Im Prozess um den Mord an dem slowakischen Investigativjournalisten Jan Kuciak hat sich einer der vier Angeklagten schuldig bekannt. Der 37-jährige Ex-Soldat Miroslav Marcek gestand vor Gericht, er habe Kuciak und dessen Verlobte Martina Kusnirova im Februar 2018 erschossen. Der mutmaßliche Drahtzieher des Mordes, der slowakische Geschäftsmann Marian Kocner, plädierte hingegen auf nicht schuldig.
Die Ermordung des Journalisten hat ein Licht auf das dichte Geflecht von reichen Geschäftsleuten, korrupten Politikern und Kriminellen geworfen, das seit der Auflösung der Tschechoslowakei und der Einführung des Kapitalismus vor drei Jahrzehnten entstanden ist. Nach dem Mord waren Massenproteste ausgebrochen, die den damaligen Regierungschef Robert Fico und seinen Innenminister Robert Kalinak zum Rücktritt zwangen und Auswirkungen auf die anstehende Parlamentswahl im Februar haben werden.
Die Slowakei ist EU-Mitglied und dient den europäischen Autokonzernen als billiger Produktionsstandort. Rund 80.000 der 5,5 Millionen Einwohner sind direkt in der Autoindustrie beschäftigt.
Der ermordete Journalist hatte zu Verbindungen zwischen der italienischen Mafia und slowakischen Politikern recherchiert und dabei auch die dubiosen Geschäfte von Marian Kocner und seinen zahlreichen Unternehmen im Auge.
Schnell wurde klar, dass Kocner vermutlich den Auftrag zum Mord an Kuciak gegeben hatte. Kocner hatte in den 1980er Jahren zunächst Karriere als regierungstreuer Journalist gemacht und hervorragende Kontakte zur stalinistischen Führung der Tschechoslowakei, aber auch zu rechten Dissidenten gepflegt. Mit diesen Beziehungen, seiner Skrupellosigkeit und enormer kriminelle Energie wurde er anschließend zu einem der einflussreichsten Männer der Slowakei.
Im Zuge der Ermittlungen wurde nun deutlich, wie eng die Verbindungen der Parteien jeder Couleur und der organisierten Kriminalität sind. Kocner war in nahezu jeden Korruptionsskandal der letzten Jahre verwickelt. Mittlerweile steht er sogar auf der Sanktionsliste des US-Finanzministeriums. Er konnte nur ungestraft agieren, weil er von höchsten Stellen gedeckt wurde.
„Es ist klar, dass er über Jahre alle möglichen Arten von Wirtschaftsstraftaten begangen hat“, erklärte Daniel Lipsic, der Anwalt der Familie Kuciak, der früher selbst Justizminister war. „Steuervergehen, Betrug und so was. Und nichts geschah ihm, als ob er eine Immunität gegen Anklagen hätte.“
Im Rahmen der Ermittlungen wurden massenhaft Audio-, Videoaufnahmen und Chatverläufe sichergestellt, die Kocner heimlich mitgeschnitten hatte, um belastendes Material gegen Politiker und Justizvertreter zu sammeln, mit dem er sie unter Druck setzen konnte. Zuletzt wurde der ehemalige Generalstaatsanwalt Dobroslav Trnka festgenommen. Er soll Kocner jahrelang vor Strafverfolgung geschützt haben.
Kocner hatte in alle politischen Parteien hinein Kontakte. „Eine Staatssekretärin im Justizministerium nannte er ‚mein Äffchen‘. Er ließ sich über polizeiliche Ermittlungen gegen ihn auf dem Laufenden halten, forderte biografische Informationen über Staatsanwälte an, die ihm gefährlich wurden, und legte Richtern nahe, in seinem Sinne zu entscheiden“, berichtete der Spiegel im letzten Jahr.
Bislang ist nur ein kleiner Teil des Materials aus den Ermittlungsakten an die Öffentlichkeit gelangt. „Es handelt sich um Hunderte von Seiten, die wir noch sichten und von denen wir erst einen kleinen Teil veröffentlicht haben“, sagte Matús Kostolný, Chefredakteur von Denník N, dem Spiegel.
Doch das bekannt gewordene Material macht den Umfang des kriminellen Netzwerks deutlich. Darin finden sich neben Plänen zur Ermordung von Staatsanwälten vor allem Beweise für Kocners Einfluss auf die aktuelle Politik. Laut der Akten kommunizierte Kocner auf den Malediven ausführlich mit dem ehemaligen Regierungschef Robert Fico von der sozialdemokratischen Smer und dem Chef der liberalen Most-Hid-Partei. Die beiden Parteien bilden derzeit gemeinsam mit der ultrarechten Nationalpartei SNS die Regierung.
Gegenüber dem Spiegel erklärte der slowakische Politologe Grigorij Meseznikov dass Kocner nicht nur die „Justiz, sondern die gesamte politische Ausrichtung in der Slowakei beeinflussen“ wollte. Kocner sei dabei kein Einzelfall. „Wir sollten nicht naiv sein und denken, dass diese Strukturen nicht mehr existieren. Leute vom Schlage Kocners sind noch da, auch wenn sie augenblicklich eher abtauchen.“
Der Bevölkerung sind die kriminellen Verbindungen der politischen Parteien nicht verborgen geblieben. Das zeigen die Massenproteste, die nach dem brutalen Doppelmord im ganzen Land ausbrachen.
Nach Ficos Rücktritt trat Peter Pellegrini seine Nachfolge an, der als Marionette Ficos gilt. Weiterhin regiert in Bratislava das Bündnis von Ficos Smer mit der rechtsliberalen Most-Hid, die im Wesentlichen ein Sprachrohr der kleinen, aber reichen Ober- und Mittelschicht ist, und der rechtsradikalen SNS. Die Regierung zeichnet sich durch eine extreme Hetze gegenüber Flüchtlingen und Roma aus. Gleichzeitig hat sie in den letzten Jahren einen scharfen Sparkurs verfolgt und das kleine Land nach Außen und Innen aufgerüstet.
Fico selbst hat die Smer, die weiterhin Mitglied der europäischen Sozialdemokraten ist, mittlerweile auf einen ultrarechten Kurs eingeschworen. Vieles deutet darauf hin, dass er nach den Wahlen im nächsten Monat ein Bündnis mit der offen faschistischen LSNS eingehen will. Die jüngsten Umfragen sehen die Faschisten um Marian Kotleba als zweitstärkste Kraft.
Kotleba und seine Partei sehen sich ausdrücklich in der Tradition der Hlinka-Partei. Die klerikalen Führer Andrej Hlinka (und später Jozef Tiso) hatten in der Slowakei eine faschistische Diktatur nach deutschem Vorbild installiert, als diese nach dem Münchner Abkommen von 1938 unabhängig wurde. Sie verboten sofort die sozialdemokratische und die kommunistische Partei. Der militärische Arm der Regierung, die Hlinka-Garde, war für zahlreiche Verbrechen an Juden, Roma und Kommunisten verantwortlich. 1942 übernahm sie die Deportation slowakischer Juden ins KZ Auschwitz. 1944 wurde die Garde offiziell Teil der deutschen SS. Erst der Einmarsch der Roten Armee im Mai 1945 beendete die Terrorherrschaft.
Ein Abgeordneter der LSNS, Milan Mazurek, wurde zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt, nachdem er 2016 in einem Radiointerview rassistisch gegen Roma gehetzt hatte, Darauf mischte sich Fico ein. In einem Facebook-Video erklärte er: „Milan Mazurek hat nur gesagt, was fast die ganze Nation denkt.“ In rassistischer Manier erklärte er weiter: „Wenn man jemanden hinrichtet, weil er die Wahrheit sagt, verwandelt man ihn in einen Nationalhelden. Sollen wir nicht sagen dürfen, dass Teile der Roma-Bevölkerung das Sozialsystem missbrauchen?“
Im Dezember wurde daraufhin ein Verfahren gegen Fico wegen Anstiftung zum Rassenhass eingeleitet. Doch mittlerweile hat der ermittelnde Sonderstaatsanwalt die Vorwürfe ohne Angabe von Gründen wieder fallen lassen. Während des Verfahrens hatte sich die Smer demonstrativ hinter Fico gestellt.
Der mögliche Einzug der Faschisten in die Regierung basiert nicht auf einer breiten Unterstützung für diese Partei. Vielmehr ist die politische Elite des Landes extrem verhasst.
Dies drückt sich in der Zersplitterung der Parteienlandschaft aus. Der letzten Umfrage von AKO zufolge kommt Smer auf gerade einmal 17 Prozent, die LSNS auf 11 und das liberale Parteienbündnis auf 9 Prozent der Stimmen. Alle anderen Parteien erreichen deutlich weniger und könnten an der Fünfprozenthürde scheitern, darunter auch die jetzigen Regierungsparteien SNS (5 Prozent) und Most-Hid (4 Prozent). Dabei könnte die Wahlbeteiligung ähnlich niedrig sein wie bei der Europawahl im vergangenen Jahr. Damals lag sie unter 23 Prozent.
Der Aufstieg Kocners und das Netz von Korruption und Verbrechen in der Slowakei zeigt beispielhaft, dass mit der Einführung des Kapitalismus nicht Demokratie, Freiheit und Wohlstand Einzug hielten, sondern das Gegenteil. Eine schmale Schicht, die sich mit legalen und illegalen Mitteln auf Kosten der Bevölkerung schamlos bereichert, ist für prekäre Lebensbedingungen verantwortlich und ebnet Faschismus und Diktatur den Weg.