Corona-Pandemie: Starker Anstieg infizierter Ärzte und Pflegekräfte

Die Anzahl der mit Covid-19 infizierten Personen in Deutschland ist mittlerweile auf über 146.000 gestiegen. Mehr als 4700 Menschen sind durch den Virus verstorben. Immer stärker treten die Infektionen bei Ärzten und Pflegekräften auf. Über 6400 Ärzte und Pflegekräfte haben sich laut Robert-Koch-Institut (RKI) in Deutschland infiziert, acht sind an den Folgen der Infektion gestorben.

Das RKI meldete am Donnerstag die Zahlen, die die Mitarbeiter von Kliniken und Arztpraxen erfassen. Nicht enthalten sind Fälle aus der Altenpflege. Hier ist, wie auch in den Kliniken, eine sehr hohe Dunkelziffer zu befürchten. Damit hat sich die Zahl der gemeldeten Infektionen innerhalb dieser Berufsgruppe in zwei Wochen fast verdreifacht.

Vor zwei Wochen teilte Nordrhein-Westfalen mit, dass dort im stationären und ambulanten Bereich 322 Altenpflegekräfte infiziert seien, 1485 weitere befänden sich in Quarantäne. Ende letzter Woche waren es bereits 1098 infizierte Altenpflegekräfte und weitere 2094, die sich in Quarantäne befanden.

Die Dunkelziffer ist so hoch, weil viele Gesundheitsämter aus Personalmangel relevante Zahlen schlichtweg nicht weiterleiten. Von den 400 Gesundheitsämtern in Deutschland gaben viele an, aufgrund von Arbeitsbelastung die Berufe der Erkrankten nicht zu erfassen oder nicht melden zu können. Mehrere erklärten, die Berufe der Infizierten würden generell nicht erfasst, wie eine Umfrage von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung ergab.

Dies, obwohl medizinisches Personal, das sich mit Covid-19 infiziert, laut Infektionsschutzgesetz dem örtlichen Gesundheitsamt gemeldet werden muss. Darunter fallen neben den Beschäftigten von Kliniken und Arztpraxen auch Pflege- und Rettungsdienste. Dabei existiert nicht einmal ein zentrales Melderegister für infiziertes medizinisches Personal in Deutschland, obwohl dies dringen notwendig wäre.

Andere europäische Länder, wie Großbritannien, Spanien und Italien, erfassen die Zahl der betroffenen Mediziner und Pflegekräfte anders als Deutschland zentral. Auch dort sind zahlreiche Ärzte und Pflegekräfte dem Virus zum Opfer gefallen. Zuletzt war hierzulande auch Kritik laut geworden, dass es keine verlässlichen Zahlen gibt. Mehrere Ärzteverbände, wie der Marburger Bund, fordern auch für Deutschland die systematische Erfassung von Infizierten im Gesundheitswesen. Bislang zeigen die Regierungen auf Bundes- und Landesebenen kein Interesse daran.

In Italien sind über 120 Ärzte an Covid-19 gestorben, alle nachdem sie in Kliniken und Praxen infizierte Patienten behandelt hatten. Letzte Woche waren in Italien 26 verstorbene Pflegekräfte zu verzeichnen. Auch hier ist aber von einer deutlich höheren Dunkelziffer auszugehen.

Die meisten Infektionsfälle von medizinischem Personal in Deutschland sind in Baden-Württemberg bekannt. Dort sind 1200 Personen gemeldet. Vor zwei Wochen waren es dort noch 566 Personen. „Damit steigt die Zahl der infizierten Klinikmitarbeiter dort schneller als in der Gesamtbevölkerung“, merkte die Tagesschau an.

Die Erkrankungen und die Todesfälle von medizinischem Personal, das sich aufopferungsvoll um infizierte Patienten kümmert und dabei nicht selten bis an die psychischen und physischen Grenzen geht, sind zum Großteil auf die katastrophalen Bedingungen im Gesundheitswesen und die Ignoranz der Politik zurückzuführen.

Kliniken und Pflegeheime werden immer mehr zu Corona-Hotspots. Beispielhaft ist hier das Ernst von Bergmann Klinikum in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam. Dort sind seit dem ersten Fall am 26. März 37 Patienten verstorben.

Der erste verstarb auf der Geriatrie – erst nach seinem Tod wurde die Infektion erkannt. Die Station für Altersmedizin mit 88 Betten gilt als Epizentrum des Ausbruchs, wie der Tagesspiegel berichtete. Hinzu kommen zahlreiche infizierte Ärzte und Pflegekräfte, auf der „schwarzen Station“, wie der Spiegel treffend titelte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt mittlerweile gegen die Geschäftsführung, die bereits gravierende Fehler zugab.

Doch dies ist bei Weitem kein Einzelfall und auch nicht auf das Fehlverhalten Einzelner zurückzuführen. Die WSWS sprach mit Andreas (Name von der Redaktion geändert). Er ist Krankenpfleger und arbeitet seit vielen Jahren im Universitätsklinikum Mannheim. Auch er ist entsetzt über die steigenden Infektionszahlen in seiner Berufsgruppe. Er beschreibt die Umstände unter denen Tausende Ärzte und Pflegekräfte arbeiten.

Wie viele andere kritisiert er die fehlende flächendeckende Testung in Kliniken. „Weder Patienten noch Personal werden regelhaft getestet.“ Man müsse um jeden Test „betteln“, der dringend gemacht werden müsse, schildert Andreas die Lage. Wenn, dann werde „nur bei offensichtlichen Symptomen“ getestet. Bei einer häufig symptomlosen Infektion ist dies natürlich extrem problematisch, da so das Virus unwissentlich übertragen werden kann.

Hinzu kommt der anhaltende Mangel an Schutzmaterialien, der in nahezu allen Kliniken, Arztpraxen und Pflegeheimen in Deutschland unverändert anhält. Von den FFP-Masken, eigentlich ein Einmalprodukt, die nur wenige Stunden verwendet werden dürfen, wird nur ein Stück pro Schicht ausgegeben. Das Personal ist angehalten, sie nur bei „engem Kontakt“ und im „Verdachtsfall“ zu verwenden.

„Würde man hier Hygienerichtlinien abfragen“, merkt Andreas an, „wären alle durch die Prüfung gefallen.“ Es mache ihn wütend, dass in einem Industrieland wie Deutschland Schutzmaterial nicht rasch in großer Zahl produziert werden könne. Oder besser gesagt, der politische Wille dazu fehle.

Die Belastung für das Personal ist zudem extrem hoch. „Nicht erst seit Covid-19 ist die Personalknappheit erschreckend.“ Doch gerade jetzt macht sie sich umso deutlicher bemerkbar. Durch den Ausfall des Unterrichts werden Pflegeschüler auf den Stationen eingesetzt. Diese sind selbstverständlich unerfahren und nicht selten mit der Situation überfordert. Oft haben sie noch von „Basishygiene keine Ahnung“. Ein Ausgleich für die Belastung ist nicht in Sicht.

Während die Politik eine kleinliche Diskussion um viel zu geringe Prämien für Pflegekräfte während der Corona-Krise führt, werden diese nicht umgesetzt. Andreas und seine Kollegen haben noch nichts erhalten und auch „keine Hoffnung“ auf eine gerechte Vergütung in der Pandemie.

Zur weiteren möglichen Entwicklung befragt, erwidert Andreas: „Wenn keine Änderung passiert, sieht es schlimm aus.“ In den vergangenen Jahren haben die Regierungen „alles getan, um dieses System kaputt zu sparen“. Die „massiven Privatisierungen“ im Klinikbereich und die „Profitorientierung“ haben zu dieser dramatischen Situation geführt, resümiert Andreas.

Und Politiker wie Gesundheitsminister Jens Spahn präsentieren sich „als Retter“ in der Krise, dabei trägt er ebenso Verantwortung für die Misere. Auch er hat stets die marktradikalen Vorschläge unterstützt, wie die der Bertelsmann-Stiftung. Diese hatte im letzten Sommer die Schließung der Hälfte der noch verbliebenen deutschen Kliniken gefordert.

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