General-Motors-Europachef Nick Reilly hat Dienstag letzter Woche den lange angekündigten Sanierungsplan für Opel vorgestellt. Von Sanierung kann aber keine Rede sein. Vielmehr sieht es so aus, als wolle GM nochmals kurzfristig auf Kosten von Arbeitern und Steuergeldern einen maximalen Profit herausschlagen. Spätestens Ende des Jahres droht dann der nächste "Sanierungsplan" mit weiterem Arbeitsplatzabbau, Lohnkürzungen und Werksschließungen.
Geht es nach GM, sollen die Beschäftigten von Opel- und Vauxhall mit Entlassungen und Lohnverzicht für die so genannte Sanierung zahlen. Europäische Länder mit GM-Standorten sollen zudem mit Steuergeldern bürgen. "Das mehrere hundert Seiten dicke Papier strotzt vor Halbwahrheiten und Luftbuchungen", schreibt der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafften mysteriöse Lücken.
Gegenwärtig beschäftigt Opel in Europa rund 48.000 Menschen, davon 24.300 in Deutschland. Der vorgelegte Abbauplan sieht offiziell den Wegfall von insgesamt 8.300 Stellen vor, davon 7.000 in der Produktion und 1.300 in Vertrieb und Verwaltung.
Hinzu kommen noch mehr als 1.500 Stellen, die über Altersteilzeit-Regelungen wegfallen, die aber nicht aufgelistet sind. "In internen Unterlagen (,strictly confidential’) ist bis 2014 der Abbau von 9.843 Arbeitsplätzen vorgesehen", schreibt der Spiegel.
Das Werk in Antwerpen mit rund 2.500 Arbeitsplätzen soll geschlossen werden. Rund 4.000 Arbeitsplätze sollen in Deutschland gestrichen werden. In Bochum sollen nach GM-Angaben 1.799 Stellen wegfallen, vor allem weil die Getriebeproduktion des Werks 2 ausläuft und ins österreichische Aspern verlagert werden soll.
Im ostdeutschen Eisenach werden 300 Arbeitsplätze gestrichen, obwohl Teile der Produktion aus dem spanischen Saragossa dorthin verlagert werden. In Spanien fallen 900 Arbeitsplätze weg. Das Werk in Kaiserslautern verliert 300 Stellen, das im britischen Luton 369.
Das Stammwerk in Rüsselsheim bleibt zwar exklusiver Produktionsstandort für alle Insignia-Modelle und erhält zusätzlich den Astra-Fünftürer ab 2011, dennoch sollen die Getriebefertigung verlagert und insgesamt 1.639 Stellen abgebaut werden - 862 in der Produktion, 635 in der Verwaltung und 142 im Ingenieurbereich.
In den Werken in Ellesmere Port (England), Aspern (Österreich), Gleiwitz (Polen) und Szentgotthard (Ungarn) ist unmittelbar kein Stellenabbau vorgesehen, zumindest nicht außerhalb von Altersteilzeit-Regelungen.
Für diesen Arbeitsplatzabbau rechnet GM 3,3 Milliarden Euro an Kosten ein. Die europäischen Länder mit Opel-Werken sollen rund 2,7 Milliarden Euro Staatshilfen beitragen, 600 Millionen Euro will GM selbst zahlen. Ob damit die letzte Rate für einen Kredit der Bundesregierung gemeint ist, die GM im letzten Jahr in dieser Höhe beglich, ist laut Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums unklar. Vielleicht ist aber auch die Vorauszahlung von Entwicklungsgeldern seitens GMs an Opel in Höhe von 650 Millionen Euro gemeint. Mit einer Beteiligung an der Sanierung haben diese Gelder beide nichts zu tun.
Klar ist aber, dass 1,2 Milliarden Euro vor allem von Spanien, Großbritannien und Österreich verlangt werden. Deutschland soll sich mit 1,5 Milliarden Euro beteiligen, wobei das Geld je zur Hälfte von Bund und Ländern kommen soll. Dies berichten die beteiligten Opel-Bundesländer Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen.
Die Ministerpräsidenten der Opel-Bundesländer haben sich bereit erklärt, insgesamt 750 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Sie verlangen aber, dass GM die von der Bundesregierung verlangten 750 Millionen Euro übernimmt. Sie selbst glauben nämlich nicht daran, dass die Bundesregierung sich an den Kosten für den Arbeitsplatzabbau beteiligen wird.
Die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte letztes Jahr Milliardenkredite zugesagt, als GM noch den Verkauf seiner europäischen Sparte an den kanadisch-österreichischen Autozulieferer Magna in Aussicht stellte. Grund war die Bundestagswahl vom vergangenen Oktober, in der die damalige regierende Große Koalition aus SPD und CDU/CSU eine Auseinandersetzung über Opel um jeden Preis vermeiden wollte, und die Aussicht, über den Magna-Deal Zugang zum russischen Automobilmarkt zu gewinnen. Doch als dann GM im November überraschend beschloss, Opel zu behalten, wertete Merkel dies als offenen Affront.
Schon damals hatten verschiedene Kräfte jegliche Kreditzusagen an Opel und Magna abgelehnt und eine Insolvenz befürwortet, darunter der damalige Bundeswirtschaftsminister und jetzige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und breite Teile der FDP. Nun haben diese Kräfte Oberwasser. Der jetzige Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hat GM bereits wissen lassen, dass man von ihm bitte keine Hilfe erwarten solle, berichtet der Spiegel.
Brüderle versucht, die Europäische Union vorzuschieben. Er habe den Vizepräsidenten der EU-Kommission, Joaquin Almunia, gebeten, "kritisch zu untersuchen, ob das Unternehmenskonzept tragfähig ist und ob Wettbewerbsverzerrungen in Europa ausgeschlossen werden könne", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Darauf habe sich Deutschland mit Brüssel und den anderen Mitgliedsstaaten verständigt. Die Kommission wolle sich am kommenden Freitag mit dem Thema Opel beschäftigen.
Die EU-Wettbewerbskommission Almunias weiß allerdings nichts von einer solchen Vereinbarung. Eine Sprecherin erklärte, dass zunächst die Regierungen der EU-Staaten mit Opel-Werken entscheiden müssten, ob sie Staatshilfe bereitstellen wollten. Anschließend müssten sie darüber die Kommission informieren. Dies habe aber bislang nicht stattgefunden.
Auch die anderen Autohersteller in Deutschland sprechen sich nach wie vor vehement gegen neue Kreditzusagen für Opel aus. Daimler-Chef Dieter Zetsche sagte im Spiegel : "Nachdem sich General Motors entschieden hat, Opel zu behalten, ist es Sache von GM, die Zukunft von Opel zu gestalten und zu finanzieren."
Während sich die Regierenden noch über die Zusage von Krediten streiten, sind sich die Opel-Betriebsräte einig, die geforderten Lohnkürzungen von 265 Millionen Euro im Jahr durchzusetzen. Anders kann man ihre Passivität nicht deuten. Sie erklären zwar gebetsmühlenhaft, die angekündigten "Arbeitnehmerbeiträge" zur Sanierung - so umschreiben Betriebsräte und Gewerkschaft IG Metall den Umstand, dass die Arbeiter den Abbau ihrer eigenen Arbeitsplätze finanzieren sollen - seien noch nicht vereinbart. Doch das ist nur eine Frage der Zeit.
Obwohl die Schließung des Werks in Antwerpen mit fast 2.500 Beschäftigten bereits Mitte des Jahres ansteht, erklärt der europäische Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz gelassen, bislang sei noch nicht einmal ein Termin zu weiteren Verhandlungen vereinbart. Eilig hat er es offenbar nicht. Tatsächlich haben die deutschen Betriebsräte die Schließung von Antwerpen immer stillschweigend unterstützt in der Hoffnung, es würden so mehr Arbeitsplätze in Deutschland bleiben.
Auch die Betriebsratskollegen in anderen Ländern halten die Beschäftigten mit leeren Versprechungen still. Während von den britischen, spanischen, österreichischen, polnischen und ungarischen Betriebsräten kaum etwas zu hören ist, erklären die deutschen Betriebsräte allesamt, ihre Werke seien nun "gesichert". Dabei ist dies insbesondere für das Werk in Eisenach fragwürdig, für das in Bochum ganz und gar unglaubwürdig.
Die Getriebefertigung in Bochum mit 800 Beschäftigten soll auslaufen, Doch der dortige Betriebsratsvorsitzende Rainer Einenkel beschwichtigt und erklärt, er verhandele mit GM darüber, das Getriebewerk bis 2012 oder 2013 zu halten. Hier seien noch Gespräche mit der Geschäftsführung nötig. Grundsätzlich "begrüßte" er die Aussagen Reillys.
"Die Pläne, in Bochum 1.800 Arbeitsplätze abzubauen, kennen wir schon lange", erklärte Einenkel der Tageszeitung. Dann würden nur noch rund 3.000 Männer und Frauen bei Opel arbeiten. Während die belgischen Opel-Arbeiter um ihr Werk bangen, erklärt Einenkel, Bochum müsse "als Standort keinen Verteidigungskampf mehr führen: General Motors wollte bisher fünfmal das Bochumer Werk schließen. Davon ist jetzt immerhin keine Rede mehr."
Das ist falsch wie Einenkel weiß. Schon bald wird in Bochum nur noch ein Modell, der Siebensitzer Zafira gebaut. Selbst mit dann nur noch 3.000 Beschäftigten ist das auf mittelfristige Sicht kein Garant für den Erhalt des Werks. Einenkel vertröstet darauf, dass der Astra Caravan, der derzeit in England gebaut wird, bald nach Bochum verlegt werde. "Wenn er in Deutschland gebaut wird, dann in Bochum. Diese Zusage ist uns wichtig", so Einenkel. Auch der Bau des Elektroautos Ampera in Bochum ist erst einmal ein hohles Versprechen. GM ist nicht dafür bekannt, diese einzuhalten.
GM will laut Sanierungsplan bis 2014 elf Milliarden Euro in neue Modelle investieren. Die Modellpalette soll allein in den kommenden zwei Jahren zu 80 Prozent erneuert werden. Woher GM das Geld nehmen möchte, ist allerdings unklar. Auf die Frage, was er vorhabe, sollte doch "Druck" notwendig sein, antwortete Einenkel: "Ich hatte Gespräche mit Ministerpräsident Rüttgers [CDU], mit SPD-Chefin Kraft und mit Wirtschaftsministerin Thoben [CDU]. Bei einer Gefährdung stehen wir zusammen." Seine Verbündeten stehen derzeit alle im Wahlkampf für die Landtagswahl im Mai.
"Der Sanierungsplan (,Viability Plan II’) vom Juni vergangenen Jahres sah noch die Schließung der Werke in Bochum und Eisenach vor. Nach dem jetzt vorgestellten neuen,Viability Plan VI’ ist das nicht mehr nötig", schreibt der Spiegel und fragt: "Warum? Haben sich die betrieblichen Notwendigkeiten binnen weniger Monate so grundlegend geändert?"
Nichts hat sich geändert. Im Gegenteil: Durch das Ansteigen der Arbeitslosigkeit und das Auslaufen der Abwrackprämie werden die Zulassungszahlen sinken anstatt steigen. Wenn erst einmal das Werk in Antwerpen durch die nationalistische Spalterpolitik der Betriebsräte geschlossen ist, werden die nächsten Werksschließungen angekündigt. Das Werk in Bochum, 1962 erbaut, steht dann auf der GM-Streichliste ganz oben. Der so genannte "Sanierungsplan" von GM ist ein Abwrackplan für Opel in Europa auf Raten.