Zehn Jahre WikiLeaks-Publikation von „Collateral Murder“

Am 5. April waren es zehn Jahre, dass WikiLeaks das Video „Collateral Murder“ [Kollateraler Mord] veröffentlichte. Das Video zeigt, wie amerikanische Soldaten aus einem Apache-Hubschrauber in der irakischen Hauptstadt Bagdad wahllos auf unbewaffnete Zivilisten und Journalisten schießen.

Das Filmmaterial wurde am 12. Juli 2007 von einem amerikanischen Kampfhubschrauber aus aufgenommen, während er über einer Gruppe von 10 Männern kreist, die ihren Geschäften im Stadtteil Al-Amin al Thaniyah nachgehen. Immer ungeduldiger fordern die Besatzungsmitglieder die Erlaubnis ein, das Feuer auf Personen zu eröffnen, die offensichtlich keine Gefahr darstellen.

Auf das Signal hin beginnen sie mit ihren 30mm-Bordkanonen zu schießen. In das Entsetzen des Zuschauers über dieses Massaker mischt sich wachsende Abscheu über die Freude der amerikanischen Soldaten.

Als die 10 Männer schwer verwundet oder tot auf dem Boden liegen, sagt ein amerikanischer Soldat, er hoffe, einer von ihnen werde zu einer (nicht vorhandenen) Waffe greifen, sodass mit den Erschießungen weiter gemacht werden könne. Ein Lieferwagen hält an, um den Verwundeten zu helfen. Auch auf ihn wird geschossen, der Fahrer wird getötet und seinen zwei kleinen Kindern werden schreckliche Verletzungen zugefügt.

Am Ende des Gemetzels sind 18 Menschen tot. Unter ihnen die Reuters-Journalisten Saeed Chmagh und Namir Noor-Eldeen. Im Apache-Kampfhubschrauber reagiert man mit gegenseitigen Glückwünschen und einem noch stärkerem Blutrausch.

„Collateral Murder“, 17-Minuten-Version

Das Video hat im Bewusstsein von Millionen Arbeitern und jungen Menschen auf der ganzen Welt einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen. Die 39 Minuten Filmmaterial haben den wirklichen Charakter der US-Intervention und der Besetzung des Irak enthüllt. Es war eine illegale, neokoloniale Operation, die mit offenen Kriegsverbrechen durchgesetzt wurde. Die sozialen und demokratischen Rechte eines ganzen Volkes wurden auf eine Art und Weise mit Füßen getreten, für die es bis dahin seit den Schrecken des Naziregime keinen Präzedenzfall gab.

Seither sind zehn Jahre ins Land gegangen, aber kein einziger Verantwortlicher für das im Video dargestellte Massaker von 2007 wurde vor Gericht gestellt, geschweige denn für die ganze illegale Invasion, bei der über eine Million Menschen ums Leben kamen.

Einige dieser Verantwortlichen, so der ehemalige amerikanische Präsident, George Bush, auch der damalige australische Premierminister John Howard, genießen ein geruhsames Rentnerdasein. Andere, wie beispielswiese der frühere britische Premierminister Tony Blair, sind noch immer politisch einflussreich und mächtig. Einige haben immer noch Spitzenpositionen im amerikanischen Militärapparat oder bei der Nato inne, begehen immer noch Kriegsverbrechen im Nahen Osten und bereiten neue Kriege vor, zum Beispiel gegen China und Russland.

Noch vor seiner Auslieferung an die USA missachten die korrupte britische Justiz und die dahinter stehende politische Elite die Rechte des Gründers von WikiLeaks. Nach Jahren der Misshandlung ist sein Leben in unmittelbarer Gefahr. Die britische Regierung und die Gerichte verweigern seine Entlassung, obwohl die Corona-Pandemie die britischen Gefängnisse erreicht, eine Kaution für Assange angeboten wird und er bisher für kein Verbrechen verurteilt wurde.

Die einzigen Personen, denen die Publikation von „Collatoral Murder“ negative Folgen eingetragen hat, sind Chelsea Manning, die mutige Whistleblowerin, die damals der US-Armee diente und das Video durchsickern ließ, und der Gründer von WikiLeaks, Julian Assange, der es veröffentlichte.

Vor kurzem wurde Manning aus sechs Monaten Haft entlassen, nachdem sie sich geweigert hatte, vor einem geheimen amerikanischen Geschworenengericht Falschaussagen über Assange zu machen. Sie wurde ohne Anklage oder Beweise gefangen gehalten und erneut in einen Suizidversuch getrieben.

Assange steht nach fast zehn Jahren willkürlicher Gefangenschaft vor der Auslieferung von Großbritannien an die USA, wo er vor ein militärisches Sondergericht gestellt und wegen einer Spionage-Anklage zu lebenslanger Haft in einem Hochsicherheitsgefängnis verurteilt werden soll. Assanges einziges „Verbrechen“ war es, die Kriegsverbrechen, die weltweiten diplomatischen Verschwörungen und die massenhafte Spionage der amerikanischen Regierungen und ihrer Verbündeten aufgedeckt zu haben.

Schon vor seiner Auslieferung treten die korrupte britische Justiz und das politische Establishment sämtliche demokratischen Rechte des WikiLeaks-Gründers mit Füßen. Nach Jahren des Missbrauchs ist sein Leben in unmittelbarer Gefahr. Die britische Regierung und die Gerichte weigern sich, ihn freizulassen, obwohl die Coronavirus-Pandemie in den britischen Gefängnissen wütet, und obwohl Assange sich in Untersuchungshaft befindet und wegen keines Verbrechens verurteilt worden ist.

Genau die Personen, die für die Verbrechen verantwortlich sind, die in „Collatoral Murder“ aufgezeigt werden, sind auch Drahtzieher bei dem vernichtenden Rachefeldzug gegen Assange. Dazu gehören das US-Militär, die Geheimdienste, die Demokraten und Republikaner in den USA, ihre Verbündeten in den britischen Tories und der Labour Party, sowie das australische politische Establishment.

Das Video enthüllte nicht nur individuelle Verbrechen, sondern auch die grundsätzliche Unrechtmäßigkeit der ganzen Okkupation des Irak, einschließlich der militärischen Befehlsstrukturen, der involvierten Regierungen und der willfährigen Medien.

Am 13. Juli 2007 gab das US-Militär eine Erklärung ab, nach der die Reuters-Journalisten Chmagh und Noor.Eldeen „während eines Feuergefechts mit Aufständischen getötet“ worden seien. Die US-Regierung und das Militär wiesen jede Forderung nach Herausgabe des Filmmaterials durch Reuters ab, obwohl Reuters dies im August, gestützt auf das Recht auf Informationsfreiheit, offiziell beantragte.

Besonders vernichtend an der Sache war wahrscheinlich, dass durch die Veröffentlichung von „Collatoral Murder“ die offizielle Presse als Anhängsel eines Militärs entlarvt wurde, das Kriegsverbrechen verübte. Alle wichtigen Medien der USA, von der New York Times bis zur Washington Post, hatten die Lüge von den Massenvernichtungswaffen übernommen, um die illegale Invasion des Iraks zu rechtfertigen.

Manning hatte zunächst Kontakt zu diesen und weiteren Zeitungen aufgenommen, bekam aber nie eine Antwort. Erst danach wandte sie sich an Wikileaks.

Zumindest einige offizielle Journalisten müssen genauste Kenntnis von den Verbrechen gehabt haben, die Manning so aufrüttelten. Während der Invasion des Irak waren sie „die Eingebetteten“, die sich in das Militär integrierten und begeisterte Berichte über die Dezimierung der zivilen und militärischen Infrastruktur des Irak und die Katastrophe, die über die Bevölkerung hereinbrach, verfassten.

In einem Buch aus dem Jahr 2009 beschrieb David Finkel, ein Journalist der Washington Post, eine Szene, die auffällige Ähnlichkeiten mit dem Apache-Angriff in Bagdad 2007 aufweist. Sein Buch hat den Titel „Die guten Soldaten“ (und das ist nicht ironisch gemeint). Das nächste Buch, das Finkel verfasste, trug dann die Überschrift „Thank You for Your Service“.

Einigen Quellen zufolge hatten Finkel und die Washington Post seit mindestens 2009 Zugang zu dem Video. Es wird sogar behauptet, dass der Reporter es Freunden und Kollegen bei Dinnerparties in seinem gemütlichen Heim in Washington DC gezeigt habe.

Die Reaktion von Wikileaks, einer winzigen Organisation mit extrem beschränkten Mitteln, war völlig anders.

Assange verbrachte mit einer Gruppe von Kollegen Monate, um das Video zu entschlüsseln, seinen Inhalt zu studieren und die darin dargestellten Ereignisse zu analysieren. Dies allein widerlegt schon die Behauptung der korrupten offiziellen Stenographen der Geheimdienste, Assange sei „kein Journalist“.

Der derzeitige Chefredakteur von WikiLeaks, Kristinn Hraffnson, setzte sein Leben aufs Spiel, um die Opfer des Angriffs zu finden. Zwei Jahre, nachdem ein geheimes amerikanisches Militärpapier zur Zerstörung von WikiLeaks entstanden war, reiste er in den Irak.

Hraffnson traf die Witwe von Matasher Tomal, dem Mann, der beim Versuch, den Opfern der ersten Artilleriesalve zu Hilfe zu kommen, getötet wurde. Hraffnson sprach mit Tomals Kindern. Mit Sayad, der zur Zeit des Angriffs 10 war, und mit Doaha, die damals gerade 5 Jahre alt war. Beide trugen Verletzungen davon, unter denen sie lebenslang leiden werden.

Zu jener Zeit sprach Hraffnson in einem Interview über ein Gespräch mit Sayad: „Als ich in seine Augen schaute, war mir, als sehe ich in die Augen meines eigenen Sohnes. Ich glaube, bisher hat mich keine Erfahrung so berührt. Der Kummer eines Kindes, das seinen Vater verliert, ist so schlimm, so zerstörerisch. Ich wünschte so sehr, dass die Öffentlichkeit das erfährt.“

Auf die Frage seines Gesprächspartners, ob seine Reise in den Irak nicht sehr gefährlich gewesen sei, sagte Hraffnson: „Ja, aber Journalismus muss gefährlich sein. Journalisten werden – sobald sie ein Teil des Militärapparates werden oder gewesen sind – leicht manipulierbar.“

Assange seinerseits zeigte das Filmmaterial im Nationalen Presseclub der USA, obwohl er große Gefahr lief, dadurch ins Fadenkreuz von CIA und US-Militär zu geraten.

Alle, die zur Entstehung des VideosCollatoral Murder“ beigetragen haben, werden seither den Schikanen und der Überwachung des militärischen und geheimdienstlichen Komplex‘ ausgesetzt, selbst wenn sie ihre Zusammenarbeit mit WikiLeaks schon vor Jahren beendet haben. Zusätzlich werden ihre persönlichen Daten und ihre Korrespondenz von großen Internetfirmen abgegriffen.

Das Video „Collatoral Murder“ wird Jahrzehnte lang als Sinnbild der Barbarei imperialistischer Kriege in Erinnerung bleiben. Sein Inhalt ist wichtiger denn je, angesichts verschärfter imperialistischer Spannungen, während neue und noch schlimmere militärische Auseinandersetzungen vorbereitet werden.

Arbeiter, Studenten und junge Menschen müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um für die Freiheit von Assange und für die Sicherheit all derjenigen zu kämpfen, die sich für die Entlarvung von Militarismus und Krieg einsetzen.

Am Jahrestag der Veröffentlichung von „Collateral Murder“ organisierte WikiLeaks eine Online-Veranstaltung, bei dem Hraffnson und andere sprachen. Es kann hier angesehen werden.

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