Am Dienstag sind 200 Piloten der insolventen Fluglinie Air Berlin nicht zur Arbeit erschienen. Ihre Krankmeldungen kamen so überraschend, dass Air Berlin umgehend 100 Flüge nicht durchführen konnte. Am Mittwoch meldeten sich erneut 150 Flugkapitäne krank, was zu weiteren Dutzenden Flugausfällen in Berlin und Düsseldorf führte. Das Aufbegehren der Piloten wurde sofort von allen erdenklichen Seiten als illegale Revolte, als Selbstjustiz oder als arbeitsplatzgefährdend gebrandmarkt.
Air Berlin selbst und die Insolvenzverwalter drohen den Piloten sogar damit, den Flugbetrieb ganz einzustellen. Der generalbevollmächtigte Insolvenzverwalter Frank Kebekus warnte im Intranet, bleibe es bei diesem Krankenstand, drohe vermutlich eine vollständige Liquidation der Fluggesellschaft.
Auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), die von Amts wegen keinerlei Berechtigung haben, sich in so einen Fall einzumischen, forderten die krankgeschriebenen Piloten anmaßend auf, sofort an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren.
Die seit langem angeschlagene Fluggesellschaft Air Berlin hatte Mitte August Insolvenz angemeldet. Daraufhin gewährte ihr die Bundesregierung sofort einen Überbrückungskredit von 150 Millionen Euro und setzte sich fortan für die Übernahme durch den Konkurrenten Lufthansa ein.
Es gibt allerdings weitere Interessenten, darunter die Thomas-Cook-Tochter Condor. Der Luftfahrt-Unternehmer Hans Rudolf Wöhrl möchte Air Berlin sogar vollständig übernehmen. Auch Niki Lauda, der britische Billigflieger EasyJet und neuerdings auch eine chinesische Fluggesellschaft bekunden Interesse. Das Bieterverfahren endet am 15. September, und bereits am 21. September sollen Entscheidungen fallen.
Unmittelbar ausgelöst wurde die Aktion der Piloten offenbar, als am Montag das Air-Berlin-Management Verhandlungen mit ihren Gewerkschaftsvertretern platzen ließ. Es ging dabei um eine sogenannte Sozialauswahl, die künftige Arbeitgeber verpflichtet hätte, ältere Piloten einschließlich ihrer alten Gehälter zu übernehmen. Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann, ein ehemaliger Lufthansa-Manager, lehnt eine solche Garantie strikt ab.
Außerdem hat Air Berlin am Montag bekanntgegeben, ihre Langstreckenflotte drastisch zu reduzieren. Das Karibik-Flugprogramm ab Düsseldorf soll demnach bereits zum 24. September eingestellt werden. Zehn geleaste Langstreckenflugzeuge wurden bereits in aller Eile an eine Leasinggesellschaft zurückgegeben.
Christian Petersen, der Vertreter der Pilotengewerkschaft Cockpit, sagte dazu: „Das hat viele Kollegen noch mehr verunsichert.“ Die besser bezahlten Langstreckenpiloten müssen ernsthaft um ihre Jobs bangen, wenn Langstreckenrouten jetzt eingestellt werden. Sie befürchten, der Insolvenzverwalter könnte sie womöglich vorzeitig entlassen. „Ich kann jeden Kollegen verstehen, der sagt: ‚Unter diesem Druck kann ich nicht sicher ein Flugzeug steuern‘.“
Ein Air-Berlin-Pilot wird von Spiegel-Online mit den Worten zitiert: „Für viele von uns hat es das Fass zum Überlaufen gebracht.“ Er habe den Eindruck, „da läuft ein abgekartetes, dreckiges Spiel: zugunsten der Lufthansa-Gruppe“.
Air-Berlin-Kapitän Hans Albrecht, ein früherer Betriebsrat, rechtfertigte das Vorgehen der Piloten in einem Offenen Brief an Betriebsdirektor Oliver Iffert: „Alles folgt einem Plan. Man kann erahnen, wer die Fäden in der Hand hält. Streckenrechte, Slots, Flugzeuge, alles scheint für ein geordnetes Verfahren vorbereitet zu sein. Nur die Belegschaft lässt man im Unklaren über ihre wirtschaftliche und berufliche Zukunft. Im Unklaren deshalb, um die Verunsicherung durch das Schüren von Existenzängsten auf ein Maximum zu treiben. Ziel dieser Vorgehensweise ist offensichtlich, sich vertraglicher ‚Altlasten‘ zu entledigen, um auf diese Weise die Bedingungen des gesamten tarifierten Cockpitpersonals in Deutschland in der Nach-Air-Berlin-Ära erheblich unter Druck zu bringen.“
An diesem Komplott sind aber nicht nur die Vorstände von Air Berlin, Lufthansa und die Bundesregierung beteiligt, sondern auch die Gewerkschaft Verdi, deren Bundesvorstandsmitglied Christine Behle selbst im Lufthansa-Aufsichtsrat sitzt.
Mit Verdi haben die Piloten und die gesamte Crew einschneidende Erfahrungen gesammelt. Deswegen wurde einst die Pilotenvereinigung Cockpit gegründet. Der Ausverkauf von Lohn- und Arbeitskämpfen durch Verdi bei Lufthansa, Germanwings und Eurowings hatte in den vergangenen Jahren verheerende Folgen.
Nur dank der tatkräftigen Unterstützung von Verdi konnte Lufthansa Niedriglohntarife durchsetzen. Dazu wurde eigens die Billigtochter Eurowings geschaffen. Die dort beschäftigten Piloten und Flugbegleiter erhalten bis zu 30 Prozent niedrigere Löhne. In dieses Niedriglohngefüge sollen nun die Air-Berlin-Piloten gedrängt werden. Die Erpressung lautet: Wer nicht unterschreibt, kann gehen.
Doch nicht nur Verdi verurteilt den sogenannten „wilden Streik“, auch die Pilotenvereinigung Cockpit fällt ihren Mitgliedern in den Rücken. Zusammen mit Air Berlin und dem Insolvenzverwalter übten sie gewaltigen Druck auf die Piloten aus. Markus Wahl von Pilotenvereinigung Cockpit trat am Montag für die Mikrofone und erklärte: „Um als Gewerkschaft für die Mitarbeiter erfolgreich verhandeln zu können, ist ein laufender Flugbetrieb eine absolut wichtige Voraussetzung.“
Unter allen Umständen versuchen die beiden Gewerkschaften, jeden von ihnen unabhängigen Widerstand zu ersticken. Sie sehen ihre Verhandlungen bedroht, vermutlich standen sie kurz vor einem faulen Kompromiss und wurden von der Aktion der Piloten aufgeschreckt. Einen umfassenden Arbeitskampf zur Verteidigung aller Arbeitsplätze und Löhne war von beiden Gewerkschaften sowieso nie zu erwarten. Diesmal verzichteten sie sogar auf ihre typischen symbolischen Proteste. Es geht ihnen vor allem darum, ihre eigenen lukrativen Posten zu behalten, egal unter welchem Management.
Wie lässt sich die völlig übertriebene Hetze gegen die Piloten erklären. Zweifellos spürt die herrschende Klasse, man denke nur an die jüngsten großen Proteste gegen Macrons „Arbeitsreform“ in Frankreich, das große soziale Kämpfe auch hier herannahen.
Exemplarisch ist ein Kommentar in der Süddeutsche Zeitung vom Montag. Darin heißt es: „Der andere Teil der Geschichte ist, dass diese Streikenden dabei sind, grundsätzlich die Sitten zu verderben, im schlimmsten Fall über die Luftfahrtbranche hinaus. Wilde Streiks (oder ähnliche Kampfformen wie Besetzungen und Blockaden) sind eigentlich typisch für Länder, denen eine Kultur des sozialen Dialogs fehlt.“