Perspektive

Die sozioökonomische Grundlage der Identitätspolitik

Ungleichheit und der Aufstieg einer afroamerikanischen Elite

Wenn man zahlreichen Berichten in den Medien und Erklärungen führender US-Politiker folgt, dann sind Rassenfragen ein zentrales Thema in der bevorstehenden Präsidentschaftswahl 2016.

Die amerikanische Bevölkerung ist zwar in ihren gesellschaftlichen Ansichten toleranter als jemals zuvor in der Geschichte, doch täglich ist zu hören, dass die USA vor rassistischem und ethnischem Hass nur so strotzen, ganz zu schweigen von einer aggressiven Frauenfeindlichkeit und Homophobie.

Die Demokratische Partei tritt dabei besonders lautstark auf, unterstützt von verschiedenen links-liberalen und pseudo-linken Strömungen. Identitätspolitik, die selbstbezogene Fixierung der gehobenen Mittelklasse auf Rasse, Gender und sexuelle Identität, ist zu einer der wichtigsten Säulen dieser Partei geworden.

Im Unterschied zu früheren Zeiten ist die Rassenfrage nicht verbunden mit Forderungen nach Bürgerrechten, einem großen sozialen Reformprogramm, einer Verbesserungen der Lebensbedingungen für die gesamte Arbeiterklasse und ganz bestimmt nicht mit Sozialismus. Die Diskussion über Rasse dreht sich vor allem um die Frage, wie die wirtschaftlichen Ressourcen von Teilen des schwarzen Kleinbürgertums zu verbessern sind. Diese Bewegung des gehobenen Mittelklasse ist bemerkenswert frei von demokratischen Forderungen und Stimmungen.

Die derzeitigen Kampagnen, das spießige und mitunter üble Gerede über Rasse, lässt sich mit nur einer Tatsache erklären: Der scharfen Zunahme sozialer Ungleichheit innerhalb der afroamerikanischen Bevölkerung.

Afroamerikaner spielen zwar in den obersten Etagen der Konzerne immer noch eine sehr geringe Rolle, es gibt jedoch eine äußerst bedeutende und einflussreiche Gruppe unter ihnen, die in den letzten Jahrzehnten enorm profitiert hat. Diese Menschen leben in einem anderen Universum und sind von den breiten Schichten der schwarzen Arbeiterbevölkerung zutiefst entfremdet. Letztere dagegen ist in den vergangenen Jahren zunehmend verarmt.

Seit der Regierung von Richard Nixon wurde in den USA von der herrschenden Klasse eine schwarze gehobene Mittelklasse herangezogen, die sich loyal gegenüber dem Status quo verhält. Im Gegenzug gab diese Schicht jegliche Verbindung zu sozialen Kämpfen und zur Opposition gegen den Kapitalismus auf. Das erklärt, warum es weit und breit keine führende afroamerikanische Persönlichkeit gibt, die zu den breiten Massen der Menschen und für diese spricht.

Es gibt beeindruckende Fakten und Zahlen.

Nielsen, ein globales Informations- und Mediadatenunternehmen, erstellte im Jahr 2015 einen Bericht mit dem Titel „Increasingly Affluent, Educated and Diverse“ (Zunehmend wohlhabend, gebildet und vielseitig), der sich „speziell auf einen Teil der Afroamerikaner konzentrierte, der oft unbeachtet bleibt: diejenigen mit einem jährlichen Haushaltseinkommen von 75.000 Dollar und mehr. Ihr Umfang und Einfluss wächst schneller als der von nicht-hispanischen Weißen über alle Einkommensklassen oberhalb von 60.000 Dollar hinweg.” (Die Zahlen stammen aus der US-Volkszählung 2014.)

Tatsächlich gehören die schwarzen Haushalte mit einem Einkommen von mehr als 75.000 Dollar zu der Einkommensgruppe, die in den Vereinigten Staaten am schnellsten wächst. Nielsen berichtet: „In den Jahren von 2005 bis 2013 gab es die größten Einkommenszuwächse für schwarze Haushalte im Bereich oberhalb von 200.000 Dollar. Hier gab es einen Anstieg von 138 Prozent im Vergleich zu einem Anstieg von 74 Prozent für die gesamte Bevölkerung.“

Im Jahr 1960, etwa als E. Franklin Frazier sein wegweisendes Werk „The Black Bourgeoisie“ schrieb, gab es schätzungsweise 25 schwarze Millionäre in den USA. Ihre Zahl ist um das 1.400fache gestiegen. Heute gibt es geschätzte 35.000 schwarze Millionäre.

Die Vermögenskonzentration unter Afroamerikanern ist außergewöhnlich. Laut der Pew Research Study haben 35 Prozent der schwarzen Haushalte negatives oder kein Vermögen. Weitere 15 Prozent besitzen weniger als 6.000 Dollar Haushaltsvermögen. Fast sieben Millionen der gesamten 14 Millionen schwarzer Haushalte besitzen somit wenig oder nichts.

Der Publizist Antonio Moore von der Huffington Post bemerkte jüngst, dass das Einkommensgefälle zwischen einem schwarzen amerikanischen Haushalt aus dem obersten Prozent und dem durchschnittlichen schwarzen Haushalt um ein Mehrfaches größer ist als der zwischen vergleichbaren weißen Haushalten.

„Das durchschnittliche Vermögen der wenigen schwarzen Haushalte in dem obersten Prozent betrug 1,3 Millionen Dollar, während laut Volkszählungsdaten das durchschnittliche Vermögen sämtlicher schwarzer Haushalte bei rund 6.000 Dollar lag. Eine schwarze Familie im obersten Prozent besitzt nicht weniger als 200mal so viel wie eine durchschnittliche schwarze Familie. Wenn das schwarze Amerika ein Land wäre, dann würden wir zu den Ländern mit den größten Einkommensunterschieden auf der Welt gehören.“

Die „Segregation nach Einkommen“, d.h. die Tendenz, dass Menschen entweder in armen oder wohlhabenden Gegenden leben, ist seit 1970 unter schwarzen Familien stark gewachsen. „Die Segregation nach Einkommen unter schwarzen Familien war 1970 niedriger als unter weißen Familien. Sie wuchs jedoch zwischen 1970 und 2009 viermal so stark an. Im Jahr 2009 war die Segregation nach Einkommen unter schwarzen Familien 65mal so groß wie unter weißen Familien. (Quelle: Residential Segregation by Income, 1970-2009, by Kendra Bischoff of Cornell University and Sean F. Reardon of Stanford)

Die Washington Post schrieb 2013, dass die schwarze Mittelklasse, gemessen an der Zahl der Familien mit einem Einkommen von mindestens 100.000 Dollar im Jahr, in den letzten 50 Jahren um das Fünffache gestiegen ist. Etwa einer von zehn schwarzen Haushalten gehört jetzt zu dieser Einkommensgruppe. Zwischen 1970 und 1990 hat sich der Prozentsatz an schwarzen Ärzten, Rechtsanwälten und Ingenieuren verdoppelt. Von 1990 bis 2013 stiegen der Anteil schwarzer Manager und Führungskräfte um 30 Prozent und der Anteil schwarzer Rechtsanwälte und Ingenieure um 38 Prozent.

Der jahrzehntelange „schwarze Kapitalismus“ und die Fördermaßnahmen für Benachteiligte haben eine dünne, aber dennoch bedeutende Schicht der afroamerikanischen Bevölkerung begünstigt. Das ist das soziale Element, das heute am aggressivsten nach Reichtum und wirtschaftlichem Vorteil strebt. Es war wohl kaum ein Zufall, dass die zentrale Figur bei den Protesten an der Universität von Missouri im November 2015, der Hungerstreikende Jonathan Butler, aus diesem Milieu stammte. Sein Vater, Eric Butler, ist stellvertretender Geschäftsführer für Marketing bei der Union Pacific Corp. und strich im Jahr 2015 2,9 Millionen Dollar an Gesamtvergütung ein.

Noch wichtiger ist, dass Afroamerikaner in den Spitzenberufen faktisch eine Gleichstellung mit Weißen erreicht haben. 2004 hatten Schwarze mit einem Doktortitel ein durchschnittliches Einkommen von 74.207 Dollar, geringfügig höher als das durchschnittliche Einkommen von Weißen mit einem Doktortitel (73.993 Dollar). (Quelle: The Journal of Blacks in Higher Education)

Ein jüngerer Bericht zu Chancen von jungen Afroamerikanern behauptet: „Afroamerikaner und Weiße haben bei gleich hohen Bildungsabschlüssen annähernd dieselben Chancen auf eine Anstellung.“ (Quelle: Closing the Race Gap: Alleviating Young African American Unemployment Through Education)

Was sind die Implikationen dieser relativen Gleichheit?

Bei der Fixierung auf Rasse und Geschlecht geht es um das Streben nach Privilegien durch eine Schicht schwarzer und weiblicher Fachkräfte, die entschlossen sind, sich im marktwirtschaftlichen Wettbewerb eine Karriere und ein hohes Einkommen auf Kosten ihrer weißen und männlichen Konkurrenten zu erkämpfen. Die Kampagnen zu Rasse und sexueller Gewalt haben oft einen schrillen und unaufrichtigen Ton. Dieser kommt daher, dass vergangene Verbrechen und Ungerechtigkeiten wirkungsvoll hervorgehoben und die augenblicklichen Bedingungen übertrieben werden, um existierende und noch größere Privilegien zu rechtfertigen. Und das vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es für diese bereits wohlhabenden Schichten keine wesentlichen Einkommensunterschiede in Bezug auf Rasse oder Geschlecht gibt. Dieser erbitterte Konflikt spielt sich innerhalb der reichsten fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung ab (die über etwa 190.000 bis 130.000 Dollar Jahreseinkommen verfügen).

Diese Kampagnen und Konflikte sind weder „progressiv“ noch „links“. Ob der Präsident der Vereinigten Staaten ein Mann oder eine Frau oder der Chef einer großen Bank bzw. Firma schwarz oder weiß ist, hat für die Arbeiterklasse keine Bedeutung. E. Franklin Frazier bemerkte vor einem halben Jahrhundert, dass schwarze Geschäfts- und Politikinteressen „die schwarzen Massen genauso rücksichtslos ausgebeutet haben wie die weißen“.

Sozialisten lehnen eine rassistische Politik in jeder Form ab. In Bezug auf die Präsidentschaftswahl 2016 bedeutet das, den rassistischen und nationalistischen Schmutz zurückzuweisen, der sowohl von den Demokraten als auch von den Republikanern verbreitet wird, wie auch von all jenen, die sich an der bürgerlichen Politik orientieren. Nur die Socialist Equality Party vertritt in ihrem Wahlkampf die unabhängigen politischen und historischen Interessen der Arbeiterklasse.

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