Am Mittwoch, dem 1. November, eröffnete das Amtsgericht Charlottenburg das Insolvenzverfahren über das Vermögen von Air Berlin. Der zum Sachwalter bestellte Berliner Rechtsanwalt Prof. Lucas Flöther warnte am selben Tag, dass die noch verfügbaren finanziellen Mittel der Fluggesellschaft wohl nicht ausreichten, um die Masseverbindlichkeiten zu decken. Dazu gehören vor allem die Löhne von Tausenden Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz verlieren.
Da die Kündigungsfrist zum Teil drei Monate beträgt, der Flugbetrieb aber am 28. Oktober eingestellt wurde, sind die rund 8.000 Beschäftigten seit 1. November freigestellt. Dies betrifft das Flugpersonal der Standorte Berlin, Düsseldorf, München, Paderborn, Leipzig und Nürnberg sowie die in Frankfurt stationierten Piloten.
Lediglich für wenige Hundert Beschäftigte des Bodenpersonals, vor allem aus der Verwaltung, wurde eine Transfergesellschaft eingerichtet, die mit Geldern von Air Berlin, dem Berliner Senat und aus Mitteln der Arbeitsagentur finanziert wird und das Personal in einer Übergangszeit von sechs Monaten betreut.
Der Bankrott der zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft war von Anfang an ein abgekartetes Spiel, bei dem der Konkurrent Lufthansa, die Bundesregierung und die Gewerkschaft Verdi eng zusammenarbeiteten. Sie verfolgten damit ein doppeltes Ziel.
Erstens soll die Lufthansa, die die Filetstücke der insolventen Fluglinie übernimmt, zum „deutschen Champion“ (Bundesverkehrsminister Dobrindt) ausgebaut werden, der auf dem heftig umkämpften internationalen Flugmarkt als Global Player auftritt. Und zweites dient der Air-Berlin-Bankrott als Hebel, die Gehälter und Arbeitsbedingungen in der gesamten Luftfahrtindustrie weiter drastisch zu senken.
Die Vorbereitungen begannen im Februar dieses Jahres, als Thomas Winkelmann den Chefposten bei Air Berlin übernahm. Er hatte vorher zwei Jahrzehnte lang im Management von Lufthansa gearbeitet und gilt als enger Vertrauter von Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Da er offenbar wusste, was bevorstand, ließ sich Winkelmann sein Gehalt von insgesamt 4,5 Millionen Euro für den Insolvenzfall bis 2021 absichern.
Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich bereits ab, dass der größte Aktionär, die arabische Fluggesellschaft Etihad, aufgrund eigener Schwierigkeiten den Ausstieg plante. Etihad war 2011 bei der angeschlagenen Air Berlin eingestiegen, um das eigene Zubringernetz in Europa auszubauen.
Trotz finanzieller Schwierigkeiten kaufte Winkelmann im Juni die kleine Dortmunder Luftfahrtgesellschaft Walter (LGW) hinzu, die – so interpretiert es zumindest das ARD-Magazin „Monitor“ – dazu diente, Air-Berlin-Flugzeuge kostengünstig und ohne Übernahme der Crews und ihrer Arbeitsverträge an die Lufthansa zu verschieben.
Im August zog sich dann Etihad zurück und Air Berlin meldete Insolvenz an. Die Bundesregierung stellte einen Überbrückungskredit von 150 Millionen Euro zur Verfügung, der nun aus der Konkursmasse als erstes bedient werden muss. Er sorgte dafür, dass die Landerechte (Slots) nicht verfielen und Lufthansa die nötige Zeit erhielt, die wertvollsten zu übernehmen.
Eine Schlüsselrolle bei diesem Manöver spielte Verdi-Vorstandsmitglied Christine Behle. Sie ist in der Gewerkschaft nicht nur für den Fachbereich Verkehr und damit auch für die Beschäftigten von Air Berlin zuständig, sondern sitzt auch im Aufsichtsrat von Lufthansa. Als SPD-Mitglied unterhält sie zudem einen engen Draht zu Verkehrsministerin Brigitte Zypries (SPD).
Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass Behle nicht in jeden Winkelzug von Lufthansa eingeweiht war, müsste sie blind sein, um nicht zu wissen, was gespielt wurde. Sie ließ die Belegschaft von Air Berlin ins offene Messer laufen.
Lufthansa kann sich nun die Filetstücke seines größten deutschen Konkurrenten einverleiben, ohne die tariflichen Rechte langverdienter Mitarbeiter zu übernehmen. Selbst jene, die sich bei Lufthansa, bzw. ihrer Billigtochter Eurowings, um einen neuen Job bewerben, müssen wieder ganz unten anfangen – mit Einstiegsgehalt, Probezeit und ohne Kündigungsschutz. Obwohl sie dieselbe oder sogar eine härtere Arbeit leisten, verdienen sie wesentlich weniger. Und wer fünf oder zehn Jahre vor der Rente steht, hat kaum eine Chance auf einen neuen Job. Ihm droht nach jahrzehntelanger harter Arbeit der Absturz in Hartz IV.
Gleichzeitig bekommt Lufthansa so ein weiteres Druckmittel, um die eigene Belegschaft zu erpressen. Nachdem der Konzern mit Unterstützung von Verdi und anderen Gewerkschaften zahlreichen Streiks von Piloten, Kabinen- und Bodenpersonal getrotzt hat, erzielte er in diesem Jahr ein historisches Rekordergebnis. In den ersten neun Monaten betrug der Gewinn 2,6 Milliarden Euro.
Die Beschäftigten von Air Berlin wissen, dass sie nach Strich und Faden verkauft wurden. Das zeigte sich, als sich die Mitglieder des letzten Flugs von den Passagieren verabschiedeten. Die Ansprache eines Piloten wurde über die sozialen Medien vielfach geteilt.
„Vor ziemlich genau zehn Wochen wurden wir Mitarbeiter der Air Berlin zu Marionetten in unserem eigenen Leben degradiert“, sagte er zu Flugbeginn. Vergeblich habe man von Seiten des Personals alles getan, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Leider sei alles umsonst gewesen, denn in den nächsten Tagen erhalte man die Kündigung.
Der Pilot fuhr fort: „Natürlich haben wir Angebote bekommen, uns auf die gleichen Stellen und Funktionen zu bewerben, die wir seit vielen Jahren bekleiden, leider zu unsäglich schlechteren Konditionen. Aber sicher ist, diese starke Truppe lässt sich nicht von gierigen Managern, renditesüchtigen Aktionären und blinden Politikern unterkriegen.“
Ein Offener Brief von Eurowings-Beschäftigten, den Austrian Aviation Net veröffentlichte, warnte die Air Berliner vor den Arbeitsbedingungen bei der Lufthansa-Tochter. Das „Bild eines tollen und fairen Arbeitgebers“ entspreche nicht der Realität, heißt es dort.
Das in Österreich registrierte Unternehmen sei von der Lufthansa als Billigfluggesellschaft konzipiert worden und falle nicht unter deutsches Tarifrecht. Auch das Streikrecht sei deutlich schwächer, und die Bezahlung orientiere sich an den Mindestlöhnen, die an den jeweiligen Standorten in den Ländern Österreich oder Spanien gelten. Auch die Zahl der Urlaubstage und der OFF-Tage könne sich bei den individuellen Arbeitsverträgen unterscheiden.
„Wenn ein Mitarbeiter der Eurowings Europe Station Palma, sei es Kabine oder Cockpit, krank ist, bekommt er an diesen Tagen kein Geld“, heißt es in dem Brief. Als Beispiel wird der Fall eines Mitarbeiters angeführt, dem wegen eines zweiwöchigen, durch eine Grippe bedingten Arbeitsausfalls 40 Prozent vom Monatsgrundgehalt abgezogen wurden.
Als Konsequenz träten kranke Mitarbeiter zum Dienst an und gefährdeten dadurch die Flugsicherheit. „Unsere Geschäftsleitung hält solche Konditionen und Praktiken für ‚marktgerecht‘, wir empfinden es als dunkelsten Frühkapitalismus“, fährt der Brief fort.
Eurowings weigere sich auch, die Mitarbeiter über eine „Loss of License“-Versicherung abzusichern, es gebe keinerlei Altersvorsorge, die Kündigungsfrist seitens des Arbeitgebers betrage nur 15 Tage, Urlaubsanspruch beruhe auf dem gesetzlichen Mindestniveau des jeweiligen Landes, es gebe nur acht OFF Tage pro Monat, ein quasi nicht vorhandenes Requestsystem, und Rentenanspruch gebe es teilweise erst nach acht Jahren Einzahlung in das örtliche Sozialsystem. Das seien nur einige der Fallen, die in den Arbeitsverträgen lauerten.
Wenn man in Palma stationiert sei, müsse man sich auf die schlechte Krankenversicherung gefasst machen: „Keine freie Arztwahl, Krankschreibungen nur beim Amtsarzt, lange Wartezeiten auf Termine, ausschließlich medizinische Notfallversorgung, kein Zahnarzt etc. … So gibt es Kollegen in Spanien, die eine OP hatten und damit länger krank ausfielen. Diese Mitarbeiter, Cockpit wie Kabine, haben über Monate kein Geld ausgezahlt bekommen.“
„Der Flugbetrieb darf auf keinen Fall teurer werden als bei Niki [von der Lufthansa übernommene Tochtergesellschaft von Air Berlin]“, zitiert der Brief eine Zielsetzung der Geschäftsführung und resümiert: „Das System der Wings Gruppe und vor allem der Eurowings Europe beruht darauf, Druck auf die Mitarbeiter auszuüben, Ängste zu schüren und die einzelnen Mitarbeitergruppen der verschiedenen Flugbetriebe gegeneinander auszuspielen.“
Der Brief zeigt anschaulich, wie und mit welchen Methoden die Arbeitsbedingungen in der Luftfahrt immer tiefer geschraubt werden, während einige Monopole den ganzen Markt beherrschen. Eine ähnliche Entwicklung hat auch in den USA stattgefunden. Dort schluckte United Airlines den Konkurrenten Continental, Delta Airlines die Fluglinie Northwest und American Airlines US Airways. Die verbliebenen drei großen Fluggesellschaften kontrollieren heute etwa drei Viertel des amerikanischen Marktes. Die Arbeitsbedingungen von Crews und Bodenpersonal sind verheerend.
Auch dort haben die Gewerkschaften eine Schlüsselrolle dabei gespielt, jeden Widerstand der Belegschaften zu sabotieren. Mit ihrer reaktionären Politik der „Standortverteidigung“ stehen sie im globalen Konkurrenzkampf nicht auf der Seite der Beschäftigten, die weltweit mit denselben Angriffen konfrontiert sind, sondern auf der Seite „ihrer“ Konzerne, von denen sie dafür gut bezahlt werden.
Ähnliche Angriffe auf die Lebensbedingungen der Arbeiter finden zur Zeit in der Stahlindustrie (Krupp-Thyssen), der Automobilindustrie (Opel), bei Siemens Power & Gas und im Einzelhandel (Kaufhof, Karstadt) statt. Überall sind die betroffenen Arbeiter mit einer geschlossenen Front von Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften konfrontiert.
Die Verteidigung von Löhnen, sozialen Rechten und Arbeitsbedingungen erfordert einen Bruch mit diesen reaktionären, nationalistischen Organisationen. Die Arbeiter stehen vor politischen Aufgaben. Die globale Krise der kapitalistischen Gesellschaft hat ein Ausmaß erreicht, das, wie in den 1930er Jahren, wieder Massenarmut, Krieg und rechtsextreme Bewegungen hervorbringt. Nur der internationale Zusammenschluss der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms kann diese Gefahren beantworten.