Berlin: Roma setzen Proteste gegen Abschiebungen fort

Letzten Freitagabend zogen rund 200 Roma und Unterstützer vom Alexanderplatz zum Denkmal für die in der Nazizeit ermordeten Sinti und Roma am Berliner Reichstag. Auf Plakaten forderten sie Abschiebestopp, Bleiberecht für alle, „Kein Profit mit Flüchtlingen“ und „Weg mit den Lagern“.

„Wann wird Deutschland uns Sinti und Roma endlich als Menschen respektieren?“ fragten Redner der Roma. Sie protestierten auch gegen das Vorgehen der Polizei bei ihrer Kundgebung am 22. Mai am selben Denkmal, die nach Mitternacht gewaltsam beendet worden war, und betonten, es sei immerhin der Ort, „an dem an unsere deportierten und ermordeten Großeltern erinnert werden soll“.

30.000 Sinti und Roma lebten während der 30er Jahre in Deutschland. Ab 1933 begannen massive Unterdrückungsmaßnahmen, ähnlich wie gegen die jüdische Bevölkerung. Sie wurden ab 1936 kaserniert, zu Zwangsarbeiten verurteilt und misshandelt. An ihren Kindern fanden die berüchtigten „medizinischen“ Experimente statt, der größte Teil der Roma und Sinti wurde schließlich ermordet, allein in Auschwitz-Birkenau mehr als 20.000.

Nach Schätzungen kamen europaweit zwischen 500.000 und 600.000 Sinti und Roma im Holocaust ums Leben, darunter viele auf dem Balkan und in anderen osteuropäischen Ländern. Die Überlebenden haben von keiner Regierung jemals eine Entschädigung erhalten. Bis heute gehören die Roma und Sinti zu der am meisten diskriminierten Volksgruppe in Europa.

Heute sind sie auch in Deutschland wieder bedroht. Seit Monaten schieben die Behörden immer massiver und rabiater Roma-Familien in die Balkanländer ab. Obwohl viele schon lange in Deutschland leben, gelten sie als „Balkan-Flüchtlinge ohne Bleiberecht“, nachdem die Bundesregierung die Länder des ehemaligen Jugoslawiens zu „sicheren“ Herkunftsländern erklärt hat.

Doch hat die Diskriminierung in ihren Heimatländern seit dem Jugoslawien-Krieg in den 90er Jahren, an dem sich erstmals auch deutsches Militär beteiligt hatte, stark zugenommen. Allein in und um die serbische Hauptstadt Belgrad gibt es inzwischen rund hundert Slums, in denen Roma unter Elendsbedingungen hausen. Sie leben auf Müllhalden oder in selbst errichteten Blechhütten, haben kaum staatliche Unterstützung oder Zugang zu Jobs, fast keine medizinische Versorgung und kein Geld für die Schulbildung ihrer Kinder. Brutale Überfälle, Mord und Vergewaltigungen sind in diesen Elendsquartieren an der Tagesordnung.

Die seit 1988 in Deutschland lebende Serbin Drana, die hier ihre beiden Kinder auf die Welt brachte und großzog, berichtete der WSWS während der Kundgebung, dass es „Wahnsinn ist, wie meine Landsleute, die selber unter der Naziherrschaft so viel Grausames erleiden mussten, die Roma behandeln. Das passiert nicht nur in Serbien, sondern im gesamten zerstückelten Jugoslawien, indem die Roma gar keine Heimat mehr finden.“

Der Jugoslawienkrieg sei seit 17 Jahren vorbei, so Drana, und die Roma lebten immer noch in Hütten. „Und die werden jetzt auch noch angezündet.“

Seit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien gehe es der einfachen Bevölkerung insgesamt sehr schlecht, sagt Drana. „Der Krieg war keine Lösung und von den meisten unter uns auch nicht gewollt.“ Mit der aggressiveren deutschen Außenpolitik sei auch die Politik gegen die Roma brutaler geworden. „Deutschland zeigt seine Macht“, findet Drana. Die Bevölkerung müsse gemeinsam gegen Kriege und die Diskriminierung der Flüchtlinge kämpfen. „Sonst wird uns dasselbe wie vor 70 und 80 Jahren passieren.“

Dranas Tochter Jana, 16-jährig, hat ebenso wie ihre Mutter und ihr jüngerer Bruder keine deutsche Staatsbürgerschaft. Die Behörden haben seit Jahren den Antrag der Mutter auf deutsche Staatsbürgerschaft für ihre Kinder abgelehnt. Nun besteht die Gefahr, dass sie abgeschoben werden in ein Land, das sie nur von Besuchen kennen.

Die 15-jährige Victoria ist zusammen mit ihrer Mutter und ihrem zehnjährigen Bruder in einem Flüchtlingsheim in Berlin-Hohenschönhausen untergebracht. Sie kommen aus Leskovac, einer rund 220 km südlich von Belgrad liegenden Stadt. 2011 sind sie das erste Mal nach Deutschland gekommen, hatten jedoch nur befristete Aufenthaltsgenehmigungen und mussten immer wieder nach Serbien zurückkehren. Mittlerweile sind sie das fünfte Mal nach Deutschland geflüchtet.

„Vor einem Monat aber kam die Polizei und wollte uns zum Flugzeug bringen, um uns abzuschieben. Ich konnte noch im letzten Moment unsere Anwältin erreichen und sie schaffte es, dass die Abschiebung erst einmal ausgesetzt wurde.“

Victoria geht in Berlin in die 9. Klasse. Sie möchte ihr Abitur machen und studieren. Später würde sie gern als Kindererzieherin arbeiten oder geflüchteten Menschen helfen. In Serbien lebte sie nicht nur im Elend, sondern war auch sexueller Gewalt ausgesetzt, erzählt Victoria. „Wenn ich zurückgehe, weiß ich, dass ich kein Leben mehr habe. Ich will mich einfach umbringen. Aber meine Mutter und mein Bruder tun mir sehr leid.“

Der Filmemacher Kenan Emini und Mitinitiator der Kampagne „Alle bleiben“, der u. a. mit seinem aktuellen Dokumentarfilm „The Awakening“ auf die dramatischen Verhältnisse der Roma aufmerksam macht, schimpft über die Rechtlosigkeit für Flüchtlinge in Deutschland: „Die Asylpolitik in Deutschland ist einfach unmenschlich.“ Viele Familien, nicht nur Roma, würden über Jahre nur geduldet, und manche lebten in der Illegalität. „Ihre Kinder können nicht zur Schule gehen, sondern müssen sich in den Wohnungen verstecken. Das ist kaum auszuhalten. Die Menschen haben keinerlei Rechte.“

Die Politik der bloßen Duldung müsste gestoppt werden, sagt Kenan. „Wir wünschen uns, dass jeder da leben kann, wo er möchte.“

Von den politischen Parteien ist er enttäuscht. Seit 2011 hätten Roma-Organisationen Unterstützung von ihnen erhofft. Doch mit der Verschärfung des Asylrechts, denen alle Parteien zugestimmt haben, werden jetzt jegliche Überprüfung eines Bleiberechtgrunds von vornherein ausgeschlossen und selbst Angehörige von verfolgten Minderheiten abgeschoben.

„Von den Politikern können wir nicht viel erwarten“, so Kenan. „Appelle oder auch Einzelgespräche mit ihnen nutzen nichts. Sie sprechen mit uns, zum Beispiel dann, wenn eine Wahl bevorsteht, und unterstützen uns symbolisch. Aber in Wirklichkeit instrumentalisieren sie uns nur. Kaum haben sie ihre Posten, interessieren sie sich nicht mehr für uns und behaupten, ihnen seien die Hände gebunden. So ist die SPD, und so sind auch die Linken in Thüringen und Kretschmann von den Grünen.“

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