Die Zahl der Toten im griechischen Mati stieg seit Ausbruch des Feuers am Montag Stunde um Stunde an. Mindestens 83 Menschen – unter ihnen unzählige Familien mit kleinen Kindern – sind in den Waldbränden Ostattikas, nur wenige Kilometer östlich Athens, ums Leben gekommen. Viele werden noch vermisst. Tag und Nacht durchstreifen Freiwillige und Suchtrupps der Feuerwehr die Ruinen des ehemaligen Badeorts Mati und durchkämmen die Meeresküste, auf den Spuren der Vermissten.
Zwar brachen zwischenzeitlich in der Region Attika erneut kleine Feuer aus, diese konnten aber gebannt werden. In den Tagen nach dem Inferno wird das ganze Ausmaß der Brände sichtbar, die in rasendem Tempo über eine Fläche von etwa 4.500 Hektar hinwegfegten. Auch wenn Griechenland schon viele verheerende Feuer erlebt hat, eine so hohe Opferzahl in so kurzer Zeit und auf so engem Raum hat es in der jüngeren Geschichte des Landes noch nie gegeben, auch nicht bei den Waldbränden von 2007.
Gestern Abend erklärte der stellvertretende Bürgerschutzminister Nikos Toskas auf einer Pressekonferenz, es gebe „ernste Belege“ dafür, dass die Brände durch „kriminelle Aktivitäten“ ausgelöst wurden. Darunter sind Zeugenaussagen über eine oder mehrere verdächtige Personen sowie Nachweise über einige Brandstellen nahe einer Straße, die Ausgangspunkt des Feuers gewesen seien könnten. Die Untersuchung sei noch im Gange.
Während über Motive und Gründe der Brandstiftung keine Aussagen getroffen wurden, vermuten viele Beobachter Bodenspekulation. In griechischen Regionen, die lukrative Gewinne durch den Verkauf von Immobilien versprechen, werden immer wieder Feuer gelegt, um später auf den ausgebrannten ehemaligen Waldstücken illegal zu bauen. Diese kriminelle Praxis ist seit Jahren möglich, weil Politik und Behörden nicht dagegen vorgehen, sondern im Gegenteil die Umwidmung von Forst- in Bauland im Nachhinein legalisieren. Die Tatsache, dass Griechenland kein nationales Forstregister besitzt und die Grundstücksverhältnisse oft nicht geklärt sind, spielt der Bodenmafia in die Hände. An diesen Zuständen hat auch Syriza nichts geändert. Das Geschäft mit dem Feuer schafft schließlich Platz für die vielen privaten Investoren – die Syriza bei jeder Gelegenheit hofiert.
Wie in anderen griechischen Ferienorten findet in Mati seit Jahrzehnten eine undurchsichtige Immobilienpolitik statt. Viele Häuser – von denen jetzt eine Großzahl abgebrannt ist – befinden sich in einer gesetzlichen Grauzone und entsprechen nicht den Sicherheits- und Brandschutzvorschriften. Die Politik befördert diese Baupraktiken schon seit Jahren, indem sie Besitzern illegaler Grundstücke unter Verhängung geringer Bußgelder eine Legalisierung ihrer Immobilien ermöglicht, die diese dann in der Regel zu horrenden Preisen weiterverkaufen.
So ist es auch kein Zufall, dass die Gemeinde von Marathonas, wo Mati liegt, die Regierung aufgefordert hat, die verbrannte Region nicht wiederaufzuforsten. Sonst könnten die abgebrannten Häuser, die teilweise keinen legalen Status haben, nicht wieder aufgebaut werden. Deshalb drängen die lokalen Verantwortlichen darauf, dass die Region legal als Siedlung geplant wird.
Die chaotische städtebauliche Struktur in Mati war eine der Hauptursachen dafür, dass die Menschen nicht rechtzeitig fliehen konnten. Zu diesem Schluss kommt ein erster Analysebericht von Geologen der Nationalen und Kapodistrias-Universität Athen. Die engen Wege, vielen Sackgassen und Häuserblöcke ohne Wendemöglichkeit verhinderten die Flucht. Felshänge sowie Häuser, die an den Küsten gebaut wurden, sperrten den rettenden Zugang zum Meer. Die Menschen verbrannten wie die „Mäuse in der Falle“, sagten Überlebende.
Die Regierung unter der pseudolinken Syriza (Koalition der radikalen Linken) weist jede Kritik oder auch nur leise Vermutung, die Ausmaße der Brandkatastrophe könnten ihre Ursachen in den gesellschaftlichen Verhältnissen in Griechenland haben, vehement von sich und verlangt, Fragen nach den Schuldigen aus Respekt vor den Toten in die ferne Zukunft zu verschieben. Die Tragödie, so das offizielle Mantra, konnte aufgrund der verheerenden Geschwindigkeit des Feuers nicht verhindert werden. Die staatlichen Behörden hätten ihr Bestes gegeben und verhindert, dass eine noch größere Katastrophe eintritt.
Die Darstellung der Waldbrände als unvermeidliches Naturphänomen dient dazu, die politischen und sozialen Hintergründe der Ereignisse zu vertuschen.
Zehn Jahre Spardiktat der Europäischen Union haben in Griechenland zum völligen Zerfall der öffentlichen Grundversorgung geführt. Alle Regierungen haben die brutalen Sparmaßnahmen umgesetzt, die von ihren Gläubiger aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalen Währungsfonds gefordert wurden. Massenentlassungen, Lohneinbußen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Ausstattung trafen besonders den öffentlichen Dienst. Von den Lokalbehörden über Feuerwehrstationen bis zu den Krankenhäusern – in allen Bereichen, die im Fall einer Brandkatastrophe gefragt sind, wird seit Jahren gespart.
Das betrifft auch die Feuerwehr. Vor Beginn der Wirtschaftskrise 2009 verfügte die griechische Feuerwehr über ein Jahresbudget von 452 Millionen Euro. Bis 2017 wurde es um über 20 Prozent auf 354 Millionen gekürzt. Medien berichten über mangelhafte Schutzkleidung, defekte Atemgeräte und veraltete und oft nicht einsatzfähige Wagen und Löschflugzeuge.
2014 hatte der damalige Bürgerschutzminister unter der rechtskonservativen Nea Dimokratia-Regierung das Personal der staatlichen Feuerwehr um 30 Prozent gekürzt. Im selben Jahr wurde eine Gesetzesänderung verabschiedet, die den Einsatz der freiwilligen Feuerwehren drastisch einschränkt.
Das berichtet Nikos Sachinidis, der Leiter des Verbands der Freiwilligen Feuerwehr Esepa, gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Seither dürfen wir de facto keine Feuer mehr löschen – das ist nun allein den Berufsfeuerwehren vorbehalten.“ Diese könnten im Notfall entscheiden, ob sie die freiwillige Feuerwehr anfordern wollen. Die Gesetzesänderung verzögert aus Sicht Sachinidis die Reaktionsfähigkeit im Fall eines Feuers, da die Berufsfeuerwehr nur etwa 270 Wachen im ganzen Land habe, während sein Freiwilligenverband über mehr lokale Gruppen verfügte. Wenn Esepas Einsatzstärke nicht begrenzt worden wäre, hätten sie viel schneller auf die Waldbrände reagieren können, so Sachinidis: „Ich kenne die Gegend, in der die Feuer gewütet haben. Wir hatten dort einst Freiwillige. Die hätten sofort löschen können.“ Doch Ausrüstung und Mitgliederzahl bei Esepa hätten sich aufgrund der Gesetzeslage in den letzten Jahren drastisch reduziert.
Auch moderne Warnsysteme und Technologien seien nicht zum Einsatz gekommen, so Kostas Synolakis, Professor für Naturkatastrophen am Institut für Umweltingenieurwissenschaften der Technischen Universität Kretas. Er schildert in einem Kommentar auf Ekathimerini die Mängel des Zivilschutzes: „Griechenland hat nur in wenigen Gegenden Zivilschutzübungen durchgeführt. Es gibt weder Karten, in denen die Regionen, die unter hohem Risiko stehen, und die möglichen Fluchtwegen verzeichnet sind, noch irgendeine Form von Kampagne in der Öffentlichkeit, um die Menschen über die Risiken in ihrer Wohngegend aufzuklären.“
Die aktuellen Ereignisse hätten gezeigt, dass weder die Kommandozentrale der Zivilschutzagentur noch die Gemeindebehörden in der Region Kenntnisse darüber gehabt haben, welche Möglichkeiten moderne Technologien liefern, um die Evakuierung von dicht besiedelten Waldgebieten zu planen. Es hätte weniger Opfer gegeben, wenn ein paar Simulationen in der Region ausgeführt worden wären, denn dann hätten die Behörden ein genaueres Bild davon gehabt, welche Herausforderungen es bei der Evakuierung gibt, und hätten möglicherweise auch die Einwohner darüber informiert.“
Auch die Tatsache, dass die Strom- und Wasserversorgung sofort zusammenbrach und noch nicht wiederhergestellt werden konnte, hängt mit der Sparpolitik zusammen. Die Strommasten sind nicht nur aus Holz gebaut (und die abgebrannten Pfeiler wurden erneut mit Holz ersetzt), sondern das gesamte Stromnetz ist noch immer überirdisch. Konstantinos Maniatis, der Vorsitzende des Ingenieurverbands des Stromversorgers DEI, musste gegenüber ERT einräumen, dass die Kosten für unterirdische Stromleitungen zu hoch sind – aufgrund der „Memoranden und ernsten wirtschaftlichen Problemen“ sei das nicht möglich.
Die zynischen Versuche der Regierung und der Opposition, ihre Verantwortung für die Katastrophe zu vertuschen, und sich auf den heroischen Einsatz der zahlreichen freiwilligen Helfer zu berufen, stößt bei vielen auf Granit. In der lokalen Bevölkerung schlagen Trauer und Verzweiflung immer mehr in Wut um, wie in zahlreichen Kommentaren in den sozialen Medien und in Reportagen aus Ostattika zum Ausdruck kommt.
Als Panos Kammenos, Verteidigungsminister und Chef des ultrarechten Regierungsspartners Anel (Unabhängige Griechen), gestern zusammen mit dem Bürgermeister der Hafenstadt Rafina und einigen Soldaten Mati besuchte, schlug ihm eine Welle des Zorns von den Anwohnern entgegen. Eine weinende, aufgebrachte Frau konfrontierte Kammenos mit Vorwürfen: „Warum hat uns niemand vorgewarnt? Warum kam die Feuerwehr nicht? Nichts. Sie haben uns einfach ausgeliefert. Wir sahen das Feuer und hatten nur zwei Sekunden, um uns zu retten. Die Menschen sind umsonst gestorben.“ An einem anderen Ort geriet Kammenos in ein Wortgefecht mit einem wütenden Mann, der erklärte, es gehe hier nicht nur um die Verantwortung von Syriza und Anel, sondern um die gesamte Politik der letzten Jahrzehnte. Der Minister reagierte schroff auf die verzweifelten Menschen und redete auf sie ein. Am Ende seines Besuchs gab er der BBC ein kurzes Statement, in dem er mit Verweis auf die vielen illegal gebauten Häuser in Mati versuchte, den Anwohnern eine Mitschuld an der Katastrophe zu geben.
Tatsächlich sind die EU, Syriza und sämtliche ehemalige Regierungsparteien sowie Großkonzerne und Banken, die die griechische Gesellschaft in den letzten Jahren ausgeplündert und kaputt gespart haben die Schuldigen und gehören auf die Anklagebank.