Mit der aktuellen Ausgabe der Zeit erreicht die Kampagne gegen kritische Studierende an der Humboldt-Universität in Berlin, die wöchentlich auf dem Blog „Münkler-Watch“ die Vorlesung ihres Professors kritisieren, einen neuen Höhepunkt.
In einem ausführlichen Interview beschuldigt Herfried Münkler unter der Überschrift „Ressentiments wie 1933“ die Studierenden des Nationalsozialismus und des Antisemitismus. Außerdem wirft er seinen Kritikern „asymmetrische Kriegsführung“ vor, ein Begriff, der vor allem im Zusammenhang mit Terrorismus verwendet wird. Später erklärt er: „Der Ressentimentdiskurs, den sie [die Studierenden] pflegen, erinnert mich aber eher an hochschulpolitische Vorgänge des Jahres 1933: Der hat viel Geld, wir sind arm. Der hat Einfluss, wir nicht. Das ist ein Muster, das auch anti-semitisch eingesetzt worden ist.“
Münklers Vergleich der Studierenden mit den Nazis ist eine Verleumdung, die jeder Grundlage entbehrt und die Dinge völlig auf den Kopf stellt. Was ist 1933 an den Hochschulen passiert? Nach der Machtübernahme der Nazis wurden die Universitäten gleichgeschaltet und auf die extrem rechte und militaristische Linie des Hiter-Regimes ausgerichtet. Die Meinungsfreiheit wurde abgeschafft, jüdische, pazifistische und linke Studierende verfolgt und Wissenschaft und Forschung den kriegerischen Zielen des Regimes unterworfen.
Die Humboldt-Universität, die damals Friedrich-Wilhelms-Universität hieß, spielte dabei eine zentrale Rolle. 1926 wurde dort der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund gegründet, am 10. Mai 1933 ging von hier die Bücherverbrennung aus. Unter den verbrannten Büchern waren neben jüdischen und marxistischen auch pazifistische Schriften. Erich Maria Remarques berühmter Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ wurde mit dem Spruch „Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs, für Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit!“ in die Flammen geworfen.
Die nationalsozialistische Barbarei war bereits in der Weimarer Republik durch die Unterdrückung und Inhaftierung von Anti-Militaristen vorbereitet worden. Am bekanntesten ist das dramatische Schicksal von Carl von Ossietzky. Er wurde bereits Ende 1931 zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er in der Weltbühne die illegale Aufrüstung der Wehrmacht aufgedeckt hatte. Auf Betreiben der Nazis wurde Ossietzky dann im Februar 1933 als engagierter Pazifist und Demokrat erneut inhaftiert. 1938 starb er an den Folgen der brutalen Haftbedingungen.
Wenn man eine Parallele zu den „hochschulpolitischen Vorgängen des Jahres 1933“ ziehen will, dann liegt sie genau umgekehrt. Münkler ist derjenige, der für Diktatur und Militarismus eintritt und jede Kritik daran unterdrücken will, und nicht die Studierenden. Sie werden angegriffen und diffamiert, weil sie unter anderem die militaristischen Standpunkte ihres Professors in Frage stellen.
1933 waren es Professoren wie Carl Schmitt oder Martin Heidegger, die das Recht im Sinne der Nazis interpretierten oder den „Führerstaat“ philosophisch rechtfertigten. Heute sind es Professoren wie Münkler, die ihre Stellung als Akademiker missbrauchen, um die Universitäten in die deutsche Außen- und Kriegspolitik einzubinden.
Münkler behauptet, er sei kein Militarist, aber das stimmt nicht. Sein Eintreten für Krieg und Militarismus ist so notorisch, dass selbst die Zeit nicht umhin kommt, die Frage des „Militarismus“, seinen „hohen Verfilzungsgrad“ und seine „enge Nähe zum politischen Betrieb“ anzusprechen. In der Tat gibt es wohl kaum einen prominenteren Wissenschaftler, der öfter in Talkshows, Radiointerviews, Zeitungsartikeln und auf Podiumsdiskussionen auftritt und für das von der Bundesregierung verkündete Ende der außenpolitischen Zurückhaltung wirbt.
Sein jüngstes Buch „Macht in der Mitte“ ist ein einziger Aufruf zur Rückkehr zu einer deutschen Großmachtpolitik. Wörtlich will er Deutschland wieder zum „Zuchtmeister“ Europas machen und als „Hegemon“ etablieren. Deutschland sei „zur Zentralmacht Europas geworden“ und müsse „die ihm zugefallene Rolle auch spielen“, fordert er darin.
Münklers Propaganda für Aufrüstung und Krieg ist berüchtigt. Unter anderem ist er ein bekennender Befürworter von Kampfdrohnen. Erst im April bezeichnete er die Killermaschinen in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) als „humane“ Waffe. Dabei ging er soweit, eine Parallele zum Giftgas zu ziehen, das erstmals im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurde und das er ebenfalls als „eine eher ‚humane’ Waffe“ bezeichnete.
Die Autoren von „Münkler-Watch“ haben ihren Blog vor allem mit der Frage des Militarismus begründet. „Wir wollen damit zeigen, was es für Studierende bedeutet, wenn ein offenkundig militaristischer Extremist der Mitte für die Ausbildung junger Menschen verantwortlich ist“, schreiben sie. Es gehe darum zu „zeigen, was hier abgeht, auch über die Causa Münkler hinaus“.
Im jüngsten Blogeintrag zu Münklers Vorlesung vom 19. Mai schreiben sie unter der Zwischenüberschrift „Durch Machiavelli sprechen“, es falle auf, „wie sehr Münkler an dieser Stelle durch das, was er als Machiavellis Gedanken darstellt, spricht“.
Sie verweisen auf ähnliche Argumentationen in einem für das deutsche Auswärtige Amt geschriebenen Text Münklers, in dem dieser schildert, „wie den Deutschen aufgrund des zweiten Weltkrieges und des Wohlstandes die Haltung für eine entschlossene, die Interessen der deutschen Eliten vertretenden Politik fehle“. Münkler verlange in dem Text Politiker, die „dem Volk vermitteln, dass Deutschland seine angeblichen legitimen Interessen in der Welt selbstbewusst vertreten müsse“, und „die beherzt den Deutschen voranschreiten“. Beim Lesen falle auf, wie sehr „Machiavelli und Münkler verwoben sind“.
Münkler will nicht dulden, dass diese Auffassungen in seinen Vorlesungen kritisiert werden. Einer der Gründe für die Einrichtung von „Münkler-Watch“ war, dass der Professor in seinen Vorlesungen keine Fragen zulässt. Seine heftigen Attacken auf den Blog machen nun klar, dass er überhaupt keinen Widerspruch von Studierenden in diesen Fragen akzeptiert.
In der Zeit macht Münkler indirekt deutlich weshalb. Dass er wegen „Münkler-Watch“ nun zum „vorsichtigen Sprechen angehalten“ werde, dürfe „man nicht unterschätzen“. Durch „die Denunziationsvokabeln“ werde „die intime Arbeitsatmosphäre zwischen Vortragenden und Mitarbeitenden gestört, und sie wird durch externe Überwachung aufgesprengt“, beklagt er sich.
Was er mit „intimer Arbeitsatmosphäre“ meint, hat Münkler bei seiner Buchvorstellung von „Macht in der Mitte“ auf der Leipziger Buchmesse deutlich gemacht. Dort bezeichnete er Erstsemester als „trübe Tassen“, die jedoch „mit den Anforderungen“ wüchsen. Damit meinte er seine Vorlesungen. Schließlich finde sich durch „Selektionsprozesse“ immer „politisch kompetentes Personal“, das „in die Stiefel von Frau Merkel und Herrn Steinmeier“ reingeht. „Der Luxus der Demokratie“ sei „es dann, zu bestimmen, welche Füße in welche Stiefel gehören“.
Um es auf den Punkt zu bringen: Münkler schlägt wild um sich, weil die Kritik der Studierenden sein Projekt durchkreuzt, junge Studierende zu indoktrinieren, um der Regierung, den außenpolitischen Thinktanks, der Bundeswehr und den Geheimdiensten neuen Nachwuchs zuzuführen. Oder wie Münkler es ausdrücken würde: die „trüben Tassen“ auszubilden, zu „selektieren“ und sie anschließend in die „passenden Stiefel“ zu stecken.
Genau darin besteht die von Münkler ins Spiel gebrachte Parallele zu 1933. Wie damals verträgt sich der Militarismus nicht mit dem elementaren Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Er erfordert die Unterdrückung jeder Kritik und die Gleichschaltung der Universität.
Am Ende des Interviews droht Münkler den Studierenden. Auf die Feststellung der Zeit, seine Kritiker hätten „mit sehr wenigen Mitteln sehr viel erreicht“, erklärt er: „Man muss das analysieren, um ein effektives Gegenhandeln möglich zu machen. Das reizt mich durchaus.“ Man kann nur darüber spekulieren, was er damit meint. In außenpolitischen Konflikten plädiert er dafür, Terroristen, die sich der „asymmetrischen Kriegsführung“ bedienen, mit Kampfdrohen zu verfolgen.
Im Moment beschränkt er sich (noch) darauf, der Universitätsleitung vorzuwerfen, sie lasse Professoren wie ihn „im Stich“ und habe „keine Fähigkeit zur Empathie“. Laut einem Bericht des Tagesspiegels hat er sich mittlerweile an die Rechtsstelle der Universität gewandt, die nach Aussage von Universitätssprecher Hans-Christoph Keller zugesagt habe, „den Vorgang im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu prüfen“.
Auf dieser Grundlage solidarisiert sich Münkler nun auch mit dem Osteuropahistoriker Jörg Baberowski. Dieser Verteidiger des Nazi-Apologeten Ernst Nolte, der in seinen eigenen Werken den Vernichtungskrieg der Nazis gegen die Sowjetunion verharmlost, hatte bereits im vergangenen Jahr kritischen Studierenden und Wissenschaftlern mit Unterstützung eines Sicherheitsdienstes den Zugang zu einem Kolloquium versperrt. Nun fordert er laut Tagesspiegel, „die Universität müsse solchen ‚Spinnern’ Hausverbot erteilen und Strafanzeige gegen sie stellen“. Sie müsse „ihre Mitarbeiter vor Extremisten aller Art schützen“.
Münkler behauptet im Interview mit der Zeit, dass Baberowski „wie ich anonym im Netzt verfolgt wurde“. Das ist eine Lüge. Die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) haben ihre Kritik an Baberowski sowie an Münkler nicht anonym, sondern öffentlich auf Veranstaltungen, in Offenen Briefen und Statements vorgebracht.
Die Folgen waren die gleichen wie bei „Münkler-Watch“. Das Institut für Geschichtswissenschaften hat die Lehrenden und Studierenden auf der offiziellen Website der Universität aufgerufen, der IYSSE „entgegenzutreten“ und ihre Kritik an Baberowski „in den Räumen der Humboldt-Universität“ nicht mehr zu dulden. Universitätspräsident Jan-Hendrik Olbertz hat eine ähnliche Stellungsnahme unterzeichnet, die der IYSSE und der Partei für Soziale Gleichheit „Verleumdung“ und eine „Rufmordkampagne“ vorwirft.
Es geht nicht um die Frage der Anonymität, sondern um die Unterdrückung jeder Kritik. Genau davor haben die IYSSE gewarnt. In einem Offenen Brief an die Universitätsleitung erklärten wir bereits im Februar 2014: „Baberowskis Angriff auf elementare demokratische Rechte und akademische Freiheiten dient Interessen, die die Humboldt-Universität in ein Zentrum für rechte und militaristische Propaganda verwandeln möchten.“ Inzwischen hat sich die Universitätsleitung offen hinter diese Agenda gestellt, während immer mehr Studierende sie ablehnen.