Diese Woche in der Russischen Revolution

Bolschewiki enthüllen imperialistische Zerstückelung des Nahen Ostens

Mit der Veröffentlichung entsprechender Geheimabkommen erregen die Bolschewiki den höchsten Zorn der Imperialisten, gewinnen aber gleichzeitig bei den unterdrückten Massen der Welt unermessliches Ansehen.

Kiew, 20. (7.) November, „Drittes Universal“: Rada proklamiert Ukrainische Volksrepublik

Die bolschewistische Machtergreifung in Petrograd hat die ukrainische Rada in große Furcht versetzt. Sie lehnt die Machteroberung der Bolschewiki ab. Die Rada besteht zum großen Teil aus ukrainischen Nationalisten sowie kleinbürgerlich-sozialistischen Parteien. Um der Ausbreitung der Sowjetmacht auf die Ukraine zuvorzukommen, proklamiert sie in ihrem so genannten „Dritten Universal“ die Ukrainische Volksrepublik.

In der Proklamation heißt es:

In den Hauptstädten im Norden wütet ein blutiger Bürgerkrieg; die Zentralregierung ist zusammengebrochen, und Anarchie, Gesetzlosigkeit und Chaos breiten sich im ganzen Staat aus. Auch unser Land ist in Gefahr. Ohne eine starke nationale Autorität kann auch die Ukraine in den Abgrund von Bürgerkrieg, Gemetzel und Ruin stürzen. Ukrainisches Volk! Mit den Brudervölkern der Ukraine hast du uns beauftragt, die Rechte zu schützen, die dein Kampf errungen hat, [hast uns beauftragt] Ordnung zu schaffen und neues Leben auf unserm Land aufzubauen. So erklären wir, die ukrainische Zentralrada, die wir nach deinem Willen in unserm Land und in ganz Russland Ordnung schaffen sollen: Von diesem Tag an wird die Ukraine zur Ukrainischen Volksrepublik. Ohne uns von der russischen Republik loszusagen und unter Bewahrung ihrer Einheit stehen wir fest auf unserm eigenen Boden. Möge unsre Stärke ganz Russland zum Vorteil gereichen, auf dass die gesamte russische Republik eine Föderation gleicher und freier Völker sei.

Das Territorium der Republik, die nur für kurze Zeit überlebt, soll folgende Gebiete umfassen: Kiew, Podolien, Wolhynien, Tschernihiw, Poltawa, Charkiw, Cherson und Taurien (ohne Krim). Der Anschluss weiterer Territorien verzögert sich und wird mehreren Referenden überlassen.

Die ukrainische Rada steht unter dem Druck der Dekrete der neuen Arbeiterregierung in Petrograd, die in ganz Russland und Europa von den Arbeitermassen begeistert unterstützt werden. Deshalb proklamiert die Rada nicht nur die Enteignung aller Großgrundbesitzer ohne Entschädigung, sondern auch den Achtstundentag. Sie etabliert auch – „im Interesse sowohl der Ukraine als auch ganz Russlands“ – eine staatliche Kontrolle über die Produktion. Darüber hinaus gibt sie bekannt, sie werde „stark darauf drängen, dass rasch Frieden geschlossen wird“. Zu dem Zweck werde sie „entschiedene Mittel einsetzen, um die Zentralregierung und verbündete wie feindliche Mächte zur raschen Aufnahme von Friedensverhandlungen zu drängen“.

Der russischen, jüdischen und polnischen Bevölkerung wie auch anderen nationalen Minderheiten in der Ukraine sichert die Rada das Recht der Selbstverwaltung in „allen Fragen des nationalen Lebens“ zu. Das „Dritte Universal“ gibt bekannt, dass am 27. Dezember 1917 Wahlen zu einer Konstituierenden Versammlung der Ukraine abgehalten werden sollen, die am 9. (22.) Januar zusammentreten soll.

21. (8.) November: Jakow Swerdlow wird Präsident des Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees

Der Bolschewik Jakow Swerdlow, Cheforganisator der bolschewistischen Partei während des ganzen Jahrs 1917, wird zum Präsidenten des Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees gewählt. In dieser Funktion eines Staatsoberhaupts spielt Swerdlow eine entscheidende Rolle beim Aufbau neuer Regierungsgremien des Arbeiterstaats. Das Gesamtrussische Zentralexekutivkomitee wird in der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) zur höchsten legislativen, administrativen und kontrollierenden Körperschaft.

Russland, 23. (10. ) November: Sowjetregierung legt Geheimverträge offen

Die von den Bolschewiki geführte Regierung veröffentlicht nun rasch die Geheimverträge der früheren russischen Regierungen. In der Istvestija ist folgendes zu lesen:

Mit der Veröffentlichung der geheimen diplomatischen Dokumente der zaristischen Regierung und der bürgerlichen Koalitionsregierungen … kommen wir der Verpflichtung nach, die unsere Partei übernommen hat, als sie noch in der Opposition war.

Die Geheimdiplomatie ist ein notwendiges Werkzeug in den Händen der besitzenden Minderheit, die darauf angewiesen ist, die Mehrheit zu täuschen, um diese ihren Interessen dienstbar zu machen. Der Imperialismus mit seinen weltweiten Annexionsplänen, seinen räuberischen Bündnissen und Verschwörungen hat ein hochentwickeltes System von Geheimverträgen geschaffen … Das russische Volk, die anderen Völker Europas und die Völker der Welt müssen die Pläne kennen, welche die Finanzmagnaten und Industriellen zusammen mit ihren parlamentarischen und diplomatischen Agenten insgeheim ausgeheckt haben …

Abschaffung der Geheimdiplomatie ist der erste entscheidende Schritt für eine ehrenhafte, volksnahe und wirklich demokratische Außenpolitik. Die Sowjetregierung hat beschlossen, einer solchen Politik zu folgen, und deswegen geht sie im gleichen Moment, in dem sie allen Kriegführenden einen sofortigen Waffenstillstand anbietet, zur Veröffentlichung der Verträge und Vereinbarungen über. Diese sind für die russischen Arbeiter, Soldaten und Bauern nicht mehr bindend …

In Deutschland und Österreich-Ungarn werden die bürgerlichen Politiker und Zeitungen die veröffentlichten Dokumente zweifellos dazu nutzen, die Diplomatie der Zentralmächte in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen. Ein solcher Versuch ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt, und das aus zwei Gründen: Erstens werden wir in kurzer Zeit der Öffentlichkeit zahlreiche Geheimdokumente vorlegen, die Licht auf die diplomatischen Methoden der Zentralmächte werfen. Zweitens, und das ist das Wichtigste: Die Methoden der Geheimdiplomatie sind genauso international wie die Methoden imperialistischer Plünderung. Wenn das deutsche Proletariat mit revolutionären Mitteln Einsicht in die Staatskanzleien seiner Regierung nehmen wird, dann wird es Dokumente von gleichem Charakter finden, wie diejenigen, die wir gerade veröffentlichen. Wir hoffen, dass das ziemlich bald geschieht.

Die Arbeiter- und Bauernregierung schafft die Geheimdiplomatie mit ihren Intrigen, ihrer Geheimsprache und ihren Lügen ab. Wir haben nichts zu verbergen. Unser Programm ist Ausdruck der brennenden Wünsche von Millionen Arbeitern, Soldaten und Bauern. Wir wünschen einen schnellen Frieden auf der Grundlage von ehrlichen Beziehungen und der vollsten Zusammenarbeit mit allen Ländern. Wir streben die zügige Abschaffung der Vorherrschaft des Kapitals an. Indem wir vor den Augen der Arbeiterklasse die Arbeit der regierenden Klassen offenlegen, wie sie sich in den Geheimdokumenten der Diplomatie widerspiegelt, bieten wir den Arbeitern die Parole an, die immer die Grundlage unserer Außenpolitik sein wird: „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“

Leo Trotzki, Volkskommissar des Äußeren.

(Zitiert nach: „Seventeen Moments in Soviet History“, aus dem Englischen)

Die Veröffentlichung des Sykes-Picot Abkommens zwischen Paris und London über die Zerschlagung des Osmanischen Reichs erschüttert die internationale Ordnung bis in ihre Grundfesten. Dieses Abkommen von 1916, in Lenins Worten eine „Vereinbarung kolonialer Diebe“, wurde hinter dem Rücken der Bevölkerungen der kriegführenden Länder abgeschlossen – und hinter dem Rücken der Bevölkerungen der betroffenen Länder. Das Abkommen sieht vor, dass Russland die spätere Osttürkei erhalten soll, während Frankreich die Kontrolle über die spätere Südtürkei, den Libanon, Syrien und den Nordirak bekommen soll. Großbritannien soll Gebiete in Ägypten, Jordanien, dem Irak und Kuwait bekommen. Das widerspricht auch allem, was die britische Regierung den örtlichen Stammesführern und anderen betroffenen Parteien versprochen hat.

Mit der Veröffentlichung dieser Geheimdokumente erreicht der Zorn in den imperialistischen Hauptstädten über die Bolschewiki einen neuen Höhepunkt. Unter den unterdrückten Massen in aller Welt gewinnen die Bolschewiki dagegen unermessliches Prestige.

Breslau, 24. November: Rosa Luxemburg würdigt Russische Revolution als „weltgeschichtliche Tat, deren Spur in Äonen nicht untergehen wird“

Rosa Luxemburg

Vor wenigen Tagen hat Rosa Luxemburg in ihrem Gefängnis in Breslau die Nachricht erhalten, dass ihr Geliebter Hans Diefenbach in Frankreich gefallen ist – in derselben Nacht, in der in Petersburg die Bolschewiki die Macht ergriffen und eine Arbeiterregierung errichtet haben. Seelisch schwer erschüttert, hilft ihr ein ebenso intensiver wie bewegender Briefwechsel mit mehreren Genossinnen.

Wie diese Briefe zeigen, bleibt ihr Blick auf die Klassenkämpfe ungetrübt, obwohl sie in ihrer Gefängniszelle nur spärliche Nachrichten erhält. In einem Brief an Marta Rosenbaum schreibt sie:

Seit einer Woche etwa sind natürlich all meine Gedanken in Petersburg, und ich greife mit ungeduldiger Hand jeden Morgen und Abend zu frischen Zeitungen, aber die Nachrichten sind leider knapp und konfus. Auf dauernden Erfolg ist ja dort nicht zu rechnen, aber auf jeden Fall ist schon der Anlauf selbst zur Machtergreifung dort ein Faustschlag ins Gesicht der hiesigen Sozialdemokratie und der ganzen schlummernden Internationale. Kautsky allerdings weiß nichts Besseres, als statistisch zu beweisen, dass die sozialen Verhältnisse Russlands für die Diktatur des Proletariats noch nicht reif sind! Ein würdiger „Theoretiker“ der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei! Er hat vergessen, dass „statistisch“ Frankreich im Jahr 1789 und auch 1793 noch viel weniger reif war zur Herrschaft der Bourgeoisie … Zum Glück geht die Geschichte schon längst nicht nach Kautskys theoretischen Rezepten, also hoffen wir das Beste.

Und an Luise Kautsky: „Freust Du Dich über die Russen? Natürlich werden sie sich in diesem Hexensabbat nicht halten können – nicht, weil die Statistik eine so rückständige ökonomische Entwicklung in Russland aufweist, wie Dein gescheiter Gatte ausgerechnet hat, sondern weil die Sozialdemokratie in dem hochentwickelten Westen aus hundsjämmerlichen Feiglingen besteht und ruhig zusehend die Russen sich werden verbluten lassen. Aber ein solcher Untergang ist besser als ‚leben bleiben für das Vaterland‘, es ist eine weltgeschichtliche Tat, deren Spur in Äonen nicht untergehen wird. Ich erwarte noch viel Großes in den nächsten Jahren, nur möchte ich die Weltgeschichte nicht bloß durch das Gitter bewundern …“

Miwaukee, 24. November: Bombenanschlag mit elf Toten in Polizeirevier

Im Polizeipräsidium von Milwaukee explodiert eine Paketbombe. Neun Polizisten und zwei Zivilisten werden getötet. Verdächtigt werden eingewanderte italienische Anarchisten, Anhänger von Luigi Galleani. Es wird vermutet, dass es eine Vergeltungsaktion für die Ermordung zweier italienischer Einwanderer durch die Polizei von Milwaukee Anfang des Jahres war.

Die Bundes-, Staats- und Kommunalbehörden nutzen die anarchistischen Bombenanschläge, die ihren Höhepunkt mit dem Anschlag von 1920 auf die Wall Street mit 38 Toten finden. Sie dienen als Vorwand, um die Unterdrückung zu verschärfen, von der alle politischen Tendenzen der Arbeiterklasse, Sozialisten und IWW-Mitglieder und besonders radikale Einwanderer betroffen sind. Nach dem Anschlag auf das Polizeipräsidium in Milwaukee werden elf angebliche italienische Anarchisten festgenommen und zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Russland, 25. (12.) November: Wahlen zur Konstituierenden Versammlung

Kurz nachdem die Bolschewiki ihre Führungskrise in der Frage einer „Koalitionsregierung“ mit Menschewiki und Sozialrevolutionären überwunden haben, steht die bolschewistische Partei vor neuen Meinungsverschiedenheiten. Es geht um die Frage, ob die Konstituierende Versammlung einberufen werden soll.

In der Zeit von Februar bis Oktober versprach die Provisorische Regierung, eine Konstituierende Versammlung einzuberufen, an die sie die Macht übergeben werde. Während dieser Periode kritisierten die Bolschewiki die machthabenden Parteien für ihre endlosen Verschiebungen und ihre Streitereien über die Konstituierende Versammlung. Aber jetzt, da der Gesamtrussische Sowjetkongress nach dem Oktoberaufstand eine neue, von den Bolschewiki geführte Regierung proklamiert hat, sind Lenin, Trotzki und viele andere bolschewistische Führer gegen die Einberufung der Konstituierenden Versammlung.

Unmittelbar nach der Oktobererhebung drängt Lenin die neue Regierung, die Wahlen zu verschieben. Trotzki erinnert sich an Lenins Haltung zu dieser Frage:

„Man muss die Wahlen aufschieben“, schlug er vor, „man muss sie aufschieben. Das Wahlrecht muss erweitert werden unter Einbeziehung der Achtzehnjährigen. Man muss Zeit gewähren, die Wahllisten zu erneuern. Unsere eigenen Listen sind ganz untauglich. Es sind eine Menge hergelaufener Intellektueller darin, während wir Arbeiter und Bauern brauchen. Die Kornilow-Leute, die ‚Kadetten‘ müssen wir als außerhalb des Gesetzes stehend erklären.“

Ihm wurde darauf geantwortet: „Eine Aufschiebung wäre zur Zeit ungünstig. Sie würde als eine Liquidierung der Konstituierenden Versammlung aufgefasst werden, umso mehr, als wir selber die Provisorische Regierung einer Verschleppung der Konstituierenden Versammlung beschuldigt haben.“

„Das sind Nichtigkeiten!“ meinte Lenin. „Von Belang sind nur Tatsachen, nicht Worte. Der Provisorischen Regierung gegenüber bedeutete die Konstituierende Versammlung einen Schritt vorwärts, oder besser, sie hätte ihn bedeuten können; der Sowjetmacht gegenüber, besonders bei den bestehenden Wahllisten, würde sie aber unweigerlich einen Schritt rückwärts bedeuten. Weshalb sollte eine Verlegung des Wahltermins ungünstig sein? Und wenn die Konstituierende Versammlung sich als kadettisch-menschewistisch-sozialrevolutionär erweisen wird – wird das günstig sein?“

„Bis dahin werden wir aber stärker sein“, wandten andere ein, „während wir jetzt noch zu schwach sind. Von der Sowjetmacht weiß man in der Provinz so gut wie nichts. Und wenn auf dem Lande jetzt schon die Nachricht verbreitet wird, dass wir die Konstituierende Versammlung aufgeschoben hätten, dann würde uns das noch mehr schwächen.“ Gegen eine Aufschiebung der Wahlen trat besonders Swerdlow energisch auf, da er mehr als wir anderen mit der Provinz Fühlung hatte.

Lenin blieb mit seinem Standpunkt allein. Er schüttelte unzufrieden den Kopf und meinte wiederholt: „Ein Fehler, ein offenkundiger Fehler, der uns sehr teuer zu stehen kommen kann! Wenn dieser Fehler nur nicht der Revolution den Kopf kostet …“

(Leo Trotzki, „Über Lenin“, Essen 1996, S. 99–100)

Trotz aller Einwände Lenins wird entschieden, die Wahlen abzuhalten. Die Sozialrevolutionäre gewinnen 40,4 Prozent der Stimmen, die Bolschewiki 24 Prozent, die Menschewiki 2,6 Prozent und die Kadetten 4,7 Prozent. Im Allgemeinen bestätigt die Abstimmung, dass die sozialrevolutionäre Partei auf dem Land noch beträchtliche Unterstützung genießt, während die Bolschewiki vor allem in den Städten und unter den Soldaten stark sind.

Unter den Arbeitern gewinnen die Bolschewiki 86,5 Prozent. Was die Armee betrifft, so gewinnt die Partei in der Baltischen Flotte 62,6 Prozent, an der Nordfront 56,1 Prozent und an der Westfront 66,9 Prozent der Stimmen.

Auch in dieser Woche: Reaktionen in der deutschen Arbeiterbewegung

Die Nachrichten von der Machteroberung der Bolschewiki und von den ersten Dekreten der neuen Regierung, des Rates der Volkskommissare, haben wie eine Bombe in der deutschen Arbeiterklasse eingeschlagen. In allen Fabriken, in den Kantinen, vor den Volksküchen zur Armenspeisung, in den langen Schlangen der Frauen vor den Lebensmittelläden – überall ist seit Tagen das Gesprächsthema Nr. 1: Wahrhaftig, eine wirkliche Arbeiterregierung scheint in Russland die Macht übernommen zu haben! Sie hat alle Kriegshandlungen mit sofortiger Wirkung für beendet erklärt! Dort wird offenbar über Frieden nicht nur geredet, sondern Frieden gemacht! Großgrundbesitzer und Kapitalisten (überall die großen Kriegsgewinnler!) sind enteignet worden! Warum machen wir es nicht wie unsere Klassenbrüder in Russland?

Bei Clara Zetkin findet diese Stimmung einen Wiederhall. In der Frauenbeilage der Leipziger Volkszeitung begrüßt Zetkin vorbehaltlos „das Friedenswerk der russischen Revolution“. Immer wieder betont sie die weltgeschichtliche Bedeutung der Revolution, ganz gleich, wie dieser Kampf ausgehe. In einem Artikel vom 30. November („Der Kampf um Macht und Frieden in Russland“) weist sie alle Einwände von Kritikern in den Reihen der Sozialdemokratie (wie zum Beispiel Karl Kautsky) zurück, in einem rückständigen Land wie Russland sei die Revolution verfrüht. Am Schluss dieses Artikels schreibt sie:

Dieser Kampf wird tiefe unverwischbare Spuren in die Geschichte graben, und nicht nur von seinem Sieg, den die Proletarier aller Länder leidenschaftlich wünschen, von der bloßen Tatsache, dass er war, wird neues schöpferisches Leben ausstrahlen.

Die rechten Mehrheits-Sozialdemokraten (MSPD) sind dagegen stark beunruhigt. Diese Sozialpatrioten fürchten, die proletarische Revolution könne von Russland auch auf Deutschland übergreifen und dann nicht mehr zu kontrollieren sein. Sie reagieren mit einer Art Vorwärtsverteidigung, indem sie ihren Todfeind, die Bolschewiki, umarmen und ihr Friedensangebot in den höchsten Tönen preisen. Hatten ihre Zeitungen bisher hauptsächlich Jubelberichte der Obersten Heeresleitung von der Front wiedergegeben, erscheinen plötzlich positive Berichte über die Ereignisse in Russland. Diese Berichte sollen die Spuren ihrer eigenen Politik verwischen: Wiederholt haben sie den Kriegskrediten zugestimmt, die es seit 1914 den deutschen Imperialisten ermöglichten, den völkermörderischen Krieg zu führen.

So erscheint am 19. November im Vorwärts ein umfangreicher Bericht über eine Versammlung in Elberfeld (dem heutigen Wuppertal), auf der der Parteivorsitzende Friedrich Ebert den Friedenswillen der neuen russischen Regierung preist. In einem überfüllten Saal fordert er vor 2000 Versammelten die Reichsregierung auf, das Friedensangebot der Bolschewiki sofort anzunehmen. Er behauptet, die „Friedensbereitschaft der Mittelmächte“ habe viel dazu beigetragen, und lobt die Friedensresolution des Reichstags vom Juli – die in Wirklichkeit nur dazu führen sollte, zu den Beziehungen von vor 1914 zurückzukehren.

Mit ihrem Friedensgesäusel vertreten Ebert und die MSPD-Führung in Wirklichkeit die Interessen des deutschen Imperialismus. Dieser will einen Sonderfrieden mit Russland erreichen, um sich neue Gebiete im Osten zu sichern, die freiwerdenden Truppen sofort an die Westfront zu werfen und so am Ende doch noch den Sieg über die Entente zu erringen.

Auch in dieser Woche: Britische Labour-Politiker gegen die Oktoberrevolution

Der Labour-Abgeordnete Philip Snowden verurteilt am 15. November im Labour Leader die Oktoberrevolution und bezeichnet sie als ein „wirklich tragisches“ Ereignis. Snowdens erbitterte Opposition gegen die Machteroberung der Arbeiterklasse entlarvt seine Art von christlichem Sozialismus und Pazifismus, der in den Kreisen der Labour Party und der Fabier so weit verbreitet ist. Angesichts des sofortigen Waffenstillstands und der Friedensverhandlungen der Bolschewiki stellt sich Snowden auf die Seite des britischen Imperialismus.

Vor gerade einmal fünf Monaten trat Snowden noch an der Seite von Ramsay MacDonald und anderen prominenten Labour-Politikern als gefeierter Redner auf der Leeds Convention auf, um die Februarrevolution zu feiern. Die Leeds Convention und ihr Aufruf für den Aufbau von Arbeiter- und Soldatenräten trafen bei britischen Arbeitern auf starke Unterstützung, weil sie großes Interesse an einer Beendigung des Kriegs und der kapitalistischen Ausbeutung hatten. Für Snowden und Konsorten war das Ziel dieser Versammlung allerdings die Verhinderung einer wirklich sozialistischen Bewegung.

MacDonalds Labour Party sitzt immer noch in der britischen Regierung, die zu den Hauptkriegstreibern zählt. Dem seit 1914 andauernden Blutbad sind bisher schon Millionen junge Männer zum Opfer gefallen. MacDonald bezeichnet Lenin als Führer einer Partei „gedankenloser Anarchisten … deren Denken von Gewalt und Hass erfüllt ist“.

Henry Hyndman, ehemals Führer der Sozialdemokratischen Föderation, die mit der Zweiten Internationale verbündet war, rechtfertigt die Schlächterei in den Schützengräben und propagiert britischen Chauvinismus. In einem Artikel unter der Überschrift „Warum wir die Bolschewiki zurückweisen müssen“ schreibt er Anfang 1918 über die Oktoberrevolution:

Mit Stolz kann ich die meisten führenden Revolutionäre in Europa und Asien zu meinen Freunden zählen. Aber bei all ihren Aufständen gegen unerträgliche Tyrannei haben sie niemals solche Verbrechen begangen wie Lenin, Trotzki und die Bolschewiki ganz allgemein … Damit gefährden sie die Demokratie und den Sozialismus.

Nur wenige britische Sozialisten unterstützen die Oktoberrevolution. Einer von ihnen ist John McLean. Auf einen Appell Trotzkis für die Freilassung in Großbritannien festgesetzter russischer Sozialisten hin spricht McLean auf mehreren Demonstrationen und richtet einen Brief an die Zeitung der British Socialist Party The Call, den diese in ihrer Ausgabe vom 29. November veröffentlicht. McLean preist darin die „siegreichen Genossen der britischen Arbeiter in Russland“.

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