Im Februar 2018 wurden im Gefängnis von Werchneuralsk, einer Stadt im südlichen Ural, etwa 30 handgeschriebene Dokumente inhaftierter Mitglieder der trotzkistischen Linken Opposition aus den Jahren 1932 bis 1933 gefunden. Die meisten befinden sich in Schreibheften. Die Dokumente wurden während Renovierungsarbeiten unter Fußbodenbohlen in der Gefängniszelle Nummer 312 entdeckt.
Nur ein kleiner Teil der Literatur der trotzkistischen Opposition, die in dieser Zeit in der Sowjetunion verfasst wurde, ist bisher bekannt geworden. Die stalinistische Geheimpolizei OGPU/NKWD, tat alles, um die von Trotzkisten herausgebrachten Dokumente zu zerstören. Nur wenige von ihnen schafften es über die Grenze und wurden im Bulletin der Opposition veröffentlicht, das der Führer der Linken Opposition Leo Trotzki zusammen mit seinem Sohn Leo Sedow herausgab.
Die Entdeckung dieser Dokumente ist von großer historischer und politischer Bedeutung. Der Inhalt der bisher veröffentlichten Dokumente ist ein mächtiger Beweis für den jahrzehntelangen Kampf der trotzkistischen Bewegung, die 1938 gegen den konterrevolutionären Stalinismus die Vierte Internationale gründete. Ihre Veröffentlichung ist ein großer Schlag gegen die stalinistische und poststalinistische Schule der Fälschungen, die viele Jahrzehnte lang versucht hat, die trotzkistische Bewegung zu verleumden, kleinzureden und zum Schweigen zu bringen.
Die Dokumente sind ein eindeutiger Beleg dafür, dass die Linke Opposition, auch nachdem sie aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und hinter Gitter gebracht worden war, eine einflussreiche Kraft blieb. Wie der Historiker Alexander Fokin, der an der Staatlichen Universität von Tscheljabinsk lehrt und an diesen Dokumenten forscht, bemerkt:
In der Geschichtsschreibung herrscht die Ansicht vor, dass nach 1927, nach der Niederlage Trotzkis, die Linke Opposition in Russland de facto aufhörte zu existieren. Diese Entdeckung beweist jedoch, dass selbst das stalinistische Gefängnis diese Leute nicht brechen konnte – sie organisierten sich und setzten den Kampf fort. Auf Grund dieser Dokumente ist es klar, dass sie bestrebt waren ein gewisses alternatives Programm für die Entwicklung der UdSSR zu entwickeln.
Die Linke Opposition entstand im Herbst 1923, in der letzten Lebensphase von Lenin und mitten in der fehlgeschlagenen Revolution in Deutschland, als das Anwachsen des Bürokratismus im Sowjetstaat und in der Kommunistischen Partei in der Partei und in der Arbeiterklasse insgesamt bereits zu einer wachsenden Opposition führte. Die Rückständigkeit der russischen Wirtschaft, das Erbe des Zarismus und die Verzögerung der internationalen und besonders der europäischen Revolution stärkten konservative, national orientierte Schichten in der Partei und im Staatsapparat. Diese fanden ihre ideologische Rechtfertigung in der Theorie des „Sozialismus in einem Land“, die von Bucharin und Stalin Ende 1924 in vollkommenem Gegensatz zum internationalistischen Geist und der Perspektive der Oktoberrevolution von 1917 propagiert wurde.
Während der Periode Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) Mitte der 1920er Jahre kritisierte die Linke Opposition die herrschende Fraktion innerhalb der Parteiführung, an deren Spitze Stalin stand und die aus zentristischen und rechtsgerichteten Kräfte bestand, weil diese sich kleinbürgerlichen und emporstrebenden bürgerlichen NÖP-Leuten und Kulaken (reiche Bauern) anbiederte. Gleichzeitig blockierte diese Fraktion um Stalin die Vorschläge zur verstärkten Industrialisierung und unterdrückte die innerparteiliche Demokratie. In der Außenpolitik verurteilten die Trotzkisten die zunehmend opportunistische Linie der Komintern, die zu einer Reihe von verheerenden Niederlagen der Arbeiterklasse wie in Großbritannien und in China führte.
Im Herbst 1928, wurde die rechtsgerichtete Linie der offiziellen Führung der Bolschewistischen Partei durch einen ultralinken Zickzackkurs abgelöst. Einer der Gründe dafür war eine Krise in der Getreideversorgung, die die Opposition vorhergesehen hatte. Sie wurde durch die Weigerung der Kulaken ausgelöst, Getreide zu für sie ungünstigen Preisen an den Staat zu verkaufen. Nachdem sie einen ganze Zeit lang die Industrialisierung des Landes nur schleppend betrieben und sich zunehmend auf Marktmechanismen verlassen hatte, verfiel die stalinistische Führung jetzt ins andere Extrem. Sie setzte eine chaotische und abenteuerliche Super-Industrialisierungspolitik in Gang und in der Landwirtschaft schlug sie den Weg der gewaltsamen Zwangskollektivierung ein.
Das Ergebnis der extremen Verschärfung der innerparteilichen Auseinandersetzung war, dass Trotzki und Sinowjew auf dem Fünften Parteitag im Dezember 1927 zusammen mit weiteren 8000 Oppositionellen aus der Partei ausgeschlossen wurden. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Unterdrückung der Linken Opposition ständig schlimmer. Die Strafe der Verbannung wurde durch Gefängnisstrafen ersetzt und die Bedingungen der Haft wurden immer grausamer. Wie der Historiker und Soziologe Wadim Rogowin betonte: „Die Grundlagen für das bürokratisch zentristische politische Regime, das sich gegen alle Versuche einer sozialistischen Erneuerung schützte, wurden im Kampf der herrschenden Fraktion gegen die Linke Opposition gelegt.“ [Wadim S. Rogowin, Stalins Kriegskommunismus, Essen 2006, S. 134.]
Zusammen mit den politischen Gefängnissen in Jaroslawl und Susdal wurde der im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts erbaute Kerker von Werchneuralsk zu einer zentralen Haftanstalt für von der Partei ausgeschlossene Dissidenten. Dazu gehörten auch die Bolschewiki-Leninisten, wie sich die trotzkistischen Oppositionellen selbst nannten.
Zu den bekanntesten Persönlichkeiten im poltischen Gefängnis von Werchneuralsk gehörten das frühere Politbüromitglied Grigorij Sinowjew und Lew Kamenew, der ehemalige Vorstand der Gosbank (Staatsbank) und Stellvertretende Vorsitzende des WSNCh (Oberster Rat für Volkswirtschaft), Georgij Pjatakow, der ehemalige Sekretär der Komintern Karl Radek, der frühere Chefredakteur der Komsomol’skaia Prawda, Aleksandr Slepkow und sein Freund, der Schriftsteller Dmitrij Maretskij. Dieser war der Bruder von Vera Maretskaja, einem berühmten sowjetischen Filmstar in den 1930er Jahren. Zu den Gefangenen gehörte auch eine kleine Gruppe von Menschewiki, Sozialrevolutionären und Vertretern anderer politischer Gruppierungen.
Eine Liste mit 117 Namen inhaftierter Bolschewiki-Leninisten wurde im März 1931 im Bulletin der Opposition veröffentlicht. Darunter befanden sich einige herausragende Vertreter des internationalen Trotzkismus der damaligen Zeit: Fjodor Dingelstedt, ein führender Theoretiker der Linken Opposition, Viktor Eltsin, der Herausgeber der russischen Ausgabe der Gesammelten Werke Trotzkis, Man Newelson, der Ehemann von Trotzkis jüngster Tochter Nina Bronstein und selbst ein führender Oppositioneller, Musia Magid und Igor Posnanski, einer von Trotzkis früheren Sekretären, der zu seinen engsten Mitarbeitern gehörte.
Das vielleicht bedeutendste der jetzt veröffentlichten Dokumente sind die Thesen der Bolschewiki-Leninisten über den „Staatsstreich der Faschisten in Deutschland“ vom 1. April 1933. (Der vollständige russische Text ist hier nachzulesen.) Nur zwei Monate, nachdem Hitler durch eine Verschwörung der höchsten Kreise der deutschen Bourgeoisie und des Staates an die Macht gebracht worden war, wurde dieser Text veröffentlicht. Er enthält eine scharfe Analyse des Ursprungs des Deutschen Faschismus und der Aufgaben für die gesamte europäische Arbeiterklasse. Er beginnt damit, den Aufstieg des Nationalsozialismus in den Zusammenhang der Krise des Weltkapitalismus zu stellen:
Der vom Staat organisierte konterrevolutionäre Staatsstreich, der gerade in Deutschland stattgefunden hat – die Konterrevolution vom März –, ist ein Ereignis von größter historischer Bedeutung. Der imperialistische Weltkrieg hat nicht einen der Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft gelöst. Im Gegenteil, er hat sie außerordentlich intensiviert und verschärft und sie damit auf ein höheres Stadium gehoben. … Die Weltwirtschaftskrise hat die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft schwer erschüttert. Selbst ein imperialistischer Leviathan wie die USA hat unter ihren Schlägen gezittert.
Das Dokument betont, dass die Entscheidung des deutschen Kapitalismus, den Faschismus an die Macht zu bringen, eine Verschärfung der internationalen Konterrevolution bedeutet. Die deutsche Bourgeoisie, so argumentieren die Bolschewiki-Leninisten, habe sich entschlossen, alle Zugeständnisse aufzukündigen, die sie nach der verratenen Revolution der deutschen Arbeiter und Matrosen 1918/1919 zu machen gezwungen war.
Ein bedeutender Teil des Dokuments handelt vom Verrat der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und dessen historischen Implikationen. Die Verfasser greifen die KPD scharf an, weil sie Illusionen in vermeintlich „sozialistische“ Elemente im Programm der Nationalsozialisten geschürt habe, weil sie deutsche Arbeiter zunehmend auf die Nazipartei orientiert und den Aufstieg des Faschismus als eine „linke Radikalisierung der Massen“ glorifiziert habe, während sie sich gleichzeitig strikt einer Einheitsfront mit Arbeitern der Sozialdemokratischen Partei widersetzt hat. So heißt es:
Der fehlende Widerstand der Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands gegen den faschistischen Staatsstreich ist nur das entscheidende und letzte Glied in der Kette von Verrätereien der Weltrevolution, die der Stalinismus seit Längerem in den letzten Jahren begangen hat. Dieser Verrat der internationalen Revolution … wird in die Geschichte an der Seite des [Verrats vom] 14. August 1914 eingehen, [als die Sozialdemokratie den Kriegskrediten der deutschen Regierung zustimmte.]
…Mit ihrer Ablehnung der internationalen permanenten Revolution nährt sie [die Bürokratie] die Konterrevolution. Die Bürokratie der UdSSR hat ständig der Reaktion der Welt den Weg gebahnt, um die kommunistische Bewegung zu zerstören. Die UdSSR isoliert sich selbst vom Weltproletariat genauso wie sie Letzteres vom Proletariat der UdSSR isoliert.
Die Bolschewiki-Leninisten beließen es nicht bei ihrer Kritik an der Politik der KPD. Sie schlugen auch eine Alternative vor: indem sie die Analysen und Erklärungen zusammenfassten, die von der Linken Opposition, insbesondere von Trotzki selbst, seit etlichen Jahren zur Lage in Deutschland veröffentlicht worden waren. Dann zeigten sie mit klaren, unmissverständlichen Worten auf, was die richtige Politik gewesen wäre, mit der die Komintern, hätte sie diese angewandt, die Situation noch herumreißen und das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeiterklasse verschieben hätte können:
Im Licht der wachsenden Gefahr einer faschistischen Machtübernahme wäre die revolutionäre Führung verpflichtet:
• Tagein, tagaus die antifaschistische Front der Arbeiterklasse zu stärken;
• Sorgfältig einen Generalstreik vorzubereiten, der im Fall eines faschistischen Coups sofort in die Tat umzusetzen wäre;
• Sorgfältig alles nur Mögliche vorzubereiten, um die Arbeiter für den Moment eines k[onter]revolutionären Angriffs zu bewaffnen;
• Die besten Kräfte der kommunistischen Weltbewegung zu mobilisieren, um dem deutschen Proletariat zu helfen;
• Die Rote Armee der UdSSR zu mobilisieren, um sie der deutschen Arbeiterklasse für einen antifaschistischen Gegenschlag zu Hilfe zu schicken;
• Offen und mutig der proletarischen Öffentlichkeit in Deutschland zu erklären, dass sie in ihrem heroischen Kampf gegen den Faschismus nicht allein steht, dass das Proletariat der UdSSR ihr helfen wird, die K[onter]revolution mit allen dem Land [zur Verfügung stehenden] Mitteln einschließlich der bewaffneten Streitkräfte zu zerschlagen. Letztere diese haben ja, jederzeit bereit zur Mobilisierung, nur gewartet auf diesen historischen Moment, wo das russische Proletariat seine Pflicht gegenüber seinen deutschen Brüdern mit der gleichen Entschiedenheit erfüllen kann, wie sie es das deutsche Proletariat 1918 gegenüber Russland erfüllt hat.
Da der internationale Stalinismus nicht einmal versucht habe, diese „elementaren internationalen revolutionären Verpflichtungen“ zu erfüllen, habe er, erklärten die Bolschewiki-Leninisten, „diese gewaltige Niederlage des Weltproletariats vorbereitet und ermöglicht. Auf diese Weise hat er selbst den Verrat der Revolution vollendet. Auf diese Weise ist die Komintern zum linken Flügel, und Anhängsel der Sozialdemokratie verkommen, und hat sich damit selbst aus der Liste revolutionärer Faktoren gestrichen.“ [Hervorhebung im Original]
Das Dokument fasst unmissverständlich die Gefahren zusammen, vor denen die Arbeiterklasse stand. „Ihre inneren und äußeren Widersprüche werden die faschistische Regierung in Deutschland auf den Kurs der äußeren Aggression treiben und aus historischer Notwendigkeit in den Krieg gegen die UdSSR. Einzig und allein durch Krieg kann sich die Konterrevolution auf längere Sicht an der Macht halten.“
Das Naziregime werde aber nicht Jahrzehnte dauern, sondern nur Jahre, sagten die Bolschewiki-Leninisten voraus. Die Arbeiterklasse werde wieder revolutionäre Kämpfe aufnehmen, auch in Deutschland:
Die deutsche Arbeiterklasse stellt die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Wir leben in einer Epoche von Kriegen und Revolutionen, in der die politischen Erfahrungen der Massen rasch wachsen, in der alle Prozesse des politischen Lebens sich in siebenfacher Geschwindigkeit entwickeln, in der die Klassen nicht für eine lange Zeit in einem Stadium der Verwirrung oder Passivität verharren können, ganz gleich wie grausam die Niederlagen waren, die sie erlitten hatten.
Am Ende des Dokuments heben die Verfasser nochmals hervor, was sie als ihre Aufgabe sehen:
Die Weltrevolution tritt in eine ihrer dramatischsten Phasen ein. Dies den Arbeitern der ganzen Welt zu erklären, sie zu mobilisieren, sicherzustellen, dass sie die Gründe verstehen, die zu dieser Phase geführt haben; sie davon zu überzeugen, dass unter dem stalinistischen Regime der Sieg des Proletariats in Russland unmöglich ist, dass er aber auch in Europa erschwert worden ist; dass der internationale Stalinismus eines der entscheidenden Hindernisse ist, das die Arbeiterklasse zerschlagen muss, um die gewaltige Flut der weltweiten Reaktion zu überwinden – das ist unsere Hauptaufgabe!
Und wir sind verpflichtet, diese Aufgabe unter Ausnutzung aller uns zur Verfügung stehenden Mittel und Wege zu erfüllen.
Diese Thesen wurden von 30 inhaftierten Trotzkisten unterschrieben, darunter Dingelstedt F., Kariakin M., Papirmeister P., Schinberg B., Nowikow P., Abramskij A., Portnoi M., Bodrow M., Papirmeister Ya., Feldman, Newelson M., Kessel, Borzenko, Blokh, Kugelew, Kozhewnikow N., Zaraikin, Papirmeister S., Eltsin W. B., Danilowich L., Chugaew K., Brontman, Waschakidze, Gogelaschwili, Topurija, Efremow, Schiptalnik, Sasorow, Cholmenkin, Schwyrow.
Das Dokument ist in jeder Hinsicht einzigartig. Abgeschnitten von der internationalen Opposition und im Gefängnis lieferten die sowjetischen Trotzkisten eine Analyse, die in allen entscheidenden Punkten mit der Trotzkis übereinstimmte, aber noch Aspekte hervorhob, die für die historische Einschätzung von 1933 wichtig sind. Sie riefen noch nicht zur Gründung der Vierten Internationale auf – Trotzki selbst hat dies auch erst später im Jahr 1933 getan –, doch es steht außer Frage, dass diesem Dokument nach zu urteilen die führenden sowjetischen Trotzkisten den Aufbau der Vierten Internationale unterstützt und dazu beigetragen hätten. Darüberhinaus hätte die Verbreitung derartiger Dokumente in Europa und besonders in Deutschland inmitten des vollständigen Zusammenbruchs der alten Arbeiterparteien einen enormen Einfluss auf das Bewusstsein von Tausenden, wenn nicht Millionen von Arbeitern gehabt.
Die bisher veröffentlichten Dokumente machen nur etwa ein Zehntel dessen aus, was gefunden worden ist. Unter den entdeckten Dokumenten befinden sich etliche Notizbücher mit dem gemeinsamen Titel: „Die Krise der Revolution und die Aufgaben des Proletariats“. Andere Dokumente tragen Titel wie: „Eine vereinte oder zweideutige Revolution?“. Zu den Diskussionen über die permanente Revolution: „Die Theorie der permanenten Revolution und die theoretischen Grundlagen der leninistischen Opposition und der stalinistische National-Sozialismus“, „Grundfragen der Ökonomie und der Politik in der Übergangsperiode“, „Thesen zu Wirtschaftspolitik (zur allgemeinen und gemeinsamen Diskussion)“.
Diese Dokumente unterstreichen, illustrieren und in gewisser Hinsicht konkretisieren das Ausmaß des historischen Verbrechens, das die stalinistische Bürokratie verübt hat, indem sie diese Kader zuerst vom sowjetischen und internationalen Proletariat isoliert und dann in dem politischen Genozid des Großen Terrors ermordet hat. Gerade weil die stalinistische Bürokratie erkannt hatte, dass die politische Linie der Linken Opposition mit den lebendigen Erfahrungen der internationalen Arbeiterklasse zusammenkam und sie deren historische und politische Aufgaben klar formulierte, unterdrückte sie diese mit einer in der Geschichte beispiellosen Grausamkeit.
1933 begannen die Transporte der Oppositionellen in Arbeitslager, und Ende 1936 befanden sich buchstäblich alle an den beiden fürchterlichsten Orten – den Lagern von Kolyma in Ostsibirien und den Lagern von Workuta nahe dem Polarkreis im äußersten Norden des Ural.
Hier starben viele an Hunger, Krankheiten oder Zwangsarbeit oder sie wurden hingerichtet. Den Einfluss fürchtend, den die trotzkistische Bewegung bei einem Wiederaufflammen des Klassenkampfs international gewinnen würde, ging die stalinistische Bürokratie dazu über, ihre Unterdrückung zu verschärfen: sie entfesselte den Großen Terror, in dem nicht weniger als 20.000 bis 30.000 sowjetische Trotzkisten und Hundertausende oder gar Millionen Kommunisten und sozialistische Intellektuelle ermordet wurden. So gut wie alle aus dem politischen Kerker von Werchneuralsk befanden sich unter den Ermordeten.
Zweifellos hätte der von Stalin zerschlagene Kader eine wichtige Rolle in den revolutionären Bewegungen gegen den Faschismus gespielt, die in der europäischen Arbeiterklasse am Vorabend des Zweiten Weltkriegs und Anfang der 1940er Jahre entstanden. Der massive Terror des Stalinismus gegen die Trotzkisten und die kommunistische Bewegung, zu dem dann noch die grauenvolle mörderische Raserei des Nationalsozialismus kam, schuf die Bedingungen, unter denen diese Bewegungen der Arbeiterklasse politisch manipuliert und unter die Kontrolle des Stalinismus gebracht werden konnten.
Diese Dokumente sind ein eindrucksvolles Zeugnis des Kampfs der Trotzkisten gegen die konterrevolutionäre stalinistische Bürokratie. Ihre Analyse wurde in jeder Hinsicht von den Ereignissen bestätigt. Niemand, der diese Dokumente gelesen hat, kann noch behaupten, die Linke Opposition in der Sowjetunion sei eine unbedeutende politische Kraft gewesen. Jede Zeile dieser Dokumente ist von revolutionärem Optimismus erfüllt, von Beharrlichkeit und Weitsicht, von einem Geist stolzen, gestählten Kampfwillens.
Die trotzkistische Bewegung war und blieb immer, wie die Bolschewiki-Leninisten betonten, vor allem eine internationale Tendenz. Das ist der Grund, weshalb sie als politische Kraft nicht besiegt und zerstört werden konnte, weder durch die Verbrechen Stalins, auch wenn diese noch so schrecklich waren, noch durch die außerordentlichen Verluste, die sie erleiden musste.
Die Vierte Internationale wurde 1938 in Paris inmitten der größten Welle des konterrevolutionären Terrors in der Weltgeschichte gegründet. Das war, wie David North es in Die Russische Revolution und das unvollendete zwanzigste Jahrhundert formulierte, Trotzkis Sieg über Stalin. Letztlich waren es die stalinistischen Bürokratien, ihre Massenparteien und ihr Apparat, die 1989 bis 1991 unrühmlich zusammenbrachen, während die trotzkistische Bewegung, das Internationale Komitee der Vierten Internationale daranging, die heute meistgelesene sozialistische Website im Internet, die World Socialist WebSite aufzubauen.
Es ist bemerkenswert, dass die Entdeckung dieser Dokumente in den russischem Medien ausführlich behandelt wurde. Wichtige Zeitungen wie die führende Wirtschaftstageszeitung Kommersant und die Komsomol’skaia Prawda berichteten darüber. Kommersant, eine der meistgelesenen Zeitungen in Russland – 2013 hatte sie eine Tagesauflage zwischen 120.000 und 130.000 Exemplaren –, veröffentlichte in ihrer Online-Ausgabe zwei der Dokumente in vollem Umfang und interviewte eine Reihe von Historikern darüber.
In der russischen Gesellschaft gibt es ein starkes Gespür dafür, dass dieses historische Material und die Fragen, die es aufwirft, wichtig sind, und zwar nicht einfach nur für Archivare, sondern im Hinblick auf die heutige politische Situation. Hunderte und Tausende, wenn nicht Zehntausende Menschen in Russland werden die Dokumente jetzt schon gelesen haben. Und viele von ihnen werden beeindruckt sein von der politischen Klarheit und Schärfe der Trotzkisten, von ihrem geschichtlichen Verständnis und Weitblick.
Wir fordern die Leser dieser Dokumente auf, Kontakt mit der World Socialist Web Site aufzunehmen und diese Fragen mit uns zu diskutieren. Allein das Internationale Komitee der Vierten Internationale steht in der Kontinuität des heroischen Kampfs der sowjetischen und internationalen Linken Opposition. Es hat jahrzehntelang die trotzkistischen Perspektiven des internationalen Sozialismus und die Analyse der konterrevolutionären Rolle des Stalinismus verteidigt, die diese Dokumente so eindrucksvoll aufzeigen.
In diesem Jahr veröffentlichte das IKVI die russische Übersetzung von David Norths Verteidigung Leo Trotzkis, ein Buch, das ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der grundlegenden historischen und politischen Fragen ist, die mit dem Verrat der Oktoberrevolution durch die Stalinisten und dem Kampf des Trotzkismus gegen die postsowjetische Schule der historischen Fälschungen verbunden sind.
Kauft dieses Buch und helft uns, es so weit wie möglich zu verbreiten. Nehmt Kontakt mit uns auf, wenn Ihr daran interessiert seid, mit uns auf prinzipielle Weise an diesen historischen Fragen zu arbeiten.