In der vergangenen Woche jährte sich der Beginn des NSU-Prozesses vor dem Oberlandesgericht München. Überschattet wurde der Jahrestag vom mysteriösen Tod des langjährigen V-Mannes Thomas Richter alias „Corelli“.
Corelli galt bei der Aufklärung des Netzwerks um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) als wichtiger Zeuge. Er war von mindestens 1997 bis 2007 als V-Mann für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) tätig. Nach einigen Angaben soll er sogar insgesamt 18 Jahre, von 1994 bis zu seiner Enttarnung im Jahr 2012, für den Geheimdienst gearbeitet haben. Dafür soll er laut Bild am Sonntag insgesamt 180.000 Euro erhalten haben. Er muss frühzeitig von den Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gewusst haben, den er schon 2002 in einem rechtsextremen Magazin erwähnte.
Die Umstände seines Todes sind in mehrfacher Hinsicht dubios.
Nach Angaben von Spiegel Online fanden „Vertreter einer Sicherheitsbehörde“ den Leichnam des 39-Jährigen am 3. April in dessen Wohnung in der Nähe von Paderborn. Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt (BKA) dementierten, am Auffinden der Leiche beteiligt gewesen zu sein, das BfV und das Bundesinnenministerium gaben darüber keine Auskunft.
Corelli befand sich seit 2012 im Zeugenschutzprogramm des BfV, nachdem er im Sommer desselben Jahres als langjähriger V-Mann innerhalb der rechtsextremen Szene enttarnt worden war. Von seinem aktuellen Aufenthaltsort und seiner neuen Identität dürfte also nur ein kleiner Personenkreis gewusst haben.
Als offizielle Todesursache wurde ein Zuckerschock angegeben, ausgelöst durch eine bisher nicht entdeckte Diabetes-Erkrankung. Eine Autopsie habe ergeben, dass keine Fremdeinwirkung vorgelegen habe, berichten zahlreiche Medien unter Berufung auf „Sicherheitskreise“.
Möglicherweise war Corelli in den vergangenen Monaten noch einmal gezielt ins Visier der Geheimdienste geraten. Ende Februar hatte sich nach Angaben des Spiegel ein V-Mann beim Hamburger Verfassungsschutz gemeldet und eine CD mit der Aufschrift „NSU/NSDAP“ abgegeben, die er bereits vor acht Jahren von Corelli erhalten habe. Das Hamburger LfV habe dies an die Bundesanwaltschaft weitergemeldet. Letztere habe aber Corellis Wohnung erst am 25. April durchsucht, also drei Wochen nach dem Fund seiner Leiche.
Wie der Spiegel berichtet, sollen sich auf der CD etwa 15.000 Bild- und Textdateien befinden. Einige davon sollen Corelli als Urheber zugeordnet werden können, in einigen weiteren soll explizit vom „Nationalsozialistischen Untergrund der NSDAP (NSU)“ die Rede sein.
Beachtlich dabei ist, dass die CD im Juni 2006 fertiggestellt worden sein soll. In der Öffentlichkeit wurde der Name NSU erst nach dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im November 2011 bekannt, und auch die Sicherheitsbehörden wollen bis zu diesem Zeitpunkt angeblich nichts von seiner Existenz gewusst haben.
In der rechtsextremen Szene hatte Corelli, auch bekannt als „HJ-Thommy“, jahrelang eine zentrale Rolle gespielt. Sein Name fand sich bereits 1998 auf einer Kontaktliste von Uwe Mundlos („Garagenliste“), die insgesamt 30 Namen aus dem Umfeld des Thüringer Heimatschutzes (THS) verzeichnete. Aus dem THS ging dann das NSU-Netzwerk hervor.
Zu Uwe Mundlos soll Corelli direkten Kontakt gehabt haben, wie aus dem Abschlussbericht des NSU-Sonderermittlers des Bundestags, Bernd von Heintschel-Heinegg, hervorgeht.
Auch im Zusammenhang mit einem deutschen Ableger des Ku-Klux-Klan (KKK) in Baden-Württemberg tauchte Corellis Name auf. Den KKK-Ableger hatte ein Beamter des LfV gegründet, Corelli gilt als eines der Gründungsmitglieder.
Eine Liste des baden-württembergischen Verfassungsschutzes (LfV) über den KKK nennt ihn gemeinsam mit zwei Polizisten, die später in der Einheit der ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter tätig waren. Bis heute ist die Frage unbeantwortet, weshalb der NSU eine deutsche Polizistin umgebracht haben soll, die in keiner Weise in das Opferschema der ansonsten rassistisch motivierten Morde passte.
Auffällig ist in diesem Fall auch, dass die von staatlicher Seite nie veröffentlichten Phantombilder Personen zeigen, die keinem der NSU-Mitglieder ähnlich sehen. Wusste Corelli mehr über den Hintergrund des Mordes an Michèle Kiesewetter und die Verstrickungen staatlicher Behörden in die rechtsextreme Szene Baden-Württembergs?
Corelli ist nicht der erste wichtige Zeuge im Zusammenhang mit dem NSU, der einem mysteriösen Tod zum Opfer fällt.
Bereits im vergangenen September war es in Stuttgart zu einem spektakulären Todesfall gekommen. Dort war der 21-jährige Florian H. in seinem Auto verbrannt. Am Abend desselben Tages sollte H. eine Aussage beim baden-württembergischen Staatsschutz zu den Hintergründen der rechtsextremen Szene im Land machen.
Die Polizei legte sich bereits nach kurzer Zeit darauf fest, dass Florian H. Selbstmord begangen habe. Seine Mutter widersprach dieser Theorie. Es habe dafür keinerlei Anhaltspunkte gegeben. Zeugen hatten darüber hinaus berichtet, der Wagen sei explodiert, erst daraufhin in Flammen aufgegangen und schließlich ausgebrannt.
Dass Florian H. ein wichtiger Zeuge für die Aufklärung des NSU-Umfelds hätte sein können, war damals erst seit wenigen Wochen bekannt. Sein Name tauchte in einer kleinen Notiz im Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags auf. Aus ihr geht hervor, dass H. bereits 2012 ausgesagt hatte, es gebe neben dem NSU auch eine zweite radikale Gruppe, die „Neoschutzstaffel“ (NSS). Vertreter beider Gruppen hätten sich einmal in der Nähe von Heilbronn getroffen.
Nach Florian H. ist nun mit Corelli alias Thomas Richter der zweite wichtige Zeuge für die Aufklärung des NSU-Umfelds unter zweifelhaften Umständen ums Leben gekommen.