Die Autokonzerne nutzen die Corona-Pandemie als Vorwand, um lange gehegte Umstrukturierungspläne auf Kosten der Arbeiter zu verwirklichen. Dies trifft auf die Opelwerke und ihren Mutterkonzern, die französische PSA (Peugeot, Citroen, DS), in besonderem Maße zu.
PSA-Chef Carlos Tavares nutzt die Krise, um das Mammutprojekt „Stellantis“ – eine Fusion von PSA mit Fiat-Chrysler (FCA) – gemeinsam mit dem Fiat-Erben John Elkann rasch in die Tat umzusetzen. Im verschärften Konkurrenzkampf am Weltmarkt wird der neue Autoriese auf den dritten Rang der weltweit umsatzstärksten Autokonzerne aufrücken und Daimler als Nummer drei hinter VW und Toyota verdrängen.
Für die Opel-Arbeiter geht die Fusion mit tiefgreifenden Veränderungen und einem weiteren massiven Arbeitsplatzverlust einher. Im Zuge der Umstellung auf E-Mobilität soll das bisherige Dieselmotorenwerk in Kaiserslautern einer Batteriezellenfabrik weichen. Das bisherige Stammwerk in Rüsselsheim soll sich künftig ganz auf ein (verkleinertes) Montagewerk beschränken, was auch die starke Dezimierung des Forschungs- und Entwicklungszentrums ITEZ mit einstmals 7.000 Beschäftigten sowie das Aus für Schmiede, Getriebewerk und andere Abteilungen bedeutet.
Vom ITEZ könnte am Ende als Schrumpfbetrieb nur das übrig bleiben, was letztes Jahr an die französische Entwicklungsfirma Segula überging, die traditionell für PSA arbeitet. Auch im Montagewerk ist die Schrumpfkur in vollem Gange, und über tausend Leiharbeiter wurden bereits entlassen. Bis zum Ende des Jahrzehnts wird maximal noch jeder zweite Opel-Arbeitsplatz übrig bleiben.
Um im Zuge dieses massiven Arbeitsplatzabbaus keinen sozialen Aufstand zu provozieren, bedienen sich Tavares und sein deutsches Vorstandsteam um Michael Lohscheller der IG Metall. Deren Betriebsräte haben schon vor zwei Jahren, nach dem Opel-Wechsel von GM zu PSA, einen sogenannten Sanierungstarifvertrag unterschrieben, der den schrittweisen Abbau von Tausenden Stellen in den deutschen Werken vorsieht. Im Frühjahr 2020 haben IG Metall und Betriebsräte dem Management grünes Licht gegeben, bis Ende des Jahrzehnts jede zweite Stelle im deutschen Konzern zu vernichten.
Im Zusammenhang mit der Corona-Krise hat das Management jetzt beschlossen, die Umbaupläne zu beschleunigen. Mitte September gab der Opel-Personalvorstand Ralf Wangemann bekannt, dass es dabei auch zu betriebsbedingten Kündigungen komme. Das Management stützt sich auf die Zusage des IG Metall-Betriebsrats, dass 2100 Arbeiter sich bis 2022 „freiwillig“ dazu bereit erklären würden, einen Aufhebungsvertrag über Altersteilzeit, Vorruhestand oder mit Abfindung zu unterschreiben. Dies ist Teil des permanenten Kuhhandels, den der Betriebsrat 2018 als „Sanierungsvertrag PACE“ und im März 2020 erneuert als „Zukunftstarifvertrag“ unterzeichnet hat, und der nebenbei auch den Abbau von mindestens 2000 Stellen im polnischen Gliwice besiegelt hat.
In der Belegschaft in Deutschland wurde der „Zukunftsvertrag“ mit dem Versprechen schöngeredet, dass damit betriebsbedingte Kündigungen bis 2025 ausgeschlossen wären. Allerdings beinhaltet der Vertrag eine Klausel, die besagt, dass „bei einem dramatischen Absatzeinbruch in Europa“ auch Kündigungen erfolgen könnten. Genau darauf stützt sich der Vorstand jetzt mit Blick auf Corona mit seiner Forderung, dass – freiwillig oder nicht – bis zum Beginn des nächsten Jahres mindestens weitere 1600 Arbeiter gehen müssen.
Um den Ernst der Lage zu verdeutlichen und der Forderung Nachdruck zu verleihen, haben Geschäftsleitung und Betriebsrat sich darauf geeinigt, die Werksferien über Weihnachten auf sieben Wochen (!) auszudehnen. Schon seit Mitte November ruht die Produktion in Rüsselsheim bis zum 7. Januar, während einige wenige Arbeiter den reduzierten Betrieb mit Überstunden und Wochenendarbeit am Laufen halten. Die Arbeiter, die zuhause sitzen, kriegen einstweilen noch Kurzarbeitergeld, das indirekt durch die arbeitende Bevölkerung finanziert wird. Obwohl Opel dieses auf 94 % des steuerpflichtigen Einkommens aufstockt, spart der Konzern damit in Zeiten der Absatzkrise große Lohnsummen.
Unternehmen und Betriebsrat hatten offenbar darauf spekuliert, dass es ihnen gelingen werde, sehr viel mehr Arbeiter zur Unterzeichnung eines „freiwilligen“ Aufhebungsvertrags zu drängen. Wer aber wird inmitten der Corona-Pandemie noch freiwillig auf seinen Arbeitsplatz verzichten? Im Oktober hat der Konzern eine Transfergesellschaft gegründet, und mit der verlängerten Werkspause übt er zurzeit weiter Druck aus: Wer „freiwillig“ einem Aufhebungsvertag zustimmt, soll noch weitere zwölf Monate bei der Transfergesellschaft beschäftigt werden, während das Arbeitsverhältnis bei einer betriebsbedingten Kündigung nach drei Monaten enden wird.
In einer Presseerklärung vom 24. November schreibt die IG Metall: „Unstrittig ist, die bestehende Vereinbarung bei Opel sieht vor, dass bis zu 2.100 Arbeitsplätze bis Ende 2021 auf freiwilliger Basis abgebaut werden können.“ Allein die Formulierung „unstrittig ist“ zeigt deutlich, dass der Betriebsrat den Arbeitsplatzabbau aus wirtschaftlichen Gründen begrüßt und selbst mit organisiert. Die Wendung „auf freiwilliger Basis“ dient, wie sich jetzt deutlich erweist, der Verschleierung, was jedoch in der Corona-Krise sehr rasch offen sichtbar wurde.
Die World Socialist Web Site hat immer wieder davor gewarnt, wie eng die Gewerkschaften mit den Autobossen zusammenarbeiten und wie üppig sie über die Aufsichtsräte und die gewerkschaftseigene Hans-Böckler-Stiftung von den Konzernen und vom deutschen Staat finanziert werden. Die WSWS schlägt den Arbeitern deshalb vor, sich unabhängig von der IG Metall in Aktionskomitees zusammenzuschließen und international gemeinsam zu kämpfen.
In den amerikanischen Fiat-Chrysler-Werken haben Autobauer solche Aktionskomitees bereits gegründet. Sie fordern in erster Linie Sofortmaßnahmen zum Schutz vor der Corona-Pandemie, und sie gehen von dem Grundsatz aus, dass das Leben und die Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung schwerer wiegen als die Profite der Konzerne und Banken.
Auch in Rüsselsheim wütet die Pandemie. In der Opel-Stadt gab es bisher knapp 1.500 registrierte Coronafälle, sie ist damit für jeden vierten Fall im Kreis Groß-Gerau verantwortlich. Mit einer Sieben-Tages-Inzidenz von 530 Fällen pro 100.000 Einwohner gehört Rüsselsheim Anfang Dezember zu den am stärksten betroffenen Corona-Hotspots der Bundesrepublik. In den Opelwerken gab es von Anfang an bestätigte Fälle, sowohl in der Produktion als auch in der Verwaltung.
Sie werden jedoch systematisch vertuscht. Die Belegschaft wird nicht informiert, und selbst unmittelbar benachbarte Kollegen eines Erkrankten werden nicht getestet. Die ständige Arbeitshetze für diejenigen, die noch am Band stehen, tut ein Übriges, die Einhaltung der Hygieneregeln zu erschweren. Für die Opel-Arbeiter wird so jeder neue Arbeitstag zu einer Art russischem Roulette.
In den USA, wo die Autofabriken zu Brutherden der Pandemie geworden sind, haben die Fiat-Chrysler-Kollegen des Aktionskomitees im Montagewerk Jefferson North die Lüge entlarvt, für die Sicherheit der Arbeiter sei „kein Geld da“. „Es gibt reichlich Geld und Ressourcen, um unsere Sicherheit zu gewährleisten und die Pandemie zu bekämpfen“, schreiben sie. „Die Regierung hat Milliarden an die Unternehmen ausgehändigt, und Billionen werden an die amerikanischen Konzerne insgesamt ausgeteilt. Dieses Geld darf nicht an die Reichen verschwendet werden. Es muss umgeleitet werden, um den Bedürfnissen und der Sicherheit der Arbeiter gerecht zu werden.“
Wie sich zeigt, stoßen die Arbeiter weltweit überall auf dieselben Probleme und Angriffe. In einem fusionierten Konzern PSA-FCA (oder „Stellantis“) werden weltweit mehr als 400.000 Kollegen, die von Chrysler, Citroen, Doge und DS über Fiat, Maserati und Opel bis hin zu Peugeot und Vauxhall alles bauen, in einem Konzern zusammenarbeiten. Mit VW, Renault-Nissan, Toyota und Ford zusammengenommen arbeiten weit über zwei Millionen Menschen in den großen Autokonzernen. Dies zeigt, dass die Autoarbeiter eine gewaltige Macht zur Verteidigung von Gesundheit und Leben entfalten könnten, wenn sie sich vom Gift der nationalistischen und unternehmerfreundlichen Gewerkschaftspolitik befreien würden.
Um eine Radikalisierung und Entwicklung in sozialistischer Richtung zu verhindern, haben die IG Metall und ihre Opel-Betriebsräte in Rüsselsheim und Eisenach am 24. November zu einem pandemiegerechten Autocorso aufgerufen. Wie ein Betriebsrat zu Journalisten der Jungen Welt sagte, ging die Gewerkschaft davon aus, dass etwa 500 PKWs daran teilnehmen würden. Es kamen aber dreimal so viele: Durch Rüsselsheim fuhren hupend über 3000 Arbeiter in 1500 PKWs.
Dem Sat.1-Regionalmagazin für Rheinland-Pfalz und Hessen sagte ein Opel-Arbeiter, der seit 40 Jahren im Werk arbeitet: „Ich hab einfach die Sache hier satt. Wir sind doch der Opel – wir! Und die Leute, die uns das alles aufdiktieren, das sind doch nur Manager. Die könnten auch Butter verkaufen, denen ist es doch scheißegal, wo sie arbeiten.“
Die Opel-Arbeiterin Carola sagte der Hessenschau, sie fühle sich so, als stehe sie „vor dem Nichts, man weiß nicht, was morgen kommt. Im Endeffekt vermittelt uns die Firma: Es geht so oder so, egal was du tust, nicht weiter. Also: Hau ab.“ Damit brachte sie die Situation ziemlich gut auf den Punkt: Diese wäre tatsächlich ausweglos, wenn die Arbeiter die Geschicke weiter der IG Metall überlassen würden.
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