Mit den Stimmen der regierenden CSU hat der bayrische Landtag am Dienstag spätabends das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) verabschiedet. Das Gesetz hebelt das Prinzip der Trennung von Polizei und Geheimdiensten aus und hebt persönliche Freiheitsrechte wie die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Selbstbestimmungsrecht über die eigenen Daten, das Recht auf Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit sowie das Brief- und Postgeheimnis weitgehend auf. Darüber hinaus wird die Polizei mit Handgranaten und schweren militärischen Waffen ausgerüstet.
In ganz Bayern fanden in den letzten Wochen zahlreiche Demonstrationen mit zusammen über 70.000 Teilnehmern gegen diesen massiven staatlichen Angriff auf demokratische Rechte statt. Zu der größten Kundgebung in München hatten sich am 10. Mai an die 40.000 überwiegend junge Menschen zusammengefunden.
CSU und Polizei waren von den Dimensionen des Protests überrascht und reagierten mit hysterischen Attacken im Stile der rechtsradikalen AfD. Der bayrische Innenminister und Autor des neuen Polizeigesetzes, Joachim Herrmann, attackierte die Demonstranten als „unbedarfte Menschen“, die der „Lügenpropaganda“ von Linksradikalen auf den Leim gegangen seien.
Ein leitender Beamter und Mitglied des Betriebsrats (Polizeirat) der bayrischen Polizei griff den SPD-Landtagsabgeordneten Florian Ritter, einen der Organisatoren der Demonstration, auf Facebook mit den Worten an: „Solche Leute wie Sie gehören weg.“ Er drohte, er werde ihm „auch mal eine in die Fresse hauen wollen“.
Die SPD, die Grünen und die Linke – die FDP ist im Landtag nicht vertreten – hatten sich den Protesten erst nach langem Zögern angeschlossen. Sie stimmten im Landtag gegen das Gesetz. In anderen Bundesländern, in denen sie selbst mit in der Regierung sitzen, arbeiten dieselben Parteien Polizeigesetze aus, die dem bayrischen bis ins Detail gleichen.
Ihre „Opposition“ in Bayern ist zum einen von wahltaktischen Überlegungen bestimmt. Im Herbst finden in Bayern Landtagswahlen statt. Zum anderen dient sie dem Ziel, den Protesten die Spitze zu nehmen und sie durch die Orientierung auf einen Gang vor das bayrische Verfassungsgericht und das Bundesverfassungsgericht ins Leere laufen zu lassen.
Bereits am 18. April hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer, der bis vor kurzem bayrischer Ministerpräsident war, im Innenausschuss des Bundestages angekündigt, nach dem Vorbild des bayrischen PAG ein sogenanntes Polizeimustergesetz auszuarbeiten, das allen anderen Bundesländern als Vorlage dienen soll.
Das neue PAG verleiht der Polizei folgende neue Befugnisse:
- Sie kann Aufenthaltsverbote und –gebote für deutsche und ausländische Bürger aussprechen; sie kann anordnen, dass sich ein Bürger zum Beispiel nicht mehr in Berlin oder München aufhalten darf, sondern in den Bayrischen Wald umziehen muss.
- Wohnungen, Restaurants, Büros dürfen durch heimliche Einbrüche verwanzt und dann unbegrenzt abgehört werden.
- Telefongespräche können abgehört, gestört und unterbrochen werden.
- Post (Briefe und Pakete) können geöffnet, beschlagnahmt und ausgewertet werden.
- Computer- und Speicherdaten – ob auf Geräten oder in der Cloud – können umfangreich und dauerhaft analysiert und verändert werden.
- Bei den Videoaufnahmen, die auf öffentlichen Plätzen, Straßen und in zentralen Gebäuden wie Bahnhöfen und Behörden massiv ausgedehnt werden sollen, darf Software zur Gesichts- und Verhaltenserfassung, -speicherung und –wiedererkennung eingesetzt werden.
- Die Polizei kann Informanten zur Erforschung der privaten Lebensumstände, des Verhaltens, der Freunde und Bekannten einer Person einsetzen, ohne dass eine Straftat vorliegen muss.
- Die vorbeugende „Unendlichkeitshaft“ ist bereits im Sommer letzten Jahres in Kraft getreten. Sie erlaubt es, eine Person aufgrund vager, unbewiesener Verdachtsmomente einer „drohenden Gefahr“ einzusperren und die Haft durch Richterbeschluss nach jeweils drei Monaten ohne zeitliche Begrenzung immer wieder zu verlängern.
Nimmt man die Systematik des neuen Polizeigesetzes unter die Lupe, so fallen zwei Aspekte auf:
Erstens werden die Befugnisse, die der Polizei bisher nur für Strafverfolgungszwecke, d.h. zur Verfolgung verdächtiger Täter nach einer vollbrachten oder unmittelbar bevorstehenden Straftat, zustanden, auf den Bereich der Gefahrenabwehr ausgeweitet. Dabei muss eine Gefahr nicht konkret und unmittelbar vorliegen. Es genügen vage Vermutungen der Polizei oder ihrer Informanten, um Maßnahmen einzuleiten und richterlich zu bestätigen.
Die Gefahreneinschätzung erfolgt nicht mehr oder nicht nur situationsbezogen, sondern personenbezogen. Mit anderen Worten: „Es geht also nicht mehr darum, dass die Polizei aktiv wird, weil sie ein konkretes Ereignis verhindern will. Sondern es geht darum, etwas zu machen, weil man eine Person im Blick hat, über die man gerne mehr erfahren möchte“, so der Mainzer Rechtsprofessor Matthias Bäcker in der Süddeutschen Zeitung.
In Wirklichkeit geht es nicht nur um eine Person. Die Polizei soll generell alle Daten über alle Personen, derer sie habhaft werden kann, sammeln, auswerten und verwenden können. Deshalb die massive Ausdehnung der Video-Überwachung, die Aufhebung des Brief- und Postgeheimnisses, die Möglichkeiten der Verwanzung von Wohnungen, Restaurants usw. und die Software zur Gesichtserkennung und Verhaltensausforschung.
Der Inhalt des neuen Polizeigesetzen zeigt deutlich, dass es nicht, wie vom bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) gebetsmühlenhaft behauptet, um den Schutz der Bevölkerung vor Verbrechen, sondern um den Schutz der herrschenden Eliten und ihres Staates vor der Bevölkerung geht. Das Auseinanderklaffen von Einkommen und Vermögen und die Rückkehr zum Militarismus sind nicht mit demokratischen Rechten vereinbar.
Einen kleinen Vorgeschmack auf die neuen Machtbefugnissen der Polizei gab kürzlich ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Göttingen. Die Abteilung „Staatsschutz“ der Polizeiinspektion Göttingen hatte in einer riesigen Datenbank verdeckt Daten über Menschen gesammelt, die sie dem „linken Spektrum“ zuordnete. Die Datensammlung erfasste neben Name und Alter Merkmale wie Religion, körperliche und psychische Besonderheiten, Krankheiten, Arbeitsplatz, Gruppenzugehörigkeit, ergänzt durch zahlreiche Fotos von Bekannten, Freunden und Familienangehörigen.
Das Verwaltungsgericht erklärte diese Datensammlung aus rein formalen Gründen für rechtswidrig – weil es keine Dateibeschreibung für das LIMO genannte Ordnersystem gab. Die Polizeiinspektion behauptete daraufhin einfach, sie habe die Sammlung bereits vor dem Gerichtsverfahren vernichtet – ohne dass darüber ein schriftliches Protokoll existierte.
Mit den neuen Gesetzen werden derartige Aktivitäten der Polizei riesige Ausmaße annehmen und nicht mehr rechtswidrig sein. An die Stelle des Rechtsstaats tritt der Polizeistaat.