Am 3. August 1981 streikten in den USA 15.000 Mitglieder der Gewerkschaft der Fluglotsen (Professional Air Traffic Controllers Organization (PATCO) gegen ihren Arbeitgeber, die Federal Aviation Administration (FAA). Über Jahre hinweg hatten Beschäftigungsniveau und Sicherheitsmaßnahmen nicht Schritt gehalten mit dem zunehmenden kommerziellen Luftverkehr. Extremer Stress zwang eine Großzahl von Kontrolleuren in den vorzeitigen Ruhestand. Die PATCO-Angestellten forderten eine kürzere Wochenarbeitszeit, Lohnerhöhungen und zusätzliche Einstellungen.
Nur wenige Stunden nach Streikbeginn hielt Präsident Ronald Reagan im Rosengarten des Weißen Hauses eine Rede, in der er sich auf das Taft-Hartley-Gesetz, ein Anti-Streik Gesetz aus dem Jahr 1947, berief und die Fluglotsen unter Androhung von Entlassungen aufforderte, innerhalb von zwei Tagen zur Arbeit zurückzukehren. Die Anweisung der Reagan-Regierung war einfach zu verstehen: Der Streik ist zu beenden und die Gewerkschaft hat sich den Befehlen des Weißen Hauses unterzuordnen. Es gibt keine Verhandlungen.
Die Fluglotsen widersetzten sich dem Aufruf, wieder an die Arbeit zu gehen, in Massen. Zwölf- bis Dreizehntausend streikten weiter. Jedoch wurde der Kampf vom Gewerkschaftsdachverband, der American Federation of Labor and dem Congress of Industrial Organizations (AFL-CIO), isoliert und verraten, trotz seiner Hartnäckigkeit und Solidarität sowie der starken Unterstützung in der Arbeiterklasse, was in einer Solidaritätsdemonstration von 500.000 Menschen am 19. September in Washington D.C. zum Ausdruck kam. Die Bürokratie der AFL-CIO in den USA und in Kanada, ließ zu, dass die Mitglieder anderer Luftfahrtgewerkschaften die Streikposten der PATCO-Mitglieder durchbrechen.
Am Ende des Jahres wurde klar, dass die Fluglotsen geschlagen waren. Die Reagan-Regierung und die Gerichte verboten die Gewerkschaft und alle streikenden Fluglotsen wurden auf eine schwarze Liste gesetzt. Ihnen wurde die Ausübung ihres Berufs für den Rest ihres Lebens unmöglich gemacht.
Die Aggressivität der herrschenden Klasse verblüffte die Arbeiter. Aber Reagans Rücksichtslosigkeit – die zu Dutzenden Verhaftungen und Gefängnis für vier militante Fluglotsen in Texas führte – wurde durch die AFL-CIO Bürokratie erst ermöglicht. Obwohl die Bedrohung offensichtlich war, die Reagans Angriff für die gesamte Arbeiterbewegung darstellte, weigerte sich die AFL-CIO beharrlich, die Arbeiterklasse, stärker zu mobilisieren, obwohl immer wieder Forderungen nach einem Generalstreik laut wurden. Stattdessen versuchten die Gewerkschaften, die Wut der Arbeiterklasse in Unterstützung für die Demokratische Partei zu kanalisieren.
Reagans Zerschlagung von PATCO war ein verheerender Angriff auf die Gewerkschaften. Dabei handelte es sich um eine parteiübergreifende Operation, die mit stillschweigender Unterstützung der Demokraten ermöglicht wurde. Selbst der Einsatz von Militär zum Streikbruch beruhte auf einer Streiknotfallverordnung, die im Jahr 1980 unter dem damaligen demokratischen Präsidenten Jimmy Carter ausgearbeitet worden war.
Die AFL-CIO gab der Reagan-Regierung die Zusicherung, dass sie dem Streikbruch und den gewerkschaftsfeindlichen Maßnahmen des Staates nichts entgegensetzen werde. Angesichts des Drucks, den Arbeiter mit ihrer Forderung nach umfassenderen Streikmaßnahmen zur Unterstützung von PATCO ausübten, erklärte Lane Kirkland, Präsident der AFL-CIO, bereits zu Beginn des Kampfes, dass er „alles ablehnen werde, was die Öffentlichkeit insgesamt für die Sünden oder Missetaten der Reagan-Regierung in Haftung nehme.“ Reagan konnte sich also der Ergebenheit der Gewerkschaftsbürokratie so sicher sein, dass er sein Zurück-zur-Arbeit-Ultimatum sogar am 3. August stellte, dem Tag, an dem in New York City der Exekutivrat der AFL-CIO tagte.
Die von der Regierung organisierte Zerstörung von PATCO war ein Signal an das Big Business, einen massiven Angriff auf die gesamte Arbeiterbewegung zu starten. Im nächsten Jahrzehnt wurden streikbrechende und gewerkschaftsfeindliche Maßnahmen in praktisch jedem Wirtschaftssektor angewandt: im Luft- und Bodentransportwesen, in der Automobil- und Stahlindustrie, im Bergbau und Einzelhandel. Methoden, die seit den 1930er Jahren nicht mehr angewandt worden waren, kamen wieder zum Einsatz, um den erbitterten Widerstand der Arbeiter gegen Lohnkürzungen und andere Zugeständnisse zu brechen. In den 1980er Jahren tauchten wieder von den Firmen angeheuerte Schläger und bewaffnete Privatpolizei auf, Gerichtsverfahren gegen Gewerkschaften aufgrund falscher Beschuldigungen fanden ebenso statt wie gewaltsame Angriffe auf Streikposten. Jeder größere Streikkampf wurde von der Gewerkschaftsführung vorsätzlich isoliert und verraten. Die United Auto Workers (UAW), die AFL-CIO und praktisch jede größere Gewerkschaft betrieb Korporatismus – d. h. die vollständige Unterordnung der Arbeiterklasse unter die Konzerne. Dadurch wurden enge Strukturen zwischen den Gewerkschaften mit dem Management geschaffen, um den Klassenkampf zu unterdrücken.
Auf diese Weise markierte der Verrat an der PATCO den Zusammenbruch der Gewerkschaften und ihre schnelle Umwandlung in Agenturen der Konzerne und des Staates.
Die Workers League, die Vorgängerin der amerikanischen Partei für Soziale Gleichheit (Socialist Equality Party – SEP), spielte eine führende Rolle im PATCO-Streik. Indem sie die verhafteten Arbeiter verteidigte, erhielt die Workers League die Unterstützung zahlreicher PATCO-Mitglieder. Reporter des Bulletin, dem Vorgänger der World Socialist Web Site, interviewten Dutzende der Streikenden und ihre Familien in Städten im ganzen Land.
Die Workers League rief unaufhörlich zu einer Ausweitung des Streiks auf die gesamte Arbeiterklasse auf. Sie pochte darauf, dass die Bedingungen für eine Ausweitung des Streiks nur durch einen politischen Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie und die Demokratische Partei zu erreichen seien. Die Workers League betonte die Notwendigkeit eines außerordentlichen Arbeiterkongresses, der organisierte Arbeiter und nichtorganisierte Teile der arbeitenden Bevölkerung zusammenbringen sollte, um eine auf die Gewerkschaften gestützte Arbeiterpartei zu begründen, die für eine Arbeiterregierung und für sozialistische Politik kämpft. Die Partei erklärte, dass ohne einen solchen Kampf der PATCO-Streik nicht gewonnen werden könne. Sie warnte, dass eine Niederlage des PATCO-Streiks der Ausgangspunkt für Angriffe auf die gesamte Arbeiterklasse werden würde.
Während eine starke Solidarität – begleitet vom Wunsch nach einer Machtprobe mit der Reagan-Regierung – unter den Arbeitern anhielt, fehlte überwiegend die Einsicht in die Notwendigkeit sozialistischer Konzeptionen, um den Kampf gewinnen zu können. Dies war selbst das Produkt eines langen historischen Prozesses. Jahrzehnte des Antikommunismus, der von der AFL-CIO geschürt wurde, hatten in den 1980er Jahren zur Folge, dass vielen Arbeitern entscheidende historische Erfahrungen vorenthalten wurden, darunter die entscheidende Rolle, die Sozialisten bei der Bildung der Industriegewerkschaften in den 1930er Jahren gespielt hatten.
Die Niederlage von PATCO markiert die Grenze zweier Perioden in der Geschichte der USA. Von den 1930er bis in die 1970er Jahre hatte die Gewerkschaftsbewegung der Vereinigten Staaten beträchtlichen Einfluss in der Arbeiterklasse. Die Siege der Industriegewerkschaften in den 1930er Jahren, die Massenstreikwellen der Arbeiterklasse am Ende des Zweiten Weltkrieges, die anhaltende großflächige Streikbewegung in den 1950er und 1960er Jahren und die Streikwelle zwischen Ende der 1960er bis zur Mitte der 1970er Jahre – all dies zwang der amerikanischen herrschenden Klasse bedeutende Zugeständnisse ab. Diese fürchtete das Ausbrechen einer von Sozialisten geführten Arbeiterrevolution, wie sie 1917 in Russland stattgefunden hatte. Diese Epoche brachte eine erhebliche Verbesserung im Lebensstandard, die Ausweitung demokratischer Rechte auf schwarze Arbeiter im Süden und die Einführung eines begrenzten Sozialstaates.
[Bild] Truppen vor den Phelps Dodge Bergwerken 1984
Die PATCO-Niederlage diente als Muster für jeden weiteren Streik, der in den 1980er bis zum Beginn der 1990er Jahre stattfand. Die Arbeiter führten bei Phelps Dodge, Greyhound, United Airlines, AT Massey, Hormel, Caterpillar hartnäckige und erbitterte Kämpfe. Es war nicht fehlender Kampfgeist, der die Niederlagen in diesen und anderen Streiks aus dieser Phase verursachte. Vielmehr isolierte und demoralisierte in jedem dieser Fälle die Gewerkschaftsbürokratie bewusst die Streikenden und fügte ihnen die Niederlagen zu.
Seit den schweren Niederlagen der 1980er und 1990er Jahre sind Streiks in den USA praktisch verschwunden. Der Mangel an organisiertem Widerstand aufseiten der Arbeiterklasse hat den Appetit der Bourgeoisie angeregt, was sich in der steigenden Konzentration des Reichtums in den Vereinigten Staaten widerspiegelt, die seit den 1970er Jahren stattfindet. Stück für Stück wurden die Errungenschaften des 20. Jahrhunderts wieder rückgängig gemacht, der sich seit der Finanzkrise im Jahr 2008 und dem Regierungsantritt des Obama-Kabinetts beschleunigt hat.
Der Einbruch bei den Mitgliederzahlen der Gewerkschaften auf den geringsten Stand seit einem Jahrhundert im Privatsektor – und die fortgesetzten Senkungen der Löhne und des Lebensstandards der amerikanischen Arbeiterklasse spiegelten sich aber keineswegs in einer Senkung der Einkommen und des Wohlstands der Gewerkschaftsbürokratie wider. Tausende der Gewerkschaftsbürokraten verfügen selbst über Einkommen von über 100.000 Dollar jährlich, Hunderte von ihnen streichen ab 200.000 Dollar aufwärts ein. Die Gewerkschaften haben lediglich ihre Einbindung in die Demokratische Partei vertieft. Bei jeder Wahl fließen diesen „Freunden der Arbeiter“, die jederzeit aufseiten der Konzerne und Banken stehen, zig Millionen Dollar zu.
Dreißig Jahre später ist deutlich geworden, dass der PATCO-Streik nur eins einer ganzen Serie von internationalen Ereignissen war, die eine globale Offensive der herrschenden Klasse gegen die arbeitende Klasse signalisierte. Er war nicht nur der Vorbote des Zusammenbruchs der amerikanischen Gewerkschaften, sondern weltweit aller Arbeiterbürokratien und Arbeiterparteien, die sich auf Nationalismus und Klassenkompromiss gründeten. Der Prozess, der in der Umwandlung der amerikanischen Arbeitergewerkschaften in Wirtschaftsunternehmen gipfelte, hatte sein Spiegelbild in der Entscheidung, die die stalinistische Bürokratie Ende der 1980er Jahre fällte, als sie ihre konterrevolutionäre Mission mit Liquidierung der Eigentumsverhältnisse krönte, die die Oktoberrevolution 1917 begründet hatte.
Die herrschende Klasse verstand die weitreichenden Konsequenzen der Zerschmetterung von PATCO sehr gut. Wenige Tage nach Beginn der Streiks schrieb das Wall Street Journal in einen Leitartikel, dass Reagan „aus viel weiterreichenden Gründen, die absolut nichts mit der Federal Aviation Administration und PATCO zu tun haben“, gegen die Luftlotsen einen Erfolg erringen müsse. Viel wichtigere Fragen, so führte der Leitartikel aus, seien „die Notwendigkeit zur Wiedererlangung militärischer Stärke, die Wiederherstellung der Stabilität des Dollars, die Verminderung der Steuern und Regulierungen, Widerstand gegen den Sowjetimperialismus und die Zügelung der wild wuchernden Bundesausgaben.“
Das Bulletin kommentierte am 11. August 1981: “Kurz gesagt betrachtet die herrschende Klasse die Zerstörung von PATCO als untrennbar von ihrer allgemeinen kapitalistischen Politik verbunden, die das Profitsystem mit uneingeschränkter weltweiter Militarisierung und brutalen Sparmaßnahmen für die arbeitende Klasse in den Vereinigten Staaten verteidigt."
Rosa Luxemburg sagte über das Proletariat, dass die “geschichtliche Erfahrung seine einzige Lehrmeisterin ist.” Weiter schrieb sie: „Sein Dornenweg der Selbstbefreiung ist nicht bloß mit unermesslichen Leiden, sondern auch mit unzähligen Irrtümern gepflastert. Das Ziel seiner Reise – und seine Befreiung hängt davon ab, ob das Proletariat versteht, aus seinen eigenen Irrtümern zu lernen.“[Juniusbroschüre]
Für die heutigen arbeitenden Klassen ist es von existenzieller Bedeutung, Schlüsse aus den Fehlern der Vergangenheit zu ziehen. Mit dem Schicksal von PATCO zeigte die Geschichte auf, dass eine Arbeiterbewegung, die sich auf Antikommunismus, die Verteidigung des Profitsystems und Nationalismus gründet, nicht überlebensfähig ist und zu Grunde geht. Das Ziel dieses Artikels über den PATCO-Kampf ist, die zentralen politischen Lehren aus dieser Erfahrung zu ziehen und die Arbeiter mit einer sozialistischen Perspektive zu bewaffnen, die für den Sieg in den Massenkämpfen benötigt wird, in die wir heute eintreten.
Von 1968 bis 1975 erfuhr der Weltkapitalismus mehrere ökonomische und politische Krisen. Hochindustrialisierte Länder wurden von massiven Streikwellen erschüttert, was in Frankreich 1968 revolutionäre Ausmaße erreichte. 1974 fegte in Großbritannien ein Streik der Bergarbeiter die konservative Heath-Regierung aus dem Amt. Die rechten Diktaturen in Portugal und Griechenland wurden gestürzt.
Im Zentrum der Weltkrise stand der amerikanische Kapitalismus. Mit dem Fall von Saigon im Jahr 1975 endete der imperialistische Krieg der USA in Südostasien mit einer vernichtenden Niederlage. Im Jahr darauf musste Präsident Richard Nixon wegen des Watergate-Skandals, der in Zusammenhang mit dem Debakel in Vietnam stand, zurücktreten.
Die gewaltigen finanziellen Kosten des Vietnamkrieges hatten den Niedergang des amerikanischen Kapitalismus und den Schwund der amerikanischen Goldreserven beschleunigt. Nixons einseitige Aufhebung der Golddeckung des Dollars im Jahr 1971 war eine Reaktion auf die Krise. Sie stoppte aber nicht den Abstieg des US-Kapitalismus im Vergleich zu seinen europäischen und asiatischen Rivalen, sondern verstärkte die hohe Inflation, welche für die 1970er Jahre typisch war.
Die Vereinigten Staaten und andere Länder erlebten in den 1970er Jahren eine erhöhte Streikaktivität, besonders in den ersten fünf Jahren des Dezenniums. Überall im Land fanden militante Streiks statt. Dies spiegelt sich im Bulletin wider, der Zeitung der Workers League, der Vorgängerin der Socialist Equality Party. Die Reporter des Bulletin berichteten über Hunderte dieser Streiks. Beharrlich kämpfte die Workers League für die Mobilisierung der Arbeiterbasis gegen die Gewerkschaftsbürokratie und ihre Politik der Klassenzusammenarbeit, sowie gegen eine Unterstützung der Demokraten, der Partei des Big Business.
Die führende Rolle, welche die Workers League spielte, kontrastierte aufs Schärfste mit der Gleichgültigkeit der radikalen Protestgruppen, die die amerikanischen Arbeiter als pro-imperialistisch und rassistisch beschimpften und von den Gewerkschaften als „Arbeitsplatzkartelle der Weißen“ sprachen. Das Milieu der kleinbürgerlichen Radikalen hatte sich seit dem Abflauen der Antivietnamkriegsproteste in den frühen 1970er Jahren nach rechts bewegt.
Die Streiks in den 1970er Jahren wurden sehr stark durch die hohe Inflation angeheizt. Die Arbeiter bemühten sich angesichts der steigenden Preise, die Kaufkraft ihrer Löhne zu erhalten. Es gelang ihnen bis zu einem gewissen Grad, ihre Löhne mit der Inflationsrate im Gleichgewicht zu halten. Manchmal erreichten sie Lohnerhöhungen, die über der Inflationsrate lagen. So sicherten sich 1971 die Stahlarbeiter eine dreißigprozentige Erhöhung über drei Jahre. Obwohl die Bürokratie der AFL-CIO verhindern konnte, dass diese Kämpfe sich zu einer Herausforderung für das Zwei-Parteien-Systems auswuchsen, war die Situation vom Standpunkt des US-Kapitalismus untragbar.
Paul Volcker, Vorstandsmitglied der Chase Manhattan Bank, wurde 1979 vom demokratischen Präsidenten Jimmy Carter zum Vorsitzenden des Federal Reserve Board (Fed), der US-amerikanischen Notenbank, ernannt. Im selben Jahr brachte er die Haltung der herrschenden Klasse auf den Punkt, als er erklärte: „Der Lebensstandard des Durchschnittsamerikaners muss sinken.“
Volcker führte eine "Schocktherapie" ein: Die Erhöhung des Leitzinses auf über zwanzig Prozent zielte darauf ab, die Inflation zu stoppen und die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse durch die Schaffung von Massenarbeitslosigkeit zu untergraben. Die Notenbank, die im Namen der Carter-Regierung und der amerikanischen herrschenden Klasse handelte, arbeitete bewusst auf die Schließung großer Teile der amerikanischen Produktionskapazitäten hin, die nicht mehr profitabel waren. Über 6,8 Millionen Jobs gingen von 1978 bis 1982 durch Fabrikschließungen verloren. Ganze Städte und Regionen – vornehmlich solche, die Massenproduktionsindustrie und Industriegewerkschaften aufwiesen – wurden entvölkert, darunter sehr viele im industriellen Mittelwesten.
Allerdings war es nicht damit getan, die wirtschaftlichen Bedingungen zu Ungunsten der Arbeiter zu verändern, wie die Erfahrung gelehrt hatte. Nixons Versuch aus dem Jahr 1971, Lohnkontrollen einzuführen, hatte nicht zur Eindämmung der Streiks der 1970er Jahre geführt. Die herrschende Elite war auf der Suche nach einem entscheidenden Schlag gegen die Arbeiterbewegung. Das Ziel war, die Arbeiterklasse einzuschüchtern und zu schwächen, sowie gleichzeitig die private Industrie zu einer gewerkschaftsfeindlichen Kampagne zu ermuntern.
Der Schlag musste sorgfältig erwogen werden. Während des hundertelf Tage dauernden Streiks der Kohlebergarbeiter zur Jahreswende 1977/78 unternahm Carter den Versuch, das Taft-Hartley-Gesetz mitsamt seiner „Zurück-an-die Arbeit“-Verordnung gegen die Bergarbeitergewerkschaft, die United Mine Workers of America (UMWA), anzuwenden. Die Bergleute machten sich über den Befehl lustig und verbrannten Kopien von Carters Verordnung. Carter wurde besiegt und verlor das Vertrauen der herrschenden Klasse.
Daher wurde ein anderes Zielobjekt benötigt. Als die UMWA im Mai 1981, nur drei Monate vor dem PATCO-Kampf, erneut einen nationalen Streik einleitete, wandte die Reagan-Regierung das Taft-Hartley-Gesetz nicht an und griff nicht direkt ein. Dagegen waren die Vorbereitungen schon weit fortgeschritten, an der kleinen und relativ isolierten Gewerkschaft PATCO ein Exempel zu statuieren.
Zu Beginn des Jahres 1980 arbeitete die Carter-Regierung detaillierte Pläne aus, um die Fluglotsen in den Griff zu bekommen. PATCO war sich darüber im Klaren, dass sie in Carters Fadenkreuz geraten war. Aus diesem Grunde unterstützte sie 1980 Reagans Präsidentschaftskandidatur, nachdem dieser der Gewerkschaft versichert hatte, dass er sich ihrer Probleme annehmen werde.
Die AFL-CIO, die United Auto Workers und andere Gewerkschaften hatten bereits klar gemacht, dass sie keinen ernsthaften Kampf gegen gewerkschaftsschädigende Maßnahmen oder Lohnkürzungen führen würden. Die Chrysler-Rettungsaktion im Jahr 1979 war ein Wendepunkt gewesen.
Die United Auto Workers (UAW), eine der mächtigsten Gewerkschaften der USA, unterzeichnete Zugeständnisse bei Löhnen und Sozialleistungen, um damit ein Staatsdarlehen zu sichern, das Chrysler vor dem Bankrott rettete. Die UAW erzählte den Arbeitern, es handle sich um eine einmalige Zuwendung an die Firma, die aufgrund außerordentlicher Umstände notwendig geworden sei, und das Opfer der Arbeiter werde das Unternehmen wieder profitabel machen. Später würden die verlorenen Löhne nachgezahlt. Wie die Workers League damals warnte, war dieser von der UAW mit Chrysler ausgearbeitete Betrug nur der Beginn einer Politik der Zugeständnisse, die seitdem fortgesetzt und immer weiter ausgeweitet wurde.
Das Bulletin warnte 1979: “Angesichts des Bankrotts von Chrysler stellt sich eine wesentliche Frage: Wer soll für den Zusammenbruch des kapitalistischen Profitsystems aufkommen – die arbeitenden Klassen oder die Wirtschaft? Die Antwort der Wirtschaft, der Banken, der Demokraten, der Carter-Regierung und der UAW-Bürokratie versteht sich von selbst: Es ist die Arbeiterklasse.“
Die Rolle der Carter-Regierung bei der Durchsetzung des Chrysler-Rettungsplanes auf dem Rücken der Autoarbeiter legte die Tatsache bloß, dass die Demokratische Partei nicht dazu gebracht werden konnte, die Interessen der Arbeiter zu vertreten. Ihr liberaler Flügel, geführt von Senator Edward Kennedy aus Massachusetts, spielte einen entscheidenden Part bei der Lohnsenkung und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Kennedy stand an der Spitze des Vorstoßes, der die Transport- und Luftfahrtindustrie deregulierte. Das hatte zur Folge, dass die PATCO-Arbeiter in den Kampf getrieben wurden.
Vertreter der Carter-Regierung übernahmen später öffentlich die Verantwortung für den gewerkschaftsfeindlichen Plan, PATCO zu vernichten. Der Plan wurde Anfang 1980 von Langhorne M. Bond entwickelt. Dieser war Leiter der Federal Aviation Administration (FAA) und arbeitete mit Clark H. Onstad zusammen, dem obersten Anwalt der FAA. Beide waren von Carter berufen worden. Bereits 1978 begann Onstad mit der Ausarbeitung von Plänen, die die Kriminalisierung von PATCO-Streiks beabsichtigten. Diese diskutierte er mit Philip B. Heymann, Carters stellvertretendem Justizminister und Leiter der Abteilung für Strafrecht des Justizministeriums.
“Die unglaublich detaillierte Planung nahm über ein Jahr in Anspruch, weil wir wussten, dass der Streik stattfinden würde“, sagte Onstad während des Streiks der New York Times. Die Times bemerkte: “Reagans Regierungsvertreter greifen die von der Carter-Regierung ausgearbeiteten Pläne enthusiastisch auf und setzen sie in die Tat um.“
Diese Pläne dürfen nicht nur von einem rein finanziellen Standpunkt aus betrachtet werden. Wie die PATCO-Arbeiter bemerkten, verursachte allein die Einarbeitung neuer Luftlotsen enorme Kosten, nicht zu sprechen von dem Schaden, den die Wirtschaft infolge der unvermeidlichen Beschränkung der kommerziellen Flüge erlitt. Die Fluglotsen wurden von den Medien generell als privilegiert, verhätschelt und arrogant dargestellt. Doch ihre Anliegen stießen weitestgehend auf Zustimmung, so ging es dabei um ernsthafte Sicherheitserwägungen für Piloten und Passagiere.
Die PATCO-Fluglotsen bezogen höhere Löhne als die meisten amerikanischen Arbeiter, dafür waren sie hochqualifiziert. Sie übten eine Arbeit aus, die ein Höchstmaß an Stress mit sich brachte und trugen eine immense Verantwortung für die Sicherheit und das Leben anderer Menschen.
In Diskussionen mit den Reportern des Bulletin sagten die PATCO-Streikenden wiederholt, sie seien zum Streik gezwungen worden, da die Unterbesetzung der Belegschaft und andere Maßnahmen der FAA das Stressniveau ihrer Arbeit bis zum Siedepunkt angeheizt hätten. Die Arbeiter klagten über die Länge und Intensität der Schichten, welche den üblichen Stress noch erhöhten.
Zermürbende Arbeitsbedingungen trieben viele aufgrund von Gesundheitsproblemen in die Frühverrentung. „Unsere Aufgabe ist es, Flugzeuge auf Distanz zu halten“, sagte John Neece, Luftlotse am Detroit Metropolitan-Flughafen, damals dem Bulletin. „Wir verhindern, dass sie zusammenstoßen. Man kann sich nie wirklich daran gewöhnen. (…) Während der zwölf Jahre, die ich hier bin, habe ich nur einen Kollegen gesehen, der unter normalen Bedingungen in Rente ging. Zwanzig andere gingen wegen Gesundheitsproblemen: Sie hatten üble Geschwüre, Nervenleiden, Herzprobleme. Ich bin jetzt achtunddreißig, und meine Chancen, es bis zur Pensionierung zu schaffen, sind gering. Wenn man wegen Gesundheitsproblemen geht, dann geben sie einem vierzig Prozent des Gehalts und sagen: Scher dich zum Teufel! (...) Was wir hier machen, ist wie dreidimensionales Schach. Nur dass Schachmatt in diesem Spiel bedeutet: Du bist hinüber.“
“Wir haben keine Pausen“, sagte Tom King, ein weiterer Fluglotse aus Oakland, damals dem Bulletin. „Wir arbeiten acht Stunden durch. Wir essen zwischendrin, bei der Arbeit. Wir hatten weder Heizgerät noch Klimaanlage.“
“Ich sah in acht Jahren nur einen Kollegen, der normal in Rente ging“, sagte Bud Pierce, ein anderer Streikender aus Detroit. „Wenn ich nachts nach Hause komme, brauche ich zwei bis drei Stunden, bis ich mich entspannen kann. Sie wechseln die Schichten so, dass man um zehn Uhr abends nach Hause geht und um sieben Uhr am nächsten Morgen wieder da sein muss.“
Der PATCO-Streik begann am 3. August 1981. Über 85 Prozent der Fluglotsen der USA stimmten für den Streik und 15.000 der 16.000 Beschäftigten erschienen nicht zur Arbeit.
Die Antwort der Reagan-Regierung machte deutlich, dass der Plan, die Fluglotsengewerkschaft zu zerschlagen, lange im Voraus ausgearbeitet worden war. Präsident Reagan berief sich auf das selten angewandte Taft-Hartley-Gesetz, ein 1947 verabschiedetes Antistreikgesetz, das eine Bestimmung für den nationalen Notfall beinhaltet. Wer als Arbeiter nicht binnen achtundvierzig Stunden wieder an die Arbeit ginge, sollte entlassen werden.
Um den Reise- und Geschäftsluftverkehr, wenn auch stark eingeschränkt, aufrecht erhalten zu können, setzte Reagan Tausende Armeefluglotsen als Streikbrecher ein. Die Regierung verschaffte sich einen Gerichtsbeschluss, der den Streik für illegal erklärte und es ermöglichte, die Streikführer ins Gefängnis zu werfen, die einfachen Arbeiter zu bestrafen und die Auszahlung von Gewerkschaftsgeldern für die Streikenden zu verbieten. Das Staatliche Amt für Arbeitsbeziehungen (National Labor Relations Board) erhob sofort Klage gegen PATCO, um die Aufhebung ihrer Vertretungsbefugnis zu erreichen. FBI-Agenten und Bundespolizisten wurden zu den Streikposten beordert, um Fotos zu machen und die Streikenden mit anderen Schikanen einzuschüchtern.
Reagan befahl außerdem dem Sekretär für Transportwesen, Drew Lewis, keine Verhandlungen mit der PATCO zu führen. Mit anderen Worten: die Regierung zielte nur einen einzigen möglichen Ausgang des Konflikts ab – die Vernichtung der Gewerkschaft.
Die Frist, die Reagan mit seinem Zurück-zur-Arbeit-Ultimatum setzte, lief am Mittwoch, den 5. August um elf Uhr morgens ab. Als elf Uhr vorbei war, und die Massenentlassungen offiziell bekannt gegeben wurden, stimmten Tausende Fluglotsen in Gewerkschaftsversammlungen, an Streikposten und im ganzen Land Sprechchöre an: „Streik! Streik! Streik!“
Hunderte Fluglotsen aus den Terminals von New York City sammelten sich gemeinsam mit Unterstützern in East Meadow (auf Long Island). Als die gesetzte Frist ablief, bildeten sie einen Kreis und reckten herausfordernd ihre Fäuste. In der Mitte standen sechs Streikende, die eine große Fahne hielten mit der Aufschrift: „Tritt nicht auf mich“, ein Symbol der amerikanischen Revolution. Dann marschierten die Arbeiter in die Nähe der TRANCON-Anlage, einer Luftverkehrs-Kontrolleinrichtung (Terminal Radar Approach Control).
In Detroit missachteten 132 der 134 Fluglotsen Reagans Zurück-zur-Arbeit-Anweisung. Steve Conaway, Vizepräsident der Gewerkschaft, erklärte der Menge, die sich nahe dem Metropolitan-Flughafen einfand: „Die Regierung und die FAA werden uns nicht einschüchtern. Die Missstände sind nicht eingebildet, sie sind real und wir werden ausharren, solange es nötig ist.“
In Lorain (Ohio), dem Sitz des Oberlin-Luftverkehrskontrollzentrums, dem größten der USA, begrüßten mehr als fünfhundert PATCO-Mitglieder des Ortsverbands Local 203 die Elf-Uhr-Frist mit erhobenen Fäusten und „Streik!“-Rufen. Fünfhundert Fluglotsen und Unterstützer versammelten sich zwischen den beiden Kontrolltürmen des Internationalen Twin-Cities-Flughafens von Minneapolis & Saint Paul in Minnesota.
Über 13.000 der ursprünglich 15.000 Streikenden missachteten Reagans Anweisung.
Die Antwort der Regierung war, wie es Robert Poli, der Präsident der PATCO nannte, eine „Intensivierung faschistischer Taktik“. Am 10. August leitete die Regierung Maßnahmen ein, um der Gewerkschaft die Vertretungsbefugnis zu entziehen und ihre Vermögenswerte zu beschlagnahmen. Gleichzeitig erließ Reagan hohe Bußgelder gegen die Gewerkschaft, um sie in den Bankrott zu treiben. Mehrere PATCO-Streikende wurden verhaftet: Einer von ihnen, Steven Waellert, wurde dem Richter in Handschellen vorgeführt. Es wurden auch zahlreiche Schikanen des FBI, wie mitternächtliche Hausbesuche bei den Fluglotsen, gemeldet. Die Ehefrau eines PATCO-Streikenden berichtete, ein FBI-Agent habe ihr gesagt, ihre Bemühungen um eine Kindesadoption würden unterbrochen, solange ihr Ehemann nicht zurück zur Arbeit gehe.
Innerhalb einiger Wochen hat die Obrigkeit Dutzende Streikende an den Streikposten verhaftet und vielen weiteren wurden Anzeigen zugestellt. Üblicherweise bezogen sich die Anzeigen auf Teilnahme an einem „illegalen Streik“, obwohl die Fluglotsen bereits entlassen waren und, legal gesprochen, gar nicht streiken konnten.
Carl Kern war einer von sieben Fluglotsen aus dem Chicago-Bereich und wurde Mitte August angezeigt. Ebenso wie viele andere, die verhaftet oder angezeigt wurden, war Kern ein entschlossener Kämpfer. „Ich vermute, dass ich und andere wegen unserer aktiven Rolle und Entschiedenheit im Streik ausgesucht wurden“, sagte Kern. „Das Gesetz wird sehr selektiv gegen die aktivsten Mitglieder der PATCO angewandt.“
Andere Beschäftigte, die ihre Unterstützung ausdrückten oder mit den PATCO-Streikenden in Verbindung standen, wurden entlassen. Harry Brown, ein Abteilungsleiter an der TRACON-Anlage in Long Island, wurde entlassen, weil er die Fluglotsen öffentlich unterstützte. Janice Wakefield, eine Bürokraft am Kontrollzentrum in Aurora (Illinois), wurde nach einem Besuch am Streikposten ebenfalls entlassen. Brian Power-Waters, ein Pilot der US Air, wurde suspendiert, nachdem er Passagieren mitgeteilt hatte, dass der Grund für ihre Flugverzögerung durch die unqualifizierten Arbeiter verursacht sei, die den Kontrollturm bedienten.
Am Montag, den 17. August, erklärte der Sekretär des Transportwesens, Lewis, den Streik für “beendet“. Das Luftfahrtskontrollsystem werde mit Angestellten, die sich aus Streikbrechern, Abteilungsleitern und Militärpersonal zusammensetzen, wiederaufgebaut werden. Die Reagan-Regierung machte deutlich, dass sie nicht nur Verhandlungen ablehnen, sondern die PATCO-Streikenden unter keinen Bedingungen wieder akzeptieren werde.
Die PATCO-Arbeiter gaben nicht nach. Tatsächlich begann der Widerstand gegen die repressive Taktik der Reagan-Regierung zwischen August und September zu wachsen. Am 23. August fand eine Massenveranstaltung mit zweitausend Teilnehmern in Houston statt. Am 26. August versammelten sich über tausend Menschen in Minneapolis & Saint Paul.
Dies wurde noch weit in den Schatten gestellt, als eine Viertelmillion Arbeiter am Labor Day, dem 7. September 1981, an einer Massendemonstration in New York City teilnahmen. Die zweitausend PATCO-Mitglieder, die an der Spitze und in der Mitte marschierten, wurden unbändig bejubelt. Auch in anderen Städten im ganzen Land führten an diesem Tag PATCO-Mitglieder die großen Demonstrationen an. In Detroit marschierten mehr als dreitausend Menschen über die Woodward Avenue zum Stadtzentrum.
Am 19. September, dem “Solidaritätstag”, gingen schätzungsweise eine halbe Million Arbeiter in Washington DC auf die Straße – in einer der größten Demonstrationen in der US-Geschichte. Die Menschenmassen erstreckten sich vom Washington-Denkmal bis zum Capitol-Gebäude. Die AFL-CIO wollte ursprünglich die Demonstration davon abhalten, sich gegen die Politik der Reagan-Regierung zu wenden, und schlug vor, die Solidarnoś&; -Bewegung der polnischen Arbeiter gegen das stalinistische Regime in Warschau zu unterstützen.
Aber stattdessen nahmen die Arbeiter die Demonstration als Gelegenheit wahr, einen machtvollen Protest gegen Reagan auszudrücken. Der Anschlag auf PATCO war allgegenwärtig. Einige Arbeiter erkannten Ähnlichkeit zwischen der staatlichen Repression der polnischen Stalinisten und der Verfolgung der PATCO-Arbeiter durch die US-Regierung.
AFL-CIO-Gewerkschaften organisierten mindestens dreitausend Busladungen mit Arbeitern. Fast alle Gewerkschaften des Landes waren vertreten, ebenso Bürgerrechtsgruppen und andere von Reagans Budgetkürzungen betroffene Organisationen. Zu den größten Aufgeboten gehörten die UAW mit 30.000 Autoarbeitern, die International Association of Machinists (IAM) mit 20.000 Mitgliedern und die International Brotherhood of Electrical Workers, die 20.000 Arbeiter mobilisierte. Das Aufgebot der Bundes-, Landes- und Kommunalangestellten war so gewaltig (es wurde auf 30.000 geschätzt), „dass es über vierzig Minuten dauerte, bis die Abteilung vorbeimarschiert war, wobei die gesamte Constitution Avenue einem See aus grünen und weißen Fahnen, Plakaten und Spruchbändern glich“, wie es in einem Bericht des Bulletin heißt. PATCO brachte sechstausend Arbeiter hierher, das war etwa die Hälfte aller Streikenden.
Die gewaltige Demonstration machte deutlich, dass in der Arbeiterklasse breite Unterstützung für eine Ausweitung des Kampfes gegen Reagan vorhanden war. Dennoch lehnte die Bürokratie der AFL-CIO kategorisch ab, einen solchen Kampf aufzunehmen, wonach der Kampfgeist in breiten Schichten der arbeitenden Klassen nachzulassen begann.
Im nächsten Teil der Serie wird die Rolle der AFL-CIO bei der Isolierung und Niederschlagung des PATCO-Streiks dargelegt, sowie die Perspektive erläutert, die von den Trotzkisten der Workers League (Vorgänger der Socialist Equality Party) erarbeitet wurde. Sie schlugen vor, den Streik zu einem Generalstreik auszuweiten und in einen politischen Kampf der gesamten Arbeiterklasse umzuwandeln.
Die PATCO-Arbeiter setzten ihren Kampf fort, sie hielten weiterhin die Streikposten besetzt und wurden täglich von anderen gewerkschaftlich organisierten Arbeitern aus der Luftfahrtsindustrie abgelöst. Gegen die kämpferischsten und offensten Streikführer wurde weiterhin gezielt mit staatlichen Repressionen vorgegangen. Drei Führer aus der Dallas-Region wurden im November 1981 vor ein Bundesgericht gestellt. Lee Grant, Ron May und Gary Greene wurden zu je neunzig Tagen Haft verurteilt und verloren gleichzeitig auf Dauer einige ihrer Bürgerrechte. Die Workers League, nicht die AFL-CIO, führte in der Öffentlichkeit eine Kampagne zu ihrer Verteidigung.
Am 22. Oktober 1981 entzog das Bundesamt für Arbeitsbeziehungen (Federal Labor Relations Authority) PATCO die Vertretungsbefugnis für die Fluglotsen. Jetzt war nicht allein der Streik für ungesetzlich erklärt und die Teilnehmer auf die schwarze Liste gesetzt, sondern die Gewerkschaft selbst war illegal. Die Entscheidung wurde am 11. Juni 1982 durch ein Bundesberufungsgericht bestätigt. Am 2. Juli 1982 löste ein Bundeskonkursgericht PATCO auf. Im Sommer 1983 verbüßten Greene, May und Grant ihre Haftstrafe.
Die Gewerkschaftsfunktionäre der AFL-CIO behaupteten, jede Ausdehnung des Streiks auf die Arbeiter der Luftfahrtindustrie und noch darüber hinaus sei „Selbstmord“. Sie argumentierten, für den Coup gegen PATCO sei Reagan verantwortlich, und deshalb sei es notwendig, an die demokratischen Kongressabgeordneten zu appellieren und die Republikaner bei den Wahlen im Jahr 1982 zu besiegen. Der Vorsitzende der AFL-CIO, Lane Kirkland ging soweit, den Wahltag als „Solidaritätstag II“ zu bezeichnen.
Die Workers League nahm eine diametral entgegengesetzte Position ein. Ihr Aufruf, Reagans Forderungen zurückzuweisen und den Streik auf die gesamte Luftfahrtindustrie und schließlich zum Generalstreik auszuweiten, entsprach weit mehr dem Denken der Arbeiter, als die defätistische Haltung der Bürokraten. Die Workers League bestand indessen darauf, dass ein Generalstreik einen politischen Kampf gegen die Bürokratie und das Zwei-Parteien-System erfordere. Eine neue, in der Arbeiterklasse verankerte und auf sozialistischen Prinzipien fußende Arbeiterpartei müsse aufgebaut werden. Um dies zu erreichen, setzte sich die Workers League unter den Arbeitern für einen außerordentlichen Arbeiterkongress ein.
Das Bulletin hatte die Bedeutung des Streiks sofort erkannt. Am 4. August erschien eine Erklärung der Redaktion unter der Überschrift: „AFL-CIO muss den Fluglotsenstreik unterstützen: Die Klassenlinien sind gezogen.“ Der Artikel forderte die Gewerkschaftsbewegung auf, „die Stärke der gesamten Arbeiterklasse zu mobilisieren, um die Fluglotsen gegen die gewerkschaftsfeindliche Reagan-Regierung zu unterstützen.“
Weiter heißt es im Artikel: “Die Reagan-Regierung ist seit sechs Monaten dabei, eine ökonomische und soziale Konterrevolution zu vollziehen, um die Sozialgesetze und Sozialprogramme, welche die Arbeiterklasse in den vergangenen fünfzig Jahren erkämpft hat, wieder rückgängig zu machen. Die Massenarbeitslosigkeit wird hochgeschraubt, Einschränkungen kapitalistischer Ausbeutung, wie die Sicherheitsvorschriften, werden aufgehoben, und der in Jahrzehnten von der Gewerkschaftsbewegung erkämpfte Lebensstandard wird vernichtet. Dies alles wird durch die höchste Steuersenkung der Geschichte noch in den Schatten gestellt; sie kommt ausschließlich den Großkonzernen und den Reichen zu Gute.“
Der Artikel forderte die anderen Gewerkschaften der Luftfahrtindustrie, zum Beispiel die Mechanikergewerkschaft International Association of Machinists (IAM), dringend zum Handeln auf und schlug vor, den Kampf zu einem Generalstreik gegen die Politik der Reagan-Regierung auszuweiten.
Reagan “spricht für die gesamte herrschende Klasse“, heißt es in dem Artikel. Das war eine Tatsache, die von vielen Nachrichtenmedien verstanden wurde. Egal ob liberal oder konservativ, alle Medien verurteilten die Fluglotsen. Am 4. August schrieb die Washington Post in ihrem Leitartikel: „Sollte jetzt eine Gewerkschaft, deren Mitglieder direkt im Dienste der Regierung stehen, mit einem illegalen Streik eine spektakuläre Lohnerhöhung erreichen, so wäre dies das Ende des Reaganschen Wirtschaftsprogramms. Investoren, Banker und Kreditnehmer würden allesamt sofort verstehen, dass die Reagan-Regierung, trotz aller großen Worte, die Inflation nicht ernsthaft verringern kann. Deshalb muss Reagan jetzt absolut standhaft bleiben.“
In den Anfangstagen des Streiks glaubten die Fluglotsen, ihr Streik werde ausreichen, um sich durchzusetzen. Viele glaubten, sie könnten die Reagan-Regierung zum Verhandeln zwingen, weil ihre Arbeit so unersetzlich sei. Die ungeheuren Kosten, die ein Ausbildungsprogramm für neue Fluglotsen verschlingen würde, wären doch weit größer, als eine Lohnerhöhung für PATCO, dachten sie.
“Die Leute mit Geld, die Reichen, sind immer noch am Boden”, konstatierte Norman Hacker, ein Fluglotse mit dreizehnjähriger Erfahrung am La Guardia-Flughafen in New York City, in der ersten Streikwoche zum Bulletin. „Sie streichen Geschäftsflüge und schrauben alle anderen Flüge zurück. 16.000 Arbeiter stoppen 27 Prozent der Ökonomie.“
“Ich würde mir Sorgen machen. Heute würde ich kein Flugzeug besteigen“, sagte Mitch Cook, ein streikender Fluglotse auf LaGuardia, dem Bulletin. „Zurzeit befinden sich gerade mal drei Abteilungsleiter und Berater im Tower. Normalerweise sind dort zehn Personen. Es ist der reinste Hohn zu glauben, sie könnten hier militärische Fluglotsen einsetzen. Die Gewerkschaft kann die Fähigkeiten dieser Männer einschätzen. Unsere Gewerkschaft wird standhaft und einig bleiben.“
Tatsächlich gefährdete die Entlassung der PATCO-Beschäftigten die Passagiere ernstlich.
Die Bundesflugsicherung FAA kreidete ein tödliches Flugzeugunglück in der Nähe von San Jose (Kalifornien) Pilotenfehlern an. Zwei leichte Maschinen, die sich dem Flughafen der Stadt näherten, kollidierten etwa zwei Meilen über der Landebahn, wobei eine Person getötet, zwei andere verletzt wurden. Dieser Zusammenstoß vom 17. August war der erste in der Geschichte des Flughafens von San Jose und auch der erste, bei dem die FAA den Fluglotsen – einen Streikbrecher – innerhalb weniger Stunden von jeder Verantwortung freisprach. Es war auch der erste tödliche Unfall in der jüngsten Geschichte, bei dem PATCO von der Untersuchung ausgeschlossen wurde.
Es gab infolge der Unerfahrenheit oder Inkompetenz der eingesetzten Fluglotsen zahlreiche weitere Beinahe-Unfälle. Während die FAA der Öffentlichkeit diese Informationen vorenthielt, dokumentierte die kanadische Fluglotsengewerkschaft in nur einer Streikwoche 41 Sicherheitszwischenfälle (darunter zahlreiche „Beinahe Unglücke“) auf den Strecken zwischen den USA und Kanada oder nahe der kanadischen Grenze.
Reagan war bereit, das Leben der Flugpassagiere zu riskieren, um PATCO zu zerschlagen. Offenbar stand viel mehr auf dem Spiel als nur die Tarifverhandlungen mit den Fluglotsen. Viele Streikende sagten dem Bulletin, dass sie ihren Kampf stellvertretend für die ganze Arbeiterklasse führten. Falls sie unterlägen, so sagten sie, würde die gewerkschaftsfeindliche Kampagne auf die gesamte Wirtschaft ausgeweitet werden. Aus denselben Gründen erkannten viele Fluglotsen und einfache Arbeiter aus anderen Industriezweigen, dass PATCO in ihrem Kampf nicht allein gelassen werden durfte.
“Wenn Reagan heute so mit PATCO umspringt, dann wird er morgen so mit anderen Streiks und mit der ganzen Arbeiterbewegung umspringen“, sagte Norman Hocker, Fluglotse von LaGuardia dem Bulletin am 5. August. „Wir stellen hier den Vorposten.“
Arbeiter anderer Industrien erkannten schnell die historische Dimension des Anschlags, den die Reagan-Regierung führte und forderten Aktionen. Bulletin und Workers League bestärkten diese Einsicht. Am 7. August erschien das Bulletin mit der Überschrift: “Mobilisiert die Arbeiterbewegung hinter dem Fluglotsenstreik: AFL-CIO muss den Generalstreik ausrufen!”
Am 15. August organisierte Ed Winn, Vorstandsmitglied der Ortsgruppe Local 100 der Transportarbeitergewerkschaft in New York City, eine Versammlung von etwa vierhundert Fluglotsen und Unterstützern in der Nähe des John-F-Kennedy-Flughafens. Winn, zugleich führendes Mitglied der Workers League, las eine Entschließung vor, die zu dringender Unterstützung von PATCO aufrief und von der AFL-CIO einen Generalstreik forderte. Diese Resolution wollte er in der nächsten Vorstandssitzung der Transportarbeitergewerkschaft einbringen.
In derselben Woche schickte der Ortsvorstand von Local 15 der Mechanikergewerkschaft IAM in Houston Telegramme an den AFL-CIO-Vorsitzenden Kirkland und an den IAM-Präsidenten William Winpisinger, in denen ein Generalstreik gefordert wurde.
Selbst Gewerkschaftsfunktionäre sahen sich genötigt zuzugeben, dass ein Generalstreik notwendig sei. Ralph Liberato, ein Funktionär der AFSCME (Gewerkschaft der Bundes-, Landes- und Kommunalangestellten) antwortete auf die Frage des Bulletins, ob die AFL-CIO in Michigan einen Generalstreik zur Unterstützung von PATCO einleiten werde: „Es gab zahlreiche Diskussionen unter unseren Mitgliedern zu dieser Frage, und viele fordern genau das.“ Ähnlich antwortete am 26. August David Roe, Vorsitzender der AFL-CIO in Minnesota dem Berichterstatter des Bulletin: „Der Ruf nach einem Generalstreik ist stark und nimmt zu.“ Zwar erklärte er, dass er selbst einen Generalstreik unterstütze, verwies aber darauf, dass die endgültige Entscheidung im Bundesvorstand getroffen werde.
Ende September gestand Kirkland ein, dass es an der Basis eine überwältigende Stimmung für einen Generalstreik gebe. „Niemals zuvor in meinem Leben habe ich so viel Post zu einem Thema erhalten. Ich habe eine unbeschreibliche Menge Telegramme, Briefe und Karten erhalten“, sagte Kirkland. „Über neunzig Prozent sprechen sich für die Fluglotsen aus, und über die Hälfte von ihnen kritisieren mich, weil ich keinen Generalstreik ausrufe.“
Bereits am 7. August sandte PATCO-Präsident Robert Poli Telegramme an alle Gewerkschaften der AFL-CIO mit der Bitte, die Streikposten, die sich an Hunderten von Flughäfen im ganzen Land befanden, zu respektieren.
Das geschah aber nicht. Als der Streik begann, tagten gerade der Exekutivrat und der Generalausschuss der AFL-CIO. Als die Tagung am 6. August beendet wurde, gab es keinen Plan, PATCO zu unterstützen. Im Gegenteil: die Gewerkschaftsoberen sandten deutliche Signale an die Reagan-Regierung, dass sie bei der Zerschlagung von PATCO kooperieren würden.
AFL-CIO-Präsident Kirkland wies den Aufruf zu einem Generalstreik öffentlich zurück und erklärte: „Es ist leicht, nach fünf Schnäpsen zu den Waffen zu rufen und den Generalstreik zu verlangen, doch als verantwortungsbewusster Führer muss man die Konsequenzen erwägen.“
unterstützen Streikposten der Flugzeugmechaniker
In einem Bulletin-Interview mit IAM-Präsident William Winpisinger wurde er auch gefragt, ob die Maschinistengewerkschaft ihre Mitglieder in der Luftfahrtindustrie zu einem Solidaritätsstreik aufrufen werde. Außer den Flugzeugmechanikern waren auch die Piloten, die Flugbegleiter und die Gepäckabfertiger gewerkschaftlich organisiert. Hätte auch nur eine einzige weitere Gruppe von ihnen gestreikt, hätte dies die Position von PATCO unermesslich gestärkt.
Winpisinger indessen erklärte: “Das käme für 40.000 meiner Mitglieder einem Selbstmord gleich”, und ergänzte: “Es könnte sogar das Ende für die gesamte Gewerkschaft einläuten.“ In den folgenden Jahren haben die anderen Gewerkschaften der Luftfahrtindustrie, eine nach der anderen, ihren Mitgliedern umfassende Zugeständnisse aufgezwungen.
Ähnlich äußerte der Präsident der Autogewerkschaft UAW, Douglas Fraser, der Fluglotsenstreik könne „der Arbeiterbewegung großen Schaden zufügen“.
Das Bulletin kommentierte am 7. August: „Welch seltsame Logik! [Reagan] versucht, Millionen Familien der Arbeiterklasse in Armut zu stoßen, aber Fraser warnt vor einem Kampf gegen diese Regierung, da dies ‚der Arbeiterbewegung großen Schaden zufügen könnte’.“
John J. O’Donnell von der Pilotengewerkschaft (ALPA) unterstützte die Reagan-Regierung öffentlich. Wiederholt versicherte er, dass der Luftverkehr nach dem Streik ebenso sicher sei wie zuvor. Dem widersprach eine Sicherheitskommission seiner eigenen Organisation, die „eindeutige Gefahrenrisiken“ aufgrund unqualifizierter Fluglotsen konstatierte. Im August handelte O’Donnell eine zehnprozentige Lohnkürzung für die Pan Am-Piloten aus und eine Erhöhung der Flugzeiten um dreißig Prozent für die Piloten der United Airlines.
Die Perspektive der AFL-CIO, Druck auf demokratische Politiker auszuüben, damit sie den Streik unterstützen, führte lediglich zur Demoralisierung der Streikenden und Desorientierung der Arbeiterklasse. Einige Demokraten äußerten Sympathie für den Streik, aber ebenso viele verurteilten ihn. Der demokratische Bürgermeister von Detroit, Coleman Young, den die UAW für einen besonderen „Arbeiterfreund“ hielt und der früher selbst Autoarbeiter gewesen war, beschuldigte die Streikenden, sie nähmen „die Nation in Geiselhaft“, um „überzogene“ Forderungen durchzusetzen. Er verstieg sich sogar dazu, Reagan für seine Festigkeit gegen PATCO als „Helden“ zu feiern.
Die gewaltige Massenkundgebung am Solidaritätstag in Washington bezeugte, dass die Arbeiterklasse gegen Reagans Politik kämpfen wollte. Doch diese Veranstaltung blieb der erste und einzige ernsthafte Schritt, den die AFL-CIO gegen den gewerkschaftsfeindlichen Kurs und die Klassenkriegspolitik der Regierung unternahm.
Als der Gewerkschaft Ende Oktober offiziell die Vertretungsbefugnis aberkannt wurde, kapitulierte die AFL-CIO öffentlich. “Der Krieg ist aus“, resignierte UAW-Chef Fraser. Das Bulletin reagierte mit dem Aufruf, Fraser bei der im November anstehenden nationalen Jahresversammlung der AFL-CIO „zur Ordnung zu rufen und seine Haltung als Defätismus zurückzuweisen“.
Das Bulletin schrieb: “Die Versammlung muss der Tatsache ins Auge blicken, dass es keinen Kampf gegen Reagan geben kann, ohne dass entschieden mit der Demokratischen Partei gebrochen wird, und ohne dass die Arbeiterklasse gegen kapitalistische Politik mobilisiert wird. Dazu ist es notwendig, eine Arbeiterpartei zu gründen, die auf den Gewerkschaften fußt.“
Die zweitägige Tagung ging jedoch zu Ende, ohne dass konkrete Schritte zur Unterstützung der Fluglotsen eingeleitet wurden. Damit besiegelte die Bürokratie, wie das Bulletin feststellte „den totalen Bankrott ihrer Politik der Klassenzusammenarbeit. Diese ist historisch erledigt.“ Weiter heißt es dort: „Je klarer es wird, dass die Verteidigung der Grundrechte, welche die Arbeiterklasse sich erkämpft hat, die Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus erfordert, desto verzweifelter klammert sich die Bürokratie an kapitalistische Politik.“
Im Dezember schrieb Poli an Kirkland und flehte ihn an “PATCO nicht sterben zu lassen“. Kirkland antwortete nicht, und am 31. Dezember trat Poli zurück.
von Gary Greene an den Vorsitzenden
der AFL-CIO, Lane Kirkland
Am 29. Januar 1982 schrieb Gary Greene, ein Fluglotse aus Texas, der für seine Rolle im Streik verurteilt worden war, einen Offenen Brief an Kirkland und verlangte von ihm, einen Generalstreik auszurufen.
“Präsident Reagan gewinnt seinen Kampf gegen PATCO und wird zukünftige Kämpfe gegen alle Gewerkschaften gewinnen, solange die Arbeiterschaft es ihm erlaubt. Der einzige Weg, diesen Kampf zu beenden und die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaftsführer wiederherzustellen, ist ein NATIONALER STREIK“, schrieb Greene. Dieser Brief erhielt die Unterstützung eines Treffens von 180 Fluglotsen in San Francisco und der Bay Area.
Kirklands Büro behauptete, für einen Generalstreik gäbe es keine Unterstützung. Stattdessen lautete der Vorschlag, die Gewerkschaften sollten angesichts der Wahlen im Jahr 1982 ihre Unterstützung für die Demokratische Partei verdoppeln.
Gegen die Angriffe der Reagan-Regierung bewiesen die Fluglotsen entschlossene Standhaftigkeit. Das hat ihnen die amerikanische herrschende Klasse nie verziehen.
Am 3. August 1986, fünf Jahre nach dem Streik, schlug der republikanische Kongressabgeordnete Guy Molinari eine bescheidene Maßnahme vor, die es tausend der insgesamt zwölftausend geschassten PATCO-Mitgliedern erlaubt hätte, wieder eine Anstellung als Fluglotsen zu bekommen. Dieser Vorschlag wurde von der demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus mit 226 zu 193 Stimmen abgelehnt.
Das Verbot der Wiedereinstellung von PATCO-Streikenden, das von Reagan und einer demokratischen Mehrheit im Kongress verhängt worden war, wurde offiziell erst 1993 von der Clinton-Regierung aufgehoben. Doch selbst danach wurden nur weniger als zehn Prozent der Entlassenen wiedereingestellt.
Die Gewerkschaft, die in der Luftfahrtindustrie an die Stelle von PATCO trat, die National Air Traffic Controllers Association (NATCA), wurde von Streikbrechern gegründet und von der Reagan-Regierung kontrolliert und gutgeheißen. Bei ihrer Gründung versprach sie, niemals einen „illegalen“ Streik zu führen – mit anderen Worten: sie würde überhaupt niemals einen Streik zulassen.
Die Bedingungen wie Überarbeitung und Erschöpfung, die zum Streik geführt hatten, haben sich seither nur verschlimmert. Vergangenen April berichteten die Medien über einen Skandal mit Unfällen, die von Fluglotsen verursacht wurden, die bei der Arbeit eingeschlafenen waren. Präsident Obama beeilte sich, in den Chor derjenigen einzustimmen, die die Fluglotsen zu Alleinschuldigen stempelten.
“Es ist inakzeptabel, dass Personen bei ihrer Arbeit einschlafen“, sagte Obama. „Tatsache ist, dass man seinen Job besser machen muss, wenn man für Leben und Sicherheit von Menschen im Luftverkehr Verantwortung trägt. Es gibt ein Element persönlicher Verantwortung, das man beachten muss.“
Der bedeutsamste Vorfall ereignete sich am 23. März, als der United Airlines-Flug 1012 von Miami und der United Airlines-Flug 628 von Chicago gleichzeitig Landeerlaubnis für den Ronald Reagan Washington National Airport erhielten. Nach wiederholten gescheiterten Versuchen, Kontakt mit dem Kontrollturm aufzunehmen, waren die Flugzeuge gezwungen, ihre Landung ohne Hilfestellung zu bewerkstelligen. Von den insgesamt 165 Passagieren und Crew-Mitgliedern beider Flüge wurde niemand verletzt. Nachdem dieser Vorfall öffentlich bekannt geworden war, kamen zahlreiche weitere Fälle aus dem gesamten Jahr an die Öffentlichkeit, bei denen Fluglotsen eingenickt waren.
Anfang 2008 gab es bei der nationalen amerikanischen Flugüberwachung FAA elftausend Fluglotsen – das sind weniger, als zur Zeit des PATCO-Streiks beschäftigt waren. Die Konsequenzen der drastischen Unterbesetzung wurden aufs Tragischste 2006 in Lexington (Kentucky) aufgedeckt, als ein Comair-Flug verunglückte, nachdem er versucht hatte, von der falschen Landebahn zu starten. Alle 47 Passagiere und zwei der drei Besatzungsmitglieder starben. Der einzige diensthabende Fluglotse hatte dem Flugzeug korrekt das Startsignal gegeben und ging darauf anderen Pflichten nach, wie es das FAA-Protokoll vorsieht.
Eine vor vier Jahren veröffentlichte Studie der Nationalen Transportsicherheitsbehörde NTSB fand heraus, dass 61 Prozent der Fluglotsen Schichtpläne haben, die „normalen Schlaf- und Wachphasen zuwiderlaufen“. Bloomberg News berichtet: „Ein Schichtplan sieht etwa so aus: Am ersten Tag Schichtbeginn um 15 Uhr, am zweiten um 14 Uhr, am dritten um 7 Uhr, am vierten um 6 Uhr. Der Lotse kann zur fünften Schicht am selben Tag um 22 Uhr wiederkommen, damit er ein längeres Wochenende hat, erklärte die Behörde.“
Viele der Fluglotsen haben zwischen den Schichten nur acht Stunden Unterbrechung und entsprechend wenige Stunden Schlaf.
Weitere Elemente der nationalen Luftfahrtinfrastruktur und deren Regulierungssystems befinden sich im fortgeschrittenen Verfallsstadium. Die FAA, von weitgehenden Budgetkürzungen gebeutelt, hat nur 1.100 Inspektoren, die 625.000 Piloten, 5.200 Werkstätten und 81 Fluggesellschaften kontrollieren.
Die rücksichtslose Unterordnung der Gesundheit und Sicherheit von Reisenden und Beschäftigten unter Haushaltskürzungen geriet einmal mehr in den Fokus, als die FAA kürzlich dicht gemacht wurde. Die FAA-Sicherheitsinspektoren und Tausende Anlagenarbeiter wurden beurlaubt, und nur Fluglotsen wurden vom Zwangsurlaub ausgenommen. Die FAA operiert seit 2007 ohne ein langfristiges Budget – stattdessen wird die Arbeit mittels kurzfristiger Genehmigungen fortgesetzt.
Schlussfolgerung
Der PATCO-Streik läutete das Ende einer Periode relativer Klassenkompromisse und Sozialreformen ein, die in den USA und anderen fortgeschrittenen Industrieländern seit dem Zweiten Weltkrieg herrschte. Von diesem Moment an feilte die kapitalistische Klasse an einer rücksichtlosen Offensive, um die Errungenschaften der Arbeiterklasse aus ihrem jahrzehntelangen Kampf wieder aufzuheben.
Das Politische Komitee der Workers League gab bereits zehn Tage nach Streikbeginn eine Stellungnahme ab, die das Bulletin veröffentlichte: „Der PATCO-Streik: Eine Warnung an die Arbeiterklasse“:
Der Streik der 13.000 Mitglieder der Professional Air Traffic Controllers Organization ist ein historischer Wendepunkt im Kampf der Arbeiterklasse der Vereinigten Staaten und weltweit. Es ist die erste bedeutende politische Konfrontation zwischen der amerikanischen Arbeiterklasse und der Regierung.
Nach Jahrzehnten, in denen der Klassenkampf in Amerika entweder geleugnet oder bagatellisiert worden war, in denen die amerikanische Arbeiterklasse als Mittelschicht bezeichnet wurde, in denen Amerika für die große Ausnahme inmitten einer Welt revolutionärer Gärung gehalten wurde, zerbarsten diese Mythen mit dem PATCO-Streik.
Der Fluglotsen-Streik hat gezeigt, dass sich, wie in jedem kapitalistischen Land, unter dem äußeren Erscheinungsbild politischer Stabilität und des Konservativismus, unauflösliche soziale und ökonomische Widersprüche bildeten (…)
Gleichzeitig wird die Maske der Demokratie und der Regierung “des Volkes, durch das Volk und für das Volk” heruntergerissen, und der kapitalistische Staat zeigt sich als das, was er ist: ein Instrument zur Unterdrückung der Massen im Interesse einer winzigen Handvoll von Milliardären.
Arbeiter werden, an Händen und Füßen in Ketten gelegt, ins Gefängnis geworfen; ihrer Gewerkschaft wird die Vertretungsbefugnis entzogen, weil sie tat, wofür 95 Prozent ihrer Mitglieder stimmten; drakonische Geldstrafen werden verhängt, um die Beschlagnahmung aller Vermögenswerte der Gewerkschaft und ihre Übergabe an die Regierung oder die Fluggesellschaften zu erzwingen; FBI-Agenten und Bundespolizisten überwachen Streikposten und suchen Arbeiter in ihren Wohnung auf, um sie und ihre Familien einzuschüchtern.
Aus dem PATCO-Streik muss vor allem eine politische Schlussfolgerung gezogen werden: Er ist alles andere als eine Verirrung oder Ausnahme, vielmehr enthüllt er das Wesen der Klassenbeziehungen in den Vereinigten Staaten.
Die herrschende Klasse greift alle Grundrechte der Arbeiter an: Soziale Dienste, Jobs, Sicherheitsvorschriften, Lebensstandard, schließlich das Recht zur Gewerkschaftsorganisation. Um diese Angriffe durchzusetzen, stützt sie sich auf die repressiven Macht- und Gewaltinstrumente des kapitalistischen Staates.
Die herrschende Klasse ist dabei auf die Gewerkschaftsbürokraten angewiesen, welche den Kampf der Arbeiterklasse gegen die Regierung sabotieren. Diese Sabotage nimmt nicht allein die Form offenen Streikbruchs an, wie im Fluglotsenkampf, sondern vor allen Dingen einer fortgesetzten politischen Entrechtung der Arbeiterklasse durch die Unterstützung des kapitalistischen Zweiparteiensystems.
Diese Angriffe wurden in den letzten Jahren dramatisch verschärft. Nachdem sie unermessliche Billionen Dollar Summen an die Großbanken und Finanzhäuser weitergeleitet hatten, um deren Verluste auszugleichen, verlangen die Regierungen jetzt weltweit beispiellose Kürzungen der Sozialausgaben. Mittelzuweisungen für Renten, Gesundheitsfürsorge, Bildung oder Infrastruktur werden für unzulässig erklärt. Nur was die Vermögen der Weltbanken, Konzerne und Milliardäre weiter wachsen lässt, darf erwogen werden.
Die Gewerkschaften und die alten Organisationen der Arbeiterklasse haben die entscheidende Rolle in diesem sozialen Niedergang gespielt. Die Komplizenschaft der AFL-CIO mit der Reagan-Regierung und ihre Zurückweisung Forderungen der Basis, den PATCO-Kampf auszuweiten, haben in den 1980er und 1990er Jahren als Muster für die US-amerikanischen Arbeitskämpfe gedient. In jedem einzelnen Fall haben die Gewerkschaften die Streiks isoliert, verraten und schließlich Hilfestellung bei ihrer Niederschlagung geleistet – trotz erbitterten Widerstands der Arbeiterklasse.
Dieser Prozess entfaltete sich überall auf der Welt, vielleicht am ähnlichsten in Großbritannien. Dort schaute der Gewerkschaftsdachverband Trades Union Congress (TUC) im Jahr 1985 tatenlos zu, als Premierministerin Margaret Thatcher die Kohlebergarbeiter niederschlug und damit die Phase der Zerstörung der Industrie und des Lebensstandards der Arbeiterklasse einleitete.
Überall sind die alten Arbeiter- und sozialdemokratischen Parteien den Forderungen der Finanziers bereitwillig auf ganzer Linie entgegengekommen und haben geholfen, die Taschen der Reichen zu füllen und die Arbeiterklasse ins Elend zu stürzen. Die alten nationalen Befreiungsbewegungen in Afrika, Lateinamerika und Asien schlugen denselben Weg ein: Sie verwarfen Pläne, den Import zu substituieren und die Industrie zu nationalisieren, und traten untereinander in Wettbewerb, wer dem Imperialismus die billigsten Arbeitskräfte und lukrativsten Bodenschätze zur Verfügung stellen könne.
Das weitreichendste Exempel dieser grundlegenden Wende fand in der Sowjetunion statt. Wie Leo Trotzki mehr als fünfzig Jahre zuvor gewarnt hatte, demontierte die stalinistische Bürokratie die von der Oktoberrevolution 1917 eingeführten Eigentumsverhältnisse, um sich selbst in eine neue kapitalistische Klasse zu verwandeln.
Das Band, das all diese Prozesse eint, stellt die Transformation der nationalen Arbeiterbürokratien und der politischen Parteien der Arbeiter dar. Aus Organisationen, die innerhalb enger nationaler Grenzen die Interessen der Arbeiter verteidigten, verwandelten sie sich in offene Instrumente der Klassenunterdrückung. Dies zeigte sich besonders an der beispiellosen globalen Integration der Produktion, die den Widerspruch zwischen globaler Ökonomie und Nationalstaat verstärkte und alle nationalen Programme als kraftlos und reaktionär scheitern ließ.
In den USA haben die offiziellen Gewerkschaften auf den Niedergang des amerikanischen Kapitalismus in der Weltwirtschaft bewusst so reagiert, dass sie der Finanzelite ihre Dienste anboten, um auf Kosten von Arbeitsplätzen, Löhnen und Arbeitsbedingungen der US-amerikanischen arbeitenden Klassen die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Konzerne zu steigern.
Die Workers League analysierte diese Entwicklungen und zog zu Beginn der 1990er Jahre den Schluss, dass die offiziellen Gewerkschaften nicht mehr im eigentlichen Sinne als Arbeiterorganisationen betrachtet werden können, nicht einmal in einer begrenzten defensiven Bedeutung. Indem sie die Auswirkungen des Zusammenbruchs der Gewerkschaften und des endgültigen konterrevolutionären Verrats der sowjetischen Bürokratie erwogen, trafen die Workers League und ihre Gesinnungsgenossen im Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI) in den 1990er Jahren den Beschluss, sich aus Bünden in Parteien umzuwandeln.
Heute ist es an der trotzkistischen Weltbewegung, dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale, und der Socialist Equality Party der USA, direkt um die Führerschaft der Arbeiterklasse zu kämpfen und sie auf die unausweichlich bevorstehenden revolutionären Kämpfe vorzubereiten. Der Zusammenbruch der Wall Street von 2008 hat diese neue Periode revolutionärer Kämpfe eingeleitet.