Im besetzten Hambacher Forst bei Köln kam es gestern zu einem Todesfall, als ein Journalist durch eine Hängebrücke zwischen zwei Baumhäusern brach und 15 Meter in die Tiefe stürzte. Der 33-jährige Blogger verstarb noch am Unfallort, die Rettungskräfte hatten vergeblich versucht, ihn zu reanimieren.
Das Aktionsbündnis „Hambi bleibt“, das die Besetzung des Waldes koordiniert, forderte das sofortige Ende der polizeilichen Räumung. „Wir fordern die Polizei und RWE auf, den Wald sofort zu verlassen und diesen gefährlichen Einsatz zu stoppen. Es dürfen keine weiteren Menschenleben gefährdet werden“, hieß es in einer ersten Stellungnahme.
Tatsächlich ist das brutale Vorgehen der Polizei lebensgefährlich. Seit dem 6. September räumt sie den verbliebenen Teil des 12.000 Jahre alten Waldes, den einige Dutzend Aktivisten vor der Rodung zu bewahren versuchen. Am Sonntag versammelten sich dort etwa 8000 Menschen zu einem „Waldspaziergang“, um gegen die Rodung und den rücksichtslosen Polizeieinsatz zu demonstrieren.
Seit einer Woche ist ein Großaufgebot von etwa 3000 Polizisten vor Ort, um gegen die überschaubare Zahl von Waldschützern vorzugehen. Ganze Mannschaftszüge dringen in den Wald ein, schlagen Schneisen in den teilweise über 300 Jahre alten Baumbestand und rücken mit Wasserwerfern, Hebebühnen und anderem schweren Gerät vor. Stück für Stück zerstören sie die über fünfzig Baumhäuser und Hütten, welche die Waldschützer in rund sechs Jahren gebaut haben. Der Energiekonzern RWE wird ab dem 14. Oktober mit dem Roden beginnen, um das Gebiet seinem Braunkohletagebau Garzweiler II zuzuschlagen.
Inzwischen sind unter Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken allein seit dem Wochenende mehrere Dutzend Menschen festgenommen worden. Vier Personen, zwei Frauen und zwei Männer, sitzen noch in Untersuchungshaft in Aachen. Ihnen wird hauptsächlich „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ vorgeworfen.
RWE behauptet, die Rodung des Waldes sei notwendig, um die Stromproduktion zu sichern. Schon eine kurzzeitige Aussetzung würde die Arbeit am Tagebau und die Produktion zweier Kraftwerke in Frage stellen, erklärte RWE-Vorstandschef Rolf Martin Schmitz. Das ist glatt gelogen, wie ein Bericht der Deutschen Welle nachweist, der sich u.a. auf Dokumente des Umweltverbandes BUND und Kartenmaterial der RWE stützt. Auch ohne Rodung würde der Nachschub für die RWE-Kraftwerke noch für mehr als drei Jahre ausreichen.
Tatsächlich geht es dem Konzern vor allem darum, Fakten zu schaffen, bevor die „Kohlekommission“ der Bundesregierung noch in diesem Jahr eine Entscheidung über die Zukunft der Braunkohle trifft. Die Regierung ist unter Druck, da sie weit hinter den offiziellen Klimazielen herhinkt, während der Klimawandel durch Dürre, Waldbrände und verheerende Tropenstürme seither für jeden offensichtlich wird. Auch einem Gerichtsurteil will RWE zuvorkommen. Es könnte aufgrund einer erneuten Klage des BUND dazu führen, dass der Hambacher Wald nach EU-Richtlinien schützenswert ist.
Die NRW-Landesregierung von CDU und FDP hat sich klar auf die Seite von RWE gestellt. Es geht ihr jedoch nicht nur darum, die Profitinteressen des Energieriesen durchzusetzen. Sie will vor allem ein Exempel gegen jede Form von linkem und antikapitalistischem Protest statuieren. Während in Chemnitz, Köthen und anderen Städten Neonazis unbehelligt Jagd auf Immigranten machen, mobilisiert die Düsseldorfer Regierung tausende Polizisten, die martialisch gegen friedliche Waldbesetzer vorgehen.
„Die wollen nicht die Bäume retten, sondern unseren Staat abschaffen“, polterte Innenminister Herbert Reul (CDU) gegen die Aktivisten. Deshalb gelte es, „unsere Null-Toleranz-Linie“ durchzusetzen. Ähnliches äußerte Paul Kemen, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Aachen, am Montag im ARD-Morgenmagazin: „Diese Leute behindern das Gewaltmonopol“, erklärte er und behauptete: „Wir dürfen körperliche Gewalt einsetzen. Auch Hilfsmittel wie Schlagstock und Pfefferspray. Das wird uns ausdrücklich zugesprochen.“
Noch Ende August hatte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) behauptet, die Regierung werde sich in den Streit um den Hambacher Forst nicht einmischen. Kurz darauf erklärte NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU), die Hütten und Baumhäuser im Hambacher Forst müssten wegen „mangelndem Brandschutz“ unverzüglich geräumt werden. Daraufhin begann der auch von der oppositionellen SPD-Fraktion unterstützte Polizeieinsatz.
Das Vorgehen der Polizei im Hambacher Forst ist direkter Bestandteil des Aufbau eines Polizeistaats. Wie die Regierungen zahlreicher anderer Länder hat auch die NRW-Landesregierung im Juli ein neues Polizeigesetz vorgelegt. Es hebelt das Recht auf Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit, das Selbstbestimmungsrecht über die eigenen Daten und das Streik- und Versammlungsrecht aus und öffnet polizeilicher Willkür Tür und Tor. Auch in Baden-Württemberg die von den Grünen geführte Regierung schon im November 2017 das Polizeigesetz verschärft, und in Brandenburg, wo SPD und Linkspartei regieren, ist ein verschärftes Polizeigesetz geplant. In Hessen, wo die Grünen als Juniorpartner mit der CDU regieren, wird ebenfalls massiv aufgerüstet: Dort sollen Beamte künftig auch mit Kriegswaffen wie Sturmgewehren auf Streife gehen.
Gegen den nordrhein-westfälischen Gesetzentwurf haben im Juli über 20.000 Menschen in Düsseldorf demonstriert, und der Protest reißt nicht ab. Auch in München demonstrierten 40.000 gegen das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz, in Hannover waren es kürzlich noch einmal etwa 10.000 Menschen.
Die NRW-Landesregierung will ihr Gesetz jedoch noch in diesem Herbst verabschieden. Die SPD-Opposition im Landtag hat ihr dabei ausdrücklich die Zusammenarbeit angeboten.