Die Linkspartei ist ähnlich wie die Grünen vor 18 Jahren dabei, sich in eine offene Kriegspartei zu verwandeln. Daran kann spätestens seit Donnerstag kein Zweifel mehr bestehen. Ausgerechnet am Weltfriedenstag lud die Bundestagsfraktion der Linken den ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzenden des Nato-Militärausschusses Harald Kujat zu ihrer Fraktionsklausur in Hannover ein.
Die Einladung des vormals ranghöchsten deutschen Militärs ging Medienberichten zufolge direkt auf die Initiative der Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch zurück. Kujats Thema lautete: „Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik unter den besonderen Herausforderungen des Verhältnisses zur Türkei und zu Russland.“ Über den Inhalt des Vortrags drang bis Redaktionsschluss nichts an die Öffentlichkeit. Kujats Rolle als einer der führenden deutschen Kriegstreiber der Nachkriegsperiode ist jedoch bekannt.
Der General a.D. gehört seit vielen Jahren zu den führenden Architekten und Wegbereitern des deutschen Militarismus. Nach seiner Ausbildung bei der Luftwaffe Anfang der 1960er Jahre begann er eine Unteroffiziersausbildung, die ihn 1972 als Ordonnanzoffizier ins Bundesverteidigungsministerium unter Georg Leber (SPD) führte. 1977 wurde er Stabsoffizier beim Minister, 1978 Referent im Führungsstab der Streitkräfte im Verteidigungsministerium.
In der Regierungszeit Helmut Schmidts (SPD) war Kujat 1980 Referent für Sicherheitspolitik in der Abteilung Strategie im Bundeskanzleramt. 1988 absolvierte er den 72. Kurs des Nato Defense College in Rom. Im selben Jahr wurde er Dezernatsleiter für den „Deutschen Militärischen Vertreter“ im Militärausschuss der NATO in Brüssel und 1992 dessen Stellvertreter.
Spätestens seit Beginn der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer im Jahr 1998 steht der Name Kujat wie kaum ein anderer für die Umwandlung der Bundeswehr in eine imperialistische Interventionsarmee. Während des Kosovo-Kriegs, dem ersten deutschen Kampfeinsatz seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, leitete Kujat den Planungsstab im Verteidigungsministerium und galt als rechte Hand des damaligen SPD-Verteidigungsministers Rudolf Scharping.
In seiner Zeit als Generalinspekteur folgte dann der zweite deutsche Kampfeinsatz in Afghanistan im Jahr 2001. Während des Überfalls der USA auf den Irak 2003 war Kujat Vorsitzender des Militärausschusses der Nato in Brüssel. Am 16. Juni 2005 wurde er in Berlin vom damaligen Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) mit einem Großen Zapfenstreich in den Ruhestand verabschiedet.
Seitdem spielt Kujat eine zentrale Rolle als Stratege für die Rückkehr des deutschen Militarismus, die Anfang 2014 von Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf der Münchner Sicherheitskonferenz verkündet wurde.
Kurz nach dem von Berlin und Washington orchestrierten rechten Putsch in der Ukraine forderte Kujat im März 2014 in der Zeit die Wiedereinführung der Wehrpflicht und die massive Aufrüstung der Bundeswehr. Er habe die Bundesregierung infolge der Krimkrise als erster zu einer „grundlegenden Neubewertung“ der sicherheitspolitischen Lage aufgefordert und betont, „dass die Landesverteidigung als Bündnisverteidigung wieder ins Zentrum der Überlegungen gehört“.
Im Falle eines russischen Angriffs auf die baltischen Staaten fehlten „allein schon die Flugzeuge, um schweres Gerät rasch in die Krisenregion verlegen zu können“, so Kujat. Die Bundeswehr habe „zu wenig Kampfflugzeuge, Kampfhubschrauber, zu wenig schwere Waffen – und vor allem zu wenig Soldaten“. Seine Schlussfolgerung: „Entweder wird der Soldatenberuf deutlich attraktiver, also erkennbar auch besser bezahlt – oder man führt die Wehrpflicht wieder ein.“
Im Jahr 2015 forderte Kujat wiederholt eine Eskalation der deutschen Kriegseinsätze in Afghanistan und im Nahen und Mittleren Osten. Nach dem Fall von Kundus an die Taliban im Oktober 2015 erklärte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Nur ein erneuter massiver Kampfeinsatz der NATO könnte die Situation bereinigen.“
Wenige Wochen später warb er im Spiegel für westliche Bodentruppen in Syrien: „Im Augenblick müssen wir darauf setzten, dass die Strategie des Westens aufgeht. Sollte das nicht der Fall sein, steht der Westen vor der Frage, ob er selbst Bodentruppen einsetzen will,“ erklärte Kujat. Er zog eine Parallele zum Nato-Einsatz in Jugoslawien in den 1990er Jahren und sagte: „Wir würden dann 50.000 bis 60.000 Soldaten unter der Führung der USA oder der Nato ins Land schicken müssen.“
In den vergangenen Monaten äußerte sich Kujat mehrmals positiv über das Eingreifen des russischen Militärs in Syrien und machte sich wie Wagenknecht und weite Teile der Linkspartei für eine kompromisslose Haltung gegenüber der Türkei stark. Die Einladung Kujats durch die Linkspartei ist dennoch ein Signal an die gesamte herrschende Elite. Zwei Wochen vor den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin und ein Jahr vor den Bundestagswahlen 2017 ist die Linke bereit, die deutsche Kriegspolitik (als Teil einer möglichen rot-rot-grünen Bundesregierung) voll zu unterstützen!
Kujat erklärte auch offen, weshalb er die Einladung der Linkspartei annahm. Er finde „es gut und mutig“, dass die Linkspartei „einen ehemaligen Vorsitzenden des Nato-Militärausschusses einlädt“, sagte der General der Mitteldeutschen Zeitung. Vielleicht habe „das ja Einfluss auf die außen- und sicherheitspolitische Position der Linken“. Er stellte klar: „Die Linke käme für eine Koalition nur infrage, wenn sie in der Außen- und Sicherheitspolitik erheblich aufräumen würde.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Tatsächlich ist das „Aufräumen“ – oder besser: die Kriegswende der Linkspartei – seit langem in vollem Gange und weit fortgeschritten. Sie wurde in den letzten Jahren von der World Socialist Web Site ausführlich verfolgt und dokumentiert. Die Linkspartei war an der Ausarbeitung des SWP-Papiers „Neue Macht – neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch“, dem zentralen Strategiedokument der außenpolitischen Wende, beteiligt und von Anfang an Kriegspartei im Syrienkrieg.
In den vergangenen Wochen erklärten führende Vertreter der Linkspartei ganz offen ihre Unterstützung für die Nato und eine militaristische Außenpolitik.
Ende Juli versicherte Wagenknecht im ZDF-Sommerinterview: „Natürlich wird Deutschland nicht an dem Tag, an dem wir in eine Regierung einsteigen aus der Nato aussteigen.“ In einem nahezu zeitgleich erschienenen Spiegel-Interview erklärte Bodo Ramelow, der Ministerpräsident der Linkspartei in Thüringen: „Wir sind keine Pazifisten“. Er halte es für „falsch“, wenn die Linkspartei zukünftig nicht auch mehrheitlich für Auslandseinsätze der Bundeswehr stimmen würde.
In dieser Woche betonte Gregor Gysi, der ehemalige Fraktionsvorsitzende und das Aushängeschild der Partei, in der konservativen Welt, er habe „nie gefordert, Deutschland müsse aus der Nato austreten“. Mit Außenminister Steinmeier und der SPD werde man in außenpolitischen Fragen wie dem Krieg in Syrien „eine Übereinstimmung herstellen können“.
Teile der Linken sind besorgt darüber, dass der wirkliche Charakter der Partei nun offen zutage tritt. Laut Informationen der Mitteldeutschen Zeitung kritisierten die Parteivorsitzende Katja Kipping und ihr Stellvertreter Jan Van Aken die Einladung Kujats. Man hätte den „Kriegstreiber“ Kujat zumindest nicht allein einladen dürfen, sondern nur gemeinsam mit einem Vertreter der Friedensbewegung. Ansonsten könne der Eindruck entstehen, dass die Linkspartei doch nicht immer gegen Krieg sei.
Andere begrüßen die Zusammenarbeit mit der deutschen Generalität und plädieren dafür, die Kriegswende noch aggressiver voranzutreiben: „Bei aller Wertschätzung für die Kenntnisse, die manche Fraktionsmitglieder dazu haben mögen – Kujat zuzuhören, mit ihm Auge in Auge kultiviert, also konstruktiv zu streiten, macht niemanden dümmer,“ kommentierte das Linksparteiblatt Neues Deutschland.