Die Wut darüber, dass das wirkliche Ausmaß des Inferno vom Grenfell Tower in Westlondon verschwiegen wird, wird immer größer. Zwei Wochen nach dem katastrophalen Brand wird die Anzahl der Todesopfer immer noch nicht offen gelegt. Offiziell sind mindestens 79 Personen umgekommen. Da jedoch mehr als 500 Menschen in dem Hochhaus lebten, sind in Wirklichkeit wohl viel mehr umgekommen.
Die Polizei erklärt, dass 18 Leichen identifiziert worden seien, 61 jedoch immer noch nicht.
Den Überlebenden des Brands wurden jämmerliche 5 Millionen Pfund zugesprochen. All jene, die Angehörige verloren haben und deren Wohnungen ausgebrannt sind, bekamen einen Schlag in die Magengrube, als sie die Nachricht hörten, dass die Queen weitere 6 Millionen Pfund aus Steuermitteln erhält. Das entspricht einer Erhöhung ihrer Einkünfte um 8 Prozent. Damit steigt das Jahreseinkommen der Monarchin aus Steuergeldern auf 82,2 Millionen Pfund (mehr als 93 Millionen Euro).
Allein in den letzten sechs Jahren hat sich die Finanzierung der Krone durch die Steuerzahler von 31 auf 82 Millionen Pfund fast verdreifacht. Die Queen selbst hat ein Privatvermögen von mehr als 300 Millionen Pfund (ca. 340 Millionen Euro). Das gesamte Vermögen der königlichen Familie wird jedoch auf zig Milliarden Pfund geschätzt.
Was diesen Geldsegen noch obszöner macht, ist die Tatsache, dass er ausdrücklich für die Renovierung der Londoner Residenz der Queen vorgesehen ist. Die 369 Millionen Pfund für die derzeitige, sich über 10 Jahre erstreckende Verschönerung des Buckingham Palasts mit seinen 775 Gemächern, werden noch aufgestockt. Zwischen dem Grenfell Tower und dem Buckingham Palast liegen gerade einmal etwa 7 Kilometer, aber die Klassenkluft ist galaktisch.
Trotz der Modernisierung des Buckingham Palasts wird an den anderen königlichen Residenzen keineswegs gespart. Nach jüngsten Berichten wurde gerade fast eine Million Pfund für eine Untersuchung der Decken in den königlichen Behausungen ausgegeben. Weitere 1,2 Millionen Pfund wurden für die maßgerechte Erneuerung von 20 Türen in der Orangerie von Windsor Castle ausgegeben. Diese Summe liegt nur wenig unter der, über die die Grenfell-Überlebenden von den 5 Millionen versprochenen Pfund bis jetzt verfügen können.
Grenfell Tower war eine Todesfalle, in der die Bewohner aus der Arbeiterklasse leiden mussten und auf furchtbare Weise umkamen. Das 24-stöckige Gebäude hatte keine Sprinkler-Anlage und kein zentrales Alarmsystem. Nur ein Treppenhaus führte zum Ausgang und Gasleitungen lagen offen. Als ob das noch nicht ausreichte, um eine Katastrophe auszulösen, wurde der Tower auch noch mit einer brennbaren Isolierung und Außenverkleidung versehen, durch die sich ein kleines Feuer im vierten Stock innerhalb von Minuten auf das ganze Gebäude ausbreiten konnte. Die giftigen Rauchgase, die dabei freigesetzt wurden, ließen vielen Bewohnern keine Möglichkeit, zu entkommen.
Die Queen und ihre Familie im Buckingham Palast brauchen so etwas nicht zu fürchten. Einer Stellenausschreibung der Palastverwaltung zufolge haben die Royals ein „Team von Beamten für Feuersicherheit und Zugangskontrolle“, das für alle Aspekte des Brandschutzes verantwortlich ist. Zu den „Aufgaben des Teams der Brandschutzkontrolleure“ gehört es, „die automatischen Branderkennungs- und Alarmsysteme in diversen Gebäuden zu überwachen und auf Meldungen zu reagieren“. Die Mitglieder des Teams führen „regelmäßig Sicherheitsüberprüfungen“ durch und sind dafür „ausgebildet, für die Angestellten und Bewohner der königlichen Haushalte in London rund um die Uhr Erste Hilfe zu leisten“.
Die Behörden halten nicht nur die Zahl der Todesopfer vom Grenfell Tower geheim, sie haben sich auch nicht darum gekümmert, festzustellen, wie viele Menschen gewöhnlich in dem Gebäude leben, und noch weniger darum, ob gerade Familienangehörige und Freunde bei ihnen waren oder ob sie an diesem Abend Gäste hatten.
So ein Verhalten ist kein Versehen. Es drückt den instinktiven Hass und die Verachtung der herrschenden Klasse für die Arbeiterklasse aus.
Es ist schon lange so, dass die imperialistischen Mächte keine Zahlen darüber bekannt geben, wie viele Menschen in ihren Aggressionskriegen in Übersee getötet werden. Genau wie die Zahl der Todesopfer ihrer Politik im Irak, in Afghanistan, Syrien und anderswo werden die Toten vom Grenfell Tower von der herrschenden Klasse als “Kollateralschaden” angesehen.
Im Gegensatz dazu versuchen die Bewohner selbständig die wirklichen Tatsachen herauszufinden. Am Mittwoch berichtete der Guardian, dass Sajad Jamalvatan, ein Student der Biomedizintechnik, der im dritten Stock des Hochhauses wohnte, „eine Whatsapp Gruppe von 86 Familien zusammengebracht hat, die aus dem Gebäude fliehen konnten. Sie nennt sich Grenfell United.“ Er glaube, so berichtet die Zeitung, „dass die wirkliche Zahl [der Toten] vermutlich über 120 liegt“. Eine weitere Gruppe von Überlebenden, Justice 4 Grenfell, [Gerechtigkeit für Grenfell] versucht ebenfalls die wirkliche Anzahl der Getöteten herauszufinden.
Die Namen von gerade einmal acht der Toten – sieben Erwachsene und ein Kind – sind bisher von der Polizei bekanntgegeben worden. Weitere zehn Personen wurden identifiziert, darunter vier Frauen, vier Männer, ein Junge und ein Mädchen, aber die Namen wurden auf Wunsch der Familien bisher nicht veröffentlicht.
Der Name des fünfjährigen Kindes ist Isaac Paulos. Der Leichenbeschauer teilte Einzelheiten mit, die etwas von dem Horror dieser Nacht erahnen lassen. Isaac lebte mit seiner Familie im 18. Stock des Hochhauses und wurde im 13. Stock gefunden. Er und seine Familie hatten es geschafft, aus der Wohnung zu entkommen und rannten fünf Stockwerke herunter um ihr Leben, bevor sie dann dennoch dem Rauch des Infernos zum Opfer fielen. Inzwischen ist bekannt, dass die brennbare Außenfassade im Gebäude tödlichen Cyanwasserstoff (Blausäure) freisetzte. Nur durch den Zustand seiner Zähne konnte Isaac identifiziert werden. Die Ursache seines Todes war das Einatmen des toxischen Rauchs.
Die Bewohner des Stadtteils protestierten, um von den Behördenvertretern Antworten zu erhalten. Unter anderem erstürmten sie das Rathaus von Kensington. Daraufhin kündigte die Regierung von Theresa May an, es werde eine öffentliche Untersuchung des Brandes geben. Das ist ein Mittel, mit dessen Hilfe, die Regierung und die Schuldigen hoffen, ihre kriminellen Machenschaften zu vertuschen und zu verhindern, dass gegen die Verantwortlichen in der Regierung und der örtlichen Verwaltung sowie ihre Komplizen in der Großindustrie irgendwelche Maßnahmen ergriffen werden.
Die Wut und Entschlossenheit zum Widerstand steigern sich immer mehr, weil die Regierung nichts tut und sich kaltschnäuzig weigert, den Überlebenden des Brandes wieder eine angemessene Wohnung im Stadtviertel zur Verfügung zu stellen. Am Mittwoch traf Wohnungsbauminister Alok Sharma bei einem Fernsehinterview auf den Überlebenden Oluwaseun Talabi und andere Bewohner des Stadtteils Kensington.
Nachdem Sharma sich lediglich verpflichtete, die Überlebenden in Übergangsbehausungen in diesem oder einem benachbarten Stadtviertel unterzubringen, griff Talabi ihn wütend an. Talabi, der es mit seiner Familie geschafft hatte, aus dem 14. Stock zu entkommen, sagte: „Schluss jetzt, bitte. Ich ziehe nicht mit meinem Kind immerzu von einem Ort zum andern. Ich will eine dauerhafte Unterbringung. Wenn ich keine Wohnung auf Dauer bekomme, dann akzeptiere ich das nicht. Ich nehme nicht irgendein Haus, das Sie mir zuweisen. Es muss angemessen sein. … In dem Haus war ich glücklich. Ich arbeite hart. Ich arbeite hart und ich wohnte in einem guten Haus.“
Es ist jetzt ausreichend geklärt, dass solche Gefahren wie beim Grenfell Tower kein Einzelfall sind, sondern im ganzen Land vorhanden sind. Als klar wurde, dass mindestens 600 andere Hochhäuser überall in England und Wales mit dem gleichen Material verkleidet sind wie Grenfell, verkündete die Regierung, dass Tests durchgeführt werden würden, um die Risiken einzuschätzen.
Am Mittwochmorgen wurde festgestellt, dass 120 Hochhäuser in 37 Gemeinden in England die Sicherheitsüberprüfungen nicht bestanden hatten. Das entspricht einer Fehlerquote von 100 Prozent. Etwas später am gleichen Tag war Premierministerin May während ihrer Befragung im Parlament gezwungen zuzugeben, dass die Verkleidung des Grenfell Towers „nicht den Bauvorschriften entsprach“.
Aber niemand wurde deswegen verhaftet, obwohl klar wird, dass nicht nur Wohnhäuser, sondern auch öffentliche Gebäude wie Krankenhäuser und Schulen in ähnlicher Weise bedroht sind.
Der Daily Telegraph berichtete, er sei vom National Fire Chiefs Council [Nationaler Rat der Feuerwehrchefs] informiert worden, dass 38 Einrichtungen des National Health Service (NHS) „ähnliche Eigenschaften aufweisen wie Grenfell, von denen neun als höchst gefährdet eingestuft wurden“.
Es ist durchaus möglich, dass der schon vielfach überbeanspruchte NHS gezwungen sein könnte, Tausende von Patienten, von denen viele sehr krank sind, aus diesen Gebäuden zu verlegen. Aber auch hier werden die Einzelheiten dieser möglichen Katastrophe noch geheim gehalten. Der Telegraph berichtete, dass weder der National Fire Chiefs Council „noch das NHS-Verbesserungskomitee, das die Untersuchung überwachte, die Namen der Gebäude bekanntgaben oder Einzelheiten über die Befunde mitteilten“.
Die Zeitung stellte fest, dass nach der Regierungsanfrage der letzten Woche alle mit Patienten belegten Krankenhäuser innerhalb von 36 Stunden Sicherheitschecks unterzogen werden sollten. Das habe „Chaos bei den Feuerwehrchefs ausgelöst, die erklärten, dass sie dies neben allen Anstrengungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit nach Grenfell nicht gewährleisten könnten“. Die der konservativen Partei nahestehende Zeitung berichtete dies, ohne zu erwähnen, dass 11.000 Stellen für Feuerwehrleute in den letzten zehn Jahre gestrichen wurden.
Zusätzlich zu all dem muss jetzt die Sicherheit von 30.000 Schulen überprüft werden. Dazu kommen noch 17.000 Altenpflegeheime und Privatkliniken. Als ein wichtiger Faktor, warum derart billiges, brennbares Material in Schulen und Krankenhäusern verbaut wurde, wird sich die Verbreitung von Verträgen mit lukrativen, privaten Finanzinitiativen herausstellen, die es Unternehmen erlaubt hat, Milliarden an Steuergeldern einzustreichen.