Das Coronavirus SARS CoV2 breitet sich auch in Deutschland exponentiell aus. Bis am gestrigen Donnerstag wurden 2078 Infizierte bekannt, eine Zunahme um rund 500 in nur 24 Stunden. Bisher sind in Deutschland offiziell drei Menschen am neuen Virus gestorben.
Vor einer „absolut ernsten Situation“ hatte am Montag der Charité-Virologe Prof. Christian Drosten gewarnt. „Wir müssen wohl damit rechnen, dass wir direkt in eine Epidemie hineinlaufen werden“, so Drosten, der zu raschem öffentlichen Handeln und zu durchgreifenden Maßnahmen riet.
Die Bundesregierung in Berlin hat dagegen ihre fatalistische Haltung nicht geändert. So erklärte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) am Donnerstagmittag, flächendeckende Schulschließungen seien „derzeit nicht angezeigt“. Eine Kultusministerkonferenz der Länder endete am Nachmittag ohne klare Entscheidung und wies nur darauf hin, dass Schul- und Kita-Schließungen künftig „möglich“ seien. Man versuche, „einen Normalbetrieb so lange wie möglich aufrecht zu erhalten“, erklärte Ministerin Karliczek vor Beginn der Sitzung. Schließlich bräuchten die Eltern ja Betreuung für ihre Kinder, damit sie weiterarbeiten könnten.
Schon am Mittwoch hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rundheraus erklärt, man müsse es akzeptieren, dass sich 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung am Coronavirus anstecken werden. Die Priorität bestehe jetzt darin, eine „Überlastung“ des Gesundheitssystems zu vermeiden. Es gehe darum, „dass wir das wirtschaftliche Leben einigermaßen aufrechterhalten können“, so Merkel.
In solchen Aussagen zeigt sich die kriminelle Gleichgültigkeit der Bundesregierung und der meisten Landesregierungen der Arbeiterklasse gegenüber. Während alle Experten dringend dazu raten, sofort „Maßnahmen der sozialen Distanzierung“ zu ergreifen und Schulen, öffentliche Einrichtungen und sogar den Nahverkehr zu stoppen, sorgt sich die Regierung vor allem darum, dass dies das Bruttosozialprodukt schmälern könnte.
Gerade erst hatte die WHO die Covid-19-Erkrankung zur Pandemie erklärt. Das hochansteckende Coronavirus breitet sich inzwischen exponentiell auf allen Kontinenten aus. Weltweit haben sich rund 128.000 Menschen angesteckt; die Zahl der Toten nähert sich 5000.
In Deutschland verdoppelt sich die Zahl der Infizierten alle vier bis fünf Tage, was bedeuten könnte, dass bei gleichbleibenden Bedingungen Deutschland im Mai neun Millionen Infizierte und zwischen 45.000 und 450.000 Todesfälle (0,5 % – 5 %) aufweisen könnte.
Mit solchen Fallzahlen rechnete am Donnerstag erstmals auch die Süddeutsche Zeitung. In ihrem Bericht „Die Wucht der großen Zahl“ weist sie nach, dass spätestens Mitte Mai 1,2 Millionen Menschen in Deutschland mit dem Virus infiziert sein werden. Schon Mitte April werde es nicht mehr ausreichend Krankenbetten geben, um die schwereren Fälle zu behandeln.
Dort heißt es: „Zwar verläuft die Krankheit bei der Mehrzahl der Infizierten harmlos. Doch etwa jede fünfte Erkrankung nimmt einen schweren Verlauf, der eine Behandlung im Krankenhaus erfordert. Auch diese Zahl könnte also in einigen Wochen im sechsstelligen Bereich liegen.“
Da ein Teil der Patienten intensivmedizinisch behandelt werden müsse, würde dieser Rechnung zufolge Mitte April „die Corona-Epidemie alle freien Kapazitäten des deutschen Gesundheitswesens binden. Und zur Erinnerung: Es geht um exponentielles Wachstum. Einige Tage später verdoppelt sich die Zahl der Patienten erneut.“
Der Artikel weist auch darauf hin, dass es natürlich auch zu Ausfällen beim medizinischen Personal kommen werde, da Ärzte und Pflegekräfte selbst erkranken, und dass dies den Zusammenbruch der medizinischen Versorgung beschleunigen werde. „Den bisherigen Erfahrungen zufolge sterben etwa ein bis zwei Prozent der Infizierten an Covid-19. Bei einer landesweiten Epidemie könnten das zehntausende Tote sein. Sollte das Gesundheitssystem unter der Last zusammenbrechen, dürfte die Letalität deutlich steigen.“
Es ist das Szenario, vor dem alle ernsthaften Experten seit langem warnen, und die westlichen Regierungen erst lange nichts entgegensetzten, um dann (wie jetzt Italien) von heute auf morgen zu drastischen Mitteln zu greifen.
Das ist auch im Vereinigten Königreich nicht anders. „Wir haben einen ganzen Monat Zeit verloren“, schimpfte dort gestern John Ashton, der frühere Chef des britischen öffentlichen Diensts, in einem Video des Independent. „Ich raufe mir wirklich die Haare aus und bin sehr frustriert“, fährt er fort. „Wir haben einen Monat verschwendet, in dem wir uns öffentlich damit beschäftigen hätten sollen … Wenn sich das nun, wie es wahrscheinlich ist, weiter so ausbreitet, dann werden wir nicht genug Krankenhausbetten haben.“
In Berlin ist mittlerweile das kulturelle Leben nahezu zum Stillstand gekommen, da nach langem Zögern jetzt alle Veranstaltungen abgesagt werden. Während die Zahl der Coronavirus-Fälle dort ständig steigt, hat am gestrigen Donnerstag auch der Berliner Tagesspiegel zu entschiedenen Maßnahmen aufgerufen. Die Zeitung zog den drastischen Vergleich mit der Spanischen Grippe von 1918–1919 heran.
Diese Pandemie, die zum Ende des Ersten Weltkriegs weltweit 50 bis 100 Millionen Menschen dahinraffte, wies eine Sterblichkeitsrate von zwei bis drei Prozent auf, also ähnlich wie bei dem Coronavirus heute.
Interessant war, dass damals zwei amerikanische Städte völlig unterschiedlich reagierten, als sie die ersten Fälle der Spanischen Grippe registrierten: St. Louis verhängte schon zwei Tage nach dem Auftreten der Krankheit „Maßnahmen der sozialen Distanzierung“, d.h. die Stadtverwaltung sagte alle größeren Versammlungen ab und ließ die Schulen und öffentlichen Einrichtungen schließen. Philadelphia dagegen verzichtete nicht auf die Durchführung einer Militärparade mit 200.000 Zuschauern, um die in Europa kämpfenden Soldaten zu unterstützen. Das Ergebnis war, dass diese Stadt schließlich doppelt so viele Tote wie St. Louis aufwies.
Folgerichtig zitiert der Tagesspiegel ein Forscherteam, das in der Fachzeitschrift The Lancet folgende Forderungen aufgestellt hatte: „Freiwillige und angeordnete Quarantäne, das Stoppen von Massenveranstaltungen, das Schließen von Lehreinrichtungen oder Arbeitsplätzen, wo Infektionen identifiziert wurden, und die Isolation von Haushalten und Städten … Konsequenterweise müsste man den öffentlichen Nahverkehr einstellen.“
Die drohende Katastrophe wirft bereits ihre Schatten voraus. In manchen Krankenhäusern, wie zum Beispiel im Uniklinikum Frankfurt, gehen die Gesichtsmasken aus, wie angehende Ärztinnen der WSWS berichteten. Dies hat zur Folge, dass die Medizinstudenten von den Operationen ausgeschlossen werden, deren Beobachtung eigentlich ein unverzichtbarer Bestandteil ihres Studiums darstellt. Das Uniklinikum sieht sich darüber hinaus gezwungen, seine Vorräte an Masken, Papiertüchern und vor allem Flaschen mit Desinfektionslösung auf den Stationen durch einen Security-Dienst bewachen zu lassen, da sie immer wieder gestohlen werden. Das ist ein deutlicher Hinweis auf die tiefe, um sich greifende Verunsicherung.
Vereinzelt teilen jetzt Kliniken mit, dass ihre Blutspenden knapp zu werden drohen – eine Erscheinung, die nur mittelbar mit Corona zu tun hat, aber ebenfalls die Verunsicherung zeigt. So haben die Unikliniken Greifswald und Rostock einen auffallenden Mangel an Blutspendern gemeldet. Auch der Blutspendedienst Nord-Ost des Deutschen Roten Kreuzes teilte mit, es komme derzeit zu einem verstärkten Rückgang der Spenderzahlen. Vermehrt bitten die Krankenhäuser jetzt die sowieso schon stark belasteten Mitglieder des Personals darum, Blut zu spenden.
All diese Anzeichen müssen für die arbeitende Bevölkerung Alarmsignale sein. Sie ist es, die den höchsten Preis für einen Zusammenbruch des Gesundheitswesens bezahlen wird. Anstatt eine weitere, ungehinderte Ausbreitung widerspruchlos zu akzeptieren, muss sie sinnvolle und konsequente Quarantänen und vor allem den Einsatz massiver finanzieller und medizinischer Ressourcen fordern, um die Kranken zu behandeln und die ganze Gesellschaft zu schützen. Dafür kämpfen die World Socialist Web Site und die Sozialistischen Gleichheitsparteien. (Siehe: „Die Antwort der Arbeiterklasse auf die Coronavirus-Pandemie“)
Die notwendigen Ressourcen sind durchaus vorhanden. Schon der heutige, heruntergewirtschaftete Zustand des Krankenhauswesens ist ja nicht vom Himmel gefallen. Er ist ein Produkt bewusster politischer Entscheidungen der letzten 35 Jahre. Seit 1985 wurden die Kliniken und Krankenhäuser in wachsendem Maß privatisiert und nach Profitgesichtspunkten umgestaltet. Nutznießer sind private Klinikkonzerne wie Fresenius-Helios, Rhön, Sklepios, Sana, Paracelsus, Mediclin und SRH. Auf Kosten der Beschäftigten im Gesundheitswesen und der öffentlich versicherten Patienten – d.h. der arbeitenden Bevölkerung – haben sie das gesamte Gesundheitssystem in einen lukrativen Markt verwandelt.
Dass das Geld für eine wirkungsvolle und sozial umfassende Bekämpfung der Krise vorhanden ist, zeigt auch ein Blick darauf, wie die Reichen und Superreichen auf die Coronakrise reagieren. So berichtet der Spiegel unter dem Titel „Wie Reiche mit der Krise umgehen“, welche unermessliche Finanzquellen zur Verfügung stehen, wenn es darum geht, die Superreichen vor Corona zu schützen.
Um dem Risiko an Flughäfen und in Flugkabinen zu entgehen, greifen sie mehr und mehr zu Privatjets, für die sie gut und gern 12.000 Euro oder mehr pro Flug und Person hinblättern. Wie ein Unternehmer, der solche Privatflüge vermittelt, dem Spiegel glaubhaft versicherte, wollen seine Kunden „ihre Kabine nicht mit anderen Leuten teilen“. Vermittelt werden auch luxuriöse Jachten und einsame Ressorts, wohin die noble Kundschaft sich zurückziehen kann.
Sollten diese abgehobenen Reichen doch einmal ein Kratzen im Hals verspüren, verfügen sie natürlich auch bei der ärztlichen Versorgung über privilegierte Betreuung. Für die entsprechende private Zusatzversicherung erhalten sie als Vorzugsbehandlung einen sogenannten „Concierge-Service“, der ihnen den Zugang zu Ärzten zu jeder Tag und Nachtzeit, wie auch privilegierte Termine bei Spezialisten verschafft.