Diese Woche in der Russischen Revolution

5.–11. Juni: Horror an der Westfront

Der große Krieg, der die russische Revolution ausgelöst hat, wütet weiter. Bei einer einzelnen Aktion werden 10.000 Männer und Jungen getötet bzw. lebendig begraben, als die Briten im belgischen Messines unter den deutschen Schützengräben Sprengstoff zur Explosion bringen. Noch mehr Menschen kommen an der Südfront in heftigen italienisch-österreichischen Kämpfen ums Leben, die strategisch ohne Bedeutung sind.

Gleichzeitig bereiten die Vereinigten Staaten ihr Eingreifen in die interimperialistischen Kämpfe vor. Millionen Männer werden zum Wehrdienst eingezogen. Es wird noch mehrere Monate dauern, bis die Amerikaner diese Truppen ausgebildet, ausgerüstet und nach Frankreich transportiert haben. Die Alliierten fürchten, dass sich Russland unter dem Druck der Friedensforderungen russischer Arbeiter und Bauern aus dem Krieg zurückziehen könnte, wodurch die Ostfront einbrechen würde. Damit hätte Deutschland die Möglichkeit, noch vor dem Eintreffen der Amerikaner die ganze Kampfkraft gegen Frankreich und Großbritannien zu richten. Deshalb appelliert Wilson öffentlich an die Provisorische Regierung in Petrograd und fordert, erst müsse Deutschland besiegt werden, bevor die Bedingungen für einen „gerechten“ Frieden, angeblich ohne Annexionen, bestünden.

In Petrograd verschärfen sich die Konflikte zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Kräften, die an der Revolution beteiligt sind. Die Provisorische Regierung geht gegen die aufständischen Kronstädter Matrosen vor, die sich weigern, ihre Autorität anzuerkennen. Die opportunistischen, populistischen und „sozialistischen“ Führer im Petrograder Sowjet stehen dabei auf Seiten der Regierung.

Kronstadt, 5. Juni (23. Mai): Kronstädter Sowjet akzeptiert Ultimatum der Provisorischen Regierung

Der Konflikt mit der Provisorischen Regierung verschärft sich, und der Kronstädter Sowjet hält eine außerordentliche Sitzung ab. Am 26. Mai (13. Mai) beschließt er in einer Resolution, die Kontrolle auf dem Stützpunkt in die eigene Hand zu nehmen und die Provisorische Regierung nicht anzuerkennen. Am 1. Juni (19. Mai) entscheidet der Petrograder Sowjet, eine hochrangige Delegation nach Kronstadt zu schicken, welcher der Sozialrevolutionär Abram Goz, der Bundist Mark Liber und der Menschewik Wassili Anisimow angehören.

Diese Delegierten treffen am 3. Juni (21. Mai) in Kronstadt ein und es gelingt ihnen, den Kronstädter Sowjet dazu zu bringen, dass sie ihrer ursprünglichen Resolution eine „Erläuterung“ anfügen. Diese beinhaltet die Anerkennung, dass die „unabdingbaren Beziehungen“ zur Provisorischen Regierung fortbestehen sollen, so lange die Macht noch nicht auf die Sowjets übergegangen sei.

Kurz danach kommen am 4. Juni (22. Mai) auch die menschewistischen Minister Zeretelli und Skobeljew nach Kronstadt. Sie fordern die volle Anerkennung der Zentralregierung und ihres Kommissars, wie auch ein ordentliches Gerichtsverfahren für Dutzende Kronstädter Offiziere, welche die Matrosen in den Festungskasematten gefangen halten. Andernfalls, so drohen die Minister, werde die Provisorische Regierung Kronstadt als „rebellische Provinz“ behandeln.

Am Morgen des 5. Juni (23. Mai) tritt der Kronstädter Sowjet zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen und beschließt in einer weiteren Resolution, die Forderungen von Zeretelli und Skobeljew zu akzeptieren. Schon am nächsten Tag protestieren jedoch tausende empörter Matrosen gegen die Anerkennung der Provisorischen Regierung und beschuldigen die Sowjetabgeordneten, sie hätten sich „der Bourgeoisie verkauft“.

Butte (Montana), 5. Juni: Bergarbeiter demonstrieren gegen Wehrpflicht

Mehrere Tausend Bergarbeiter demonstrieren in dieser Kupferbergbaustadt gegen die Einführung der Wehrpflicht durch die Wilson-Regierung. Etwa 600 Bergarbeiterfrauen gehen dem Zug voraus, und sie tragen eine fast vier Meter große rote Fahne mit sich. Die Demonstration wird schon bald von Polizei und „patriotischen Bürgern“ angegriffen, zerstreut sich aber nicht. „Die Frauen kämpften gegen die Polizei, und die Menge schwoll auf mehrere tausend Menschen an“, berichtet die New York Times.

Im Stadtzentrum hält Bürgermeister W.H. Maloney eine große Uhr hoch und befiehlt der Menge, sich in fünfzehn Minuten zu zerstreuen. Kurz darauf „kommen Soldaten, die bis dahin in den Kasernen waren, im Laufschritt angerannt, das Bajonett aufgepflanzt“. Die Demonstranten ziehen sich zurück und sammeln sich wieder vor dem Lokal der finnischen Sozialisten. Eine Frau spricht auf Finnisch zu der Versammlung.

Die Führer einer irischen Organisation mit Namen Pearce Connolly Club, die gegen die Wehrpflicht kämpft, werden noch am gleichen Tag verhaftet, weil sie in Butte Flugblätter gegen die Wehrpflicht verteilt haben. Über den Ort wird das Kriegsrecht verhängt.

Auch andernorts kommt es zu Demonstrationen gegen die Wehrpflicht. So protestieren auch Bergarbeiter mehrerer Zechen auf der Oberen Halbinsel von Michigan: in Hancock, Houghton, Calumet und Nagaunee. Die Nationalgarde, Polizei und Freiwillige werden eingesetzt, um Demonstranten zu zerstreuen und festzunehmen.

Aus allen Teilen der USA wird über Festnahmen, Prügelattacken und die öffentliche Erniedrigung von einzelnen „Drückebergern“ berichtet. Viele werden gezwungen, die amerikanische Fahne zu küssen.

Dennoch feiert die Wilson-Regierung den 5. Juni, den nationalen Registrierungstag für die Wehrpflicht, als Erfolg. Etwa neun Millionen amerikanische Männer, überwiegend Arbeiter und Bauern, werden an diesem Tag für die Armee registriert.

Flagstaff, Arizona: Indianer verweigern die Wehrpflicht

Die indianische Bevölkerung verweigern an verschiedenen Orten in ganz Amerika die Wehrpflicht. Bei Flagstaff vertreiben Navajo-Indianer Beamte der Wehrpflichtbehörde und andere offizielle Vertreter von ihrem Land, als sie versuchen, die Wehrpflicht durchzusetzen. Utah-Indianer in Colorado verweigern die Registrierung und sollen damit gedroht haben, die nahegelegene Stadt Ignacio niederzubrennen. In Albuquerque (Neu-Mexiko) werden Führer der Pueblo-Indianer festgenommen und angeklagt, sie hätten sich „zur Verhinderung der Registrierung verschworen“.

Seit den blutigen Kriegen gegen die Prärie-Indianer sind erst zwanzig Jahre vergangen. Die Stämme im Westen, jenseits des Mississippi, wurden damals getötet und zwangsenteignet, um Platz für die amerikanischen Eisenbahn-, Bergbau- und Landwirtschaftsinteressen zu machen. Die indianische Bevölkerung wurden in karge Reservate verbannt und gezwungen, ihre traditionellen kulturellen Gebräuche aufzugeben. Mit dem Dawes-Gesetz von 1887 wurde ihr Land zwangsweise privatisiert.

Und jetzt wird von ihnen verlangt, in Wilsons „Krieg für Demokratie“ zu kämpfen und zu sterben.

Petrograd, 6. Juni (24. Mai): Lenin zu den Petrograder Bezirksduma-Wahlen

Am 6. Juni veröffentlicht Lenin in der bolschewistischen Zeitung Prawda in knapper Form seine Analyse der Tendenzen in den Petrograder Bezirksduma-Wahlen, zu denen auch die Bolschewiki antreten. Lenin teilt die vielen Kandidatenlisten in fünf Hauptgruppen auf, je nachdem, welcher Klasse sie zuzurechnen sind.

Zunächst nennt er die Konstitutionellen Demokraten (Kadetten), die Partei der konterrevolutionären Bourgeoisie, der Gutsbesitzer und Kapitalisten. Dann wendet er sich der neuen Radikal-Demokratischen Partei zu, einer ebenfalls prokapitalistischen Formation: Sie sei „eine Art verkleideter Kadetten“. An dritter Stelle nennt Lenin jene Gruppe, der die Volkstümler (Trudowiki, Sozialrevolutionäre, Volkssozialisten) und die Menschewiki angehören. Sie seien „ein wahres Musterbeispiel kleinbürgerlicher Konfusion und kleinbürgerlicher Prinzipienlosigkeit!“ Viertens sind da die unterschiedlichen Listen der angeblichen „Parteilosen“, darunter sogar „Hausverwaltungen“. Das ist laut Lenin „nicht nur Spießbürgertum, sondern eng beschränkte Kirchturmpolitik“.

Schließlich nennt Lenin die Kategorie, in die außer den Bolschewiki noch zwei weitere Gruppen gehören: die Interrayonisten (Meschrayonzy) und die internationalistischen Menschewiki. „Dieser Block verletzt unsere Prinzipien in keiner Weise und wurde in den Resolutionen der Petrograder sowie der Gesamtrussischen Konferenz unserer Partei in aller Offenheit angekündigt“, schreibt Lenin. Weiter erklärt er:

Die Grundfrage des gegenwärtigen politischen Lebens in Russland wie in der ganzen Welt ist der Kampf des Internationalismus der Proletarier gegen den Chauvinismus (oder die Position der „Vaterlandsverteidigung“) der Groß- und Kleinbourgeoisie.

… Bekanntlich ist die Entwicklung von Parteien gleichzeitig Bedingung und Gradmesser der politischen Entwicklung. Je entwickelter, geschulter und bewusster die betreffende Bevölkerung oder die betreffende Klasse in politischer Hinsicht ist, umso höher ist in der Regel ihre parteimäßige Entwicklung. Diese allgemeine Regel wird durch die Erfahrungen aller zivilisierten Länder bestätigt. Und es ist auch vom Standpunkt des Klassenkampfes verständlich, dass es so sein muss.

Petrograd, 7. Juni (25. Mai): Lenins Plan gegen wirtschaftliche Zerrüttung

Der wirtschaftliche Zerfall im ehemaligen Zarenreich hat katastrophale Ausmaße erreicht. In den Städten nehmen die Streiks zu, auf dem Land herrschen Bauernunruhen und Anarchie, und an der Front häufen sich die Verluste an Menschenleben. Den Entbehrungen des Kriegs steht sinnlose Verschwendung gegenüber. Die gesamte Produktion Russlands droht einzubrechen. Besonders schlimm ist die Krise in der Agrarwirtschaft, und infolge mangelnder Getreidezufuhr droht Millionen Industriearbeitern und Stadtbewohnern der Hungertod. Erste Anzeichen davon sind in Petrograd zu spüren. Lenin schreibt:

Ein erfolgreicher Kampf gegen die Zerrüttung ist nur möglich, wenn das Volk äußerste Anstrengungen unternimmt, und wenn sofort sowohl örtlich als auch im Zentrum der Staatsmacht eine Reihe revolutionärer Maßnahmen ergriffen wird.

Durch Maßnahmen, die unter der Kontrolle der Kapitalisten und Gutsbesitzer stehen und deren Privilegien nicht antasten, könne das wirtschaftliche Chaos nicht wirksam bekämpft werden. Das hätten die Ereignisse schon zur Genüge gezeigt.

Der Weg zur Rettung vor der Katastrophe geht nur über die Einführung einer wirklichen Arbeiterkontrolle über die Produktion und Verteilung der Produkte …

Die Arbeiterkontrolle muss ebenso und mit den gleichen Befugnissen auf alle Finanz- und Bankoperationen ausgedehnt werden, wobei die gesamte Finanzlage klarzustellen ist, und sofort zu organisierende Sowjets und Kongresse der Angestellten der Banken, Syndikate usw. mitwirken sollen.

Lenin betont auch, dass den Arbeiterkomitees „die Einsichtnahme in die gesamte Buchführung des Handels und der Banken offenstehen muss“. Erst wenn diese Maßnahmen verwirklicht seien, sei die „Durchführung der allgemeinen Arbeitspflicht möglich und notwendig“. Durch sie werde „die größtmögliche Ökonomie in der Verausgabung der Arbeitskraft des Volkes“ garantiert. Die Arbeitskräfte müssten allmählich „aus den Munitionsbetrieben in Betriebe [überführt werden], die die für die Wiederherstellung der Wirtschaft erforderlichen Produkte erzeugen“.

In dieser Woche fordern zahlreiche Armeeabteilungen und Fabrikkomitees das Ende des Kriegs und die sofortige Übertragung der Macht auf die Sowjets.

Messines (Belgien), 7. Juni: 10.000 deutsche Soldaten sterben bei Minenexplosion

Um 3:10 Uhr in der Nacht bringt die britische 2. Armee rund 450 Tonnen Sprengstoff auf Ammoniakbasis unter deutschen Stellungen zur Explosion. Alliierte Mineure haben den Angriff mehr als ein Jahr lang vorbereitet. In der Nähe von Messines in Westflandern haben sie ein ganzes Stollensystem unter die deutschen Schützengräben vorgetrieben. Die Briten planen, in der Schlacht, die heute beginnt, diesen ganzen Landstrich zu erobern.

Innerhalb von zwanzig Sekunden bringen die alliierten Kräfte 26 Minen zur Explosion. Das Ergebnis ist verheerend: Zehntausend deutsche Soldaten werden sofort getötet oder lebendig begraben. Viele Überlebende sind schockiert, weichen zurück oder ergeben sich den etwa 80.000 britischen und alliierten Truppen, die unter dem Schutz von Artilleriesalven vorrücken. Die vordersten deutschen Verteidigungslinien sind weitgehend zerstört, was dem alliierten Vormarsch zugutekommt. Durch die Explosion einer einzigen Mine ist bei Spanbroekmolen ein Krater von 76 Metern Durchmesser und zwölf Metern Tiefe entstanden.

Berichten zufolge sei die Explosion noch in London und Dublin zu hören gewesen. In Lille in Frankreich glauben viele an ein Erdbeben. Britische Truppen nehmen die deutschen Schützengräben innerhalb von Stunden ein und konsolidieren in den nächsten Tagen ihre Kontrolle über wichtige Positionen auf dem Schlachtfeld.

Die Detonation der Minen von Messines ist die bis dahin stärkste von Menschen hervorgerufene Explosion und bleibt dies auch bis zur Zündung der Atombombe. Dadurch wird das strategische Kräfteverhältnis an der Westfront zugunsten der Alliierten verschoben. Für die deutsche Armee wird die Explosion zur blanken Katastrophe. Die Eroberung der Höhen von Messines durch die Alliierten bereitet den Weg für die dritte Schlacht von Ypern, die im nächsten Monat beginnt. Die Alliierten hoffen, die deutschen Linien so weit zurückzudrängen, dass sie ihre Nachschublinien und den Zugang zur belgischen Küste abschneiden können.

Petrograd, 8. Juni (26. Mai): Trotzki verteidigt Matrosen von Kronstadt vor Petrograder Sowjet

Die Matrosen von Kronstadt protestieren weiter und bestehen im Gegensatz zu ihrer eigenen Sowjetführung darauf, die Beziehungen zur Provisorischen Regierung abzubrechen. Derweil hält der Petrograder Sowjet eine außerordentliche Sitzung ab, an die sich Wladimir Wojtinski später als an „einen der dramatischsten Momente des Jahres 1917“ erinnern wird.

Der Menschewik Zeretelli wirft sich in die Pose eines Chefanklägers gegen die Kronstädter Matrosen und stellt eine Resolution des Exekutivkomitees des Petrograder Sowjets vor. Trotzki verteidigt die rebellierenden Kronstädter, während Juli Martow, ein internationalistischer Menschewik, für Geduld plädiert und eine Entscheidung vertagen möchte.

Zeretelli denunziert in seiner Rede Kronstadt als „Brutstätte der Anarchie“ und als „Schande für die Revolution“. In seiner Resolution wird Kronstadt des „Bruchs mit der revolutionären Demokratie“ beschuldigt. Trotzki argumentiert gegen die Resolution und greift den Petrograder Sowjet an. Er erklärt:

Ja! Die Kronstädter sind Anarchisten, aber im Falle der Gefahr, wenn ein konterrevolutionärer General versuchen wird, der Revolution die Schlinge um den Hals zu werfen, wenn die Kadetten den Strick einseifen werden – dann werden die Kronstädter Matrosen zur Stelle sein, um gemeinsam mit uns zu kämpfen und zu sterben.

Zeretellis Resolution wird mit 580 gegen 162 Stimmen bei 74 Enthaltungen angenommen. Die bolschewistische Fraktion stimmt gegen die Resolution. In der gleichen Nacht hält die Provisorische Regierung eine außerordentlicher Sitzung ab und beschließt, ermutigt durch die Haltung der Opportunisten und Populisten im Petrograder Sowjet, einen Befehl an alle Einwohner Kronstadts herauszugeben, dass sie „alle Befehle der Provisorischen Regierung bedingungslos auszuführen“ haben.

Butte (Montana), 8. Juni: Feuersbrunst tötet 163 Kupferbergarbeiter

163 Männer sterben in einer Feuersbrunst im Schacht Speculator, ausgelöst durch eine Karbidlampe, die in 1200m Tiefe ein elektrisches Kabel entzündet hat. Das Feuer springt vom Kabel auf die hölzernen Stützbohlen über. Rauchgas und Kohlenmonoxid breiten sich im Tunnelsystem über hunderte Meilen aus. Mehrere hundert Bergarbeiter entkommen durch Verbindungstunnel zu anderen Stollen, aber viele bleiben gefangen und ersticken in den folgenden Tagen, weil keine ausreichende Entlüftung und keine ordentliche Rettungsroutine existiert. Viele hinterlassen Abschiedsgrüße an ihre Familien.

Es gibt in dem Bergwerk kein Alarmsystem, sodass Bergarbeiter, die in einer gewissen Distanz zu dem Feuer arbeiten, nichts von der Ausbreitung des geruch- und farblosen Monoxidgases bemerken. Die Mine verfügt auch über keinen Evakuierungsplan. Nicht einmal Schilder, die den Weg nach oben weisen, sind vorhanden, für den Fall dass der Schacht blockiert ist. Michael Punke, ein Historiker, der sich mit dieser Katastrophe beschäftigt hat, kommentiert später:

Ein schockierender Kontrast besteht zwischen der hochentwickelten Technologie, mit der das Kupfergestein aus dem Boden gelöst wird (gigantische Dampfmaschinen, hydraulische Bohrausrüstung, hochentwickelte Schmelzprozesse) und der rudimentären Aufmerksamkeit, die der Sicherheit der Bergarbeiter geschenkt wird (fehlende Hinweisschilder zum Ausgang, Laternen mit offener Flamme, keine Staubminderung).

Die Kupferbergwerke Montanas sind eine Goldgrube für die reichste Familie der Welt, die Rockefellers und ihren Konzern Standard Oil. In den ersten Jahren des Jahrhunderts hat Rockefeller fast alle Kupferanlagen der Welt in seinen Händen vereint. Vor dieser Zeit hatten die Gewerkschaften fast alle Arbeiter bei Butte organisiert, was der Stadt den Namen des „Gibraltar der organisierten Arbeiterbewegung“ einbrachte. Wie Punke bemerkt: „Standard Oil hat den Gewerkschaften praktisch den Garaus gemacht.“

Der Krieg bedeutet noch mehr Produktion und Profit für Standard Oil. Punke erläutert:

Die Preise stiegen, und Sicherheitsfragen spielten noch weniger eine Rolle als sonst. Auch die Trends in der Einwanderung spielten der Firma in die Hände. Eine neue Einwanderungswelle aus Süd- und Osteuropa lieferte einen praktisch grenzenlosen Nachschub an Bergarbeitern. Jeder, der gegen die Arbeitsbedingungen im Bergwerk protestierte, wurde entlassen und kam auf die Schwarze Liste. Er konnte leicht ersetzt werden.

Kronstadt, 9. Juni (27. Mai): Matrosen nehmen Trotzkis „Aufruf der Matrosen Soldaten und Arbeiter von Kronstadt“ an

Sowohl der Petrograder Sowjet als auch die Provisorische Regierung machen gegen die Kronstädter Matrosen mobil. Trotzki, der unter den Matrosen besonderes Vertrauen genießt, eilt in die Seefestung. Mit starker Unterstützung des Bolschewiken Iwan Flerowski beschwört er die Matrosen, das Ultimatum der Regierung vorderhand zu akzeptieren. Er argumentiert:

Wenn ihr die Vereinbarung nicht einhaltet, Genossen, dann ist das ein Bruch einer Zusage, und sie werden euch irgendwie dazu zwingen. Wie genau, weiß ich nicht. Ich sage nicht, dass sie Soldaten gegen euch schicken werden, aber ich denke, sie könnten sich weigern, euch weiter Brot und Geld zu schicken. Meiner Meinung nach lohnt es nicht, über diese Angelegenheit zu streiten. Da eine Vereinbarung getroffen wurde, muss sie eingehalten werden, um den Namen von Kronstadt rein zu halten.

Die Stimmung unter den Matrosen ist gereizt, und für Trotzki und Flerowski ist es schwierig, sie zu beruhigen. Schließlich stimmen die Kronstädter Matrosen zähneknirschend einem von Trotzki entworfenen „Appell der Matrosen, Soldaten und Arbeiter von Kronstadt“ zu, der sich „an die revolutionäre Bevölkerung von Petrograd und von ganz Russland“ richtet. Trotz der momentanen Deeskalation herrschen zwischen den Kronstädter Matrosen einerseits und dem Sowjet und der Provisorischen Regierung in Petrograd andererseits in den kommenden Wochen gespannte Beziehungen. In seiner „Geschichte der Russischen Revolution“ wird Trotzki die Kronstädter Ereignisse später so schildern:

Unter dem schrecklichen Regime der zaristischen Flotte und der Seefestung gestählt, an schwere Arbeit, an Opfer, aber auch an Exzesse gewöhnt, spannten die Matrosen jetzt, wo sich vor ihnen der Vorhang eines neuen Lebens geöffnet hatte, in dem sie sich als die zukünftigen Herren fühlten, alle ihre Kräfte an, um sich der Revolution würdig zu erweisen. Gierig stürzten sie sich in Petrograd auf Freunde und Gegner und schleppten sie fast gewaltsam nach Kronstadt, um ihnen zu zeigen, wie revolutionäre Seeleute in Wirklichkeit sind. Eine solche moralische Anspannung konnte selbstverständlich nicht ewig dauern, aber sie reichte für lange Zeit. Die Kronstädter Seeleute verwandelten sich in eine Art Kampforden der Revolution. Aber welcher? Jedenfalls nicht jener, die Minister Zeretelli mit seinem Kommissar Pepelajew verkörperte. Kronstadt stand da wie ein Verkünder der heranrückenden zweiten Revolution. Deshalb wurde es von all jenen gehasst, die genug an der ersten hatten.

Washington, 9. Juni: Wilsons offener Brief an russische Provisorische Regierung

In einem Brief an die russische Provisorische Regierung passt sich US-Präsident Woodrow Wilson an die Forderung des Petrograder Sowjets nach einem Frieden ohne Annexionen an, fordert aber, dass Deutschland vorher besiegt werden müsse. Der Brief wird am 09. Juni bekannt gemacht, obwohl er schon am 22. Mai geschrieben und dem amerikanischen Botschafter in Russland, David R. Francis, übermittelt worden ist. Das ausdrückliche Ziel des Offenen Briefes ist es, Russland im Krieg zu halten.

Wilson betont in seinem üblichen großspurigen Ton, Amerika kämpfe nur aus den nobelsten Motiven und sei an materiellen Dingen völlig desinteressiert:

„Es kämpft nicht für den eigenen Vorteil oder eigensüchtige Ziele, sondern für die Befreiung aller Völker von Aggression und autokratischer Gewalt.“ Deutschland aber, das laut Wilson „der Niederlage nicht entgehen kann“, wolle zum „Status quo ante zurückkehren“. Das könne Amerika nicht zulassen, „war es doch der Status quo ante, aus dem sich dieser ungerechte Krieg ergab: die Macht der kaiserlichen deutschen Regierung im Reich, mit seinem breiten Einfluss außerhalb dieses Reichs. Dieser Status muss so geändert werden, dass so etwas Schreckliches nie wieder geschehen kann.“

Erst hüllt Wilson das amerikanische Ziel, Deutschland zu schwächen und Europa zu dominieren, in die Worte des demokratischen Liberalismus und der nationalen Selbstbestimmung. Dann appelliert er an die Provisorische Regierung, den Krieg fortzuführen. Derweil drohen seine Diplomaten hinter den Kulissen Kerenski, dass die USA keine Kredite mehr geben würden, falls Russland aus dem Krieg ausscheide. „Der Tag ist gekommen, zu siegen oder sich zu unterwerfen“, schließt Wilson. „Wenn die Kräfte der Autokratie uns spalten können, dann werden sie uns besiegen; wenn wir aber zusammenstehen, dann werden der Sieg und die Freiheit uns sicher sein. Wir können dann großzügig sein, aber weder jetzt noch später können wir uns erlauben, schwach zu sein oder auch nur auf eine Garantie für Gerechtigkeit und Sicherheit zu verzichten.“

Stockholm, 5.–11. Juni: Vorgespräche zu „Friedenskonferenz“. Deutsche Delegation vertritt Interessen des deutschen Imperialismus

In Stockholm führt eine Delegation der rechtesten SPD-Parteiführer Vorgespräche zu einer „internationalen Friedenskonferenz“, an der die sozialchauvinistischen Parteien aller kriegsführenden Länder teilnehmen. Das Ziel der Konferenz besteht darin, auf die jeweiligen Regierungen einzuwirken, um einen Verständigungsfrieden ohne Annexionen und Reparationen herbeizuführen. Zu der deutschen Delegation gehören der Parteivorsitzende Philipp Scheidemann und Friedrich Ebert, sowie der Gewerkschaftsvorsitzende Carl Legien. Gesprächspartner ist das holländisch-skandinavische Komitee, von dem die Initiative zur Konferenz ausgegangen ist.

Bereits am 19. April, auf dem Höhepunkt der Aprilstreiks, hat sich die SPD für die Beteiligung an dieser Konferenz ausgesprochen. Seitdem hat sich die militärische, wirtschaftliche und innenpolitische Lage des deutschen Imperialismus von Woche zu Woche verschlechtert. In einem Brief an Reichskanzler Bethmann-Hollweg zeigt Scheidemann auf, dass für Deutschland mit der Losung eines „Friedens ohne Annexionen und Reparationen“, die der Petrograder Sowjet vorbringt, ein Ausweg gefunden werden könnte – nämlich ein Separatfrieden mit Russland. Dadurch sollen eine völlige militärische Niederlage und eine Revolution verhindert werden. Scheidemann schreibt:

Es gibt jetzt nur einen Ausweg, um schlimmstes Unheil zu verhüten … Der Arbeiter- und Soldatenrat hat die Formel aufgestellt: Friede ohne Annexionen und Kriegsentschädigungen! … Russland wird in der Hand der Ententemächte bleiben, solange die deutsche Regierung sich nicht entschließt, einen allgemeinen Frieden auf Grund der Petersburger Formel zuzugestehen … Es geht jetzt ums Ganze!“

Das Vorgehen der deutschen Delegierten in Stockholm bestätigt die Einschätzung Lenins, der sie als „Werkzeug in den Händen der Geheimdiplomaten des deutschen Imperialismus“ verurteilt hat. Die französische und britische Delegation bekommen von ihren Regierungen keine Pässe für die Konferenz, weil diese sehr genau wissen, worum es der deutschen Delegation geht. Sie wollen so einen Separatfrieden zwischen Russland und Deutschland verhindern.

Rosa Luxemburg charakterisiert die Stockholmer Konferenz folgendermaßen:

Sozialistische Friedensarbeit wird hier in Unterhandlungen über die künftige Staatenkarte Europas, über die Frage der Annexionen, Kriegsentschädigungen usw. bestehen. Statt die Aufgaben des Klassenkampfes, die Mittel und Wege zur Herbeiführung des Friedens durch eigene Aktion des Proletariats zu erörtern, statt ein Programm für die Gestaltung der sozialen und politischen Verhältnisse durch das revolutionäre Proletariat im Sinne des Sozialismus zu schaffen, wird hier von Vertretern des Proletariats Handlangerarbeit für die Bourgeoisie geleistet werden. Sozialisten schicken sich hier an, im Schweiße des Angesichts die Verständigung zwischen kapitalistischen Regierungen vorzubereiten. (Brennende Zeitfragen III, Stockholm).

Athen, 11. Juni: Alliierte stellen König Konstantin I. ein Ultimatum

Großbritannien, Frankreich und Russland stellen der neutralen griechischen Regierung ein Ultimatum und fordern die Abdankung von König Konstantin I. innerhalb von 24 Stunden. Der Schritt ist Teil einer alliierten Strategie, Griechenland auf ihrer Seite in den Krieg zu zwingen. Gleichzeitig dringen Truppen der Alliierten in Thessalien ein, und französische Soldaten besetzen den Isthmus von Korinth.

Konstantin zeigt sich den Deutschen freundlich zugeneigt. Deshalb hat er vor einiger Zeit, schon während des Kriegs, Ministerpräsident Eleutherios Venizelos entlassen, der mit den Alliierten sympathisiert. 1914 hat Venizelos versucht, Griechenland auf Seiten Serbiens in den Krieg zu verwickeln, denn mit Serbien hat Griechenland 1913 ein gegenseitiges Verteidigungsabkommen gegen Angriffe Bulgariens abgeschlossen. Konstantins Anhänger haben jedoch argumentiert, der Vertrag sei in dem Moment nichtig geworden, da auf Seiten Bulgariens eine Großmacht kämpfe. Der König hat Venizelos im Oktober 1915 entlassen.

Daraufhin hat Venizelos einen Militärputsch organisiert und eine alternative Regierung in Thessaloniki errichtet. Er hat mit Frankreich, Großbritannien und Russland eine Übereinkunft erreicht, dass sie als Schutzmächte handeln würden. Im Dezember 1916 sind in Athen Kämpfe zwischen einem kleinen Kontingent alliierter Truppen und royalistischen Kräften ausgebrochen, und sie haben zu Unruhen gegen Anhänger von Venizelos geführt. Seither haben Frankreich und Großbritannien eine Seeblockade gegen die Teile des Landes verhängt, die sich unter der Kontrolle Konstantins befinden.

Weil er nur 24 Stunden Zeit zur Entscheidung hat, bestätigt Konstantin I. am 12. Juni seine Abdankung und designiert seinen zweiten Sohn Alexander zum Nachfolger. Venizelos bricht bald nach Athen auf, wo er das Land unter einer einheitlichen Regierung wieder zu vereinen versucht. Er wird Griechenland in einen Krieg gegen bulgarische, deutsche und österreichisch-ungarische Truppen an der mazedonischen Front führen.

Front zwischen Italien und Österreich: Starke Verluste am Isonzo

Die zehnte Isonzoschlacht, die vom 12. Mai bis zum 5. Juni stattfindet, gehört zu den vielen Schlachten im Stellungskrieg zwischen Italien und Österreich-Ungarn. Auf beiden Seiten sterben Hunderttausende.

In weniger als vier Wochen bringt die wütende Schlacht auf italienischer Seite 160.000 Verluste (davon 36.000 Tote) hervor, auf österreichisch-ungarischer Seite sind es 125.000 (17.000 Tote). Auf beiden Seiten werden zehntausende Soldaten gefangen genommen.

Der Grenadier-Leutnant Giuseppe Russo erinnert sich: „Die Landschaft ist entsetzlich: Große Kaliber haben gewaltige Löcher, eins neben dem andern, gerissen und den Tod in die Reihen der vorrückenden Soldaten gesät. Menschliche Gliedmaßen und nicht-erkennbare Kadaver liegen wild umher. Blutende, sterbende und verwundete Soldaten rufen um Hilfe, während wir über so viel Vernichtung hinwegschreiten.“

Während die zehnte Isonzoschlacht zu Ende geht, bricht innerhalb von nur fünf Tagen eine weitere Schlacht in der gleichen Region, am Monte Ortigara aus. In weniger als zwanzig Tagen gibt es 28.000 Verluste auf italienischer und fast 9000 Verluste auf österreichisch-ungarischer Seite. Diese Schlacht wird für die italienische Armee zum verheerenden strategischen Fehlschlag.

In den vier Wochen zwischen dem 22. Mai und dem 20. Juni kommt es an der Großen Dolomitenstraße zu zahlreichen Sprengungen, und am Lagazuoi bringt die Explosion von 75 Tonnen Sprengstoff ganze Teile des Bergmassivs zum Einsturz. Der Stellungskrieg in den Bergstollen tobt um wichtige Nachschubrouten wie der Strada delle 52 Gallerie, einer italienischen Militärpassage. Sie führt durch 52 Tunnel, die in den Berg gehauen wurden, um die Verbindungen und die Versorgung der Front zu erleichtern.

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