Ich bin dein Bub – aber wenn mir dann Hören und Sehen vergeht – wo ist dann dein Bub?
(Der Rosenkavalier, Richard Strauss, Libretto von Hugo von Hofmannsthal)
Die neueste Episode im #MeToo-Drama entfaltete sich Mitte August, als bekannt wurde, dass die italienische Schauspielerin Asia Argento, ein mutmaßliches Opfer des Produzenten Harvey Weinstein, einem jungen Mann Schweigegeld bezahlt haben soll. Dieser beschuldigt sie des sexuellen Missbrauchs.
Die New York Times berichtete: „In den Monaten nach ihren Enthüllungen über Mr. Weinstein im vergangenen Oktober schaffte Frau Argento es in aller Stille, ihrem eigenen Ankläger $380.000 zu zahlen. Jimmy Bennett, ein junger Schauspieler und Rockmusiker, behauptet, sie habe sich Jahre zuvor in einem kalifornischen Hotelzimmer sexuell an ihm vergriffen, als er erst 17 Jahre und zwei Monate alt war. Sie war 37. Das Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr in Kalifornien ist 18 Jahre.“
Bennett hatte zusammen mit Argento in The Heart Is Deceitful Above All Things (2004) mitgewirkt. Die Schauspielerin führte bei dem Film auch Regie und schrieb am Drehbuch mit. In der Zeitschrift People wird berichtet: „Nachdem der Film herausgekommen war, blieben sie offenbar eng verbunden und bezeichneten ihre Beziehung in den sozialen Medien wiederholt als die von ‚Mama‘ und ‚Sohn‘ in allen Varianten.“
Die Times schreibt: „Für Mr. Bennett (…) war die Begegnung im Hotelzimmer von 2013 ein Vertrauensbruch, der eine Spirale emotionaler Probleme auslöste. So wurde es ausgedrückt. (…) Die Nebenwirkungen einer ‚sexuellen Belästigung‘ waren offenbar so traumatisch, dass sie Mr. Bennett bei seiner Arbeit und seinem Einkommen behinderten und seine psychische Gesundheit beeinträchtigten. So steht es in einer Absichtserklärung für eine Anklage, die sein Anwalt im November [2017] einreichte (…)“ Der Anwalt habe 3,5 Millionen Dollar Schadenersatz verlangt, „für die absichtliche Zufügung von seelischer Belastung, Lohnausfall, Tätlichkeit und sexueller Belästigung“.
Der verstorbene Anthony Bourdain, ein prominenter Fernsehkoch und Freund von Asia Argento, half offenbar, die Affäre mithilfe von Anwälten „runterzukochen“. Am Ende stimmte Argento zu, Bennett über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren 380.000 Dollar zu zahlen. Eine erste Zahlung erfolgte im April.
Bennetts Anwalt stellte in einer außergerichtlichen Vorvereinbarung fest, es sei für den jungen Mann, so die Times, „eine Zumutung, wenn er heute sieht, wie Frau Argento sich als Opfer sexueller Übergriffe präsentiert (…) Das hat in ihm die Erinnerung an ihr Hoteltreffen wieder wachgerufen. Als Frau Argento als eins der vielen Opfer von Harvey Weinstein ins Rampenlicht trat, durchlitt Bennett erneut die Gefühle, die aus dieser Begegnung entstanden sind.“
Bennetts Vorwürfe wirken eher kühl kalkuliert und von Geldgier geprägt. Die Begegnung mit Argento mag vielfältiger Art gewesen sein, aber sie eignet sich offenbar weder zu einer moralischen Verurteilung noch für ein Strafverfahren. Argento ihrerseits bestreitet jede sexuelle Beziehung zu dem jungen Schauspieler und Musiker. In ihrem Tweet, in dem sie sich selbst als „tief schockiert und verletzt“ darstellt, schreibt die Schauspielerin, dass Bennett nach einigen Jahren der Freundschaft mit ihr „unerwartet eine exorbitante Bitte um Geld an sie gerichtet“ habe. Argento behauptet, dass Bourdain, der jede „mögliche negative Publicity“ habe vermeiden wollen und Bennett auch als „gefährlich“ eingeschätzt habe, „sich persönlich verpflichtet hat, Bennett wirtschaftlich zu helfen“.
Argento, die Tochter des talentierten italienischen Horrorfim-Regisseurs Dario Argento, hat eine bedauerliche Rolle in der #MeToo-Kampagne gespielt. Ihre Behauptungen, Weinstein habe sie 1997 während des Filmfestivals in Cannes belästigt, wurden im Oktober 2017 von Ronan Farrows Magazin The New Yorker prominent aufgegriffen, was zum Start der #MeToo-Hexenjagd beitrug. Demselben Magazin gegenüber hatte Argento eingeräumt, „dass sie schließlich Weinsteins weiteren Avancen nachgab und ihm sogar nahekam. Weinstein pflegte mit ihr zu speisen und stellte sie seiner Mutter vor (…) Wie sie sagte, habe sie im Laufe der nächsten fünf Jahre mehrmals mit ihm einvernehmlichen sexuellen Verkehr gehabt.“
Seit dem Erscheinen des Artikels im New Yorker hat Argento die Hysterie zum sexuellen Missbrauch und die Angriffe gegen ordentliche Gerichtsverfahren und gegen grundlegende demokratische Rechte vorangetrieben. In Cannes behauptete sie noch im Mai dieses Jahres bei der Preisverleihung für die beste Schauspielerin, sie sei von Harvey Weinstein vergewaltigt worden. Die Schauspielerin fuhr fort: „Auch heute Abend sitzen Leute unter uns, die für ihr Verhalten gegenüber Frauen Rechenschaft ablegen müssen. Aber das Wichtigste ist: Wir wissen, wer Sie sind, und wir werden Sie nicht verschonen.“ Diese Art und Weise, vage und unbewiesene Behauptungen aufzustellen und im Stil von McCarthy zu drohen, riecht nach Rachsucht und stellt den Versuch einer Einschüchterung dar.
Verständlicherweise kommentierte Weinsteins Anwalt Benjamin Brafman die Times-Enthüllungen über die Zahlung an Bennett als „Heuchelei, die schon erstaunlich ist“. Er schreibt: „Genau zu der Zeit, als Argento eine stillschweigende Einigung im Fall des angeblichen sexuellen Missbrauchs eines Minderjährigen anstrebte, stellte sie sich an die Spitze der Treibjagd gegen Mr. Weinstein, obwohl die sexuelle Beziehung, die sie mit ihm gehabt hatte, ein einvernehmliches Verhältnis zweier erwachsener Menschen war und über vier Jahre andauerte.“
Ein Anwalt hat die Aufgabe, für seinen Mandanten das Beste herauszuholen. Dennoch ist diese Stellungnahme natürlich kaum befriedigend oder angemessen.
Hier geht es nicht vorrangig um „Heuchelei“. Obwohl die italienische Schauspielerin sozusagen an ihrem eigenen Maß gemessen wird, ist das, was von beiden Seiten in der Argento-Affäre aufkommt, bezeichnend für das schmutzige und unehrliche Wesen der gesamten #MeToo-Bewegung. Das gilt sowohl für ihr eigenes Narrativ mit den unbegründeten Anschuldigungen, als auch für die eher grotesken Behauptungen gegen sie.
Wir haben nichts mit Argento und ihren Ansichten gemein, aber es ist nicht schwer zu erkennen, dass diese ganze Angelegenheit sich für sie ins Tragische wendet. Auf der Grundlage von vermutlich schlechten Ratschlägen anderer Leute und eigener Fehlentscheidungen wurde sie unwiderstehlich in die #MeToo-Kampagne hineingezogen. Schließlich trat sie sogar als eine ihrer Wortführerinnen auf.
Inzwischen hat sie ihren Freund Bourdain durch Selbstmord verloren (und es ist nicht undenkbar, dass die Bennett-Angelegenheit für den Ausbruch seiner tiefen Depression eine Rolle spielte). Jetzt steht sie selbst auf der Abschussliste. Nach der Bennett-Geschichte heißt es im Hollywood Reporter: "Sky Italia und FreemantleMedia Italia, die Produzenten des Song-Wettbewerbs ‚X Factor Italy‘, in dessen Jury Argento sitzt, haben eine Erklärung veröffentlicht des Wortlauts: ‚Sollte die Times-Story bestätigt werden, dann hätte die Show keine andere Wahl, als die Verbindung zu Argento abzubrechen‘.“
Gleichzeitig sagte eine Sprecherin des Los Angeles County Sheriff's Department der AFP, zwar laufe keine „öffentliche Untersuchung“ über die Behauptung von sexuellem Missbrauch gegen Argento; allerdings würden „Ermittlungen durchgeführt“.
Und wie selbstverständlich haben die Times und andere Medien kein Problem damit, jetzt über Argento herzufallen.
Der Telegraph in Großbritannien verweist in einer Schlagzeile auf Argentos „Aufstieg und Niedergang“. Eine Yahoo! Lifestyle-Schlagzeile zu den Vorwürfen gegen Asia Argento lautet: „Wenn das mutmaßliche Opfer zum mutmaßlichen Täter wird“.
Mehrere ehemalige Verbündete haben keine Zeit verschwendet und sie umgehend für tot erklärt. Die „intersektionelle feministische Schriftstellerin“ Lara Witt möchte ihre Leserinnen wissen lassen, warum es wichtig sei, „dass wir Asia Argento zur Verantwortung ziehen“. Sie verweist auf die von Bennett und seinen Anwälten dokumentierten „verabscheuungswürdigen Ereignisse“ und unterstellt, dass die Mutter-Sohn-Beziehung zwischen Argento und Bennett in ihrem Film von 2004 „durch grotesken Missbrauch auf die Spitze getrieben wurde“. Newsweek blökt dazu laut vernehmbar: „Amber Tamblyn knallt die Tür vor Asia Argento zu: ‚Schützt alle Körper. Nicht nur euren eigenen‘.“ (Amber Tamblyn ist eine Schauspielerin und #MeToo-Fanatikerin.)
Auf Twitter distanzierte sich die Weinstein-Mitanklägerin Rose McGowan und bemerkte, sie habe Asia Argento erst vor zehn Monaten kennen gelernt. Anscheinend bezog sie sich auf Bennetts Behauptungen und fuhr fort: „Mein Herz ist gebrochen. Ich werde meine Arbeit für die Opfer überall fortsetzen.“
Später jedoch twitterte McGowan: „Keiner von uns kennt in dieser Situation die Wahrheit, und ich bin sicher, dass noch mehr rauskommen wird. Bleibt einfühlsam.“ Das ist in Bezug auf Vorwürfe der sexuellen Belästigung und des Missbrauchs ein legitimer Ratschlag, den die Schauspielerin selbst jedoch bisher noch auf niemanden angewandt hatte. Auf jeden Fall löste McGowans Vorsichtshinweis eine Flut von Anschuldigungen aus, sie spiele nun die Heuchlerin. „Wenn es hier um ein Teenager-Mädchen und um einen Mann in den 30ern gegangen wäre, hättest du das auch gesagt?“ fragte eine Twitter-Followerin. Eine andere schrieb: „Ich dachte, wir sollten ‚zuhören und nicht zweifeln‘. Gilt das nur, wenn der Angeklagte kein Freund von dir ist?“
Die Bennett-Argento-Episode und ihre schmutzige, explosionsartige Verbreitung in den Medien, die peinlich darauf bedacht sind, jedes anzügliche Detail auszuschlachten, entlarven das abscheuliche und zerstörerische Wesen der gesamten Hexenjagd. Das zeigen auch die Schwüre verschiedener #MeToo-Kämpfer, „trotzdem“ weiterzumachen.
Wie wir schon früher erklärt haben, wird der notwendige Schutz der Frauen vor Übergriffen am Arbeitsplatz missbraucht, um jede Art sexueller Verhaltensweise zu kriminalisieren. Auch ohne dass es Beweise für die behaupteten Verbrechen gibt, wird strenge Bestrafung gefordert. Dadurch wird die Atmosphäre vergiftet, und Mobbing und Unterdrückung breiten sich aus.
Wir haben diesem Artikel ein Zitat aus dem Rosenkavalier vorangestellt. Es stammt aus dem ersten Akt der komischen Oper von Richard Strauss nach einem Libretto des Romanciers und Dichters Hugo von Hofmannsthal. Wenn sich der Vorhang öffnet, fällt der Blick auf ein Bett, auf dem sich kurz vor Tagesanbruch zwei Menschen räkeln. Es ist Maria Theresa Fürstin Werdenberg, genannt die „Marschallin“, und ihr 17-jähriger Liebhaber, Octavian Graf Rofrano. Müsste nicht dieses häufig gespielte und beliebte Opus wegen seiner „abscheulichen“ und „grotesken“ Anspielungen aus dem Repertoire verbannt werden?
Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass es damals, im Jahr 2013, zwischen Bennett und Argento emotionalen Missbrauch gab, scheint dies doch nicht die am nächsten liegende Variante zu sein.
Wie wir uns schon mehrfach festzustellen genötigt sahen, ist die menschliche Sexualität ziemlich komplexer Natur. Neopuritanische Empörung ist nicht nur unangebracht, sie ist auch unehrlich. Jedenfalls gibt es zwar viele Leute in der oberen Mittelschicht, die wirklich glauben, dass die Auferlegung und strikte Durchsetzung ihres eigenen Moralkodex‘ das „Beste für alle“ wäre. Aber die Hintermänner hinter dieser Kampagne funktionieren nicht so. Sie haben andere Ziele.
Die Kräfte, die die #MeToo-Kampagne steuerten, bedienten sich der Labilität, des Subjektivismus‘ und der Bitterkeit einer Gruppe von Hollywood-Schauspielerinnen, um ihre eigene Gender-Politik zu fördern und wirksam umzusetzen. Zu diesen Kräften gehörten die New York Times, der New Yorker und Ronan Farrow, die Clinton-Wahlkampfleitung, ex-Obama-Beamte wie Tina Tchen (laut Bloomberg Businessweek die „am besten vernetzte Person, die aktuell zu Frauenrechten arbeitet“), sowie führende Kreise der Demokratischen Partei.
Ihnen allen war der wachsende Zorn der Bevölkerung in die Glieder gefahren, als die öffentliche Wut über soziale Ungleichheit, endlose Kriege und die dreiste Kriminalität der Trump-Regierung immer größer wurde. Also spielten diese Kräfte ihren ideologisch-propagandistischen Einfluss aus, um den öffentlichen Zorn in reaktionäre und weniger gefährliche Kanäle zu lenken. Sie schürten die Epidemie über sexuellen Missbrauch etc. und leiteten sie auf die Mühlen der antirussischen Raserei und der „Fake news“-Kampagne im Internet.
Wie das Argento-Beispiel zeigt, haben sie auf prinzipienlosem und schwachem Fundament, ja auf Treibsand gebaut. Dem Flügel des amerikanischen Establishments, der sich auf Identitätspolitik spezialisiert, ist Argentos Schicksal gleichgültig. Wenn sie unter die Räder gerät, berührt das diese Leute ebenso wenig wie bei all den Männern, die zuvor schon beschuldigt worden sind. Tatsächlich tragen auch die neueren Enthüllungen nur dazu bei, die antidemokratische Kampagne zu verschärfen und noch brutaler und unerbittlicher voranzutreiben.