäre, fordern die USA und Großbritannien eine Regierung der nationalen Einheit. Trotz intensiver diplomatischer Bemühungen stecken die Verhandlungen in einer Sackgasse. Odinga weigert sich, in Gespräche mit Kibaki einzutreten, ehe dieser seinen Anspruch auf die Präsidentschaft aufgibt.

Siehe auch:
Mois designierter Nachfolger verliert die Wahlen in Kenia
(4. Januar 2003)
Loading