Vom 1. bis zum 3. März veranstalteten die der Linkspartei nahe stehende Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi eine Konferenz unter dem Titel „Erneuerung durch Streik” in Stuttgart.
Unter den rund 500 Teilnehmern waren führende Vertreter der Linkspartei, darunter ihr Vorsitzender Bernd Riexinger, Gewerkschaftsbürokraten der Teilgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und zahlreiche Vertreter pseudolinker Gruppierungen wie der staatskapitalistischen Gruppierung Marx 21 und der Sozialistischen Alternative Voran (SAV), die Teil der Linkspartei sind und in den Gewerkschaften arbeiten.
Die Konferenz hatte vor allem ein Ziel: Die Stärkung der gewerkschaftlichen Apparate, um den wachsenden Widerstand unter Arbeitern gegen die massiven Angriffe auf Löhne, Arbeitsplätze und soziale Sicherungssysteme unter Kontrolle zu halten und gleichzeitig neue Angriffe vorzubereiten.
Bereits auf dem Eröffnungspodium wurde das rechte und arbeiterfeindliche Programm deutlich, das sich hinter dem Konferenzmotto „Erneuerung durch Streik“ verbirgt. Uwe Meinhardt, ein altgedienter Gewerkschaftsbürokrat und 1. Bevollmächtigte der IG-Metal Stuttgart stellte klar, dass Streiks das Monopol der Gewerkschaften sein müssten. Er erklärte, dass jede unabhängige Bewegung der Beschäftigten illegitim sei und verhindert werden müsse. Ob ein Streik „richtig oder falsch” sei, könnten die Beschäftigten nicht entscheiden, so Meinhardt.
Meinhardt personifiziert den Typus der auf dem Kongress versammelten Gewerkschaftsbürokraten. Die konservative Stuttgarter Zeitung beschreibt Meinhardt, der im Aufsichtsrat von Hewlett-Packard Deutschland sitzt, als einen „Arbeiterführer moderner Prägung” und „pragmatischen Co-Manager“.
Wenn Co-Manager wie Meinhardt von Streik sprechen, meinen sie damit nicht die Durchsetzung der Interessen der Arbeiter für höhere Löhne und besserer Arbeitsbedingungen. Sie betrachten den gewerkschaftlich organisierten Streik als Mittel, um die Kontrolle über die Arbeiter aufrecht zu erhalten und geplante Kürzungen in enger Zusammenarbeit mit den Unternehmen und Regierungen gegen die Arbeiter durchzusetzen.
Zynischerweise bezeichnete Meinhardt dann auch den Arbeitskampf bei AEG in Nürnberg im Jahr 2005 als seine „größte Streikerfahrung“. Die IG Metall hatte den Streik bei dem Elektrogerätehersteller damals schamlos ausverkauft und Hunderte Beschäftigte hatten 2006 in der ohnehin von Arbeitslosigkeit geplagten Region ihre Arbeitsplätze verloren. Kurz vor dem Kongress wurde unter seiner Mitwirkung die Entlassung von 1.100 Arbeitern bei Hewlett-Packard beschlossen.
In verschiedenen Veranstaltungen tauschten sich die Teilnehmer der Konferenz über „Streikstrategien“ aus und diskutierten dabei vor allem die Methoden ihrer Gewerkschaftskollegen in den südeuropäischen Ländern. Sie bereiten sich damit auch in Deutschland auf massive Klassenkämpfe vor. Im Jahr der Bundestagswahl diskutieren alle Parteien der herrschenden Elite offen über eine Neuauflage der rot-grünen Agenda 2010 und eine neue Runde des sozialen Kahlschlags.
Florian Wilde, ein Mitarbeiter der RLS und Mitglied von Verdi und der Linkspartei erläuterte auf der ersten Veranstaltung des Kongresses unter dem Titel „Politische Streiks im Europa der Krise“ in welchem Kontext die Konferenz abgehalten wird. Er verwies auf zunehmende Proteste und Streiks von Arbeitern seit dem Ausbruch der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Seit 2008 hätten in Europa 43 Generalstreiks stattgefunden, davon allein 18 in Griechenland. In Zukunft sei auf Grund der europaweiten Kürzungspolitik mit mehr Streik und Protesten zu rechnen.
Linkspartei und Pseudolinke sind durch diese Entwicklung alarmiert. Ziel der Konferenzteilnehmer ist es, die Methoden zu „lernen“, mit denen die südeuropäischen Gewerkschafter den wachsenden Widerstand unter Arbeitern in ihren Ländern kontrollieren und die von der EU diktierten Kürzungen durchsetzen.
Mit Nuria Montoya, der Generalsekretärin der spanischen Gewerkschaft Comisiones Obreras (CCOO) wurde eine „Expertin“ zum Kongress geladen. Die CCOO waren 1976 von der stalinistischen Kommunistischen Partei (PCE) gegründet worden. In ihren Reihen finden sich zahlreiche führende Mitglieder der PCE. Sowohl die CCOO als auch die PCE spielen eine Schlüsselrolle dabei, die massiven sozialen Angriffe gegen die spanischen Arbeiter durchzusetzen.
Die CCOO hatten zunächst die sozialdemokratische Regierung von José Luis Zapatero, der von 2004 bis 2011 regierte, bei ihren sozialen Angriffen unterstützt. Gemeinsam mit dem sozialdemokratischen Gewerkschaftsverband UGT stimmten sie Arbeitsmarktreformen zu und lockerten den Kündigungsschutz. Erst Anfang des Jahres haben die CCOO angekündigt, den „sozialen Dialog“ mit der spanischen Unternehmerorganisation CEOE weiter fortzusetzen. In Stuttgart machte Montoya klar, dass sie bereit ist, noch enger mit der konservativen Regierung von Mariano Rajoy zusammenzuarbeiten, der weitere Einschnitte fordert. Montoya kritisierte, dass die Regierung „keinen sozialen Dialog“ führen wolle.
Um ihre rechte Politik abzudecken und die Kürzungen durchzusetzen, haben die CCOO in den vergangenen Jahren immer wieder Protestaktionen und Streiks organisiert, darunter zwei Generalstreiks im September 2010 und im März 2012. Als Montoya von den Streiks berichtete, wurde mehrmals applaudiert.
In Wirklichkeit dienen die „politischen Streiks“, die von Linkspartei, Marx 21 und SAV bejubelt werden, nicht dazu, die Interessen der Arbeiter durchzusetzen. Im Gegenteil: die zumeist eintägigen Generalstreiks, die von den Gewerkschaften ausgerufen und kontrolliert werden, sind aus Sicht der herrschenden Klasse ein notwendiger Mechanismus, um Dampf abzulassen und die Kürzungspolitik gegen den Widerstand der Arbeiter durchzusetzen.
Zwischen der Streikpolitik der Gewerkschaften und dem Sozialkahlschlag besteht ein grundlegender politischer Zusammenhang. In Spanien hat die Arbeitslosigkeit 2013 mit 26 Prozent ein neues Rekordhoch erreicht. Mehr als 60 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos. Seit dem Ausbruch der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise ist die Arbeitslosigkeit von 1.7 Millionen auf mehr als 6 Millionen gestiegen. In Griechenland, wo in den letzten Jahren die meisten von den Gewerkschaften kontrollieren Generalstreiks stattfanden, wurden sogar noch brutalere soziale Angriffe durchgesetzt.
Die Tatsache, dass die Linkspartei und ihre pseudolinken Verbündeten von den Gewerkschaften in Spanien und Griechenland „lernen“ wollen und deren Streiks als „Erfolge“ feiern, macht deutlich welche Klasseninteressen sie vertreten. Sie sprechen nicht für die Arbeiterklasse, sondern für wohlhabende Mittelschichten, die in der sich verschärfenden Krise des Kapitalismus immer offener als Gegner der Arbeiter auftreten.
Während Arbeiter in Deutschland mit Bestürzung verfolgen, wie ihre Kollegen in Griechenland oder Spanien in den Abgrund gestürzt werden, bereiten sich die deutschen Gewerkschaften und ihre politischen Unterstützer darauf vor, dieselben Kürzungen auch hier durchzusetzen.