Am Mittwochmorgen, den 8. Februar, legten die Beschäftigten der Bodenverkehrsdienste an mehreren Airports den Flugbetrieb lahm. Vom Warnstreik betroffen waren die Flughäfen in Berlin, Hamburg und Stuttgart.
In Stuttgart fielen fünfzehn Flüge aus, und in den Abfertigungshallen bildeten sich lange Schlangen. Von zwanzig Check-in-Schaltern waren nur vier durch Notfallpersonal besetzt. In Hamburg verzögerte sich der Abflug von über fünfzig Maschinen. Hier wurde ein Notbetrieb mithilfe von Leiharbeitern aufrechterhalten, die zwangsweise als Streikbrecher missbraucht wurden.
Besonders betroffen waren die Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld, wo mehr als 130 Flüge ausfielen. Berlin-Tegel war morgens von sechs bis acht Uhr komplett vom Streckennetz abgehängt. In Tegel beteiligten sich bis zu 800 Beschäftigte der Frühschicht an einer Kundgebung vor dem Terminal A.
Die Beschäftigten trugen Schilder und Transparente, mit denen sie auf ihre katastrophalen Bedingungen hinwiesen. „Low cost – low safety“, stand da zum Beispiel, oder auch: „Unsere Löhne sind schon abgestürzt. Welchen Wert hat die Sicherheit?“ Ein Schild wies auf die fehlende betriebliche Altersversorgung hin. Es lautete: „Wir werden noch arbeiten müssen, wenn unsre Kinder in Rente gehen.“
Über dreißigtausend Menschen sind bei den deutschen Flughafen-Bodendiensten beschäftigt, und sie gehören zu den absoluten Niedrigverdienern. Sie betreuen Gepäckabfertigung und Check-in der Passagiere, den Terminal-Busverkehr und das Beladen, Betanken und Enteisen der Maschinen auf dem Vorfeld.
Früher gehörten diese Tätigkeiten zum öffentlichen Dienst, doch im letzten Vierteljahrhundert sind die Bedingungen an den Flughäfen – genau wie in den Krankenhäusern und dem Personennahverkehr – durch Ausgründung, Privatisierung und den Abbau sozialer Errungenschaften systematisch verschlechtert worden. Die Arbeiter, die durch Schichtdienst in Wind und Wetter und durch Feinstaubbelastung auf dem Rollfeld auch gesundheitlich belastet werden, gehören zu den Niedrigverdienern.
Über vierzig Prozent von ihnen sind bei so genannten freien Anbietern für die Bodendienste angestellt, wo sie weniger als zehn Euro verdienen. Die meisten haben weder Sicherheiten noch Zulagen oder Rentenansprüche. Bei einer Befragung gaben nur sieben Prozent an, dass sie ihre Beschäftigung bis zum Rentenalter ausüben könnten.
Wer bei den Flughafenbetreibern oder ihren Töchtern direkt angestellt ist, für den gilt zwar noch der Tarifvertrag im öffentlichen Dienst (TVöD), aber mit starken Einschränkungen. So erhalten Berufseinsteiger bei HAM Ground Handling gerade mal 9,02 Euro. Auch in Berlin-Tegel und -Schönefeld, wo über zweitausend Beschäftigte im Bodendienst arbeiten, sind die Stundenlöhne von elf Euro viel zu gering. Bei der Stuttgart Ground Services GmbH bewegen sich die Stundenlöhne nach Verdi-Angabe zwischen 9,20 und 11,52 Euro.
Die Gewerkschaft Verdi führt seit drei Monaten Tarifverhandlungen an den Flughäfen Berlin, Frankfurt, Hamburg, Stuttgart, München, Köln/Bonn, Leipzig/Halle, Dresden und Düsseldorf. Sie fordert Lohnerhöhungen und einen einheitlichen Branchentarifvertrag für alle Beschäftigten der Bodenverkehrsdienstleister; in den bestreikten Flughäfen fordert sie eine Lohnerhöhung zwischen einem und zwei Euro pro Stunde.
Die Gewerkschaft schreibt auf ihren Handzetteln, die Arbeitgeber müssten „beim Gehalt und bei den Arbeitsbedingungen stark nachbessern“. Dies ist jedoch wenig mehr als ein frommer Wunsch. Weder der Allgemeine Verband der Wirtschaft für Berlin und Brandenburg, noch die Stuttgart Ground Services (SGS) oder die Arbeitsrechtliche Vereinigung Hamburg sind bereit, die miesen Bedingungen freiwillig zu verbessern.
Und auch Verdi selbst steht nicht wirklich hinter dieser Forderung.
Die Gewerkschaft ist bei genauem Hinsehen für die katastrophalen Zustände mitverantwortlich. Sie hat seit 25 Jahren die Deregulierung, die Ausgründungen und den Personalabbau mitgetragen und mitorganisiert. Ihr Führungspersonal sitzt in den Aufsichtsräten der Flughafenbetreiber und gehört denselben Parteien an – der SPD, den Grünen, der Linken und der CDU – die den öffentlichen Dienst in den letzten Jahren systematisch zerstört haben.
In Berlin sitzen die Betriebsratsvorsitzende von Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB), Claudia Heinrich, sowie der Betriebsratsvorsitzende der Berliner Flughafen-Gesellschaft mbH (BFG), Peter Lindner, und sein Stellvertreter Gerhard Voß zusammen mit Holger Rößler von Verdi-Berlin im Aufsichtsrat der FBB. Aufsichtsratsvorsitzender ist Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin.
Auch Christine Behle, die Flughafen-Verantwortliche beim Verdi-Bundesvorstand, ist seit einem Vierteljahrhundert Mitglied der SPD, der Partei von Hartz IV und Agenda 2010, und hat mehrere Aufsichtsratsmandate inne, das wichtigste davon bei der Deutschen Lufthansa AG. Ein sechsstelliges Jahresgehalt ist ihr sicher. In Frankfurt beteiligt sich Behle für Verdi am „Runden Tisch der Lufthansa“, dessen Aufgabe es ist, die Arbeitsverhältnisse nach der Konkurrenzfähigkeit des Konzerns auszurichten.
Die Verhältnisse in Frankfurt sind vielleicht das beste Beispiel für die enge Zusammenarbeit der Gewerkschaft mit der Wirtschaft. Betreiber des Rhein-Main-Airports ist die Fraport AG, und über deren Konzern-Betriebsratsvorsitzenden, Edgar Stejskal, schreibt die Frankfurter Neue Presse, es passe „kein Blatt zwischen ihn und das Unternehmen“. Seit über 35 Jahren hält er dem Konzern als Betriebsratsmitglied den Rücken frei.
Stejskal hat bei Fraport den so genannten „Zukunftsvertrag 2018“ für die Bodenverkehrsdienste mit entworfen. Mit ihm werden den Beschäftigten im Namen der „Wettbewerbsfähigkeit“ seit sieben Jahren massive finanzielle Einbußen aufs Auge gedrückt. Der Vertrag läuft nächstes Jahr aus, und schon jetzt wird die Ausgliederung der letzten Bodenverkehrsdienste vorbereitet.
Im Namen des Verdi-Bundesvorstands hat Stejskal vor zehn Monaten, am 5. April 2016, die Jahreskonferenz der Betriebsräte der deutschen Verkehrsflughäfen ausgerichtet. Gemeinsam mit Vertretern der Regierung und der Luftwirtschaft haben die Verdi-Betriebsräte dort ihre Antwort auf „die Folgen des Sozialdumpings im europäischen Luftverkehr“ gegeben. In einer Presseerklärung forderten sie die „Stärkung des Luftverkehrsstandorts Deutschland und Erhalt seiner Wettbewerbsfähigkeit“ – ein nationalistisches und kapitalistisches Konzept, bei dem die Interessen der Arbeiter zwangsläufig auf der Strecke bleiben.