[subline]Zug-Produktion in Hennigsdorf soll eingestellt werden[/subline]
Der kanadische Flugzeug- und Zughersteller Bombardier stellt die Serienproduktion von Zügen in seinem Werk in Hennigsdorf bei Berlin ein. 500 der rund 2500 Arbeitsplätze sind unmittelbar bedroht. Arbeiter befürchten, dass dies der Anfang vom Ende des gesamten Werks ist.
Der Betriebsrat hatte die Hennigsdorfer Belegschaft am Montagabend auf einer Betriebsversammlung über die Pläne der Konzern-Führung informiert. „Die Serienproduktion von Zügen soll Ende 2018 auslaufen“, der Wagenkastenrohbau und eine Produktionshalle sollen geschlossen werden, sagte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Michael Wobst. Die Zugsparte des Konzerns, Bombardier Transportation (BT) mit Sitz in Berlin, wolle nur noch Entwicklung, Konstruktion und den Bau von Prototypen am Standort Hennigsdorf weiterführen. Laut Betriebsrat Wobst würden aber auch Teile in diesen Bereichen in andere Länder verlagert. Der Betriebsrat warnte davor, dass der Standort mit diesen Plänen nicht überlebensfähig sei, ihm stünde ein Sterben auf Raten bevor.
Genaue Zahlen wolle die Werksleitung der Belegschaft erst kurz vor Weihnachten nennen. Dann werde es auch Informationen zu möglichen Stellenstreichungen in anderen Bombardier-Werken – neben Hennigsdorf im sächsischen Görlitz, Kassel und Mannheim – geben, sagte ein Unternehmenssprecher.
Der Abbau in Hennigsdorf ist Teil einer zweiten weltweiten Entlassungsrunde, in dessen Zuge nochmals 7500 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Bereits im Februar und März dieses Jahres hatte Bombardier angekündigt, in den nächsten zwei Jahren weltweit rund 7000 Stellen zu streichen, das waren bereits rund zehn Prozent der weltweiten Belegschaft. Davon sollten 3200 Arbeitsplätze in der Waggonbau-Sparte wegfallen. Damals, vor 10 Monaten, hieß es, in Deutschland werden 1430 der rund 10.000 Arbeitsplätze abgebaut, fast ausschließlich in den drei ostdeutschen Werke in Hennigsdorf, Görlitz und Bautzen. BT-Chef Laurent Troger sagte damals, der Stellenabbau sei nötig, um die Profitabilität zu steigern. Die Umsatzrendite solle auf sechs Prozent (460 Millionen Euro als Gewinn) gesteigert werden.
In Hennigsdorf sollten nach diesen Plänen bis Jahresende 270 Stellen abgebaut werden. Der Betriebsrat hatte dem unter der Prämisse, dass keine Kündigungen ausgesprochen werden, zugestimmt. Nun sollen zusätzlich mindestens 500 Arbeitsplätze abgebaut werden. Die Belegschaftsstärke würde so auf unter 2000 sinken.
Wobst behauptete erneut, er habe selbst keine genaueren Informationen. Das widerspricht offensichtlich der Wahrheit. Über ihre enge Zusammenarbeit im Aufsichtsrat und im Wirtschaftsausschuss sind die Betriebsräte bestens informiert und in alle wichtigen Pläne eingebunden. Wobst selbst ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender. In diesem Gremium sitzt er neben den Kapitalvertretern gemeinsam mit den Betriebsratsspitzen der einzelnen Standorte: Jürgen Runge (Mannheim), Gerd Kaczmarek (Bautzen), Jürgen Korstian (Siegen) und Erhard Peter (Kassel). Für die IG Metall sitzen zwei Vertreter des Bezirks Berlin-Brandenburg-Sachsen im Aufsichtsrat: Bezirksleiter Olivier Höbel und Anne Karl, Gewerkschaftssekretärin für Studierendenarbeit, Angestellte und Engineering.
Dort wurden und werden die Abbau- und Sparpläne von langer Hand vorbereitet und deren Durchsetzung ausgearbeitet.
Schon im März wusste der Betriebsrat über die weitergehenden Pläne Bescheid. Wobst sagte damals, er fürchte, „dass die Produktion in Hennigsdorf eingestellt werden soll“ und nur noch die Entwicklung und eine kleine Prototypenfertigung bleibe. Weitere mehrere Hundert Arbeitsplätze seien gefährdet.
Um die berechtigte Wut der Belegschaften nach Jahren des Abbaus aufzufangen, versprachen Betriebsräte und IG Metall einen „Aktionsplan“, der mit bundesweiten Protesten am 17. März an allen Standorten begann. Alle bislang und zukünftig organisierten Proteste haben nur ein Ziel: Der berechtigten Wut der Belegschaften soll ein Ventil geschaffen werden, um den Arbeitsplatzabbau durchzusetzen, gleichzeitig soll von der engen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit von IGM und Betriebsrat mit der Unternehmensspitze abgelenkt werden.
Hinter den Kulissen haben sich die so genannten „Sozialpartner“ längst geeinigt. Die IG Metall und ihre Betriebsräte unterstützen die Pläne BT wettbewerbsfähig und profitabel zu machen. Sie setzen den ganzen gewerkschaftlichen Apparat ein, um den Arbeitsplatzabbau so zu gestalten, dass jeder ernsthafte Widerstand dagegen verhindert wird.
Aus diesem Grund hatten sie der Konzernspitze im April ein eigenes Strategiepapier mit Namen „Bombardier Fahrplan Zu(g)kunft“ unterbreitet. Der IGM-Gesamtbetriebsrat von Bombardier, konstatiert darin, dass sich der Konzern „in den letzten Jahren in eine wirtschaftliche Schieflage hinein manövriert“ habe. Dies treffe die Flugzeug- wie die Schienenfahrzeugsparte.
Dem eingeschlagenen Weg der Konzernspitze stellt der Gesamtbetriebsrat einige abstrakte Phrasen entgegen. Er schreibt: „Es braucht echte Wege aus der Krise, zukunftsweisende Ziele und genau definierte Handlungsfelder und Maßnahmen, um für Bombardier Transportation eine langfristige Perspektive in Deutschland zu erhalten.“ Von der Verteidigung aller Arbeitsplätze kein Wort. Stattdessen folgt eine lange Liste von „Maßnahmen“ im Ton eines Unternehmensberaters.
Die Zukunftsstrategie müsse „nachhaltig“ sein, „es muss klar sein, wie und welche Prozesse verändert, Arbeiten umverteilt oder nicht mehr geleistet werden können“. Erst danach könne definiert werden, welche Auswirkungen das auf zukünftige Personalzahlen habe.
Statt Produktion und Engineering-Arbeiten „in Niedriglohnländer (insb. Indien)“ zu verlagern, müssten „die deutschen Standorte wettbewerbsfähig“ gemacht werden. Dazu müssten folgende „Handlungsfelder in den Fokus genommen und Maßnahmen umgesetzt“ werden: Im Zuge einer „Marktstrategie“ müssen „bisherige Marktanteile gehalten werden“. Die „massive Kürzung der Budgets für Forschungs-und Entwicklung ist kontraproduktiv und eindeutig ein Sparen an der falschen Stelle“, so der Gesamtbetriebsrat.
Eine „Gesamt-Kosten-Rechnung für alle Produkte und Leistungen, die von Bombardier outgesourct oder in BT-Betriebe in Niedrigkostenländern verlagert wurden“ sei notwendig. Das gelte für verlagerte und outgesourcte Lieferanteile und für alle Werkverträge genauso wie „für aus Indien, Polen und Tschechien bezogene Engineeringleistungen“.
Während tausende Arbeiter in diesem weltweiten Konzern von den brutalen Sparplänen der Konzernleitung betroffen sind und ein gemeinsamer Kampf aller Arbeiter an allen Standorten notwendig ist, schüren Betriebsrat und IG Metall den Standort-Wettbewerb, spalten die Beschäftigten, spielen sie gegeneinander aus und verbreiten das Gift des Nationalismus.
Den ganzen Sommer über verhandelten Betriebsrat und BT-Spitze über das weitere Vorgehen. Ermutigt durch diese enge Zusammenarbeit kündigte dann im Oktober der Konzern an, zusätzlich weltweit 7500 Arbeitsplätze bis Ende 2018 abzubauen, gut zwei Drittel davon bei der Zugsparte.
Medienwirksam verlangten daraufhin die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat eine Sondersitzung, die am 15. November in Hennigsdorf stattfand. IG Metall und Betriebsrat karrten ein paar Hundert Vertrauensleute und Gewerkschaftsfunktionäre zusammen und forderten lautstark die Konzernleitung müsse endlich klare Informationen geben.
Dieses abgekartete Spiel ist sattsam bekannt. Die Opel-Arbeiter in Bochum können davon ein trauriges Lied singen. Indem die IG Metall und die Betriebsräte den Arbeitern genauere Informationen vorenthalten, ständig vor immer weiterreichenden Angriffen warnen, die dann Monate später angekündigt werden, sollen Arbeiter mürbe gemacht werden.
Es ist notwendig den Gewerkschafts- und Betriebsratsfunktionären mit der selben Feindschaft entgegenzutreten wie der Konzernleitung und den Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze selbst in die Hand zu nehmen.
Das erfordert mit der prokapitalistischen Politik dieser Bürokraten zu brechen. Die Belegschaften müssen die Prämisse zurückweisen, dass die „Profitabilität“, das heißt, die Interessen der Finanzmärkte und Aktienbesitzer, über die Produktion und damit über die Lebensbedingungen von Arbeitern und ihren Familien entscheidet. Nur eine sozialistische und internationale Perspektive, die die Interessen der arbeitenden Bevölkerung höher stellt, als die Profite der Unternehmen, kann die Grundlage für den Kampf zur Verteidigung aller Arbeitsplätze an allen internationalen Standorten sein.