Italien: Regierung Conte bleibt geschwächt im Amt

Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte bleibt deutlich geschwächt im Amt, es finden vorerst keine vorgezogenen Neuwahlen statt. Das sind die Ergebnisse der Vertrauensabstimmung im italienischen Parlament, die Conte in beiden Kammern gewonnen hat.

Im Abgeordnetenhaus, wo die Mehrheitsverhältnisse aufgrund des Wahlrechts eindeutiger als im Senat sind, stimmte am Montag eine Mehrheit von 321 der 630 Abgeordneten für Conte. In der zweiten Kammer unterstützte ihn dagegen am Dienstag nach zwölfstündiger Debatte nur eine Minderheit von 156 der 321 Senatoren.

Ihr Überleben verdankte Contes Regierung ausgerechnet der Fraktion, die die Krise durch ihren Austritt ausgelöst hatte. Ex-Premier Matteo Renzi und weitere 13 Vertreter seiner Partei Italia Viva enthielten sich der Stimme. Hätten sie mit Nein votiert, wäre die Regierung am Dienstag gescheitert. 140 Senatoren der Opposition stimmten gegen Conte. Dieser führt nun eine Minderheitsregierung, die sich Mehrheiten nach Bedarf zusammensuchen muss.

Die Regierungskrise inmitten der tiefsten sozialen und wirtschaftlichen Krise der Nachkriegszeit ist nicht einfach auf die persönliche Rivalität zwischen Conte und Renzi zurückzuführen, wie es viele Medien darstellen. Sie ist vielmehr Ausdruck des Niedergangs des bürgerlich parlamentarischen Systems. Während in der Arbeiterklasse der Widerstand gegen eine Regierung wächst, deren Politik Italien mit 83.000 Corona-Toten und 2,4 Millionen Infizierten zu einem europäischen Spitzenreiter gemacht hat, setzt die herrschende Klasse in wachsendem Maße auf rechte und faschistische Kräfte.

Fänden derzeit Wahlen statt, entfielen 24 Prozent der Stimmen auf die rechtsextreme Lega von Matteo Salvini und 17 Prozent auf die faschistischen Fratelli d’Italia. Zusammen mit Silvio Berlusconis Forza Italia, die bei 8 Prozent liegt, hätten die Rechten eine deutliche Mehrheit. Die beiden größten Regierungsparteien kommen dagegen nur noch auf 20 (Demokraten) und 14 Prozent (Fünf Sterne). Renzis Abspaltung von den Demokraten, Italia Viva, liegt bei 3 Prozent.

Die Rechtsextremen verdanken ihren Aufstieg zum einen der politischen und ideologischen Unterstützung einflussreicher wirtschaftlicher und intellektueller Kreise. 75 Jahre nach seiner Hinrichtung durch Partisanen ist der faschistische Diktator Mussolini wieder gesellschaftlich anerkannt. Zum anderen profitieren sie von der Politik der sogenannten Mitte-Links-Parteien, die in den letzten drei Jahrzehnte die führende Rolle beim Sozialabbau gespielt haben und dabei stets von den Gewerkschaften und den pseudolinken Parteien, wie Rifondazione Comunista, unterstützt wurden.

Die massive Opposition der Arbeiterklasse findet im bestehenden politischen System keinen politischen Ausdruck. Es kommt zwar immer wieder zu Streiks und Protesten, die aber von den Gewerkschaften abgewürgt und den Demokraten untergeordnet werden.

Davon profitieren die Rechtsextremen, die unzufriedene Elemente der Mittelschichten aufhetzen und teilweise auch unter verarmten Arbeitern Unterstützung finden. Der Anblick der Regierungsparteien, die sich wie Kesselflicker um Gelder und Einfluss streiten, ist zusätzliches Wasser auf die Mühlen der faschistischen Demagogen.

Ausgelöst wurde die Regierungskrise durch den Streit um die 209 Milliarden Euro, die Italien aus dem Corona-Fonds der Europäischen Union zukommen sollen. Renzi, der bereits in seiner Zeit als Regierungschef von 2014 bis 2016 den Arbeitsschutz zertrümmert und die Renten dezimiert hatte, betrachtete dies als Chance, sein Projekt der „Modernisierung“ Italiens zu erneuern.

In einer öffentlichen Kampagne gegen Conte beharrte Renzi darauf, dass die Gelder den großen Konzernen zur Verfügung gestellt werden, und nicht zur Unterstützung der vorwiegend kleinbürgerlichen oder selbständigen Klientel der Fünf Sterne verwendet werden, denen Conte nahesteht.

„Man muss kein Keynesianer sein, um zu verstehen, dass der einzige Weg zu Wachstum über öffentliche und private Investitionen führt,“, schrieb Renzi in einem offenen Brief an den Regierungschef, der am 17. Dezember im Corriere della Sera erschien. Er plädierte für eine „kohärente Industriepolitik, vom Stahl bis zu den Autobahnen“. Die 209 Milliarden seien „die letzte Chance, die wir haben“, warnte er unter Berufung auf den langjährigen Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi.

Renzi verlangte außerdem, dass sich Italien weitere 36 Milliarden Euro beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (EMS) leiht, der seine Kredite an strikte Sparmaßnahmen knüpft. Für die Fünf Sterne ist dies ein rotes Tuch. Sie hatten die Wahl 2018 unter anderem mit einer Kampagne gegen die Europäische Union gewonnen und sind jetzt umso stärker um eine symbolische Distanzierung von der EU bemüht, je enger sie praktisch mit ihr zusammenarbeiten.

Außenpolitisch trat Renzi für die aggressive Verfolgung imperialistischer Interessen in Anlehnung an die EU und die „neue Welt von Bidens Amerika“ ein. Italien müsse sich „angesichts der großen Herausforderungen des asiatischen Jahrhunderts positionieren“, nach Afrika gehen und eine Rolle im Mittelmeerraum spielen, „wo in den letzten Jahren unsere Präsenz weniger spürbar und der Einfluss der Türkei und Russlands stärker geworden ist“.

Als Conte nur teilweise auf seine Forderungen einging, zog Renzi seine Minister aus der Regierung zurück und provozierte die jüngste Krise. Vermutlich wollte er damit nur den Druck auf Conte erhöhen, nahm aber auch Neuwahlen und einen Wahlsieg der Rechten bewusst in Kauf.

Die Unterstützung aus Brüssel und Berlin, die sich Renzi erhofft hatte, blieb allerdings aus. Nicht nur die italienische, auch die deutsche und die europäische Presse zeigten sich empört, dass er mitten in der Corona-Krise, in der alle europäischen Regierungen mit dem Rücken zur Wand stehen, eine Regierungskrise provoziert. Sie befürchteten, dass der sichtbare Zerfall der staatlichen Autorität ein Eingreifen der Arbeiterklasse hervorrufen könnte, das die kapitalistische Herrschaft insgesamt in Frage stellt.

Die Fäulnis der italienischen Demokratie wird sich unter der Regierung Conte, einem brüchigen Bündnis aus Fünf Sternen und Demokraten, fortsetzen. Damit wird auch die Hinwendung der herrschenden Eliten zu einer autoritären, faschistischen Lösung an Fahrt gewinnen.

Der einzige Ausweg aus dieser Krise ist ein unabhängiges Eingreifen der italienischen und internationalen Arbeiterklasse. Der Kampf gegen Faschismus, Massensterben in der Pandemie, Armut und Krieg ist nur möglich auf der Grundlage eines sozialistischen Programms – durch die Enteignung der großen Vermögen, Konzerne und Banken und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft.

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