Die im Bundestag am Donnerstag in erster Lesung debattierte Reform des Asylrechts beinhaltet drastische Härten gegen Flüchtlinge. Statt bisher drei Monate sollen Flüchtlinge zukünftig bis zu sechs Monate in den völlig überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben, Asylbewerber aus „sicheren Herkunftsstaaten“ sogar bis zum Ende ihres Verfahrens, um sie direkt von dort abschieben zu können.
Die Sozialleistungen werden massiv gekürzt. Statt der 143 Euro pro Monat für den täglichen Bedarf, werden die Flüchtlinge demnächst mit Sachleistungen und Gutscheinen abgespeist. Flüchtlinge, deren Asylanträge abgelehnt und die zur Ausreise aufgefordert wurden, wird das Existenzminimum zusammengestrichen auf das „unabdingbar Notwendige“. Ihnen soll nur noch Nahrung und Unterkunft gestellt werden.
Diese Absenkung der Sozialleistungen ist ein eklatanter Verstoß gegen die grundgesetzlich verankerte Unantastbarkeit der Menschenwürde. Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem Grundsatzurteil 2012 entschieden, dass „migrationspolitische Erwägungen von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen“ können.
Außerdem werden mit Albanien, Montenegro und Kosovo drei weitere Länder des Balkans in die Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“ aufgenommen, wodurch Flüchtlinge aus diesen Ländern in einem Schnellverfahren abgelehnt und abgeschoben werden können. Zudem werden die Gründe für eine Aussetzung von Abschiebungen restriktiver gehandhabt und Fristen zur Durchsetzung von Deportationen erheblich verkürzt.
Obwohl diese Reform des Asylrechts von Experten für Flucht und Migration scharf kritisiert wird, soll sie bereits am 16. Oktober den Bundestag und den Bundesrat passiert haben, um am 1. November in Kraft zu treten.
Der Vorsitzende des Rates für Migration, der Sozialanthropologe Werner Schiffauer von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, erklärte, dass die „Bundesregierung nur eine Politik fortsetze, die auf Abschreckung und Abschottung basiert“.
Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück beklagt, dass „Maßnahmen zur Kontrolle von Flüchtlingen vorgesehen sind, die für die Behörden in den Ländern und Kommunen eine stärkere Belastung und höhere Kosten bedeuten“. So sei eine dezentrale Unterbringung viel billiger als die teure Zwangseinweisung in Massenunterkünfte. Auch schreckten Sachleistungen niemanden ab.
Die Asylrechtsverschärfung „verschlechtere“, so Schiffauer, „nicht nur die Situation der Flüchtlinge, sondern erstickt auch die Bereitschaft vieler Bürgerinnen und Bürger, sich aktiv für Schutzsuchende einzusetzen“.
Aber genau dieser Effekt ist beabsichtigt. Die Debatte im Bundestag wurde begleitet von einem regelrechten Sperrfeuer von Zahlen und Meldungen, die allesamt den Anschein erwecken sollen, dass der Flüchtlingszuzug außer Kontrolle geraten sei. Der neu ernannte Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, erklärte am Mittwoch, dass nach Schätzungen seines Hauses rund 290.000 Flüchtlinge noch nicht registriert seien und die Behörden derzeit nicht wüssten, wie viele Menschen kämen, wo sie sich aufhielten, wie sie verteilt und ihre Anliegen bearbeitet würden. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), sprach von einem „beängstigenden Kontrollverlust“.
Innenminister de Maizière berichtete am Mittwoch von 170.000 Asylsuchenden, die alleine im September nach Deutschland gekommen seien. Die Welt zitierte Regierungsbeamte, die von 200.000 Flüchtlingen sprachen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann zeichnete gar eine Zahl von 270.000 Flüchtlingen an die Wand, ohne dass irgendein Beleg für die Zahlen benannt wurde.
Das Spiel mit den großen Zahlen soll vor allem dazu dienen, die Aufnahmebereitschaft und Solidarität der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen zu senken und Ängste zu schüren. Das Hervorholen von abstrusen Statistiken wird dabei flankiert von einer demagogischen Hetze gegen muslimische Flüchtlinge. Teile der Regierung argumentieren immer offener rassistisch und schüren ausländerfeindliche Stimmungen.
Bei der Debatte im Bundestag zur Asylrechtsreform verlangte Innenminister de Maizière von den Flüchtlingen die „Anerkennung der Rechts- und Wertekultur“ in Deutschland, wozu auch gehöre, „sich nicht zu prügeln“. Er spielte damit auf Gewaltausbrüche in den Flüchtlingsunterkünften an, die derzeit medial hochgespielt werden.
Während de Maizière jedoch unterstellt, dass deren Ursache in der angeblichen Unzivilisiertheit der Flüchtlinge liege, ist es vor allem die monatelange Unterbringung von häufig traumatisierten Schutzsuchenden in Massenunterkünften unter unzumutbaren hygienischen Bedingungen, ohne jede Privatsphäre und mit langen Schlangen bei der Essensausgabe, die die Gewaltausbrüche befeuern. Die Ausweitung der Inhaftierung in den Flüchtlingslagern wird diese Situation zukünftig noch weiter verschärfen.
Der rechts- und innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion und stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl drohte Flüchtlingen vom Westbalkan: „Verkauft nicht euer Haus und euer Auto, um den Schlepper und den Schleuser bezahlen zu können. Wir werden euch schnell wieder zurückschicken, und ihr werdet schnell wieder da sein, wo ihr hergekommen seid, nur ihr werdet noch ärmer sein.“ Muslimische Flüchtlinge provozierte er mit den Worten: „Die Gesetze macht bei uns nicht der Prophet, die macht bei uns in Deutschland das Parlament.“
Der Widerspruch zwischen der Stimmung und der Hilfsbereitschaft breiter Bevölkerungsschichten und der ausländerfeindlichen Hetze in Politik und Medien könnte nicht größer sein. Während tausende Menschen sich ehrenamtlich um die Versorgung der Flüchtlinge kümmern und Solidaritätsbekundungen organisieren, peitscht die Bundesregierung mit Unterstützung aller im Bundestag vertretenen Parteien die massivste Asylrechtsverschärfung seit dem berüchtigten Asylkompromiss von 1992 durch die Parlamente.
Bevor der Gesetzentwurf im Bundestag debattiert wurde, hatte de Maizière bereits weitere Maßnahmen auf den Tisch gelegt, die dem grundgesetzlich verankerten Recht auf Asyl endgültig den Garaus machen sollen. Zielstrebig arbeitet die Bundesregierung darauf hin, die Grenzen für Flüchtlinge dicht zu machen und den „Zuzug von Flüchtlingen“ zu stoppen, wie der Innenminister am Rande des Treffens der EU-Innenminister vergangene Woche erklärte.
Nach dem Willen de Maizières sollen Asylgesuche zukünftig direkt an den Landesgrenzen in eigens dafür eingerichteten „Transitlagern“ von den Grenzschutzbehörden bearbeitet werden. Asylsuchende, deren Anträge dabei als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden, sollen umgehend wieder abgeschoben werden.
Dieses Verfahren wird bereits seit 1993 an deutschen Flughäfen praktiziert und soll jetzt auf die Landesgrenzen übertragen werden. „Man kann schon jetzt jemanden am Flughafen festhalten, prüfen, ob sein Asylantrag offensichtlich unbegründet ist und ihn zurückschicken“, erklärte de Maizière am Mittwoch im Inforadio des Senders Radio Berlin Brandenburg.
Bei diesem Flughafenverfahren wird Flüchtlingen die Einreise nach Deutschland verwehrt und sie werden in geschlossenen Flüchtlingsunterkünften im Transitbereich des Flughafens inhaftiert. Für die Dauer des Verfahrens dürfen sie diesen Bereich nicht verlassen. Innerhalb von 48 Stunden wird entschieden, ob die Flüchtlinge einreisen dürfen, bis endgültig über den Asylantrag entschieden wird. Wird die Einreise jedoch verwehrt, bleibt den Flüchtlingen nur drei Tage Zeit, gegen diese Entscheidung zu klagen.
De Maizière begründet seinen Vorstoß mit der notwendigen Umsetzung zweier Richtlinien der Europäischen Union zum Asylverfahren, mit denen EU-Mitgliedsstaaten zu diesen Landverfahren an der Grenze ermächtigt werden. Allerdings müssten dafür dauerhaft Grenzkontrollen durchgeführt werden. Das Schengen-Abkommen würde so faktisch abgeschafft.
Der Geschäftsführer von ProAsyl, Günter Burkhardt, kritisierte de Maizières Vorstoß scharf. „Damit soll kurzer Prozess an den Landesgrenzen mit den Flüchtlingen gemacht werden. Das läuft auf menschenrechtsfreie Zonen an den Landesgrenzen hinaus. Offenbar ist inzwischen jedes Mittel recht, die Grenzen zu schließen, ungeachtet dessen, wer kommt.“ Das Flughafenverfahren arbeite mit extrem verkürzten Fristen und die Flüchtlinge hätten dabei keinen Zugang zu Anwälten, erklärte er.
Übertragen auf die Landgrenzen bei einem Zuzug von derzeit mehreren Tausend Flüchtlingen täglich würden an den Grenzstationen zudem riesige Inhaftierungslager für Flüchtlinge entstehen, die ohne jeglichen rechtlichen Schutz den Grenzschutzbehörden ausgeliefert sind. Es ist das gleiche barbarische Konzept, dass die diktatorische rechts-nationale Regierung Ungarns seit Mitte September betreibt. An der ungarisch-serbischen Grenze wurde einfach ein 60 Meter breiter Streifen zur Transitzone erklärt und Flüchtlinge, die versuchen, diesen Bereich auf eigene Faust zu überwinden, werden als illegale Immigranten von der Polizei gejagt, inhaftiert und abgeschoben.