Perspektive

80 Jahre seit dem ersten Moskauer Prozess

Vor achtzig Jahren begann der erste Moskauer Schauprozess, der zu den schmutzigsten Justizkomplotten der Weltgeschichte zählt. Die „Strafsache gegen das trotzkistisch-sinowjewsche terroristische Zentrum“, auch bekannt als Prozess der Sechzehn, fand vom 19. bis zum 24. August 1936 statt. Alle 16 Angeklagten wurden zum Tod durch Erschießen verurteilt und ihr persönliches Eigentum konfisziert.

Darüber hinaus wurden Leo Dawidowitsch Trotzki und sein Sohn Leo Lwowitsch Sedow in Abwesenheit dazu verurteilt, „sofort verhaftet und vor das Militärkollegium des Obersten Gerichtshofs der UdSSR gestellt zu werden“. Wenn man sie gefasst hätte, wären sie vor Gericht gestellt und ungeachtet der elementarsten richterlichen Standards hingerichtet worden.

Elf der sechzehn Angeklagten waren bedeutende alte Bolschewiki, die der Partei vor 1917 beigetreten waren. Sie hatten die Oktoberrevolution organisiert und angeführt, 1919 die Kommunistische Internationale gegründet, im Bürgerkrieg von 1918 bis 1921 heldenhaft gekämpft und in der Sowjetunion den ersten Arbeiterstaat der Welt errichtet. Die anderen fünf Angeklagten waren Agenten der sowjetischen Geheimpolizei, die groteskerweise neben den großen Revolutionären auf einer Anklagebank saßen.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Biografien von einigen der Opfer:

Grigori Sinowjew, 53 Jahre alt, war seit 1903 Bolschewik und einer der engsten Mitarbeiter Lenins. Er hatte an den Antikriegskonferenzen von Zimmerwald und Kienthal teilgenommen. Von 1907 bis 1927 war er Mitglied des Zentralkomitees. Nach der Oktoberrevolution leitete er den Petrograder Sowjet. Von 1919 bis 1926 war er Vorsitzender des Exekutivkomitees der Komintern und in den Jahren 1926 und 1927 Mitglied der Vereinigten Opposition. 1927 kapitulierte er vor Stalin. Nach der Ermordung von Sergei Kirow am 1. Dezember 1934 wurde Sinowjew verhaftet, am 16. Januar 1935 vor Gericht gestellt und wegen „moralischer Verantwortung“ für den Mord zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, wo er bis zum Schauprozess von 1936 blieb.

Lew Kamenew, 53 Jahre alt, trat 1901 der Sozialdemokratischen Partei bei. Seit 1903 war er Bolschewik und arbeitete eng mit Lenin zusammen. Von April 1917 bis 1927 war er Mitglied des Zentralkomitees und leitete von 1918 bis 1926 den Moskauer Sowjet. In den Jahren 1926 und 1927 gehörte er der Vereinigten Opposition an und kapitulierte im Dezember 1927. Im Januar 1935 wurde er wegen des Mords an Kirow vor Gericht gestellt und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Im Juli 1935 wurde er erneut angeklagt und zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Iwan Nikititsch Smirnow, 55 Jahre alt, schloss sich 1899 der Sozialdemokratischen Partei an und wurde unter dem Zarenregime wiederholt verhaftet und verbannt. Er führte während des Bürgerkriegs die Rote Armee bei der Zerschlagung der Truppen von Kolchak in Sibirien an. Er war Mitglied des Zentralkomitees und gehörte von 1923 bis 1929 der Linken Opposition an. Im Jahr 1933 wurde er inhaftiert.

Sergei Mratschkowski, 53 Jahre alt, war ein Arbeiter aus dem Ural-Gebiet, seit 1905 Bolschewik und ein Held des Bürgerkriegs. Von 1923 bis 1929 kämpfte er für die Linke Opposition und wurde 1933 verbannt.

Wagarschak Ter-Waganjan, 43 Jahre alt, war seit 1912 Bolschewik. Er gründete die Zeitschrift Unter dem Banner des Marxismus und war Verfasser des ersten großen Werks über Plechanow (1924). Von 1923 bis 1929 gehörte er zur Linken Opposition.

Grigori Jewdokimow (52), Iwan Bakajew (49), Ephraim Dreitzer (42), Richard Pikel (40), Isaak Reingold (39) und Eduard Golzman (54) hatten ebenfalls herausragende, wenn auch nicht ganz so prominente, politische Lebensläufe.

Die Anklagepunkte im Prozess waren abenteuerlich: die Angeklagten sollten nicht nur Kirow ermordet, sondern außerdem erfolglos versucht haben, Stalin, Kaganowitsch, Woroschilow, Schdanow, Ordschonikidse und einige andere Sowjetführer umzubringen. Angeblich arbeiteten sie mit der deutschen Gestapo zusammen, um die Mordpläne umzusetzen. Außerdem wurden gegen sie Anklagen wegen Spionage und Sabotage erhoben.

Was waren die Beweise? Es gab keine – außer den Geständnissen der Angeklagten. Wer auch nur mit etwas kritischem Urteilsvermögen den Prozess beobachtete, bei dem mussten bereits die Geständnisse ernsthafte Bedenken über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens wecken. Aber viele Journalisten und politische Akteure wie der Berichterstatter der New York Times, Walter Duranty, der US-Botschafter Joseph Davies und der britische Jurist D. N. Pritt, der das Verfahren „ein Beispiel für die ganze Welt” nannte, bürgten für die Rechtsgültigkeit des Komplotts. Es gab jedoch auch andere Stimmen, wie die von Thomas Mann, Stefan Zweig und anderen, die später in der Dewey-Kommission mitarbeiteten. John Dewey leitete 1937 eine Untersuchungskommission in Mexiko, die Trotzki nach der Prüfung umfangreicher Zeugenaussagen in allen Anklagepunkten für nicht schuldig erklärte und den Schauprozess als Justizkomplott bezeichnete.

Jahre später wurde durch die Aussagen verschiedener Personen, die an den Vorbereitungen des Prozesses beteiligt waren, bekannt, mit welchen Mitteln die Geständnisse erzwungen worden waren. Sinowjew und Kamenew weigerten sich wochenlang, ein Geständnis abzulegen. Schließlich baten sie um ein Treffen mit dem Politbüro. Stalin und Woroschilow trafen sich mit ihnen als „Kommission“ des Politbüros und versprachen, wenn Sinowjew und Kamenew kooperierten, würde man sie am Leben lassen, ihre Familien verschonen und keine weiteren ehemaligen Oppositionellen hinrichten. Sinowjew und Kamenew stimmten zu, wurden aber dennoch am 25. August 1936 hingerichtet.

Andere Angeklagte wurden gefoltert. Mratschkowski zum Beispiel wurde über mehrere Wochen hinweg mehrmals 90 Stunden lang ununterbrochen verhört. Leo Sedow bemerkte, dass mehrere Personen, gegen die Verfahren eingeleitet wurden, nicht beim Prozess erschienen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie unter der Folter starben oder aufgrund ihrer Unnachgiebigkeit erschossen wurden.

Obwohl der Prozess mit den Urteilen endete, die Stalin verlangt hatte, gab es einige blamable Momente, die enthüllten, dass die Zeugenaussagen gefälscht waren. So sagte Golzman aus, er sei 1932 nach Kopenhagen gereist, um sich mit Trotzki und Sedow im Hotel Bristol zu treffen. Wie sich herausstellte, war das Hotel 1917 abgerissen und erst 1936 wieder aufgebaut worden. Ein derartiges Treffen hatte es nie gegeben.

Golzman erklärte außerdem, Trotzkis Aufruf, „Stalin zu beseitigen“, den er in einem offenen Brief äußerte, könne nur bedeuten, Stalin umzubringen und nicht, ihn mit politischen Mitteln zu beseitigen. Als Marxist war Trotzki sein Leben lang ein Gegner des individuellen Terrorismus. Individuelle Taten, so heroisch sie auch sein mochten, konnten nicht den revolutionären Kampf der Arbeiterklasse, geführt von einer revolutionären Partei, ersetzen. Die Behauptung, Trotzki habe sich in den 1930er Jahren dem individuellen Terrorismus zugewandt, war, wie Trotzki erklärte, „totalitäre Idiotie“.

Als der erste Moskauer Prozess begann, stand Trotzki in Norwegen faktisch unter Hausarrest. Unter dem Druck der Sowjetunion versuchte die norwegische Sozialdemokratische Partei, Trotzki mundtot zu machen und ihn daran zu hindern, auf die Verleumdungen des Prozesses zu antworten. Doch bald meldete sich eine andere Stimme zu Wort: Leo Sedow, Trotzkis Sohn, veröffentlichte das Bulletin der Opposition, das später als Rotbuch über den Moskauer Prozess bekannt wurde. Sedow untersuchte akribisch die Details des Prozesses und entlarvte sie als verlogenen Angriff auf die wahren Revolutionäre.

Im April 1937 hatte Trotzki einen Gegenprozess unter Aufsicht der Dewey-Kommission in Mexiko organisiert, wo er nach seiner Ausweisung aus Norwegen lebte. Die umfangreiche Widerlegung der ersten beiden Moskauer Schauprozesse (der zweite fand im Januar 1937 statt) wurde in dem Buch Not guilty [Nicht schuldig] veröffentlicht. Die Kommission fasste ihre Ergebnisse mit dem folgenden Schlusswort zusammen: „Wir befinden daher die Moskauer Prozesse für ein Justizkomplott. Wir befinden Trotzki und Sedow für nicht schuldig.“

Die Moskauer Prozesse, die Stalin organisierte, stellten einen gezielten Angriff auf das Vermächtnis der ersten erfolgreichen sozialistischen Revolution und ihre tatsächlichen Führer dar. Stalin stand an der Spitze eines bonapartistischen Regimes, das sich auf eine zunehmend konterrevolutionäre soziale Schicht, die Sowjetbürokratie, stützte. Er begnügte sich nicht damit, die alten Bolschewiki aus der Partei auszuschließen, ins Gefängnis zu werfen oder zu verbannen.

In den 1930er Jahren wuchs die Opposition gegen das Stalin-Regime. Dieser Widerstand war eine Reaktion auf die rücksichtslose und planlose Kollektivierung der Landwirtschaft und die abenteuerliche Industrialisierung, die Machteroberung der Nationalsozialisten 1933 und die wachsende soziale Spaltung in der Sowjetunion, die in den ungerechtfertigten Privilegien der herrschenden Sowjet- und Parteibürokratie sichtbar wurde. Diese verheerende Politik folgte aus Stalins Zurückweisung des sozialistischen Internationalismus und seiner Hinwendung zu dem nationalistischen und antimarxistischen Programm des „Sozialismus in einem Land“.

1936 entwickelten sich in Frankreich und Spanien, wo am 18. Juni ein Bürgerkrieg ausbrach, revolutionäre Bedingungen, die die lange unterdrückten Hoffnungen der Arbeiterklasse in der Sowjetunion wieder hätten beleben können. Der erste Moskauer Prozess und der darauffolgende Große Terror waren ein Präventivschlag, der sich nicht nur gegen die alten Bolschewiki, sondern vor allem gegen all jene richtete, die der Linken Opposition unter der Führung von Leo Trotzki nahestanden.

Stalin hatte die Linke Opposition bis zum Fünfzehnten Parteitag im Dezember 1927 organisatorisch besiegt. Einige Oppositionelle kapitulierten kurz nach dem Parteitag, aber Tausende wurden aus der Partei ausgeschlossen und in abgelegene Gebiete der Sowjetunion verbannt. Trotzki selbst wurde 1928 ins weit entfernte Alma-Ata verbannt und 1929 aus der Sowjetunion ausgewiesen. Stalin glaubte, dass Trotzkis Einfluss ohne einen Parteiapparat und ausreichende materielle Mittel sehr schnell nachlassen würde. Er hätte keinen größeren Irrtum begehen können.

Nach der katastrophalen Niederlage der deutschen Arbeiterklasse und der Machteroberung Hitlers 1933 erklärte Trotzki, dass die Dritte Internationale unter Stalins Führung als revolutionäre Organisation tot sei. Die Katastrophe von 1933 war die direkte Folge der opportunistischen und nationalistischen Politik, die von der Sowjetbürokratie diktiert und von der Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands ausgeführt worden war. Trotzki rief zum Aufbau einer neuen, der Vierten Internationale, auf, die im September 1938 gegründet wurde.

Trotzki anerkannte, dass die Vorbereitung einer neuen Internationale in den fünf Jahren vor 1938 die wichtigste Arbeit seines gesamten Lebens war. In unzähligen Artikeln entlarvte er den Bankrott des stalinistischen Regimes, um die fortgeschrittenen Teile der Arbeiterklasse zu erziehen.

Im Jahr 1936, nur wenige Tage vor dem ersten Moskauer Prozess, vollendete er sein monumentales Werk Verratene Revolution, das bis heute die wichtigste marxistische Analyse der Widersprüche der sowjetischen Gesellschaft darstellt. In diesem Buch erklärte er, dass die Arbeiterklasse die Sowjetbürokratie in einer politischen Revolution stürzen und das Programm der sozialistischen Weltrevolution wiederaufnehmen müsse, wenn sich die Sowjetunion in Richtung Sozialismus entwickeln solle. Wenn die Bürokratie an der Macht bleibt, würde ihre Politik letztendlich zur Restauration des Kapitalismus führen, was die Arbeiterklasse um Jahrzehnte zurückwerfen würde. Diese Kämpfe würden von der internationalen Arbeiterklasse auf der Weltbühne ausgetragen werden. Trotzki sah die revolutionären Erschütterungen voraus, die dem bevorstehenden Weltkrieg folgen würden und war zuversichtlich, dass der Stalinismus überwunden werden könnte.

Die Moskauer Prozesse und die anschließenden blutigen Säuberungen hatten verheerende Folgen. Sie vernichteten praktisch alle sozialistischen Elemente in der Arbeiterklasse und der Intelligenz. Die Prozesse ebneten den Weg für die folgenden Verrätereien und Niederlagen: die Unterdrückung des französischen Generalstreiks, die Niederlage der spanischen Revolution, den Hitler-Stalin-Pakt und die Unterdrückung des revolutionären Aufschwungs in der Nachkriegszeit. Sie gipfelten im finalen Verrat des Stalinismus, der Auflösung der Sowjetunion 1991 und der Wiederherstellung des Kapitalismus.

Heute kehren all die ungelösten politischen und sozialen Fragen, die zur Oktoberrevolution von 1917 geführt haben, zurück. Der Stalinismus war nicht die Fortsetzung der Oktoberrevolution, sondern eine konterrevolutionäre Reaktion auf 1917. Das Verständnis dieser historischen Entwicklung ist entscheidend in der Vorbereitung auf die kommenden revolutionären Kämpfe.

Um mehr über die Moskauer Prozesse zu erfahren, empfiehlt der Autor folgende Werke: Leon Sedow, Rotbuch über den Moskauer Prozess (1936); Max Shachtman, Behind the Moscow Trial (1936); Wadim S. Rogowin, 1937 – Jahr des Terrors (1998); Wadim S. Rogowin, Die Partei der Hingerichteten (1998); David North, Die Russische Revolution und das unvollendete Zwanzigste Jahrhundert (2015).

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