MAN-Arbeiter kämpfen gegen Massenentlassung

Vergangenen Freitag demonstrierten mehrere Hundert Beschäftigte von MAN in Berlin gegen den drohenden Verlust ihrer Arbeitsplätze. Zur Kundgebung im Norden Berlins waren auch Arbeiter von Coriant, einem Nachfolgeunternehmen der Nokia Siemens Optical GmbH, Kolbenschmidt Pierburg, dem Aufzugbauer Otis, dem G-Elit-Präzisionswerkzeug-Hersteller und Siemens gekommen.

In all diesen Betrieben finden Umstrukturierungsmaßnahmen mit massiven Verschlechterungen für die Beschäftigten und Arbeitsplatzabbau statt. Die Arbeiter von MAN Diesel & Turbo SE sind besonders hart getroffen. Die Konzernleitung kündigte die Streichung von 1400 Jobs an.

Es war ein schwarzer Freitag für die Beschäftigten von MAN, als der Vorstand am 23. September auf gleichzeitigen Betriebsversammlungen aller Produktionsstandorte in Deutschland das Rationalisierungs- und Strukturprogramm „Basecamp 3000+“ verkündete. Die Ankündigung des Abbaus von 10 Prozent der weltweit 14.900 Arbeitsplätze traf die Belegschaften wie ein Schock.

Das Unternehmen stellt Großdieselmotoren für die Schiffs- und Meerestechnik, Turbomaschinen und Kompressoren für die Öl- und Gasindustrie, Raffinerien, Chemieanlagen und Kraftwerke her.

Der Rationalisierungsplan trifft den Berliner Betrieb am stärksten, wo von den 520 Arbeitsstellen 300 entfallen sollen. In Oberhausen-Sterkrade, dem ehemaligen Standort der Gutehoffnungshütte, wo erst im vergangenen Jahr 120 Stellen gestrichen wurden, sollen 250 der 2.000 Arbeitsplätze dem Rotstift zum Opfer fallen. Weitere 250 Stellen werden in Hamburg abgebaut, was den Standort von einer Produktionsstätte auf einen kleinen Servicebetrieb reduzieren würde, sowie 140 Arbeitsplätze am Hauptsitz der Firma in Augsburg.

Die Protestkundgebung am Freitag in Berlin war – wie viele frühere IG-Metall-Proteste – von einem deutlichen Widerspruch geprägt. Während viele Arbeiter äußerst besorgt über ihren Arbeitsplatz und ihre Zukunft sind, spielen die IG-Metall und ihre Betriebsräte ein übles Doppelspiel. Sie arbeiten eng mit dem Unternehmensvorstand zusammen, stimmen mit dessen Einschätzung der wirtschaftlichen Lage überein, unterstützen den Rationalisierungsplan und organisieren gleichzeitig die Proteste dagegen. Diese Proteste dienen ausschließlich dazu, Dampf abzulassen und die Wut vieler Arbeiter unter Kontrolle zu halten. Sie sind Teil eines abgekarteten Spiels, das darauf abzielt den Arbeitsplatzabbau „sozialverträglich“ durchzusetzen und ernsthaften Widerstand der Arbeiter zu verhindern.

Gleich zu Beginn der Kundgebung sprach der Berliner MAN-Betriebsratsvorsitzende René Marx und lobte die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Konzernleitung. „Die Gespräche zwischen GBR (Gesamtbetriebsrat) und Vorstand laufen, wir können unsere Berliner Interessen da gut einbringen“, sagte er.

Danach sprach Irene Schulz. Sie ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall und verdient das Zehnfache eines MAN-Arbeiters. Sie sitzt im Aufsichtsrat von Osram und war dort in den vergangenen Jahren direkt am Arbeitsplatzabbau beteiligt. Auf der Kundgebung sagte sie im Namen des Vorstands der IG Metall: „Ein moderner Industriestandort darf nicht wegrationalisiert werden. Gerade für Berlin ist der industrielle Wertschöpfungskern unersetzlich.“ Sie betont bei jeder Gelegenheit die Bedeutung des „Standorts Berlin“ und nutzt diese Standort-Rivalität, um Sozialabbau, Rationalisierungsmaßnahmen und Arbeitsplatzabbau als unvermeidbar zu erklären.

Für die Berliner SPD sprach Bürgermeisterin und Arbeitssenatorin Dilek Kolat und überbrachte Grüße des Berliner Senates: „Der Berliner Senat und die Senatsverwaltungen unterstützen den Protest der MAN-Belegschaft mit vollem Herzen.“ Das sagt eine Vertreterin der Partei, die seit Jahrzehnten in Berlin an der Macht ist und die Verantwortung für einen beispiellosen industriellen Kahlschlag und massive Angriffe auf die Arbeiter trägt.

Auch die Linkspartei war eingeladen, um Grüße zu überbringen. Der Reinickendorfer Bezirks- und Fraktionsvorsitzende der Linken, Felix Lederle, verlas den Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf für den Erhalt des MAN-Standortes. Als Mitglied des Landesvorstands spielte Lederle in den Jahren des rot-roten Senats eine wichtige Rolle beim Abbau der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst und der Durchsetzung massiver Sparprogramme.

In Wahrheit stimmen die Gewerkschaftsfunktionäre und Parteienvertreter mit dem Rationalisierungsplan der Konzernleitung überein. Sie sehen sich als Berater des Managements bei dessen Versuch, eine profitorientierte Strategie zu verfolgen und damit Wettbewerbsvorteile auf den globalen Märkten zu erzielen.

„Basecamp 3000+“ diene der „nachhaltigen Ergebnisverbesserung von 450 Millionen Euro“, heißt es in einer Pressemitteilung des Unternehmens. Die im Geschäftsjahr 2015 erzielte Rendite von 6,5 Prozent liege unter der vom Vorstand angestrebten Rendite von 8,5 Prozent. Es gehe darum, so MAN-Vorstandsvorsitzender Uwe Lauber, „ein nachhaltig profitables Geschäft in der Umsatzgrößenordnung von drei Milliarden Euro abzusichern und uns damit fit zu machen für die Gipfeljagd“.

Im Geschäftsbericht 2015 wurden bereits Auslagerungen ins Ausland angekündigt. MAN Diesel & Turbo werde „die Internationalisierungsstrategie weiterhin konsequent verfolgen“. Im Jahr 2007 hatte MAN ein Werk im chinesischen Changzhou eröffnet, nordwestlich von Schanghai, was 2011 zur MAN Diesel & Turbo China Production Co. Ltd. erweitert wurde. Im vergangenen Jahr übernahm MAN dann hundert Prozent des indischen Spezialisten für die Konstruktion, Produktion und Wartung von Dampfturbinen, Max Watt Turbines Pvt. Ltd., in Bangalore. Dieses Werk ist auf eine weltweite Kundenbasis ausgerichtet. Seit der Übernahme wuchs die Belegschaft von 150 auf 650 Beschäftigte.

Seit 2011 gehört MAN Diesel & Turbo zum Volkswagen-Konzern, der inzwischen die Aktienmehrheit des Gesamtkonzerns MAN SE übernommen hat. Die Einsparungen sollen jedoch nichts mit dem VW-Abgasskandal zu tun haben. Als Grund nennt der Vorstand vielmehr die sinkende Nachfrage auf dem Weltmarkt.

Die Aufträge für die großen Kompressoren und Turbinen für die Öl- und Gasindustrie gehen zurück, da der niedrige Ölpreis die Erschließung neuer Erdgas- und Erdölförderprojekte gedrosselt hat. Das hat die Nachfrage nach diesen Kompressoren aus Russland gesenkt. Die japanischen Firmen Hitachi und Mitsubishi konnten Marktanteile durch den seit langem günstigen Wechselkurs des Yen erweitern.

Ein MAN-Pressesprecher teilte auf Anfrage der WSWS mit, man wolle die großen Kompressoren in Oberhausen konzentrieren und die kleineren Dampfturbinen aus Hamburg nach Bangalore verlagern. Man wolle den Personalabbau „sozialverträglich“ gestalten und die Verhandlungen noch vor Weihnachten abschließen. Das Unternehmen baut dabei auf die aktive Mithilfe von IG Metall und Betriebsräten.

Zehn so genannte Arbeitnehmervertreter (Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre) sitzen im Aufsichtsrat des Unternehmens. Beim Mutterkonzern MAN SE ist das IG-Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender. Auf die Frage, ob im Aufsichtsrat über das Rationalisierungs- und Strukturprogramm „Basecamp 3000+“ abgestimmt wurde und ob die Gewerkschaftsvertreter zugestimmt haben, wollten weder Unternehmensvertreter noch Gewerkschaft Auskunft geben.

Doch die vagen Stellungsnahmen von Gewerkschaftsvertretern der betroffenen Standorte machen deutlich, dass sie die Rationalisierungsmaßnahmen nicht verhindern, sondern nur „sozial verträglich“, das heißt, ohne großen Widerstand, durchsetzen wollen. Sie wollten dafür sorgen, dass „betriebsbedingte Kündigungen“ vermieden und ganze Standortschließungen ausgeschlossen werden, sagen Volker Schlien, Betriebsratsvorsitzender in Hamburg, und die beiden Mitglieder des Aufsichtsrats und Betriebsräte Oskar Ritsch und Helmut Brodrick übereinstimmend. Patryk Krause, zuständig für die Betriebspolitik der IG Metall Hamburg, erwartet „vernünftige Lösungen für die Betroffenen“.

Auch aus dem Berliner Gewerkschaftshaus kommen verständnisvolle Kommentare: Man müsse die Marktsituation berücksichtigen und daher wären „Korrekturen“ wohl nicht zu vermeiden, hieß es bei einer ersten Nachfrage der WSWS. Man wolle jedoch dafür eintreten, solche „Anpassungsmaßnahmen“ auf alle Standorte gleichmäßig zu verteilen, statt hauptsächlich auf die kleineren Werke in Berlin und Hamburg. Bei einer zweiten Nachfrage wollte derselbe Sprecher diese Aussage allerdings nicht mehr stehen lassen. Natürlich unterstütze man den Kampf um die Arbeitsplätze, betonte er.

In den IG Metall Büros geht die Angst um vor „sozialem Sprengstoff“, wie es ihr erster Bevollmächtigter in Berlin Klaus Abel bei rbb-online formulierte.

Um die Belegschaft auf den Jobabbau und Sozialplan vorzubereiten, organisierte die IG Metall Ende Oktober im Berliner Werk vorsorglich eine Versammlung, um der Belegschaft rechtliche Fragen zu erklären, unter Mitwirkung des Fachanwalts in Sachen Arbeitsrecht, Damiano Valgolio, Stellvertretender Bezirksvorsitzender der Linken in Berlin Friedrichshain. Vor dem Abschluss der Verhandlungen sei nicht mit Maßnahmen zu rechnen, versuchten sie die Arbeiter zu beruhigen.

Die Verhandlungen sind allerdings geheim und nehmen den Charakter einer Verschwörung hinter dem Rücken der Beschäftigten an.

Loading