Der Thyssenkrupp-Konzern beschleunigt seine Angriffe auf die rund 160.000 Beschäftigten. Vorstandschef Guido Kerkhoff kündigte letzten Donnerstag an, mehrere Geschäfte „auf den Prüfstand“ zu stellen, weil sie angeblich nicht wettbewerbsfähig seien. Unmittelbar betroffen sind rund 9300 Beschäftigte, vor allem in Werken aus der Autozuliefersparte sowie im Grobblechwerk in Duisburg-Hüttenheim.
Zum Anlass nahm Kerkhoff die neuesten Quartalszahlen. Zwar gingen im Konzern etwas mehr Aufträge ein als im Vorjahreszeitraum und auch der Umsatz sei leicht gestiegen. In den ersten drei Quartalen sei aber ein Nettoverlust von 207 Millionen Euro zu Buche geschlagen. Für das gesamte Geschäftsjahr erwarte Thyssenkrupp nun einen Gewinn von etwa 800 Millionen Euro – 300 bis 400 Millionen Euro weniger als vorgesehen. Der ehemalige Finanzvorstand Kerkhoff hat damit in seiner bisher einjährigen Amtszeit als Vorstandsvorsitzender die Gewinnprognose zum dritten Mal nach unten korrigiert.
Hintergrund ist vor allem die sinkende Produktion in der Autoindustrie, von der mehrere Sparten des Konzerns abhängig sind. Zudem seien die Preise für Rohstoffe, speziell für Eisenerz, gestiegen. „Globale Handelskonflikte erschweren die Situation zusätzlich“, so Kerkhoff.
Die drei Bereiche Grobblech (800 Beschäftigte), Federn und Stabilisatoren (3600 Beschäftigte) sowie System Engineering (Bau von Produktionsanlagen für die Autoindustrie, 4700 Beschäftigte) „stehen für vier Prozent des Konzernumsatzes, aber für ein Viertel des im laufenden Geschäftsjahr erwarteten negativen Cashflows“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Die Aktie, die derzeit auf dem tiefsten Stand seit 16 Jahren steht, stieg am Donnerstag trotz der schlechten Quartalszahlen, weil Kerkhoff angekündigt hatte, dass im Konzern kein Stein auf dem anderen bleiben werde.
„Entweder gelingt uns jetzt die Sanierung, oder wir werden uns ernsthaft die Frage stellen, ob wir diese Geschäfte sinnvoll im Konzern weiterführen können“, sagte Kerkhoff. Chancen für eine Weiterentwicklung seien vorhanden, „aber nicht notwendigerweise unter dem Dach von Thyssenkrupp“.
Kerkhoff, der als Vorsitzender des Vorstands bis zu 9 Millionen Euro im Jahr kassiert, erklärte: „Was es jedenfalls nicht mehr geben wird, ist, dass Geschäfte ohne klare Perspektive dauerhaft Geld verbrennen und damit Wert vernichten, den andere Bereiche erwirtschaftet haben.“
Die jetzt angekündigten Überprüfungen sind Teil des von Kerkhoff bereits Anfang Mai angekündigten Plans, den Konzern in eine Art Holding umzuwandeln und langfristig zu zerschlagen.
Danach soll der profitabelste Bereich, die Aufzugsparte mit rund 50.000 Mitarbeitern, schon im nächsten Geschäftsjahr (also bis spätestens Oktober 2020) an die Börse gebracht werden. Doch auch ein Verkauf sei möglich, sagte Kerkhoff jetzt – an Konkurrenten wie Kone oder, laut der Nachrichtenagentur Reuters, an Finanzinvestoren wie KKR, Advent oder CVC.
Für die kommenden drei Jahre hatte Kerkhoff den Abbau von 6000 Arbeitsplätzen angekündigt, davon 4000 in Deutschland, 2000 im Stahlbereich. Die Verwaltungskosten in der Essener Konzernzentrale sollen von derzeit 380 Millionen Euro schon im nächsten Jahr fast halbiert werden.
Zwar behauptete Kerkhoff nun, die Stahlproduktion und den Werkstoffhandel zum Kerngeschäft zu machen. Doch genau diese Sparten sind derzeit für die Verluste verantwortlich. So hatten allein die Stahlwerke in den ersten drei Quartalen des Vorjahres ein Betriebsergebnis von 597 Millionen Euro erzielt, nun ist im gleichen Zeitraum des laufenden Geschäftsjahrs ein Minus von 75 Millionen Euro aufgelaufen.
Eben weil das Stahlgeschäft stark schwanken kann, wollte es Thyssenkrupp ursprünglich zu einem Gemeinschaftsunternehmen mit dem Konkurrenten Tata Steel fusionieren. Doch dies scheiterte schließlich an Wettbewerbsbedenken der EU-Kommission.
Die dann im Mai verkündeten Abbau-Pläne gehen direkt auf die Hedgefonds zurück, die sich in den letzten Jahren bei Thyssenkrupp eingekauft haben. Die Finanzgeier warten sehnsüchtig darauf, den Konzern auszuschlachten.
Die zentrale Rolle, alle Angriffe gegen die Thyssenkrupp-Arbeiter durchzusetzen, spielen die IG Metall und ihre Betriebsräte. Sie stellen mit zehn Vertretern die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder und arbeiten seit Jahren hinter dem Rücken der Belegschaft eng mit dem Vorstand und den Kapitaleignern zusammen.
Bereits die Fusion mit Tata und die geplante Zweiteilung des Konzerns – inzwischen beides überholt – hatten IG Metall und Betriebsrat gemeinsam mit den Investoren ausgearbeitet. Eine Schlüsselrolle spielt dabei IG-Metall-Sekretär Markus Grolms, der stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssenkrupp ist. Er arbeitet eng mit dem ehemaligen NRW-Bezirksleiter der IG Metall, Oliver Burkhard, zusammen, der 2013 direkt aus der Chefetage der Gewerkschaft in den Vorstand des Konzerns wechselte, wo er als Personalvorstand bis zu 4,5 Millionen Euro im Jahr erhält.
Auch die im Mai verkündete neue Strategie von Thyssenkrupp, deren Auswirkungen jetzt klarer werden, trägt die Handschrift der IG Metall. Wie so oft nutzte die IG Metall das altbekannte Spiel um „betriebsbedingte Kündigungen“, um den Arbeitsplatzabbau zu rechtfertigen.
Kaum hatte Kerkhoff den Abbau von 6000 Arbeitsplätzen bekannt gegeben, verkündete Personalvorstand Burkhard, bei einem Abbauprogramm dieser Größenordnung könnten betriebsbedingte Kündigungen leider nicht ausgeschlossen werden. Die IG Metall protestierte, sie werde betriebsbedingte Kündigungen niemals akzeptieren. Am folgenden Tag erklärten dann Vorstand, IG Metall und Betriebsrat, sie hätten vereinbart, dass betriebsbedingte Kündigungen „nur in Ausnahmefällen“ möglich seien.
Nun führen die gewerkschaftlichen Laienschauspieler ihr Stück erneut auf. Betriebsbedingte Kündigungen wolle der Konzern vermeiden, sie seien aber „als letztes Mittel“ möglich, sagte Kerkhoff letzte Woche. Die Betriebsräte gaben sich empört. Dabei hat es bei ThyssenKrupp-Stahl seit Jahrzehnten keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben. Trotzdem sind Tausende Arbeitsplätze vernichtet worden.
„Verhinderung von betriebsbedingten Kündigungen“ ist die Formel, mit der Betriebsräte, Gewerkschaften und Konzerne inzwischen seit Jahrzehnten Arbeitsplätze abbauen, angefangen vor 30 Jahren bei der scheibchenweisen Schließung des Krupp-Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen bis hin zur Schließung des Opel-Werks 2014 in Bochum und, ein Jahr später, des benachbarten Werks des finnischen Edelstahlkonzerns Outokumpu (früher ThyssenKrupp).
Wenn die Arbeiter der IG Metall und ihren Betriebsräten nicht in den Arm fallen, wird dieses Schicksal auch die traditionsreichen Thyssenkrupp-Stahlwerke an Rhein und Ruhr treffen.
Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Stahlsparte Tekin Nasikkol, der noch im Mai den Vorstand bat, „gemeinsam an einer Zukunftsstrategie Stahl [zu] arbeiten“, gab sich jetzt, da diese Strategie Gestalt annimmt, empört. Er wolle verhindern, dass der Standort Duisburg-Hüttenheim mit derzeit nur noch rund 800 Arbeitsplätzen ein „Bauernopfer“ im Konzern werde. Es sei falsch, den Standort Hüttenheim, wo unter anderem Stahlbleche für den Bau, Schiffe und Pipelines hergestellt werden, infrage zu stellen. „Das Produkt Grobblech hat Zukunft.“
In Wirklichkeit steht der Standort schon lange infrage, und Nasikkol weiß das. Im „Tarifvertrag Zukunft“, der die Fusion mit Tata Steel regeln sollte, hatte der Betriebsrat eine Standort- und Beschäftigungssicherung für neun Jahre vereinbart. Wegen der Kündigungsfristen de fakto sogar für zehn Jahre, tönte noch vor gut anderthalb Jahren Nasikkols Vorgänger als Gesamtbetriebsratsvorsitzender, Günter Back. Doch selbst in diesem Vertrag galt diese Standortsicherung nicht für das Werk im Duisburger Süden. Für Hüttenheim galt eine Frist bis Ende 2021.
Nun erklärte Nasikkol: „Die Kolleginnen und Kollegen an allen Standorten sind verunsichert, aber dennoch immer bereit, zusammen mit der IG Metall für ihre Zukunft und sichere Arbeitsplätze zu kämpfen.“
Aber die Arbeiter stehen vor dem Problem, dass die IG Metall eben nicht für ihre Zukunft und Arbeitsplätze kämpft. Im Gegenteil: Sie hat sich voll und ganz den Profitinteressen der Aktienbesitzer verschrieben – der Hedgefonds, Banken, Schwerreichen.
So kündigte der Betriebsratsvorsitzende des Hüttenheimer Werks, Mehmet Göktas, an, dass „mit etwas Zeit, wenig Geld und fähigen Managern der Grobblechbereich wieder in den grünen Bereich kommen könnte“. Der Markt sei „lukrativ“, fuhr Göktas fort, „sonst würden unsere Wettbewerber darin nicht investieren“.
Noch am Freitag hatten sich die Betriebsratsvorsitzenden von zwölf Standorten der Thyssenkrupp-Stahlsparte über das weitere Vorgehen beraten. Sie wollen nun einen „Projektplan“ erarbeiten und diesen zeitnah dem Vorstand vorstellen, „um endlich wieder Perspektiven aufzuzeigen“.
„Der Vorstand ist gefordert“, sagte Nasikkol. „Wir erwarten nach dem abgesagten Joint Venture mit Tata Steel ein neues Zukunftskonzept für den gesamten Stahlbereich mit dem Produkt Grobblech.“ Es ist offensichtlich: Nasikkol und seine Betriebsratskameraden bereiten den nächsten Ausverkauf vor.
Die Sozialistische Gleichheitspartei und die World Socialist Website fordern die Stahlarbeiter auf, den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen. Dazu sind als erstes neue Kampforganisationen und der Aufbau von Aktionskomitees notwendig, die von den Arbeitern selbst kontrolliert werden. IGM-Betriebsräte dürfen darin nichts zu suchen haben. Diese Aktionskomitees müssen für die breiteste Mobilisierung der Arbeiterklasse in Deutschland, in Europa und international kämpfen. Kontaktiert uns, um die ernsthafte Verteidigung von Arbeitsplätzen und Löhnen vorzubereiten.