Brandkatastrophe im Hafen von Beirut: Ein Verbrechen gegen die Arbeiter im Libanon

Die Brandkatastrophe, die sich am Dienstagnachmittag im Hafen von Beirut ereignete, hat die seit langem anhaltende Wut auf die superreiche herrschende Klasse des Libanon verschärft.

Die Explosion ist ein vernichtendes Urteil für die politische Elite des Landes. Sie hat zugelassen, dass riesige Mengen von hochexplosivem Ammoniumnitrat jahrelang ohne ausreichende Sicherheitsmaßnahmen in einem Lagerhaus im Hafen von Beirut gelagert wurden.

Die Katastrophe ist eine von vielen weiteren, die sich in der jüngeren Vergangenheit weltweit ereignet haben, obwohl sie völlig vorhersehbar und vermeidbar gewesen wären. Weitere derartige Ereignisse sind der Brand im Londoner Grenfell Tower im Jahr 2017, der Einsturz des Rana-Plaza- Fabrikgebäudes in Dhakar (Bangladesch) im Jahr 2013, die Ölkatastrophe durch die BP-Bohrinsel Deepwater Horizon im Golf von Mexiko im Jahr 2010 und – als die tödlichste von allen – die Corona-Pandemie. Diese Katastrophen sind eine vernichtende Anklage für den Kapitalismus und die globalen herrschenden Eliten.

Der Schauplatz der Explosion im Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut am 5. August. (AP Photo/Bilal Hussein)

Der Brand wurde durch zwei massive Explosionen ausgelöst, bei denen mindestens 135 Menschen getötet und weitere 5.000 verletzt wurden. Unter den Vermissten und Toten befinden sich libanesische Soldaten, Feuerwehrleute und Ersthelfer. Die Zahl der Toten und Verletzten wird vermutlich weiter ansteigen, da Rettungskräfte momentan die Trümmer von zehntausenden zerstörten oder beschädigten Gebäuden durchsuchen.

Als sich der braune Nebel und die Dämpfe der riesigen Explosionen verzogen hatten, glich Beirut einem Kriegsgebiet. Das Ausmaß der Zerstörung übertraf sogar die Folgen des schweren Artilleriebeschusses, der während des libanesischen Bürgerkriegs von 1975-1989 wochenlang auf Beirut niederging. Die halbe Stadt ist von der Zerstörung betroffen, der Schaden wird auf drei Milliarden Dollar geschätzt. Laut Gouverneur Marwan Abboud sind 300.000 Menschen obdachlos geworden – in einer Stadt, in der ohnehin bereits Wohnungsnot herrschte.

Das Gesundheitssystem ist schlecht ausgestattet und bereits durch die Corona-Pandemie überlastet. Zudem wurden mehrere Krankenhäuser beschädigt. Wegen des überwältigenden Andrangs von Patienten müssen die Pflegekräfte im Freien je nach Schwere der Fälle entscheiden, welche Patienten sie behandeln können und welche nicht. Das Rote Kreuz unterstützt derweil die Regierung beim Bau von Leichenhallen.

Die Ursache der Explosion ist noch nicht offiziell bestätigt. Allerdings nannten hochrangige Regierungsvertreter gegenüber Nachrichtenagenturen eine wahrscheinliche Ursache: Das Ammoniumnitrat, das sich in Lagerhaus 12 des Hafens befand, soll sich bei Schweißarbeiten entzündet haben.

Die Chemikalie wurde dort gelagert, seit sie im Jahr 2014 von der „Rhosus“ beschlagnahmt wurde, einem Schiff, das unter moldauischer Flagge fuhr. Laut dem Guardian gehörte die Rhosus der Reederei Teto Shipping, deren russischer Besitzer und Geschäftsführer Igor Gretschuschkin in Zypern leben soll. Er hatte das Schiff, das gerade von Georgien nach Mosambik unterwegs war und für einen Zwischenstopp in Beirut vor Anker lag, nach einem Streit mit den Hafenbehörden aufgegeben. Die Seeleute mussten an Bord bleiben und erhielten fast ein Jahr lang keinen Lohn.

Der frühere Kapitän des Schiffs hatte sich 2014 in einem Brief an russische Journalisten beklagt, er werde an Bord des Schiffes „als Geisel gehalten“. Die Behörden von Beirut „wollen kein verlassenes Schiff in ihrem Hafen, vor allem nicht mit einer Ladung Sprengstoff – nichts anderes ist Ammoniumnitrat. Das heißt, das Schiff ist eine schwimmende Bombe, und die Mannschaft wird auf dieser Bombe als Geiseln festgehalten.“

Dennoch durfte die Mannschaft erst nach einem Jahr das Schiff verlassen, das Ammoniumnitrat wurde konfisziert und eingelagert.

Ammoniumnitrat ist eine gefährliche Chemikalie, die normalerweise in der Düngemittelproduktion und in Sprengstoffen für Bergwerke verwendet wird. Die Gefahren, die von ihr ausgehen, sind allgemein bekannt. Wie gefährlich es ist, sie in einem Hafen zu lagern, zeigte sich im Jahr 2015 auf tragische Weise. Damals wurden bei einer Reihe von Explosionen in einem Containerdepot in der chinesischen Hafenstadt Tianjin 173 Menschen getötet und hunderte verletzt, als dort u. a. 336 Tonnen Ammoniumnitrat explodierten. Durch die ersten Explosionen entstanden Brände, die wiederum weitere Explosionen verursachten.

Im Hafen von Beirut lagerte noch viel mehr Ammoniumnitrat. Ministerpräsident Hassan Diab erklärte auf Twitter: „Es ist inakzeptabel, dass eine Lieferung von schätzungsweise 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat sechs Jahre in einem Lagerhaus aufbewahrt wurde, ohne dass Sicherheitsmaßnahmen für die Bevölkerung getroffen wurden.“

Die Sprengkraft der Explosion betrug ein Fünftel der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe.

Diab rief eine dreitägige Staatstrauer für die Opfer der Explosion aus, gab die üblichen Versprechen ab, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und erklärte, sie würden „den Preis dafür zahlen“. Außerdem bat er „befreundete Länder“ um Hilfe.

Leitende Beamte der Hafen- und Zollbehörde sollen unter Hausarrest stehen. Die Regierung hat den Notstand ausgerufen, wodurch Beirut für die nächsten zwei Wochen unter Kriegsrecht stehen wird.

Diabs öffentliche Erklärung hinderte US-Präsident Donald Trump nicht daran, am Dienstag bei einer Pressekonferenz zu erklären, die Explosion sehe aus „wie ein schrecklicher Anschlag.“

Weiter erklärte er, das US-Militär halte sie für die Folge eines Bombenanschlags, wovon sich das Pentagon jedoch schnell distanzierte. Trumps unbegründete Äußerungen verdeutlichen, in welchem Ausmaß er dazu bereit ist, für jedes Ereignis Terrorismus verantwortlich zu machen und es als potenziellen Kriegsgrund zu benutzen. Man muss sich nur vorstellen, wie er reagiert hätte, wenn sich die Explosion in China oder Russland oder gar in den USA ereignet hätte.

Obwohl es mehrere Untersuchungen gab und die Entfernung der Chemikalie aus dem Lagerhaus mehrfach angeordnet wurde, war laut der Nachrichtenagentur Reuters nichts unternommen worden. Ein anonymer Beamter, der mit den Ergebnissen der ersten Untersuchung vertraut ist, erklärte: „Es ist Nachlässigkeit“. Er fügte hinzu, mehrere Ausschüsse und Richter hätten sich mit dem Problem befasst, dass die gefährlichen Chemikalie sicher aufbewahrt werden müsse. Allerdings sei „nichts unternommen“ worden, um die Entfernung oder Entsorgung des Materials anzuordnen.

Reuters zitierte eine weitere Quelle, laut der vor sechs Monaten ein Team das Material untersucht und gewarnt hatte, es könnte „ganz Beirut in die Luft jagen“, wenn es nicht aus dem Lagerhaus entfernt werde.

Die Explosion wird verheerende wirtschaftliche, soziale und politische Folgen haben. Diabs Regierung war nach den Massenprotesten gegen Armut sowie gegen die Misswirtschaft der letzten Regierung, Korruption und politisches Sektierertum im letzten Oktober an die Macht gelangt. Seither wurde sie mehrfach aus der Bevölkerung zum Rücktritt aufgefordert.

Das Land und seine sechs Millionen Einwohner – darunter zwei Millionen Flüchtlinge – leiden bereits unter den Folgen der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise, die das Land je gesehen hat. Die Währung hat in den letzten Wochen 80 Prozent ihres Wertes verloren, die Inflation schießt in die Höhe, die Lebensmittelpreise haben sich verdoppelt, Armut breitet sich immer weiter aus, und die Corona-Pandemie hat all das noch weiter verschlimmert.

Letzten November, d.h. schon lange vor der Pandemie, lebten laut Schätzungen der Weltbank 45 Prozent der Bevölkerung des Libanon unterhalb der Armutsgrenze. Bis September waren es noch 33 Prozent gewesen. 22 Prozent leben in extremer Armut. Damals prognostizierte die Weltbank, dieser Wert werde im Jahr 2020 aufgrund des drohenden Staatsbankrotts auf 50 Prozent ansteigen.

Die Zerstörungen im Hafen werden vermutlich zu Engpässen bei wichtigen Gütern wie Nahrung, Treibstoff und Medikamenten führen. Der Libanon muss die meisten Grundgüter importieren und über den Hafen kommen 60 Prozent aller Importe ins Land. Die nordlibanesische Hafenstadt Tripoli ist nicht in der Lage, diese Kapazitäten auszugleichen, da sich das Land zwischen dem vom Krieg verwüsteten Syrien und Israel befindet, mit dem es offiziell noch immer im Krieg liegt.

Das Feuer hat den Getreidespeicher und die Silos zerstört oder beschädigt, in denen normalerweise 85 Prozent der größtenteils aus Russland und der Ukraine stammenden Getreidevorräte des Landes lagern. Allerdings waren die Bestände aufgrund der weit verbreiteten Brotknappheit während der Pandemie schon zuvor deutlich zurückgegangen.

Letzten April warnte die Regierung angesichts eines erwarteten Engpasses bei Weizen und anderen Grundgütern vor drohender Nahrungsmittelknappheit und kündigte zum ersten Mal seit 2014 den Import von zusätzlichem Weizen auf eigene Rechnung an – für gewöhnlich wird ein Großteil von privaten Mühlen importiert. Angesichts der geringen Devisenbestände des Libanon war jedoch unklar, wie die Regierung dafür bezahlen will.

Durch die Zerstörung des Getreidespeichers im Hafen der Stadt hat das Land, das mehr als 80 Prozent seines Getreides importiert, nur noch Reserven für weniger als einen Monat. Dennoch behauptete Wirtschaftsminister Raoul Nehmen am Mittwoch, es gebe „keine Brot- oder Mehlkrise … Wir haben genug Inventar und fahrende Schiffe, um die Bedürfnisse des Libanon langfristig zu sichern.“

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