Eine halbe Woche vor der Bundestagswahl deutet alles darauf hin, dass Angela Merkel weiterhin Bundeskanzlerin bleibt, entweder in einer Fortsetzung der Großen Koalition mit der SPD oder im Bündnis mit der FDP und/oder den Grünen. Die CDU/CSU liegt in den Umfragen seit Wochen zweistellig vor der SPD, die zeitweise auf einen historischen Tiefstwert von 20 Prozent gefallen ist. AfD, Linke, FDP und Grüne schwanken jeweils um die 10 Prozent.
Doch selbst wenn es am Wahlabend aufgrund der vielen unentschlossenen Wähler zu einer Überraschung kommen sollte, ist die Politik der zukünftigen Regierung längst entschieden: eine beispiellose Steigerung des Militarismus, der inneren Aufrüstung und des Sozialabbaus. In diesen Fragen stimmen alle Parteien überein. Das erklärt die merkwürdige Form des Wahlkampfs, der praktisch nicht stattfindet. Die Parteien streiten nicht über unterschiedliche Ziele und Programme, sondern überbieten sich gegenseitig mit Forderungen nach mehr Polizei und Überwachung, wirkungsvollerer Abwehr von Flüchtlingen und einer aggressiven und militaristischen Außenpolitik.
Merkel und ihre Politik sind alles andere als populär. Ihr Vorsprung in den Umfragen beruht ausschließlich darauf, dass die anderen Parteien nicht bereit sind, sie ernsthaft anzugreifen. In den Regierungen von Bund und Ländern arbeiten CDU, SPD, Grüne, FDP und Linke ohnehin seit langem in allen denkbaren Kombinationen zusammen. Keiner von Merkels Rivalen, am allerwenigsten SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz, will die wachsende Kriegsgefahr, die schreiende soziale Ungleichheit oder die Erosion demokratischer Rechte ansprechen, die große Teile der Bevölkerung bewegen. Sie wissen alle, dass sich eine Mobilisierung über diese Themen nicht nur gegen Merkel, sondern auch gegen sie selbst richten würde.
Großmachtpolitik und Militarismus
Die Politik der nächsten Regierung wird nicht durch die Wahlversprechen der Parteien, sondern durch die internationale Lage und die Reaktion der herrschenden Klasse darauf bestimmt.
Die Bundestagswahl findet inmitten der tiefsten globalen Krise des Kapitalismus seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs statt. Die Gefahr eines dritten Weltkriegs war noch nie so groß. An der Spitze der USA, der mächtigsten Militärmacht der Welt, steht ein kriminelles Regime, das eine Vernichtungspolitik wie die Nazis verfolgt. In seiner Rede vor der UNO drohte US-Präsident Donald Trump Nordkorea, einem Land mit 25 Millionen Einwohnern, mit „totaler Zerstörung“. 25 Jahre Krieg haben den Nahen Osten zu einem Pulverfass gemacht, und der Truppenaufmarsch an der europäischen Grenze zu Russland droht Europa in ein Schachtfeld zu verwandeln.
Die Weltwirtschaft ist hochgradig instabil. Handelskonflikte und Protektionismus nehmen zu. Keines der Probleme, die das internationale Finanzsystem 2008 an den Rand des Zusammenbruchs brachten, ist gelöst. Der politische Rahmen, der Deutschland nach zwei Weltkriegen eine gewisse äußere und innere Stabilität verlieh – das Bündnis mit den USA, die Europäische Union, die Politik der sozialen Kompromisse – zerbricht.
Die herrschende Klasse Deutschlands antwortet auf diese globale Krise des Kapitalismus, wie sie es bereits im vergangenen Jahrhundert getan hat. Sie kehrt zu den militaristischen Traditionen zurück, die in den schlimmsten Verbrechen der Geschichte gipfelten. Sie reagiert auf die wachsenden Spannungen mit den USA mit dem Versuch, sich zur Vormacht Europas aufzuschwingen, um als Weltmacht agieren zu können. Während im Wahlkampf kaum über diese Ziele gesprochen wird, füllen sie die Seiten einschlägiger Publikationen.
So gelangte das Handelsblatt am 25. August in einer ausführlichen Analyse der Weltlage zum Schluss, die USA seien „seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten vom Retter selbst zu einer Bedrohung geworden“. Deutschland müsse „sich dringend darüber klar werden, welchen Anteil des von den USA hinterlassenen Führungsvakuums“ es zu füllen bereit sei. Sonst stünden „andere bereit, um diese Rolle zu übernehmen“. Gemeint war insbesondere China.
Ähnlich argumentiert ein 40-seitiges Dossier der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zum Thema „Außenpolitische Herausforderungen für die nächste Bundesregierung“. Es warnt vor der Gefahr, „dass die USA die auf Institutionen basierende internationale Ordnung maßgeblich schwächen und ihre Macht für kurzfristige Vorteile nutzen“. Deshalb müsse die nächste Bundesregierung „den umfassenden sicherheitspolitischen Ansatz konsequent umsetzen“, der vor vier Jahren eingeleitet wurde. Damals hatten führende Regierungsvertreter das „Ende der militärischen Zurückhaltung“ verkündet und die Rückkehr des deutschen Militarismus eingeleitet.
Alle etablierten Parteien unterstützen diesen Kurs. Am aggressivsten treten dabei die SPD, die Linke und die Grünen auf. Der ehemalige Vorsitzende Oskar Lafontaine preist Die Linke „als einzige Partei, die nicht im Fahrwasser der Hörigkeit“ gegenüber den USA schwimme und „die eigenen Interessen von Deutschland und Europa“ konsequent vertrete.
Der grüne Spitzenkandidat Cem Özdemir plädiert für eine Außenpolitik „mit einem klaren Wertegerüst, aber auch mit dem Mut, militärische Mittel dort einzusetzen, wo diplomatische Mittel an ihre Grenzen stoßen“. Dazu müsse „die Bundeswehr anständig ausgestattet sein“. Das gebe es „nicht zum Nulltarif“.
Am deutlichsten hat Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) das außenpolitische Programm der nächsten Bundesregierung in einem Interview mit dem Handelsblatt skizziert. Er will „Europa zum weltpolitischen Akteur machen“, zu einer Großmacht, die sowohl den USA wie China die Stirn bieten kann, und zu diesem Zweck „die Effizienz der europäischen Verteidigungspolitik“ verdoppeln. Die Abschaffung der Wehrpflicht bezeichnet er als Fehler.
Ausdrücklich betont Gabriel die Übereinstimmung aller Parteien in dieser Frage: „In der Außenpolitik ist das Gute an Deutschland ohnehin, dass unabhängig von der Frage, welche Partei regiert, es keine wirklich großen Änderungen gegeben hat.“
Staatsaufrüstung und soziale Konterrevolution
Gabriels Programm, „Europa zum weltpolitischen Akteur“ zu machen, hat seine eigene unausweichliche Logik. Es erfordert, dass Deutschland Europa seinem Willen unterwirft und jeden politischen und sozialen Widerstand unterdrückt. In beiden Fragen setzt Berlin auf eine enge Zusammenarbeit mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Trotz der damit verbundenen ökonomischen Risiken betrachten beide Seiten den britischen Austritt aus der Europäischen Union als Chance, eine Europäische Armee aufzubauen, der sich London stets widersetzt hat.
Als Haupthindernis für dieses Projekt sehen sie die Opposition der Arbeiterklasse, die die enormen Kosten des Militarismus zu tragen hat. Die Arbeitsmarktreformen und Sozialkürzungen, die Macron mittels Ausnahmezustand und Regierungsdekreten durchsetzt, gelten als Präzedenzfall dafür, den Widerstand der Arbeiterklasse in ganz Europa zu brechen.
Auch in Deutschland ist die Kriegsfeindschaft in breiten Bevölkerungsschichten tief verwurzelt. Hinzu kommt, dass die Gesellschaft sozial tief gespalten ist und viele sich durch die etablierten Parteien nicht mehr vertreten sehen. Das ist der Grund, weshalb sich die großen Parteien mit Forderungen nach mehr Polizei, stärkeren Geheimdiensten, flächendeckender Überwachung und Zensur des Internets gegenseitig überbieten.
Die Linke fordert „mehr Polizei in öffentlichen Räumen“ und den „Schutz vor verbalen Angriffen“ (d.h. Zensur) in sozialen Netzwerken. Die Grünen verlangen mehr Anerkennung für die Polizei und die Einstellung von 15.000 zusätzlichen Polizisten. Die FDP will die Geheimdienste zentralisieren und die elektronische Fußfessel einführen. SPD und CDU plädieren für eine enge Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten, was seit den Erfahrungen mit Hitlers Gestapo verboten war. Die AfD will die Bundeswehr im Innern einsetzen.
Diese Sicherheitshysterie richtet sich nicht gegen potentielle Terroristen, die – wie der Berliner Attentäter Anis Amri – in der Regel unter den Augen der Sicherheitsbehörden agieren, sondern gegen die Arbeiterklasse und jede Form sozialer und politischer Opposition.
Die AfD und der Rechtsruck der offiziellen Politik
Der wahrscheinlich Einzug der AfD – einer Partei von rechten Nationalisten, Rassisten und Neonazis – in den Bundestag, ist das Ergebnis dieser Politik. Ähnlich wie Donald Trump in den USA, schlachtet die AfD die Wut über die asoziale Politik der etablierten Parteien populistisch aus und treibt gleichzeitig ihren reaktionären Kern auf die Spitze.
Die etablierten Parteien haben der AfD politisch und ideologisch den Weg bereitet. Darüber kann auch ihre scheinheilige Empörung über rechtsextreme Äußerungen von AfD-Führern nicht hinwegtäuschen. So machten die Medien die Hetze gegen Flüchtlinge lange vor der Gründung der AfD salonfähig, als sie einen Hype um das rassistische Buch „Deutschland schafft sich ab“ des Sozialdemokaten Thilo Sarrazin veranstalteten.
Im Wahlkampf gab die AfD die Linie vor. Es gab keine Talkshow, die der AfD nicht einen prominenten Platz einräumte, um ihren rassistischen Schmutz zu verbreiten, und die etablierten Parteien überboten sich mit Forderungen nach Abschiebung abgelehnter Asylbewerber und „krimineller Ausländer“.
Auch die Aussage von AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland, man müsse wieder „stolz auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ sein, die kurz vor der Wahl für Aufsehen sorgte, wird weithin geteilt. Als Anfang Mai eine neonazistische Terrorzelle in der Bundeswehr entdeckt wurde, stellten sich Vertreter aller Parteien demonstrativ hinter die Armee. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die zunächst einige kritische Bemerkungen über die Pflege der Wehrmachtstradition durch die Bundeswehr gemacht hatte, ruderte schnell zurück und erklärte, Kasernen, die die Namen von Wehrmachtsgenerälen tragen, würden nicht umbenannt.
Vor allem die SPD erachtet jede, noch so milde Kritik an der Wehrmachtstradition der Bundeswehr für illegitim. In einem Wahlkampfinterview mit dem Bundeswehrverband erklärte Schulz: „Wir als SPD haben es auch als sehr ungehörig empfunden, dass Frau von der Leyen zuletzt die Angehörigen der Bundeswehr unter Generalverdacht gestellt hat“. Das habe „Vertrauen beschädigt“.
1986 war Ernst Nolte im Historikerstreit noch auf heftigen Widerstand gestoßen, als er für eine grundlegende Revision des Umgangs mit der NS-Vergangenheit eintrat. Heute teilt die herrschende Klasse seine Standpunkte. Als Humboldt-Professor Jörg Baberowski im Februar 2014 dem Spiegel erklärte, „Hitler war nicht grausam“ und „Nolte hatte historisch recht“, erhielt er Unterstützung von führenden Akademikern, Medien und Vertretern aller Bundestagsparteien. Die SGP und ihre Jugendorganisation IYSSE, die Baberowkis Äußerungen öffentlich kritisierten, wurden hysterisch denunziert.
Das Fake-News-Gesetz von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), das unmittelbar nach der Wahl in Kraft tritt und soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter zu massiver Zensur verpflichtet, und die Zensurmaßnahmen von Google, die die World Socialist Web Site und linke und antimilitaristische Sites ausblenden, haben die Aufgabe, Kritik an der rechten Politik der etablierten Parteien zu unterdrücken.
Der Aufstieg der AfD und die Rehabilitierung der Verbrechen der Nazis ist untrennbar mit der Rückkehr des deutschen Militarismus verbunden. Die herrschende Klasse Deutschlands kann nicht militärisch auftrumpfen und den Widerstand dagegen unterdrücken, ohne zu den verbrecherischen Traditionen ihrer Geschichte zurückzukehren. Was sie heute im engen Kreis diskutiert, wird nach der Wahl die Grundlage des Regierungsprogramms sein.
Baut die Sozialistische Gleichheitspartei auf!
Unter diesen Umständen gewinnt der Wahlkampf der Sozialistischen Gleichheitspartei eine enorme Bedeutung. Sie ist die einzige Partei, die die Kriegsgefahr ins Zentrum ihres Wahlkampfs stellt, ihre Ursachen benennt und darauf eine Antwort gibt.
„Der Kampf für ein sozialistisches Programm ist die einzige Möglichkeit, eine Katastrophe zu verhindern“, heißt es im Wahlprogramm der SGP. „Unser Wahlkampf dient dem Zweck, eine revolutionäre Partei aufzubauen, die Arbeiter auf der ganzen Welt im Kampf gegen Nationalismus, soziale Ungleichheit und Krieg vereint. Wir streben nicht nach Pöstchen in einer Koalition, sondern kämpfen dafür, den Kapitalismus zu stürzen und eine Arbeiterregierung zu errichten.“
Noch ist die SGP keine Massenpartei. Aber sie ist die einzige Partei, die den „linken“ und rechten Verteidigern des Kapitalismus entgegentritt und für den Aufbau einer internationalen sozialistischen Bewegung kämpft.
Die Gefahr eines dritten Weltkriegs, der mit Atomwaffen ausgefochten wird und die Existenz der Menschheit bedroht, ist enorm. Doch dieselbe gesellschaftliche Krise, die die Kriegsgefahr erzeugt, schafft auch die objektiven Voraussetzungen für ihre Überwindung. Millionen Arbeitern und Jugendlichen auf der ganzen Welt stehen heftige Schocks und Erschütterungen bevor. Sie suchen nach einem Ausweg aus der kapitalistischen Sackgasse und werden sich politisch neu orientieren. Die entscheidende Voraussetzung dafür ist die Existenz einer Partei, die unversöhnlich für eine sozialistische Perspektive kämpft.
Die Sozialistische Gleichheitspartei steht in der Tradition der Linken Opposition, die unter Führung Leo Trotzkis den Marxismus und den sozialistischen Internationalismus gegen den Verrat des Stalinismus verteidigte. Unsere revolutionären Vorbilder sind Lenin, Trotzki, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die auch unter den schwierigsten Bedingungen gegen den Kapitalismus kämpften und mitten im nationalistischen Taumel des Ersten Weltkriegs den Internationalismus verteidigten.
Vor genau hundert Jahren bewiesen die russischen Arbeiter, dass es möglich ist, die Staatsmacht zu erobern, den Ersten Weltkrieg zu beenden und die Gesellschaft nach sozialistischen Grundsätzen zu reorganisieren. Dass die Sowjetunion isoliert blieb und unter Stalins Herrschaft degenerierte, tut der historischen Bedeutung der Oktoberrevolution von 1917 keinen Abbruch. Der Stalinismus verkörperte die Interessen einer privilegierten Bürokratie, die die Arbeiterklasse politisch unterdrückte, enorme Verwirrung darüber schuf, was Sozialismus wirklich bedeutet, und schließlich selbst die Initiative ergriff, den Kapitalismus wieder einzuführen.
Die sozialen und politischen Folgen waren verheerend. Hundert Jahre nach der Oktoberrevolution hat der internationale Kapitalismus keines der Probleme gelöst, die sie möglich und notwendig machten. Im Gegenteil, nach der Auflösung der Sowjetunion vor 26 Jahren verloren die Kapitalisten alle Hemmungen. Sie haben ein Inferno entfesselt, das nun die gesamte Welt mit der atomaren Vernichtung bedroht. Die Menschheit steht erneut vor der Alternative Sozialismus oder Barbarei.
• Alle die nicht bereit sind, die Gefahr eines Dritten Weltkriegs, die Zunahme von Armut und den Aufstieg der Rechten hinzunehmen, rufen wir auf, am 24. September für die Landeslisten der SGP in Berlin und Nordrhein-Westfalen und ihre Kandidaten in Frankfurt und Leipzig zu stimmen. Jede Stimme für die SGP ist eine Stimme gegen Krieg und Kapitalismus.
• Kommt zu unserer Wahlabschlussveranstaltung am Samstag den 23. September in Berlin. Führende Vertreter der SGP und ihrer Schwesterparteien im Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI) werden dort über die politische Lage und den Kampf für den Sozialismus in den USA, Europa und weltweit berichten.
• Das Hauptziel unseres Wahlkampfs ist es, Arbeiter und Jugendliche politisch und theoretisch auf die bevorstehenden Auseinandersetzungen vorzubereiten. Lest und studiert dazu die World Socialist Web Site, die tägliche Internetpublikation des IKVI! Werdet Mitglied der SGP! Es ist höchste Zeit, sich aktiv am Aufbau einer neuen sozialistischen Massenpartei zu beteiligen!