Die Situation in Petrograd ist zum Zerreißen gespannt. Als Kerenskis Militäroffensive scheitert, entladen sich die Spannungen in der Stadt. Ungeachtet der Warnungen bolschewistischer Führer, ein verfrühter Aufstand würde isoliert und in einer Niederlage enden, gehen Hunderttausende Arbeiter auf die Straße. Als die Kräfte der Reaktion sich anschicken, die aufständischen Arbeiter niederzuwerfen, sind die Bolschewiki gezwungen, die Führung zu übernehmen. Das ist der Beginn der „Julitage“.
„Die bolschewistische Leitung sah klar, daß man den schweren Reserven Zeit lassen müsse, ihre Schlußfolgerungen aus dem Abenteuer der Offensive zu ziehen“, schrieb Trotzki später. „Doch die fortgeschrittenen Schichten drängten auf die Straße gerade unter dem Einfluß dieses Abenteuers. Tiefster Radikalismus der Aufgaben vermischte sich da bei ihnen mit Illusionen über die Methoden. Die Warnungen der Bolschewiki fruchteten nichts. Die Petrograder Arbeiter und Soldaten konnten die Lage nur mittels eigener Erfahrung überprüfen. Die bewaffnete Demonstration wurde zu einer solchen Überprüfung. Doch gegen den Willen der Massen konnte die Überprüfung sich leicht in eine Entscheidungsschlacht verwandeln und damit in eine entscheidende Niederlage. Unter diesen Umständen durfte die Partei nicht abseits bleiben. Die Hände im Wässerchen strategischer Moralpredigten zu waschen, hätte bedeutet, die Arbeiter und Soldaten einfach ihren Feinden auszuliefern. Die Partei der Massen mußte sich auf den Boden stellen, auf den sich die Massen gestellt hatten, um, ohne irgendwie deren Illusionen zu teilen, ihnen zu helfen, mit den kleinsten Verlusten die notwendigen Lehren zu ziehen.“
Kerenskis Offensive gestoppt, russische Truppen geben die Front zu Östereich auf
Die Armeen Deutschlands und Österreich-Ungarns gehen zum entscheidenden Gegenangriff in Galizien über, nachdem sie vorrückende russische Soldaten niedergenmetzelt und etwa 60.000 von ihnen getötet haben. In der russischen Armee kommt es zu massenhaften Meutereien. Mit Massenexekutionen an Hunderten von Soldaten versuchen die Offiziere verzweifelt, die Ordnung wiederherzustellen, doch es gelingt ihnen nicht. Unabhängig von den Generälen ziehen sich die russischen Truppen von der Front zurück, bis weit in die Ukraine hinein. Die gegnerischen Armeen können ihren Vormarsch praktisch ungehindert fortsetzen.
Das Fiasko der militärischen Offensive diskreditiert nicht nur die provisorische Regierung, sondern auch die Menschewiki und Populisten, die sie lauthals unterstützt hatten. Zu Beginn der Offensive hatte der „sozialistische“ Kriegsminister Alexander Kerenski vor der Provisorischen Regierung gesagt: „Heute ist der Tag des großen Siegs der Revolution… die russische revolutionäre Armee hat mit größter Begeisterung die Offensive begonnen.“ Der Menschewik Plechanow hatte anlässlich des Beginns der Offensive in ähnlichen Worten zu einer patriotischen Kundgebung gesprochen: „Heute ist der Tag des Aufstands. Unser Land und die ganze Welt erheben sich. Russland, das das Joch des Zarismus abgeschüttelt hat, macht sich nun daran, das Joch der Feinde abzuschütteln.“ Trotzki schrieb später:
Die Soldaten fühlten sich wiederum betrogen. Die Offensive führte nicht zum Frieden, sondern zum Krieg. Die Soldaten aber wollten keinen Krieg. Und sie hatten recht. Die im Hinterlande verkrochenen Patrioten hetzten und brandmarkten die Soldaten als Drückeberger. Doch die Soldaten hatten recht. Es leitete sie ein richtiger nationaler Instinkt, hervorgebrochen aus dem Bewußtsein unterjochter, betrogener, geschundener, von revolutionärer Hoffnung aufgerichteter und wieder in den blutigen Trog hinabgestürzter Menschen. Die Soldaten hatten recht. Die Fortsetzung des Krieges konnte dem russischen Volke nichts bringen als neue Opfer, Erniedrigungen, Nöte, nichts als Verschärfung der inneren und äußeren Knechtschaft.
Petrograd, 15. Juli (2. Juli, nach gregorianischem Kalender) Das Abkommen mit der ukrainischen Rada verschärft die Kabinettskrise
Eine Delegation der Provisorischen Regierung kehrt von Kiew nach Petrograd zurück und berichtet über ihre Kompromissvereinbarung mit der ukrainischen Zentralrada (Generalrat). Der Delegation gehörten der Menschewik Irakli Zeretelli, der ukrainische Großgrundbesitzer Michail Tereschtschenko und Kerenski an. Am 23. Juni (10. Juni) hatte die Rada das Pervyi Universal (1. Universal) verabschiedet, das die Unabhängigkeit von der Provisorischen Regierung proklamierte und damit deren Autorität offen in Frage stellte.
Die Delegation aus Sozialrevolutionären und Menschewiki wollte die 30-Millionen-Bevölkerung der Ukraine nicht vor den Kopf stoßen und eine politische Krise in der südwestlichen Armee vermeiden. Sie schloss daher, nach dreitägigen verbissenen Verhandlungen, einen Kompromiss mit der Rada. Dieser anerkennt faktisch das Recht der Rada, für das Volk der Ukraine zu sprechen. Die Provisorische Regierung ernennt auf Empfehlung der Rada ein Generalsekretariat. Die Rada hat das Recht, eigene Vorschläge zur Lösung der Landfrage zu erarbeiten, die für Millionen ukrainischer Bauern die brennendste Frage ist, und sie einer Konstituierenden Versammlung vorzulegen. Dafür versichert die Rada Russland ihrer Loyalität und verzichtet auf ihre Forderung nach einer eigenständigen ukrainischen Armee.
Doch die bürgerliche Konstitutionell-Demokratische Partei (Kadetten) verweigert bei der Kabinettsitzung in Petrograd jegliches Zugeständnis an die nationalistischen und separatistischen Stimmungen in Kiew. Die Kadetten lehnen die Kompromissvereinbarung ab und verlassen auf Beschluss ihres Zentralkomitees die Regierung. Für die Kadettenminister, die den Krieg und den Kapitalismus befürworteten, war die Bedrohung für Russlands territoriale Integrität „das schlimmste Übel aus Pandoras Büchse der Revolution“ (Oliver H. Radkey).
Vor der Presse behauptet der Premierminister der Provisorischen Regierung, Fürst Lwow, dass weniger die Frage der Ukraine, sondern grundlegende Meinungsverschiedenheiten zwischen den „sozialistischen“ Ministern (Menschewiki und Sozialrevolutionäre) und den Kadetten das Kabinett gesprengt hätten. In der Tat ist die Ukraine nur der letzte von vielen Konflikten, bei denen sich die Kadetten innerhalb der Regierung in der Minderheit befinden. Insbesondere stellen sie sich gegen die Landwirtschafts- und Wirtschaftspolitik von Tschernow, dem Minister (Sozialrevolutionäre) für Landwirtschaft.
Nach dem Rücktritt der Kadettenminister besteht das Kabinett nur noch aus sechs „sozialistischen“ und fünf bürgerlichen Ministern. Währenddessen bewegen sich die Massen in Petrograd und Kronstadt auf einen Aufstand gegen die Provisorische Regierung zu.
Petrograd, 16. Juli (3. Juli) Das Erste Maschinengewehrregiment gibt den Startschuss zum Juliaufstand
Auf einer Massenversammlung des Ersten Maschinengewehrregiments fordern Tausende Arbeiter den sofortigen Sturz der Provisorischen Regierung und die vollständige Übergabe der Macht an die Sowjets. Zu den Hauptrednern gehört der Anarchokommunist Josef Bleichmann, dessen radikale Forderungen nach dem sofortigen Sturz der Provisorischen Regierung und der Eroberung der Macht von den wütenden Soldaten begeistert unterstützt werden.
Die Versammlung nimmt eine Resolution an, die den Beginn des Aufstands auf 5 Uhr nachmittag festlegt. Sofort werden Delegationen zu anderen Regimentern und zu den Arbeitern der Putilow-Werke entsandt, um Unterstützung für den Sturz der Regierung zu gewinnen. Nicht alle Regimenter folgen ihrem Aufruf. Manche geloben Neutralität, andere äußern Zustimung zur Regierung, doch viele Fabriken und Garnisonseinheiten unterstützen die Bewegung ohne großes Zögern.
Bei einer Versammlung in den Putilow-Werken zeigen sich die Arbeiter gespalten. Während der Sekretär des Fabrikkomitees zum sofortigen Handeln aufruft, mahnen die Bolschewiki Anton Wasiliew und Sergej Ordschonikidse Zurückhaltung an.
Am Nachmittag erreichen drei Emissäre des Ersten Maschinengewehrregiments Kronstadt, um die dort stationierten Matrosen für den bewaffneten Aufstand zu gewinnen. Es sind Kasakow und Koschelew von der bolschewistischen Militärorganisation sowie der Anarchist Pawel Pawlow.
Um 16 Uhr tritt das Zentralkomitee der Bolschewiki zusammen, um die Haltung der Partei zu erörtern. Es entscheidet, nicht an der Demonstration teilzunehmen. Trotzkis Gruppe Meschraijonzy unterstützt die Entscheidung.
Doch in Kronstadt und vielen anderen Garnisonen nehmen die Bolschewiki bereits eine führende Rolle in der Bewegung ein. In Kronstadt informiert Fjodor Raskolnikow Kamenew telefonisch, dass die Erregung der zusammenströmenden Massen „beunruhigend“ ist. Kamenew drängt ihn zwar, die Masssen soweit es geht zu beruhigen, doch er und auch andere Bolschewiki erkennen schnell, dass man die Demonstration nicht verhindern kann und die Bolschewiki sich an die Spitze der Bewegung stellen müssen. Bolschewistische Maschinengewehrschützen verweigern dem Zentralkomitee der Partei die Gefolgschaft und bekunden, eher würden sie die Partei verlassen, als sich einem Beschluss ihres Regiments zu widersetzen.
Die Nachricht von der Aufstandsbewegung erreicht bald das Exekutivkomitee des Petrograder Sowjets, der im Taurischen Palais über die anhaltende Regierungskrise diskutiert. Um 19 Uhr wird eine Erklärung des Exekutivkomitees verteilt, die der Bewegung Verrat vorwirft und warnt, dass „alle zur Verfügung stehenden Mittel“ dagegen eingesetzt würden.
Zu diesem Zeitpunkt sieht die Stadt wie ein Schlachtfeld aus, schreibt der Historiker Alexander Rabinowitsch. Bewaffnete Maschinengewehrschützen haben den Finnländischen Bahnhof besetzt und Position entlang den Gleisen nahegelegener Bahnhöfe bezogen. Auch die Brücken über die Newa sind zum größtenTeil von bewaffneten Soldaten und Arbeitern besetzt. Es kommt zu ersten Zusammenstößen in einer, so Rabinowitsch, „chaotischen“ Nacht. Etwa 60-70.000 Menschen marschieren zum Taurischen Palais, wo das Exekutivkomitee der Sowjets in größter Hektik zusammentritt.
Erst in letzter Minute entscheidet das bolschewistische Zentralkomitee, die Bewegung zu unterstützen, da es keine Möglichkeit sieht, sie zurückzuhalten, und weil die Reaktion mobilisiert, um sie niederzuschlagen. Es schickt außerdem einen Emissär zu Lenin, der sich unglücklicherweise gerade jetzt in einem Versteck im nahen Finnland aufhält.
Auf einer Krisensitzung der Arbeitersektion des Petrograder Sowjet im Taurischen Palais am selben Abend gewinnen die Bolschewiki zum ersten Mal eine Mehrheit. Sie beteiligen sich an der Bildung einer Sonderkommission, die dafür sorgen soll, dass die Demonstration friedlich verläuft, und die den Sowjet auffordert, die Macht zu übernehmen. Als Sinowjew, Kamenew und Trotzki bei dieser Sitzung von der Entscheidung der bolschewistischen Führung erfahren, überzeugen sie die Arbeitersektion, dieser Linie zu folgen. Die Sektion wählt eine Kommission, die mit dem Petrograder und dem Allrussischen Exekutivkomitee der Sowjets Kontakt aufnehmen soll. Die restlichen Teilnehmer des Treffens begeben sich in die Arbeiterviertel der Stadt und zu den Garnisonen, um ihre Entscheidung zu kommunizieren, und der Bewegung einen friedlichen Verlauf zu geben.
Ein Aufruf der Bolschewiki, der zur Zurückhaltung mahnt, und von Sinowjew und Kamenew für die Ausgabe der Prawda am nächsten Tag bereits vorbereitet ist, wird zurückgezogen. Dafür wird eiligst ein neues Flugblatt verfasst. Der folgende Text wird um 4 Uhr morgens bekanntgegeben.
Gestern demonstrierten die revolutionäre Garnison und die Arbeiter von Petrograd unter der Losung: Alle Macht den Sowjets! Wir appellieren an diese Bewegung, die in den Regimentern und Fabriken entstand, den Willen der Arbeiter, Soldaten und Bauern in Petrograd auf friedliche und organisierte Weise zum Ausdruck zu bringen.
In der Nacht vom 16. auf den 17. Juli (3.-4- Juli) geht die Führung der Rebellion auf die Bolschewiki über. Innerhalb von Stunden bilden die Führer der bolschewistischen Militärorganisation – Podwoiski, Newski und Mechonoschin – einen Sondereinsatzstab, der für die Organisation der Demonstration am 17. Juli (14. Juli) die Verantwortung übernimmt. Unterdessen organisiert Raskolnikow in Kronstadt bei einer Versammlung, die bis 3 Uhr morgens dauert, die Mobilisierung, Ausrüstung und den Transport einer bewaffneten Expedition nach Petrograd
Berlin. 10. Juli: Rosa Luxemburg weiter in verschärfter „Schutzhaft“
Am 10. Juli wird im sozialdemokratischen Vorwärts ein Bericht über eine Anfrage des Abgeordneten Otto Rühle im Reichstag abgedruckt, der am Tag zuvor die Freilassung von Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis gefordert hatte. Als Vorwand für seine Forderung nimmt Rühle die Wahl Luxemburgs zur Delegierten für die Stockholmer Friedenskonferenz.
Was werde die Regierung tun, fragt Rühle, um die „gegen Frau Dr. Luxemburg verhängte gesetzwidrige Sicherheitshaft“ aufzuheben, damit sie als Delegierte nach Stockholm reisen könne. Im Ausland könne sonst der Eindruck entstehen, „eine politische Gegnerin der Regierung“ werde „daran gehindert, in Stockholm für den Frieden zu wirken.“
Drei Monate später, einen Monat nach der gescheiterten Rumpfkonferenz in Stockholm, wird die Regierung auf diese Anfrage antworten: Nein, Rosa Luxemburg bleibe in Schutzhaft, „weil sie eine äußerst rege und aufhetzende Tätigkeit in der radikal-sozialistischen Bewegung entwickelt und die Sicherheit des Reichs gefährdet hat.“
Rosa Luxemburg selbst denkt in Wirklichkeit natürlich nicht im Entferntesten daran, nach Stockholm reisen zu wollen. Wie Lenin lehnt sie es entschieden ab, sich mit den sozialdemokratischen Führern aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien usw. zu treffen, die jeweils ihre Regierung im imperialistischen Krieg unterstützen.
Wegen ihrer mutigen und prinzipiellen Opposition gegen den Krieg ist sie seit dem 18. Februar 1915 ununterbrochen in Haft. Weil sie in ihren Reden vor Arbeitern immer wieder betont hatte, dass der Krieg und die Krise des Kapitalismus die Arbeiterklasse unweigerlich, mit objektiver geschichtlicher Notwendigkeit zu politischen Massenstreiks führen werde; und weil sie vorausgesagt hatte, die Arbeiterklasse werde diesen fürchterlichen Weltkrieg beenden, sobald sie als ganze Klasse zu der Einsicht gekommen sei, dass es zutiefst unsittlich ist, auf die Klassenbrüder anderer Länder zu schießen; und schließlich weil sie als Marxistin in ihren Reden und Schriften gerade dafür gekämpft hatte, den Arbeitern diese geschichtliche Aufgabe bewusst zu machen – all das ist ihr als hochverräterische „Gefährdung der Sicherheit des Reiches“ ausgelegt worden.
Ihr Haftort wird mehrmals gewechselt. Nach dem Berliner Frauengefängnis kommt sie zunächst in Polizeigewahrsam, wird zusammen mit Prostituierten in eine dunkle, schmutzige Zelle gesperrt, später nach Wronke in der Nähe von Posen und danach in das Zuchthaus in Breslau verlegt. Sie lässt sich fortlaufend über die politischen Ereignisse informieren. Soweit sie gesundheitlich dazu in der Lage ist, schreibt sie Artikel, u. a. „Spartakusbriefe“, die auf verschiedensten Wegen herausgeschmuggelt werden.
Die Spartakusgruppe hat mehrfach vergeblich versucht, Luxemburg aus der Schutzhaft freizubekommen, da sie neben Karl Liebknecht die wichtigste Persönlichkeit der Gruppe war. Während ihrer Haft ruht die gesamte politische Führungsarbeit auf dem Schultern des greisen Franz Mehring und des im Untergrund wirkenden Leo Jogiches. Die übrigen erfahreneren Mitglieder sind entweder ebenfalls in Haft oder zum Militärdienst eingezogen.
East Clare, Irland, 10. Juli: Sinn Fein siegt bei Nachwahl über konstitutionelle Nationalisten
Eamon de Valera, der beim Osteraufstand 1916 in Dublin eine führende Rolle spielte, besiegt in der Nachwahl von East Clare den Kandidaten der irischen Parliamentary Party. Damit gewinnt Sinn Fein bereits zum dritten Mal eine Nachwahl in diesem Jahr, nach den Erfolgen in North Roscommon im Februar und in South Longford im Mai. Sinn Feins Sieg ist Ausdruck zunehmender nationalistischer Tendenzen in Teilen der irischen Mittelklasse.
Sinn Fein war nicht unmittelbar am Osteraufstand beteiligt, und sie tritt erst seit Kurzem für eine Republik Irland ein. Dennoch kann die Partei von der tiefen Opposition gegen die britische Kolonialherrschaft profitieren. Das liegt in erster Linie daran, dass es keine politische Opposition von links gibt. Die irische Labour Party, vor dem Ersten Weltkrieg gegründet von dem Sozialisten James Connelly, der nach dem Osteraufstand hingerichtet wurde, und Jim Larkin, einem Gewerkschaftsführer, entscheidet sich dagegen, Sinn Fein politisch herauszufordern - obwohl sich in der Arbeiterklasse eine Massenstreikbewegung und eine wachsende Radikalisierung aufgrund steigender irischer Opferzahlen im Krieg entwickeln.
Ramadi, 12. Juli: Briten erleiden schwere Verluste bei erfolglosem Angriff auf die Ottoman-Garnison
Seit dem 8. Juli versuchen britische Truppen, die strategisch wichtige Ottoman-Garnison, zwischen Aleppo und Bagdad gelegen, einzunehmen. Dann müssen sie den Rückzug antreten.
Die vorrückenden britischen Truppen stießen auf heftigen Widerstand der Garnison und gerieten außerdem unter Beschuss arabischer Kräfte, die aufseiten der Garnison standen. Doch mehr als die Hälfte der 566 britischen Opfer fallen dem Hitzschlag oder Wassermangel zum Opfer.
Ihre Niederlage enthüllt die völlige Gleichgültigkeit der politischen und militärischen Elite gegenüber den Soldaten, die im Nahen Osten die imperialistischen Interessen Großbritanniens verteidigen. Zeitgleich mit dem Debakel bei Ramadi tritt an diesem Tag der Staatssekretär für Indien, Austen Chamberlain, zurück. Man macht ihn verantwortlich für die Probleme der britischen und indischen Armee in Mesopotamien - fehlender Nachschub, schwierigste Bedingungen für die Soldaten, mangelhafte militärische Planung und unzureichende Kommunikation.
Bisbee, Arizona, 12. Juli: Streikende Arbeiter von Phelps Dodge werden in Viehwagen getrieben und in die Wüste deportiert.
Während eines erbitterten Streiks unter Führung der Gewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) wurden etwa 1300 Arbeiter der Kupferminen zusammengetrieben, in Viehwagen gesperrt und in die Wüste New Mexikos deportiert.
Den Abtransport übernehmen eine Horde von etwa 2.000 bewaffneten Schlägern und Mitglieder von Bürgerwehren, mit Beteiligung von Vertretern der rivalisierenden Gewerkschaft International Union of Mine, Mill and Smelter Workers (IUMMSW). Sie handeln mit dem Einverständnis lokaler Polizeibeamter, die, wenn auch nicht offiziell, im Dienst von Phelps Dodge stehen. Das Unternehmen hat Namenslisten militanter Arbeiter zur Verfügung gestellt, doch der Hatz fallen auch viele andere zum Opfer, darunter Einwohner Bisbees, die mit den Streikenden sympathisieren, und sogar unbeteiligte Passanten.
Die Arbeiter werden zunächst in das örtliche Baseball-Stadion gebracht und von bewaffneten Polizisten durchsucht. Dann müssen sie, ohne Nahrung und mit wenig Wasser, die 16-Stunden-Fahrt überstehen, in überfüllten Fahrzeugen, von denen manche mit Mist ausgelegt sind. Im südöstlichen Teil New Mexicos, nahe der Tres Hermanas-Berge, werden sie ausgesetzt, ohne Lebensmittel und Behausung. Der Gouverneur von New Mexico stellt schließlich Zelte zur Verfügung, die eigentlich gedacht sind für Personen, die vor der mexikanischen Revolution flüchten.
Es gibt zwei Tote: ein Arbeiter erschießt in Notwehr einen Hilfspolizisten. Er wird daraufhin von zwei anderen Hilfspolizisten kaltblütig erschossen.
Phelps Dodge beschäftigt Arbeiter aus Mexico, den USA, Cornwall, Italien, Finnland, Slowenien, Kroatien, Irland und anderen Ländern. Die IWW und die ihr angeschlossene Metal Mine Workers können diese Arbeiter organisieren, was der konservativen IUMMSW nicht gelang. Die IWW fordert Lohnerhöhungen und mehr Sicherheit am Arbeitsplatz. Phelps Dodge ist zu keinen Zugeständnissen bereit. Über 3.000 Arbeiter folgen dem Streikaufruf der IWW am 26. September. Die Kupfergewinnung bei Phelps Dodge und zwei kleineren rivalisierenden Unternehmen in Bisbee steht still.
Von Beginn an versucht Phelps Dodge, die Arbeiter als „deutsche Agenten“ zu verleumden. Sheriff Wheeler, der die Deportation der Arbeiter organisiert hat, schreibt an den Gouverneur von Arizona, Edeard Campbell, „die ganze Angelegenheit scheint im Sinne deutscher Interessen gesteuert und gegen Amerika gerichtet zu sein“. Die Arbeitgeberorganisation American Mining Congress kommt „nach eingehender Beratung“ zu dem Schluss, der Streik der IWW sei „MIT DEUTSCHEM GELD BEZAHLT“.
Geld spielt allerdings eine Rolle – vor allem für Phelps Dodge und den Unternehmenschef, Walter S. Douglas. Durch den Krieg in Europa und die „Bereitschaft“ und den schließlichen Kriegseintritt der USA steigen die Profite mit atemberaubender Geschwindigkeit. 1916 erzielte das Bergwerkunternehmen über 24 Millionen Dollar Reingewinn, eine Steigerung von über 118 Prozent gegenüber 1915.
BERLIN, 12. Juli: Die Generäle Ludendorff und Hindenburg fordern die Entlassung von Reichskanzler Bethmann Hollweg.
Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff, die beiden führenden Generäle der Obersten Heeresleitung (OHL) des kriegsführenden Deutschen Reiches, drohen am Abend Kaiser Wilhelm II. selbst ihren Abschied einzureichen, wenn dieser nicht den Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg entlasse.
Die Generäle wissen, dass der Kaiser sie für militärisch unersetzlich hält Daher sind sie sich des Erfolgs ihrer Erpressung sicher, zumal sie darin von 5 Reichsministern unterstützt werden, die noch am selben Tag ihren Rücktritt einreichen.
Bethmann Hollweg hatte tags zuvor den Kaiser dazu gebracht, dass er die Ausarbeitung einer Wahlrechtsreform zur Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechts in Preußen in Auftrag gibt, die von der Mehrheits-SPD (MSPD) seit Jahren gefordert wird. Dieses Zugeständnis an die mit der Regierung zusammenarbeitende sozialdemokratische MSPD sei notwendig, weil, so führte Hollweg im Kronrat aus, die radikalen Kräfte in der Sozialdemokratie und in den Gewerkschaften die Oberhand gewinnen. Laut Sitzungsprotokoll erklärte der Reichskanzler wörtlich: „Es ist unbedingt notwendig, den rechten Flügel der Sozialdemokratie wieder zu stärken. Denn was soll werden, wenn die Regierung bei der Bekämpfung der Streikbewegungen sich nicht mehr der Hilfe der Gewerkschaften bedienen kann?“
In der Tat: Zwei Monate nach den Aprilstreiks hat erneut eine große Streikwelle begonnen. Seit dem 6. Juli befinden sich im Raum Köln zwischen 20.000 und 30.000 Metallarbeiter vor allem in der Rüstungsindustrie im Ausstand. Sein Ende kann von der Gewerkschaftsführung nur mit Mühe, erst Anfang August mit Hilfe einiger Zugeständnisse bei den Löhnen und der Arbeitszeit durchgesetzt werden. Gleichzeitig streiken im Juli auch bis in den August hinein in Oberschlesien Tausende von Bergarbeitern, die fast überhaupt nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Begleitet werden beide Streikbewegungen von Hungerrevolten und Plünderungen, durchgeführt vornehmlich von Frauen, Jugendlichen und Kindern in den Städten wie Breslau und Köln.
Die OHL ist entschlossen, diese Streiks und Revolten durch blutige Militäreinsätze zu beenden. Sie ist auch entschlossen, die im feudalen Wahlrecht verankerte politische Vorherrschaft des Adels und der Junker in Preußen um jeden Preis zu verteidigen. Und sie ist nicht gewillt, auf das „Gefasel“ von einem „Verständigungsfrieden“ einzugehen und ihre Eroberungsziele aufzugeben. Darin wird sie vor allem von den Konzernherren der Schwerindustrie und der Hochfinanz unterstützt. Schon lange will sie daher den Kanzler wegen seiner -- meist ohnehin nur verbalen -- Zugeständnisse an die MSPD und die Gewerkschaftsführer loswerden.
BERLIN, 13. Juli: Reichskanzler Bethmann Hollweg reicht seinen Rücktritt ein
Um seiner Entlassung durch Kaiser Wilhelm II. zuvorzukommen, reicht Bethmann Hollweg selbst seinen Rücktritt ein. Er bewahrt damit Wilhelm II. davor, mit seiner Entlassung in der Öffentlichkeit als Hampelmann des Militärs dazustehen und jede Autorität zu verlieren. Der Kaiser nimmt daher das Rücktrittsgesuch umgehend und dankbar an. Wie von den Generälen richtig kalkuliert, hat er es nicht gewagt, sie wegen ihrer militärischen Gehorsamsverweigerung mitten im Krieg und ihrer politischen Erpressung vor ein Kriegsgericht zu stellen.
Drei Kriegsjahre lang hatte Hollweg versucht, zwischen der Generalskamarilla, den verschiedenen Flügeln der Industrie- und Finanzbourgeoisie und der Sozialdemokratie zu lavieren und das offene Austragen der Klassenkonflikte zu unterdrücken. Die Unterstützung der chauvinistischen Mehrheits-SPD für seine Kriegspolitik hat dies möglich gemacht. Befeuert durch die Februarrevolution in Russland, brechen nun jedoch auch in Deutschland die Klassenkämpfe offen auf. Hollweg ist mit seiner Politik am Ende.
Sein Nachfolger Georg Michaelis ist ein völlig unbekannter, aber erzkonservativer, willfähriger Akten-Bürokrat, mit dem die Generalität leichtes Spiel hat. Die neu gebildete Reichstagsmehrheit aus MSPD, katholischem Zentrum, bürgerlicher Fortschrittlicher Volkspartei und Nationalliberalen hat mit ihrer von Mathias Erzberger im Reichstag vorgetragenen Forderung nach einer Friedensresolution im Sinne eines „Verständigungsfriedens“ die tiefe Regierungskrise ausgelöst. Profitiert hat davon am Ende jedoch die OHL mit Ludendorff und Hindenburg an der Spitze. Sie kann nun ungebremst ihren scharfen Kriegskurs fortsetzen - trotz aller Katastrophenmeldungen vom Heer an der Front und trotz des Scheiterns des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs.
Beijing, 13. Juli: In China scheitert die Wiedereinführung der Monarchie
Monarchistische Kräfte unter Führung von General Zhang Xun wollen einen Waffenstillstand schließen, nachdem ihnen am Vortag republikanische Kräfte eine empfindliche Niederlage zugefügt haben. Zhang Xun ist ein royalistischer Warlord und diente der vormaligen Qing-Dynastie als General.
Zhang kann von einer länger anhaltenden politischen Krise und von Unruhen profitieren. Er marschiert mit monarchistischen Truppen in Beijing ein und verkündet am 1. Juli die Wiedereinsetzung der Qing-Dynastie, die durch die Revolution 1912 gestürzt worden war. Zhang bestimmt den letzten Qing-Herrscher Puyi, damals ein elfjähriger Junge, zum Thronfolger und verkündet mit einer Reihe von kaiserlichen Erlassen die Einsetzung eines neuen Regimes.
Zhangs Truppen, die weithin im Verdacht standen, finanzielle Unterstützung von Deutschland zu erhalten, trafen auf die Truppen von Duan Qirui, ebenfalls ein bekannter Warlord und Politiker. Republikanische Kräfte kreisten Zhangs Stellungen schnell ein, erzwangen so seine Flucht und die Kapitulation seiner Truppen.
Zhang versuchte durch seinen Putsch eine Krise der republikanischen Regierung auszunutzen. Duan war als Premierminister, nach einem öffentlich ausgetragenen Konflikt mit Li Yuanhong, dem Regierungschef, im Mai 1917 abgesetzt worden. Li stellte sich gegen den Versuch Duans, China zum Partner der Alliierten (Entente) zu machen. Er hielt es für besser, die Neutralität Chinas nach außen hin zu bewahren. Der Konflikt beschleunigte den Zusammenbruch der politischen Zentralgewalt und in der Folge bekämpfen sich zahlreiche Warlords, die Truppen befehligen und Land kontrollieren.
London, 11. Juli: Rudyard Kiplings Gedicht „Mesopotamia“ erscheint
Auf den Bericht der Mesopotamien-Kommission vom Juni, der die schrecklichen Bedingungen, unter denen britische Soldaten leiden, und mangelhafte militärische Planung aufdeckt, veröffentlicht Rudyard Kipling heute in der London Morning Post und in der New York Times ein Gedicht mit dem Titel „Mesopotamia“. Er klagt die „faulen Angeber“ an, die „kleinlich noch im Tod“ sind, und bringt die Wut der Bevölkerung gegen die Militärbehörden zum Ausdruck: „Wie leicht, doch schnell zugleich, sie wieder an die Macht gelangt sind / durch Begünstigung und Betrug unter ihresgleichen.“ (aus dem Englischen)
Kipling, 1865 in Britisch-Indien geboren, ist geprägt von Londons Kolonialsystem des 19. Jahrhunderts, das eine strenge Trennung zwischen den britischen Kolonialverwaltern und der einheimischen indischen Bevölkerung verlangt.
Kipling sah seinen Platz schon früh auf der Seite der britischen herrschenden Klasse und befürwortete den Ausbau des Empires in seinem berüchtigten Gedicht „The White Man’s Burden“. In den späten 1890er Jahren griff er Deutschland an, weil es eine Flotte bauen wollte, die es mit der britischen Royal Navy aufnehmen konnte, und unterstützte schriftstellerisch Großbritanniens imperialistische Aggression im Burenkrieg. Beim Ausbruch des Kriegs stellte sich Kipling hinter die Propaganda, mit der der britische Imperialismus seine Intervention rechtfertigte: Großbritannien wolle die belgische Souveränität verteidigen und die Demokratie bewahren. Zeitweise verfasste er sogar Propagandamaterial für die britischen Behörden.
Doch 1917 bringt auch er, dessen Sohn John im Krieg ums Leben kam, Wut und Enttäuschung zum Ausdruck über die Inkompetenz und Gleichgültigkeit der politischen und militärischen Elite gegenüber dem Massensterben.
Kiplings widersprüchliches Erbe zeigt sich am klarsten darin, wie seine Zeitgenossen und Nachfolger über ihn urteilten. Mark Twain, den man gewiss nicht als Konservativen bezeichnen kann, freundete sich in den 1890er Jahren mit ihm an und sagte von ihm: „Wir beide zusammen decken alles Wissen ab; er weiß alles, was man wissen kann, und ich weiß den Rest.“ George Orwell, der Kipling als Vertreter des „britischen Imperialismus“ geißelte, bemerkte: „Er identifizierte sich mit den Herrschenden und nicht mit der Opposition. Bei einem begabten Schriftsteller erscheint uns das seltsam und sogar abstoßend. Doch es ermöglichte ihm einen gewissen Blick auf die Realität. Die Herrschenden stehen immer wieder vor der Frage, was sollen sie tun?“ (aus dem Englischen)