Siemens baut weitere 11.600 Arbeitsplätze ab

Der Siemens-Konzern will im Rahmen des Anfang Mai beschlossen Konzernumbaus mindestens 11.600 Arbeitsplätze abbauen. Das erklärte Vorstandschef Joe Kaeser am Donnerstagabend auf einer Investorenkonferenz in New York.

7.600 Stellen sollen in der Verwaltung der vier Sektoren Energie, Industrie, Medizintechnik und Infrakstruktur & Städte wegfallen. Sie befinden sich vorwiegend in Deutschland, viele davon in Erlangen und Umgebung. 4.000 weitere Stellen werden im Ausland in den sogenannten Clustern gestrichen, die bisher das Auslandsgeschäft organisiert haben.

Kaeser hatte Anfang Mai eine vollständige Neuorganisation von Siemens angekündigt. Sein Vorgänger an der Konzernspitze, Peter Löscher, hatte den Konzern nach dem Korruptionsskandal von 2006/2007 in vier Sektoren aufgeteilt, um das Unternehmen transparenter zu machen und straffer zu führen. Nun sollen die vier Sektoren mit nahezu derselben Begründung wieder abgeschafft werden.

Die Hierarchieebene zwischen Vorstand und Divisionen soll damit entfallen. Gleichzeitig sollen die bisher 16 Divisionen auf neun reduziert und Verwaltungs- und Personalaufgaben zusammengefasst werden. Bis Herbst 2016 will Kaeser auf diese Weise eine Milliarde Euro an Kosten einsparen.

Kaeser nennt seine Strategie „Siemens Vision 2020“. Der Konzern soll „flexibler“ und „schlanker“ aufgestellt werden, um höhere Renditen zu erzielen.

Neben dem Stellenabbau will Siemens Konzernteile verkaufen, die gemäß Vorstandsbeschluss nicht zum Kerngeschäft gehören. Allein vom Verkauf der Mehrheit am Stahlanlagenbauer VAI an Mitsubishi und dem geplanten Börsengang Hörgeräte-Sparte sind 12.000 Arbeiter und Angestellte betroffen, die dann nicht mehr für Siemens arbeiten werden.

Mittelfristig ist geplant, auch den Bereich Healthcare (Medizintechnik) mit etwa 51.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 13,6 Milliarden Euro eigenständig zu führen und an die Börse zu bringen. Healthcare ist nach zahlreichen Restrukturierungsmaßnahmen sehr profitabel. Neue Zukäufe, etwa aus dem Bereich der Molekularbiologie, die für eine Weiterentwicklung notwendig sind, will Siemens aber nicht finanzieren.

Weitere Tausende Arbeitsplätze könnten von den Plänen betroffen sein, den Energiebereich des französischen Alstom-Konzerns zu übernehmen. Gegenwärtig liefert sich Siemens darum einen Bieterkampf mit dem amerikanischen Konkurrenzunternehmen General Electrics (GE). Als Tauschgeschäft hat Siemens Alstom seine Verkehrstechniksparte angeboten, die auch die ICE-Züge herstellt. Diese würden dann vom Alstom-Konzern gebaut, der auch das französische Konkurrenzmodell TGV produziert.

Mit dem Abbau von 11.600 Arbeitsplätzen im Verwaltungsbereich knüpft Kaeser an die Spar- und Sanierungsprogramme der letzten Jahre an. Allein in den sechs Jahren, in denen sein Vorgänger Peter Löscher an der Spitze des Konzerns stand, sank die Mitarbeiterzahl von 475.000 auf 370.000. Der Abbau erfolgte durch Spar- und Kürzungsprogramme sowie durch den Verkauf ganzer Bereiche und Abteilungen. Ende März dieses Jahres beschäftigte Siemens noch 359.000 Mitarbeiter, davon 117.000 in Deutschland.

2008 hatte Löscher ein Umstrukturierungsprogramm verkündet, dem weltweit über 17.000 Arbeitsplätzen in Vertrieb und Verwaltung zum Opfer fielen. Löscher sagte damals, es gelte eine „Lehmschicht“ im Unternehmen „abzutragen“. Gemeint waren damit Teile der unteren und mittleren Führungsebene – Angestellte, Referenten und Sachbearbeiter.

Im Herbst 2012 kündigte Löscher ein weiteres Sparprogramm „Siemens 2014“ an, verbunden mit einem Renditeziel von 12 Prozent. Diesem Sparprogramm fielen 15.000 Arbeitsplätze zum Opfer. Das Gewinnziel konnte aber „aufgrund geringerer Markterwartungen“ – gemeint waren die Auswirkungen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise – nicht erreicht werden.

Dies spielte eine maßgebliche Rolle bei dem internen Machtkampf in der Führungsspitze, der Ende Juli letzten Jahres zur Ablösung Löschers durch Kaeser führte. Unterstützt wurde der Führungswechsel von den Vertretern der IG Metall und des Betriebsrats im Aufsichtsrat. Sie behaupteten, mit Kaeser würde wieder „Ruhe im Unternehmen“ einkehren, es würden wieder Technik und Mitarbeiter im Zentrum stehen und nicht nur die Gewinnmarge.

Mit dem jetzt angekündigten Umbauprogramm hat Kaeser nun deutlich gemacht, dass er den Renditezielen der Kapitaleigner genauso wie sein Vorgänger verpflichtet und bereit ist, die dafür notwendigen Maßnahmen rücksichtslos auf Kosten der Belegschaft durchzusetzen. Dabei kann er sich – wie schon sein Vorgänger – der Unterstützung und vertrauensvollen Zusammenarbeit der IG Metall und des Betriebsrats sicher sein.

Schon als Kaeser die Umbaupläne Anfang Mai ohne Angabe von Zahlen ankündigte, signalisierte die IG Metall, ihre Unterstützung. Man sei grundsätzlich zu Gesprächen über die Pläne bereit, „wenn das Unternehmen dadurch in einem Zug überflüssige Komplexität reduziert und künftig wieder ein geschlosseneres Bild nach außen bietet“, zitiert Spiegel Online Jürgen Wechsler, den IG Metall-Bezirkschef von Bayern.

Am 26. Mai nannte die Wirtschaftwoche dann die Zahl von 10.000 gefährdeten Stellen. Im Artikel „Bei Siemens folgt Jobabbau auf Jobabbau“ hieß es, der Standort Erlangen sei besonders schwer betroffen.

Siemens beschäftigt in Erlangen 25.000 Mitarbeiter, dazu kommen 20.000 weitere in der Region, vor allem in Nürnberg und Fürth. Von Erlangen aus werden gegenwärtig noch das Industrie- und Energiegeschäft sowie die Medizintechnik geleitet. Der Bereich Energie soll ab August von den USA aus geführt und das für den Bereich zuständige Vorstandsmitglied Michael Süß durch die Shell-Managerin Lisa Davis ersetzt werden.

Die Wirtschaftswoche berichtete auch: „Die Gespräche der Konzernleitung mit den Vertretern der Arbeitnehmer über den bevorstehenden Jobabbau im Konzern haben schon begonnen. Zu den Details wollte sich Siemens auf Anfrage nicht äußern.“

Obwohl IG Metall und Betriebsrat also längst über den Stellenabbau verhandelten, reagierten sie auf Kaesers Ankündigung in New York nach einem inzwischen hinlänglich bekannten Muster: Sie zeigten sich irritiert und verärgert und behaupteten wahrheitswidrig, sie seien im Vorfeld nicht über das Ausmaß des geplanten Arbeitsplatzabbaus informiert gewesen. Tatsächlich versuchen sie, die Belegschaft so lange wie möglich im Ungewissen zu halten, um den Arbeitplatzabbau gemeinsam mit dem Vorstand so geräuschlos wie möglich umzusetzen.

Der Aktionstag bei Siemens, zu dem die IG Metall am 23. Mai aufrief, ist Teil dieser Strategie. Er diente dazu, Dampf abzulassen und jeden ernsthaften Widerstand im Keim zu ersticken. Im Mittelpunkt stand die nationalistische Forderung nach einer „Deutschlandstrategie“. Als Parole diente der von Kaeser geprägte Slogan „OneSiemens“ ergänzt durch die Worte „Aber mit allen.“

Obwohl die IG Metall zu einem bundesweiten Protesttag aufgerufen hatte, mobilisierte sie kaum dafür. In Krefeld, wo unter anderem die ICE-Züge gebaut werden, kamen etwa 1.500 Teilnehmer zur Protestkundgebung, in Erlangen 1.200, in München 900 und in Berlin 100. Die Aktion in Berlin dauerte laut einem Bericht des Tagesspiegels nur eine Viertelstunde. An den anderen Standorten gab es nur symbolische oder gar keine Aktionen.

In Krefeld sprach die neue Vorsitzende des Siemens-Gesamtbetriebsrats, Birgit Steinborn. Sie sagte, die Neuausrichtung dürfte nicht nur „ein weiteres Personalabbauprogramm als zentrales Ziel beinhalten“, betonte aber auch, dass die Konkurrenz aus China immer härter werde. Das Werk in Krefeld sei in der Lage, sich erfolgreich dem Wettbewerb zu stellen, erklärte sie, und befürwortete eine straffere und unbürokratischere Struktur des ganzen Konzerns.

Steinborn kündigte an, falls Siemens das Bahngeschäft an Alstom verkaufe, werde sie sich für eine Arbeitsplatz- und Standortgarantie der deutschen Werke von Siemens und Alstom einsetzen.

Laut einem Bericht Rheinischen Post von Ende Mai hofft der Betriebsrat des Krefelder Werks darauf, dass das Geschäft mit Alstom nicht zustande kommt, während Ralf Claessen von der IG Metall Krefeld in einem Zusammengehen mit Alstom in der Zugsparte auch Chancen sieht: „Wenn die Details hinsichtlich Standort- und Arbeitplatzgarantien stimmen würden, könnte ein europäischer Konzern entstehen, der gegen die Konkurrenz aus Übersee und Nahost bestehen sollte.“

IG Metall und Betriebsrat verstehen sich als Co-Management. Sie verteidigen nicht die Arbeitsplätze und die Rechte der Arbeiter und Angestellten bei Siemens, sondern die Wettbewerbsfähigkeit und die Profite des Konzerns auf Kosten der Belegschaft sowie ihre eigenen, gut abgesicherten Posten und Privilegien.

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