Perspektive

Die ukrainische Krise und die Folgen der Auflösung der Sowjetunion

Es wird von Tag zu Tag deutlicher, dass die Vereinigten Staaten und Deutschland die Krise in der Ukraine angefacht haben, um eine Konfrontation mit Russland zu provozieren. Sie haben ein rechtes nationalistisches Regime an die Macht gebracht, das sich völlig Washington und der Nato unterordnet.

Die Obama-Regierung wischte am Donnerstag versöhnliche Töne des russischen Präsidenten Wladimir Putin beiseite und gab erste Sanktionen bekannt. Damit setzte sie die Europäischen Union unter Druck, später am Tage ebenfalls Sanktionen anzukündigen. Gleichzeitig sind amerikanische Kampfflugzeuge ins Baltikum verlegt worden und amerikanische Kriegsschiffe ins Schwarze Meer eingefahren.

Als sich das Parlament der Krim einstimmig für die Lostrennung von der Ukraine und für den Anschluss an die Russische Föderation aussprach und für den 16. März ein Referendum über die Lostrennung festsetzte, erklärte Präsident Obama, eine solche Abstimmung verletze die ukrainische Verfassung und das Völkerrecht.

Wie schon während der gesamten Krise sind die Erklärungen der US-Regierung heuchlerisch und verlogen. Nach der Auflösung der Sowjetunion hatten die Vereinigten Staaten 1992 auf die Aufspaltung Jugoslawiens gedrängt. 1999 führten sie Krieg gegen Serbien, um die Abspaltung des Kosovo durchzusetzen. Washingtons Haltung zu dieser oder jener Frage wird nicht durch das Völkerrecht bestimmt, sondern durch die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen der USA.

Nun stellt sich die Frage, wie weit die USA gehen wollen, um in diesem Konflikt mit Russland zu obsiegen. In einem Fernsehinterview wiederholte die amerikanische UN-Botschafterin Samantha Power Washingtons Ultimatum, Russland müsse das US-gestützte Regime in Kiew anerkennen, und dies obwohl sie gleichzeitig warnte, die Entwicklungen in der Ukraine könnten weiter „den Bach runter gehen“.

Die Kriegshetze der USA ist derart unbesonnen, dass selbst der ehemalige Außenminister Henry Kissinger, ein skrupelloser imperialistischer Machtpolitiker, alarmiert ist. Er begann einen Gastkommentar in der Washington Post vom Donnerstag mit den Worten: „Die politischen Diskussionen über die Ukraine drehen sich alle nur um Konfrontation. Aber wissen wir wirklich, worauf wir uns da einlassen?“

Washingtons strategisches Drehbuch ist unmissverständlich: es nutzte faschistische „Demonstranten”, um den gewählten Präsidenten Wiktor Janukowitsch zu stürzen und die vollständige Kontrolle über die Ukraine zu erlangen. Die Obama-Regierung ging davon aus, dass Putin zumindest symbolischen Widerstand leisten werde, um nicht völlig das Gesicht zu verlieren.

Aber die USA suchen keinen Kompromiss mit Russland. Sie wollen, dass Russland einen erniedrigen Rückzug antritt, und riskieren dabei den Ausbruch eines Atomkriegs. Die Vereinigten Staaten verlangen nichts weniger, als dass Moskau eine feindliche Ukraine akzeptiert, die als Vorposten für US- und Nato-Streitkräfte und als Operationsbasis für die Zersplitterung Russlands dient.

Zum Teil ist die Haltung Washingtons ein Ergebnis der Verärgerung über jüngste Ereignisse, besonders über die russische Unterstützung für das syrische Assad-Regime und über die Entscheidung Putins, dem NSA-Whistleblower Edward Snowden Asyl zu gewähren. Beide Fälle werden als Ausdruck der Weigerung Russland interpretiert, die globale Vorherrschaft Washingtons vorbehaltlos anzuerkennen. Washington will eine deutliche und dauerhafte Änderung des Kräfteverhältnisses zwischen sich selbst und Moskau.

Die Obama-Regierung scheint darauf zu zählen, dass Putin angesichts der geballten militärischen und finanziellen Macht des amerikanischen und europäischen Imperialismus einknickt. Aber Tatsache bleibt, dass sie eine Krise provoziert hat, die sich zu einem militärischen Zusammenstoß mit katastrophalen Konsequenzen ausweiten kann. Selbst wenn diesmal ein Atomkrieg abgewendet wird, haben die Ereignisse der vergangenen Woche gezeigt, dass ein neuer Weltkrieg, der mit Nuklearwaffen ausgetragen wird, mehr als eine hypothetische Gefahr ist. Er ist unvermeidlich, wenn die Arbeiterklasse nicht eingreift und den Kapitalismus und Imperialismus abschafft.

Diese Situation und die Lage, in der sich Russland befindet, bestätigen die katastrophalen Folgen der Auflösung der Sowjetunion. Die Auflösung der Sowjetunion durch den russischen Präsidenten Boris Jelzin und seine ukrainischen und weißrussischen Kollegen Leonid Krawtschuk und Stanislaw Schuschkewitsch im Dezember 1991 war der Höhepunkt des jahrzehntelangen Verrats der stalinistischen Bürokratie an der Oktoberrevolution von 1917, die einen Arbeiterstaat geschaffen hatte, und an dem sozialistischen, internationalistischen Programm, das der Revolution zugrunde lag.

Die kriegerische Propaganda der westlichen Medien über einen russischen „Expansionismus” ist absurd. Seit dem Auseinanderbrechen der UdSSR sind große Teile der ehemaligen Sowjetunion und alle ihre ehemaligen Verbündeten im Ostblock in den Einflussbereich des amerikanischen und europäischen Imperialismus eingegliedert worden. Das Schicksal Russlands hat die Warnungen der trotzkistischen Bewegung bestätigt, dass die Auflösung der Sowjetunion das post-sowjetische Russland in eine verarmte, despotisch regierte Halbkolonie des westlichen Imperialismus verwandeln werde.

Vor dem Zusammenbruch der UdSSR war die „friedlichen Koexistenz“ mit dem Imperialismus der Dreh- und Angelpunkt der stalinistischen Außenpolitik. Der Kreml nutzte seinen gesamten Einfluss, um Kämpfe der internationalen Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus zu unterdrücken, und erwartete als Gegenleistung, dass der Imperialismus sich mit der Existenz der UdSSR abfand.

In den letzten Jahren ihrer Existenz unter Gorbatschow, als sie alles zurückwies, was vom Erbe der Oktoberrevolution übrig geblieben war, tat die Kremlbürokratie, als sei der Imperialismus eine marxistische Erfindung. Als sie die Sowjetunion auflösten, verbreiteten die Bürokraten die Illusion, die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Nato-Partner würden Russland in Ruhe lassen, während die neuen russischen Biznismen sich durch die Plünderung des Reichtums der alten UdSSR bereichern.

Aber der Imperialismus ist keine Fiktion. Er ist eine brutale Realität, und seine geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen schließen eine friedliche Koexistenz mit Russland aus. Die Gegnerschaft der Vereinigten Staaten zur Sowjetunion richtete sich nicht nur gegen ihre nicht-kapitalistische Struktur. Die Vereinigten Staaten konnten sich nie damit abfinden, dass die Sowjetunion, das Ergebnis der Oktoberrevolution, den amerikanischen Imperialismus der direkten Kontrolle über die riesigen menschlichen und natürlichen Ressourcen eines solch riesigen Landes beraubte. Obwohl die Sowjetunion nicht mehr existiert, bleibt der Appetit des amerikanischen und europäischen Imperialismus bestehen.

Wir haben es also mit einem schwachen kapitalistischen Russland zu tun, das vom amerikanischen und europäischen Imperialismus bedroht ist. Als Führer eines Regimes, das sich auf eine völlig korrupte Elite stützt, die einen beträchtlichen Teil ihres unrechtmäßig erworbenen Reichtums auf amerikanischen und europäischen Banken deponiert hat, reagiert Putin mit reaktionären Methoden: mit militärischen Manövern und großrussischem Chauvinismus. Ohne eine schlüssige strategische Vision – ganz zu schweigen von einer, die auch außerhalb Russlands Unterstützung finden könnte – sucht er nach einer Rückzugsmöglichkeit, die sein Regime nicht völlig erniedrigt und diskreditiert. Aber es ist keineswegs sicher, dass die Vereinigten Staaten den Druck lockern werden, und es besteht die reale Gefahr, dass die Krise außer Kontrolle gerät.

In dem kürzlich erschienenen Buch Die Schlafwandler über die Krise vom Juli 1914, die zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte, erinnert der Historiker Christopher Clark an die unverantwortliche Haltung der europäischen Diplomaten, deren Fehleinschätzungen in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs führten. Aber verglichen mit Obama und seinen europäischen Verbündeten erscheinen die Handelnden von 1914 wie Ausbünde der Zurückhaltung!

Selbst wenn ein Ausweg aus der gegenwärtigen Sackgasse gefunden werden sollte, wird er nur von kurzer Dauer sein. Die nächste Krise wird bald folgen. Die Krise vom Februar bis März 2014 sollte alle Zweifel daran beseitigen, dass das imperialistische System zwangsläufig in den Krieg führt. Nur die Vereinigung der internationalen Arbeiterklasse im Kampf für den Sozialismus kann das verhindern.

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