„Operation Yellowhammer“: soziale Angriffe und staatliche Repression nach hartem Brexit

Am Mittwochabend musste die Regierung von Boris Johnson ihre Prognosen für einen harten Brexit veröffentlichen, die unter dem Codenamen „Operation Yellowhammer“ entworfen wurden. Das sechsseitige Dokument bestätigt, dass im Falle eines harten Brexits eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe droht. Außerdem unterstreicht es die Gefahr autoritärer Herrschaftsformen in Großbritannien.

Die Regierung beteuert, die geschilderten Szenarien seien lediglich „sinnvolle Annahmen für den schlimmsten Fall“. In einer weit verbreiteten Version des Dokuments vom gleichen Tag ist jedoch nicht von einem Worst-Case-, sondern von einem „Basisszenario“ die Rede.

Als die Times im Sommer die ersten Details über Yellowhammer veröffentlichte, behauptete die Regierung, es handele sich um eine nicht mehr aktuelle Hinterlassenschaft aus der Regierungszeit von Theresa May. Allerdings ist das Dokument auf den 2. August datiert, also zehn Tage nach Johnsons Amtsantritt als Premierminister. Dies wiederlegt die Ausreden der Regierung und bestätigt, dass „Yellowhammer“ die Folgen eines harten Brexits beschreibt.

Als erstes Problem werden Verzögerungen im Güterverkehr durch den Eurotunnel und in den britischen Häfen genannt. In den ersten drei Monaten nach einem harten Brexit könnte die Abfertigungsrate von LKWs demnach auf 40 bis 60 Prozent des derzeitigen Niveaus sinken, und die Lastwagen könnten bis zu zweieinhalb Tage feststecken. Anschließend könnte sich die Rate auf 50 bis 70 Prozent des heutigen Stands „verbessern“.

Ein gewisses Maß an Störungen könnte „deutlich länger“ anhalten. Die Unterbrechung von Lieferketten hätte „Auswirkungen auf die Versorgung mit Medikamenten und medizinischen Materialien“, die aufgrund ihrer kurzen Haltbarkeit „besonders gefährdet sind“. Ein Engpass bei Veterinärmedikamenten würde „unsere Fähigkeit beeinträchtigen, Ausbrüche von [Tier-]Seuchen zu verhindern oder einzudämmen, was potenziell nachteilige Folgen für ... die Umwelt und die allgemeine Sicherheit und Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln hat. Das Gleiche gilt für Anthropozoonosen, die direkte Folgen für die menschliche Gesundheit haben können.“

Die British Medical Association bezeichnete diese Punkte als „besorgniserregend“. Sie sah ihre Warnungen bestätigt, es werde nach einem ungeregelten Austritt aus der EU zu Engpässen bei der medizinischen Versorgung kommen.

Was die Lebensmittelversorgung angeht, so würde ein harter Brexit „die Verfügbarkeit und Auswahl von Produkten verringern und die Preise erhöhen“. Weiter heißt es: „Es besteht das Risiko, dass Hamsterkäufe diese Probleme verursachen oder verschlimmern.“

Helen Dickinson vom Verband britischer Einzelhandelsunternehmer bestätigte: „Es werden weniger frische Nahrungsmittel erhältlich sein, die Verbraucher werden weniger Auswahl haben, und die Preise werden steigen.“

Ein harter Brexit könnte die „Treibstoffversorgung in London und dem Südosten beeinträchtigen“, und „das Kundenverhalten könnte auch in anderen Landesteilen zu örtlichen Engpässen führen“. Daneben wird mit einem „beträchtlichen Anstieg der Strompreise“ gerechnet, der „weitere wirtschaftliche und politische Folgen haben wird“. Ein „Anziehen der Inflation nach dem EU-Austritt hätte beträchtliche Auswirkungen auf die Anbieter von Sozialfürsorge für Erwachsene ... und könnte einige in die Insolvenz treiben.“

In einem der aufschlussreichsten Abschnitte des Dokuments heißt es, diese Auswirkungen würden „verwundbare“ Gruppen wie „Niedrigverdiener“ am härtesten treffen, was „eine Zunahme der öffentlichen Unruhen und gesellschaftlichen Spannungen“ nach sich ziehen werde.

Die Folgen der geplanten Regierungspolitik für ein Großbritannien nach dem Brexit sind dabei noch gar nicht einkalkuliert. Dazu gehören beträchtliche Steuersenkungen für Reiche und große Unternehmen, die Abschaffung vieler Gesetze zum Schutz von Arbeitnehmern, weitere Kürzungen der Sozialausgaben und die Errichtung von „Freihäfen“, in denen große Teile der Arbeiterklasse in extremer Weise ausgebeutet werden können. Zusammengenommen würden diese Maßnahmen den Lebensstandard der großen Mehrheit der Bevölkerung drastisch senken.

Es wird auch damit gerechnet, dass ein harter Brexit sofort Kristallisationspunkte für internationale Spannungen schaffen wird. Es gilt als „wahrscheinlich“, dass die Verwirrung und die Konflikte um Fischfangrechte zu „gewaltsamen Auseinandersetzungen oder Blockaden von Häfen“ zwischen Fischern aus Großbritannien und der EU führen werden.

Das Versprechen der Regierung, es werde keine befestigte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland geben, wird in dem Yellowhammer-Papier als „unhaltbar“ bezeichnet, weil „es beträchtliche wirtschaftliche, juristische und biologische Risiken gibt und keine effektiven einseitigen Maßnahmen zur Verringerung dieser Probleme existieren“.

Momentan läuft ein Gerichtsverfahren, in dem es um die Rechtmäßigkeit eines harten Brexits geht. Darin wird der Regierung vorgeworfen, mit dem beabsichtigten ungeregelten EU-Austritt gegen das Karfreitagsabkommen von 1998 zu verstoßen, dessen Schutz im European Union (Withdrawal) Act von 2018 gesetzlich garantiert wurde. Das Belfast High Court ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat am Donnerstag erklärt, die Hauptaspekte des Falls seien nicht juristischer, sondern „grundsätzlich und unmissverständlich politischer Art“. Diese richterliche Entscheidung wird aber vor der nächsten Instanz angefochten werden. Der Kläger Raymond McCord, der sich für die Opfer des Nordirlandkonflikts einsetzt, hat angekündigt, dass er vor dem Supreme Court Berufung einlegen wird.

Der Plan „Operation Yellowhammer“ geht von einer Situation aus, in der demokratische Herrschaftsformen nicht mehr aufrechterhalten werden können. Die Medien weisen darauf hin, dass er „beträchtliche polizeiliche Ressourcen“ vorsieht, um auf Proteste zu reagieren. Allerdings schwiegen sie über die weiteren Unterdrückungspläne, die nachweislich bereits umgesetzt werden.

Es wird davon ausgegangen, dass 50.000 reguläre Soldaten und Reservisten in Bereitschaft versetzt werden, „um an den britischen Flughäfen auszuhelfen und die Versorgung mit Treibstoff und Medikamenten sicherzustellen, falls es zu zivilen Unruhen kommt“. Sie werden unterstützt von 10.000 Bereitschaftspolizisten, die innerhalb von 24 Stunden einsatzbereit sein können. Die Polizei in Nordirland soll von 1.000 zusätzlichen Polizisten aus Großbritannien unterstützt werden.

Unter hochrangigen Staatsbediensteten gab es bereits Beratungen über die Ausübung von Befugnissen, die normalerweise „nationalen Ausnahmezuständen wie Krieg und Terrorismus“ vorbehalten sind. Festgelegt sind sie u.a. im Civil Contingencies Act von 2004, der von Tony Blairs Labour-Regierung eingeführt wurde. Laut der Sunday Times umfassen diese Befugnisse „Ausgangssperren, Reiseverbote, Beschlagnahmungen von Eigentum und, am drastischsten, den Einsatz der Streitkräfte zur Niederschlagung von Unruhen“. Minister können außerdem „für die Dauer von höchstens 21 Tagen jedes Gesetz außer dem Human Rights Act ändern“.

Abschnitt 15 des Yellowhammer-Papiers wurde in der veröffentlichten Fassung geschwärzt. Dieser Teil darf nur von Mitgliedern des Privy Council (ein politisches Beratungsgremium der britischen Monarchin) gelesen werden, die schwören müssen, dass nichts von ihren Besprechungen nach außen dringt.

Die Regierung behauptet, sie habe den Abschnitt aus „Gründen seines wirtschaftlich sensiblen Charakters“ zensiert. Die Times hatte im August enthüllt, dass es in diesem Abschnitt um Gefahren für die britische Treibstoffindustrie und deren politische Folgen geht: „Durch EU-Zölle würden Ölexporte in die EU nicht mehr konkurrenzfähig sein. Die Industrie plant, die Folgen für die Einnahmen und die Profitabilität der Raffinerien abzumildern. Doch das Vorhaben der britischen Regierung, die Erdöl-Importzölle auf null zu senken, läuft diesen Bemühungen ungewollt zuwider. Das Ergebnis sind beträchtliche finanzielle Verluste und die Ankündigung, zwei Raffinerien zu schließen (und in Importterminals umzuwandeln), sowie der direkte Verlust von etwa 2.000 Arbeitsplätzen.

„Daraus resultierende Streiks würden in den direkt von den Raffinerien belieferten Regionen die Verfügbarkeit von Treibstoff für ein bis zwei Wochen beeinträchtigen.“

Da diese Informationen bereits an die Öffentlichkeit gedrungen sind, versucht die Regierung nun höchstwahrscheinlich, eine aktualisierte und deutlich schlimmere Einschätzung zu verbergen. Bezeichnenderweise ist der zensierte Abschnitt die einzige Stelle im Dokument, in der von drohenden Streiks die Rede ist.

Die Regierung hat zugegeben, dass es zu „Protesten und Gegenprotesten“ kommen dürfte, vermutlich von Gegnern und Befürwortern des Brexits. Sie rechnet auch mit „Protesten und direkten Aktionen mit Straßensperren“ in Nordirland wegen Grenzstreitigkeiten und deren wirtschaftlichen Folgen. Allerdings kann sie nicht zugeben, dass sie sich auf Streiks vorbereitet, an denen deutlich mehr als nur 2.000 Raffineriearbeiter beteiligt sein könnten.

Während der letzten drei Jahre konnte die herrschende Klasse dank der Rolle der Gewerkschaften und des Labour-Parteichefs Jeremy Corbyn verhindern, dass die Arbeiterklasse unabhängig in die Brexit-Krise eingreift. Im Jahr 2018 beteiligten sich nur 39.000 Arbeiter an Arbeitskämpfen, was die zweitniedrigste Zahl seit 1893 war. Die niedrigste Zahl seit 1893 wurde im Jahr 2017 erreicht, als nur 33.000 Arbeiter an Arbeitskämpfen teilnahmen.

Die Labour Party und die Gewerkschaftsbürokraten versuchen derweil, die Arbeiter an die EU- oder die Brexit-Fraktion der herrschenden Elite zu ketten, die beide gleichermaßen reaktionär sind.

Die Entwicklung von großen Streiks während oder nach dem Brexit würde die Arbeiterklasse in die politische Gleichung zurückbringen. Sie könnte beginnen, ihre eigenen Interessen geltend zu machen. Die enormen Unterdrückungsmechanismen, die durch die Operation Yellowhammer aufgebaut werden, sind gegen eine solche Bewegung gerichtet.

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