In Hessen und auch im Saarland wird gegenwärtig viel über eine Regierungszusammenarbeit von SPD und Linkspartei in Form einer Koalition oder Tolerierung auf Landesebene diskutiert. Die Linkspartei preist sich dabei als "linkes Korrektiv" der SPD und verspricht soziale Verbesserungen. Was eine so genannte "rot-rote" Zusammenarbeit wirklich bedeutet und welche Auswirkungen sie für die arbeitende Bevölkerung hat, macht ein Blick auf die Berliner Verhältnisse deutlich.
Seit Januar 2002 regiert in Berlin eine Koalition aus SPD und Linkspartei (früher PDS). Drei Funktionäre der Linkspartei bestimmen die Politik in wichtigen Bereichen: Harald Wolf - früher Mitglied einer pablistischen Gruppierung um die Zeitschrift Commune! Revue des revolutionären Marxismus - ist Senator für Wirtschaft, Technologie und Frauen. Heidi Knake-Werner - früher DKP-Mitglied - ist Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales. Und Katrin Lompscher - seit 1980 SED-Mitglied - ist Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz.
Nach fast sieben Jahren Regierungsverantwortung in wichtigen wirtschaftlichen und sozialen Bereichen kann man das Ergebnis ihrer Politik nicht anders als katastrophal bezeichnen. Unter ihrer politischen Verantwortung hat sich Berlin zur Hauptstadt der Armen und "Working Poor" entwickelt. Alle Bemühungen der Linkspartei, das wahre Ausmaß des sozialen Niedergangs zu beschönigen, laufen ins Leere.
Die Fakten sprechen eine klare Sprache:
Laut Gewerkschafts-Statistik sind in Berlin rund 244.000 Arbeitslose registriert. Davon erhalten derzeit über 198.000 Menschen Arbeitslosengeld (ALG) II, 44.000 erhalten ALG I. 110.000 Berliner brauchen zusätzlich zu ihrem minimalen Arbeitseinkommen staatliche Förderung. Berlin hat im Vergleich der deutschen Großstädte mit sieben Prozent die höchste Quote an Vollbeschäftigten und selbstständig Berufstätigen, die auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind (Working Poor).
In den Jahren 2003 bis 2006 ist die Zahl der als Leiharbeiter Beschäftigten um 111 Prozent gestiegen. Gleichzeitig stieg in der Zeit zwischen 2003 und 2006 die Zahl derer, die mit nur 400 bis 800 Euro Netto im Monat auskommen müssen, um 105 Prozent. 363.000 abhängig Beschäftigte, das ist ein Viertel aller Beschäftigten in Berlin, haben monatlich weniger als 900 Euro zur Verfügung. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur europäischen Entsenderichtlinie wurde benutzt, um sofort alle Initiativen, die darauf abzielten, bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen die Einhaltung von Mindestlöhnen zu erwirken, fallen zu lassen.
Das Haupt-Charakteristikum der "Links-Senatoren" ist ihr Opportunismus und die ständige Behauptung, eine andere Politik sei nicht möglich.
So bezeichnet Senatorin Heidi Knake-Werner (Integration, Arbeits und Soziales) Berlin oft als "die Hauptstadt prekärer Beschäftigungsverhältnisse" - also von Gelegenheitsarbeiten oder befristeter Jobs ohne soziale Absicherung -, ohne auch nur ein einziges Wort darüber zu verlieren, dass sie seit sieben Jahren für diesen Bereich verantwortlich ist.
Die Berliner Zeitung berichtete Ende Juli, dass die Senatorin eine Studie zum Thema "Das Ausmaß und die Struktur prekärer Beschäftigung in Berlin, Ursachen sowie politische Handlungsmöglichkeiten" in Auftrag gegeben hat. Nach dem die Ergebnisse der Studie vorlagen, hieß es im Büro von Knake-Werner, es handle sich bei dem Text nur um ein Arbeitspapier der Behörde, das nicht veröffentlicht werden solle. Offenbar hatte die Studie den Zusammenhang zwischen der von Wirtschaftsinteressen geprägten Politik und der sozialen Misere derart deutlich gemacht, dass die Linkspartei sie in der Versenkung verschwinden lassen wollte.
Auf Schritt und Tritt zeigt sich, wie bewusst und gezielt der "rot-rote" Senat die Interessen der Wirtschaftsverbände vertritt und gegen den Widerstand der Bevölkerung durchsetzt. Der Senat beschnitt als Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes die gesetzlichen Regelungen zur Mitbestimmung der Personalräte bei Einstellungen. Dies geschah, damit auch ohne die erforderliche Zustimmung des Personalrates kurzfristig Beschäftige mit minimalem Arbeitslohn - also prekär Beschäftigte - eingestellt werden können. Gleichzeitig wurden in den vergangenen sieben Jahren 15.000 nach Tarifvertrag bezahlte Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst gestrichen.
Eine Hauptforderung der Linkspartei war die Schaffung eines "öffentlichen Beschäftigungssektors". Nun stützt sie sich auf neue EU-Regelungen für eine "öffentlich geförderte Beschäftigung". Durch diese Maßnahme fließen Haushaltsmittel der Europäischen Union so genannten Personal-Service-Agenturen zu, die nichts anderes als staatlich geförderte Leiharbeitsfirmen sind. Die Fördermittel fließen direkt in die Taschen der an diesen Projekten beteiligten Privatfirmen. Doch nur ein geringer Teil des Geldes wird tatsächlich für die Bezahlung der Leiharbeiter aufgewendet, deren Bezahlung bei 15-20 Prozent unter dem vergleichbaren tariflichen Entgelt liegt.
Der Berliner Senat ist stolz auf seine Arbeitsplätze in diesem Sektor. Dabei wird das Problem der Arbeitslosigkeit durch die Schaffung von Jobs für Geringverdiener nur in den Niedriglohnsektor verlagert. Ein-Euro-Jobber zählen in der Arbeitslosenstatistik nicht mit. Hinzu kommt, dass der so genannte Niedriglohnsektor mit dem Sektor der tariflich bezahlten Arbeit konkurriert und diesen bedroht. In den letzten Jahren fand eine Aufteilung in den ersten, zweiten und dritten Arbeitsmarkt statt.
Das Problem der Arbeitslosigkeit wird zunehmend als individuelles Problem für Menschen mit "multiplen Vermittlungshemmnissen" und nicht mehr als gesellschaftliches Problem betrachtet, und die Betroffenen werden nicht nur in wachsendem Maße von staatlicher Unterstützung ausgegrenzt, sondern für ihr Schicksal selbst verantwortlich gemacht.
Kinder und Jugendliche
Aktuell sind in Berlin 4.700 erwerbslose Jugendliche unter 25 Jahren durch Vorgaben der Jobcenter (früheres Arbeitsamt) als Ein-Euro-Jobber angestellt und damit von Maßnahmen zur Weiterbildung ausgeschlossen. Viele haben keinen Schulabschluss. Lediglich weitere rund 3.800 erwerbslose Jugendliche können an berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen teilnehmen. Die gesetzlichen Vorgaben zur Förderung der Jugendlichen werden damit nicht eingehalten. Im Juli diesen Jahres gab es 24.000 arbeitslose Jugendliche in Berlin. Ferner liegt der prozentuale Anteil derjenigen, die auf Existenzsicherungsleistungen der Kommune angewiesen sind, in den Stadtbezirken mit einem großen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund erheblich höher.
Der Innensenator hat nun für die Ausländerbehörde vorläufige Anwendungshinweise entwickelt. Demnach sollen Jugendliche über 16 Jahren, die keine Aussicht auf Erreichen eines Schulabschlusses oder einer Berufsausbildung haben, in die Heimatländer abgeschoben werden, selbst wenn deren Eltern in Berlin leben (Tagesspiegel vom 19. August 08). Hier sind besonders viele Kinder von Armut betroffen und haben deshalb von Anbeginn an nicht die Möglichkeit einer optimalen Entwicklung.
Der Sozialhilfesatz für Kinder bis zu 15 Jahren liegt bei nur 208 Euro monatlich. Darin sind Ausgaben für Essen und Trinken mit 2,28 Euro am Tag vorgesehen sowie 0,76 Euro für Spielzeug. Es existiert in Berlin kein Rechtsanspruch der Eltern für die Erstattung notwendiger Ausgaben bei der Einschulung ihres Kindes. Ferner bleibt trotz vieler Proteste und Schülerstreiks die Lehrmittelfreiheit unter dem rot-roten Senat abgeschafft. Arme Kinder sind zunehmend abhängig von Suppenküchen, Kleiderkammern und Zuwendungen von Kirchen und Vereinen. Es zieht sich eine hohe Mauer durch Berlin, eine Mauer zwischen Arm und Reich.
Öffentlicher Dienst
Unter Führung des rot-roten Senats trat das Land Berlin im Jahre 2003 als erstes Bundesland aus dem Arbeitgeberverband des Bundes und der Länder aus, mit dem ausdrücklichen Ziel, nicht mehr an den Tarifvertrag gebunden zu sein. Der Senat koppelte sich damit von der Tarifentwicklung in den anderen Bundesländern ab. Mit dem Abschluss des so genannten Anwendungstarifvertrages wurden bei einer Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit die Gehälter je nach Einkommensgruppen um 8, 10 oder 12 Prozent gekürzt. Die Zusage, dass es dafür keine (betriebsbedingten) Kündigungen bis zum Ende des Vertrages im Dezember 2009 geben werde, ist reine Augenwischerei, weil über vielfältige andere Möglichkeiten die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst trotzdem abgebaut wurden und werden.
Nach monatelangen ergebnislosen Verhandlungen um eine Erhöhung des tariflichen Entgelts der im öffentlichen Dienst Beschäftigten, unterbrochen von kleineren und größeren Streikaktionen, versucht nun der Senat ein Lohndiktat durchzusetzen. Er lehnte weiter Verhandlungen ab und beschränkte die Lohnerhöhung auf eine jährliche Einmalzahlung von 300 Euro brutto für die Jahre 2008 und 2009.
Sozialleistungen
In Berlin wurden mehrere Schwimmbäder und einige wichtige Stadtteilbibliotheken geschlossen. Die Mieten steigen, der soziale Wohnungsbau wird drastisch reduziert. Dadurch kommt es zu einer Vertreibung der alteingesessenen Mieter aus den Stadtbezirken im Zentrum der Stadt. Der Berliner Mieterverein forderte vom Senat Einfluss zu nehmen, um die Preissteigerungen zu begrenzen. Doch stattdessen privatisiert der Senat landeseigene Wohnungsbaugesellschaften. Die Ausgaben der Kommune für gesetzliche Sozialleistungen wegen wachsender Altersarmut steigen an. 60-jährige Arbeitslose können seit Anfang diesen Jahres zwangsweise verrentet werden und müssen bis zu 18 Prozent Abschläge auf ihre Rente hinnehmen. Berlin liegt nach den Stadtstaaten Bremen und Hamburg an dritter Stelle in Bezug auf die jährlich pro Bewohner durchschnittlich zu zahlenden Sozialtransferleistungen (355 Euro).
Parallel dazu macht der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin(SPD) den Armen immer wieder zynische und provozierende Vorschläge, wie sie mit ihrem Elend umzugehen hätten. Beispielsweise reiche täglich ein halber Kohlrabi zur Deckung des Vitaminbedarfs, und warme Pullover machten im Winter auch eine Wohnung mit nur 16 Grad Zimmertemperatur erträglich. Ehrenamtlich tätige Sozialhilfeempfänger ließ er wissen: "Wer als Hartz-IV-Empfänger die Kraft für ein Ehrenamt hat, solle vielleicht auch einmal die Kraft aufbringen, sich um Arbeit zu bemühen und dort seine ersten Aktivitäten hineinlegen." Das ist an Arroganz und Verachtung für die sozial Schwachen kaum noch zu überbieten.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit(SPD) eifert seinem Innensenator nach. Er ließ anlässlich einer öffentlichen Präsentation seiner Autobiographie Pressevertreter wissen, dass er trotz gestiegener Lebensmittelpreise eine Anhebung der staatlichen Leistungen nach Hartz IV (Arbeitslosengeld II) für überflüssig und falsch halte. Menschen, die auf diese Leistungen angewiesen sind, seien sowieso nicht in der Lage, vernünftig mit dem Geld umzugehen. Ihnen solle besser ein Betreuer an die Seite gestellt werden.
Demokratische Mitgestaltung
Mit einer Volksabstimmung im Herbst 2006 wurde die Berliner Landesverfassung geändert. Der Senat pries die Einführung von Volksentscheiden als ein Mittel zur Stärkung der direkten Demokratie. Als aber in diesem Frühjahr über 66.000 Berliner ein Volksbegehren zur besseren Ausstattung der Berliner Kindertagesstätten unterschrieben, erklärte der Senat das Volksbegehren kurzerhand für unzulässig. Begründung: Die geforderte und notwendige Beschäftigung von mehr qualifizierten Erziehern verursache Mehrkosten von 96 Millionen Euro. Damit stelle diese Forderung einen "erheblichen Eingriff in die Budget-Hoheit des Parlamentes dar" und sei daher unzulässig.
Schon das Volksbegehren, das auf die Rückabwicklung der Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe gezielt hatte und auch das Volksbegehren zur Verhinderung einer Bebauung des Spreeufers hat der Senat mit dem Hinweis auf die finanziellen Auswirkungen zurückgewiesen und missachtet.
All diese Angriffe auf die arbeitende und in wachsendem Maße verarmte Bevölkerung trägt die Linkspartei mit, und viele dieser Maßnahmen stammen direkt aus ihren Büros. Auf den wachsenden Widerstand von unten reagiert die Linkspartei nicht wesentlich anders als die frühere SED. Sie beteiligt sich an der Einschränkung demokratischer Rechte.