Am Dienstag beschloss der französische Premierminister Manuel Valls (PS), die umstrittene Reform der Arbeitsministerin Myriam El Khomri per Dekret in Kraft zu setzen, ohne in der Nationalversammlung darüber abstimmen zu lassen. Diese Entscheidung bringt die tiefe Krise der Demokratie zum Ausdruck.
Seit zwei Monaten protestieren Millionen Arbeiter und Jugendliche gegen das Gesetz, und drei Viertel der Bevölkerung lehnen es ab. Die Regierung der Sozialistischen Partei (PS) versucht schon zum zweiten Mal, ein Diktat ohne parlamentarische Abstimmung durchzudrücken. Schon im letzten Jahr hatte sie sich auf Artikel 49-3 der Verfassung gestützt, als es darum ging, das Macron-Gesetz zur Liberalisierung der Wirtschaft in Kraft zu setzen.
Dieser Verfassungsartikel ermöglicht es der Regierung, ein Gesetz an der Nationalversammlung vorbei einzuführen, sofern diese nicht in den darauf folgenden 48 Stunden die Regierung abwählt. Damit gesteht Valls ein, dass die Austeritätspolitik und die verschärfte Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die PS- und alle EU-Regierungen mit der herkömmlichen parlamentarischen Demokratie nicht mehr vereinbar sind.
Unter lauten Buh-Rufen der Parlamentarier kritisierte Valls die „rebellierenden PS-Abgeordneten“, die sich weigern, für das El-Khomri-Gesetz zu stimmen, und es seit der zweiten Valls-Regierung vom März 2014 kritisieren. Valls empörte sich: „Einige in der parlamentarischen Regierungsmehrheit sind an einem Kompromiss nicht interessiert. Gemeinsam könnten diese Oppositionsgruppen das Gesetz blockieren … Weil das Land aber vorwärts gehen muss, hat der Ministerrat mich beauftragt, der Verantwortung der Regierung gerecht zu werden.“
Rechte Abgeordnete und Abgeordnete der Linksfront brachten daraufhin einen Misstrauensantrag ein. Damit er durchkommt, würde er jedoch die Unterstützung von etwa sechzig PS-Abgeordneten und ihrer Verbündeten benötigen. Christian Paul, der Anführer der „Frondeure“ [der Widerspenstigen innerhalb des PS], ging der Frage aus dem Weg, ob er einem Misstrauensantrag gegen seine eigene Partei zustimmen würde. Er sagte: „Wir nehmen keine verfassungsmäßige Möglichkeit vom Tisch. Das ist eine kollektive Entscheidung, die wir wahrscheinlich morgen treffen werden.“
Tatsächlich ist die Opposition der „Rebellen“ ein drittrangiger Faktor in der Krise der PS. Trotz ihrer Bedenken haben die „Rebellenführer“ schon klar gemacht, dass auch sie Frankreich mit Austeritätspolitik reformieren wollen. Ihnen fehlt jedes Rückgrat. Sie haben 2014 der zweiten Valls-Regierung das Vertrauen ausgesprochen und später, als diese das Macron-Gesetz durchpeitschte, ein Misstrauensvotum abgelehnt. Hätten sie Valls gestürzt, hätte es wahrscheinlich Neuwahlen gegeben, und die „Rebellen“ hätten riskiert, ihre bequemen Abgeordnetensessel zu verlieren.
Was die Krise der PS vertieft, ist ein internationaler politischer Umschwung der Stimmung der Massen. Europa- und weltweit gehen immer mehr Arbeiter und Jugendliche auf die Straße. Nach acht Jahren beispielloser kapitalistischer Krise wendet sich die arbeitende Bevölkerung gegen die Parteien, die jahrzehntelang als „links“ oder gar als „extrem links“ galten. Diese Parteien sind inzwischen zu Instrumenten der Finanzaristokratie geworden, und diese ist bereit, alle Mittel einzusetzen, um ihre exorbitanten Privilegien gegen die Arbeiterklasse zu verteidigen.
In den Vereinigten Staaten zeigen Millionen junger Wähler ihre Enttäuschung über Obama und die Demokratische Partei, indem sie mit Bernie Sanders für einen Kandidaten stimmen, der als Sozialist auftritt. Anfang dieser Woche befolgten griechische Arbeiter in großer Zahl einen Streikaufruf gegen die Syriza-Regierung (Koalition der Radikalen Linken), die ihre Wahlversprechen einstampft, um die Forderungen der EU zu erfüllen.
In Frankreich haben Präsident François Hollandes Austeritätspolitik, sein Kriegskurs und der Ausnahmezustand zu einer starken Desillusionierung mit dem PS geführt. Dies betrifft auch die kleinbürgerlichen Gruppen im PS-Umfeld, wie die Linksfront und die Neue Antikapitalistische Partei. Dutzende Millionen zornige Arbeiter wissen, dass diese Organisationen keine Alternative zur bestehenden Gesellschaftsordnung bieten. Seit vier Jahren unterdrücken sie zusammen mit den Gewerkschaftsbürokratien jede Opposition gegen Hollande, den sie bei der Präsidentschaftswahl 2012 unterstützt hatten.
Zwei Monate lang lag ein Hauch von 1968 in der Luft, und Frankreich bewegte sich am Rande einer revolutionären Explosion. Aber keine Partei kämpfte für die revolutionäre Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die PS. Gewerkschaften und kleinbürgerliche Gruppen setzten sich an die Spitze einer Bewegung namens „Nuit Debout“ (Aufrecht durch die Nacht), die zentrale Plätze in mehreren Städten belagerte, und verhinderten so eine wirkliche Mobilisierung der Arbeiterklasse. Während der soziale Unmut zunahm, verzettelten sie auf diese Weise die Bewegung und verschafften der Polizei die Möglichkeit, die jugendlichen Demonstranten anzugreifen.
Ein Sprecher von „Nuit Debout“, der Ökonom Frédéric Lordon, sagte sogar über das El-Khomri-Gesetz: „Wir fordern keinesfalls, dass es modifiziert oder neu geschrieben wird, wir fordern keine Rechte, wir fordern überhaupt nichts.“
Nachdem die PS lange gezögert hatte, das El-Khomri-Gesetz der Nationalversammlung vorzulegen, ist sie nun offenbar zur Ansicht gelangt, die Jugendbewegung sei ausreichend isoliert und unterdrückt, so dass sie der Nationalversammlung das Gesetz jetzt aufzwingen könne.
Solche Angriffe auf soziale Grundrechte können nur gestoppt werden, wenn die Mobilisierung verstärkt und der Kampf gegen die PS-Regierung und ihre gewerkschaftlichen und politischen Verbündeten aufgenommen wird. Dafür ist es notwendig, Klassenkampforgane aufzubauen, die von den Gewerkschaften unabhängig sind, und die einen revolutionären Kampf zum Sturz der PS-Regierung aufnehmen. Der Kampf gegen Austerität muss auf ganz Frankreich und über Frankreich hinaus ausgeweitet werden.
Es wäre ein tödlicher Irrtum, würden die Jugendlichen und Arbeiter dem Vorschlag der Gewerkschaften folgen und ihr Vertrauen in die Nationalversammlung setzen, um so das El-Khomri-Gesetz zu stoppen. In der Nationalversammlung haben die PS und offen rechte Austeritätsparteien das Sagen. Auch die „Rebellen“ haben nicht die Absicht, den Sparkurs zu stoppen. Dieselben Politiker haben es Hollande schon im vergangenen Jahr ermöglicht, das Macron-Gesetz durchzusetzen. Sie wollen einfach so lange wie möglich die Illusion einer PS-internen Opposition aufrechterhalten. Sie haben nichts mit den Interessen der Jugendlichen und Arbeiter zu tun, die gegen die PS-Politik kämpfen.
Wenn sie sich jetzt kritisch zu dem Gesetz äußern, dann um zu verhindern, dass die PS langfristig diskreditiert wird und bei den Präsidentschaftswahlen 2017 zusammenbricht. Eine soziale Explosion soll verhindert werden, weil sie zum völligen Scheitern des Gesetzes und zum Sturz der Valls-Regierung führen könnte.
Wenn das weitere Schicksal des Gesetzes in ihren Händen bleibt, dann wird die unpopuläre Austeritäts- und Kriegspolitik weiter fortgesetzt werden. Entweder werden die „Rebellen“, wie schon im letzten Jahr, vor Valls’ 49-3-Manöver kapitulieren, oder es wird neue, komplexe Verhandlungen zwischen den französischen Parteien und den unterschiedlichen EU-Institutionen geben.