Der frühere US-Präsident Donald Trump hat sich schuldig gemacht, den bewaffneten Angriff auf den Kongress vom 6. Januar 2021 gefordert, ihn vorbereitet, ihn geschürt und dazu angestachelt zu haben. Das beweist unzweideutig der Schriftsatz, den neun Impeachment-Beauftragte des amerikanischen Repräsentantenhauses am 2. Februar eingereicht haben.
Mit dem Putsch hat Trump offenbar versucht, die Ergebnisse der Wahl 2020 zu kippen und sich selbst an der Macht zu halten. Der Schriftsatz legt überzeugend und sehr detailliert Trumps Bemühungen über einen Zeitraum von sechs Monaten dar.
Schon während des Wahlkampfs hat er immer wieder Zweifel an der Legitimität der Wahl geäußert, falls er sie nicht gewinnen würde. Dann, nach Schließung der Wahllokale, als die staatlichen Wahlhelfer, darunter viele Republikaner, noch Stimmen auszählten, leugnete Trump die Ergebnisse sofort, sobald sich abzeichnete, dass der Demokrat Joe Biden einen Vorsprung von über sieben Millionen Stimmen hatte. Darüber hinaus konnte Biden sich auch den Sieg im Wahlmännergremium, dem electoral college, sichern, indem er eine ausreichende Anzahl der ausschlaggebenden battleground-Staaten für sich gewann.
Dann, am 14. Dezember, traten die Wahlmänner aus 50 Staaten und dem District of Columbia zusammen, um offiziell ihre Stimme abzugeben und Joe Biden mit einem Vorsprung von 306 zu 232 zum Sieger zu erklären. An diesem Tag legte Trump sich „auf den 6. Januar 2021“ fest, wie es im Schriftsatz heißt, „das Datum, an dem sich der gesamte Kongress versammeln sollte – als seine letzte, beste Hoffnung, um das Wahlergebnis umzudrehen und an der Macht zu bleiben“.
Trump rief Zehntausende seiner Anhänger dazu auf, am 6. Januar nach Washington D.C. zu kommen, und er versprach, dass es „wild“ zugehen werde. Wiederholt erklärte er, dass der Kongress das Recht habe, die Wahlstimmen der Staaten, die er anfechte, zu kippen – dieses Recht hat er nicht – und sogar, dass Vizepräsident Mike Pence persönlich die Befugnis habe, das Wahlergebnis zurückzuweisen – auch das ist nicht der Fall.
Immer wieder und schon seit dem Wahlkampf 2016 hat Trump seine Anhänger ausdrücklich verteidigt, wenn sie Gewalt gegen politische Gegner anwandten. Diese Haltung wurde immer ausgeprägter, je mehr das Jahr 2020 zur Neige ging und 2021 begann. Wie es im Dokument des Abgeordnetenhauses heißt, rief Trump in den Wochen vor der Kongressbestätigung der Amtsübergabe seine Anhänger mehrmals dazu auf, angesichts der „manipulierten“ und „gestohlenen“ Wahl „zu kämpfen wie die Löwen“, selbst dann, „wenn es das Leben kostet“.
Weiter heißt es in dem Schriftsatz: „Es war offensichtlich und vollkommen vorhersehbar, dass die wütende Menge (...) auf Gewalt eingestimmt war und es nur noch eines Funkens von seiner Seite bedurfte.“
Der Schriftsatz des Repräsentantenhauses verweist auf die Äußerung von Trumps Anwalt Rudy Giuliani auf der Kundgebung am 6. Januar, jetzt sei ein trial by combat („Gerichtskampf“) nötig, und auf Donald Trump Jr.s drohende Worte „Wir kriegen euch!“ an diejenigen republikanischen Abgeordneten gerichtet, die den Staatsstreich nicht gleich unterstützten.
Schließlich trat Trump an diesem Morgen an sein Rednerpult mit präsidialem Siegel und blickte über die gespannt lauschende Menge seiner Anhänger. In seiner Rede heizte Trump sie an bis zum Rausch und forderte sie auf, „zu kämpfen wie die Löwen“, sonst würden sie ihr Land verlieren. Dann schickte er sie direkt in Richtung Kapitol und rief: „Mit Schwäche werdet ihr unser Land nie zurückerobern. Ihr müsst Stärke zeigen, und ihr müsst stark sein.“
Auf diese Worte hin begann die Menge, die Pennsylvania Avenue hinunter in Richtung Kapitol zu strömen. Trump hatte versprochen, mit ihnen zu gehen, aber er kehrte ins Weiße Haus zurück, um im Fernsehen zu sehen, wie sich die Aktion entfaltete, die er angestiftet hatte. Berichten zufolge soll er den Angriff des Mobs auf das Kapitol mit Wohlgefallen und Vergnügen betrachtet haben. Gleichzeitig telefonierte er mit einem Senator und drängte ihn, das Bestätigungsverfahren der Amtsübergabe so lange wie möglich hinauszuzögern – ein klarer Versuch, das Handeln seiner Leute im Kongress mit den Taten seiner Anhänger von außen zu koordinieren.
Hier ein letztes Zitat aus der Anklageschrift, das die Szene im Innern des Kapitols beschreibt:
Randalierer griffen Ordnungskräfte mit Waffen an, die sie mitgebracht oder der Polizei gestohlen hatten: Vorschlaghämmer, Baseballschläger, Hockeyschläger, Krücken, Fahnenstangen, Polizeischilde und Feuerlöscher. Sie rissen den Beamten die Helme ab, schlugen mit Schlagstöcken auf sie ein und setzten Sprays mit Reizstoff ein, darunter Bärenspray, ein chemisches Reizgas ähnlich dem Tränengas, das Jäger zur Abwehr von Bären einsetzen. Mehrere Angreifer trugen Gasmasken und kugelsichere Westen. Viele trugen Schusswaffen – tatsächlich wurden nach dem Aufstand mindestens sechs Handfeuerwaffen sichergestellt – wieder andere trugen Messer, Schlagringe, eine Stahlschlinge und andere tödliche Waffen. Ein Offizier, der zum Schutz des Kapitols beauftragt war, beschrieb den Angriff als eine „mittelalterliche Schlachtenszene“.
Mehr als 140 Polizisten der Kapitolswache wurden bei dem Angriff verletzt. Dutzende von Senatoren und Abgeordneten entkamen nur knapp mit dem Leben, in einigen Fällen ging es buchstäblich um Sekunden. Fünf Menschen starben am 6. Januar. Viele weitere leiden noch immer, physisch und psychisch, an den Folgen.
Dieses Material verdient es, ausführlich bekannt gemacht zu werden. Denn nicht nur in den großen Medien, besonders ihrem Trump-nahen Flügel, sondern mehr noch unter Teilen der Pseudolinken existiert die schädliche Tendenz, die Ereignisse des 6. Januar herunterzuspielen. Sie leugnen die Ernsthaftigkeit des Angriffs auf das Kapitol und verharmlosen sogar die Konsequenzen dessen, was passiert wäre, hätten Trump und seine Schlägerbanden ihr unmittelbares Ziel erreicht: nämlich im Kongress Geiseln zu nehmen, um sie nur im Austausch gegen einen Stopp des Bestätigungsprozesses von Trumps Niederlage und Bidens Wahl wieder freizulassen.
Doch hier zeigt sich auch der tiefe Widerspruch, der die politische Krise in Washington beherrscht. Im Schriftsatz des Repräsentantenhauses wird kategorischer denn je, Punkt für Punkt, Trumps krimineller Charakter und der seiner Administration dargelegt. Aber die Demokraten im Kongress, die diese Anklageschrift erstellt haben, sind gleichzeitig damit beschäftigt, Trumps Leute unter den Republikanern nach allen Regeln der Kunst zu umwerben.
Am 3. Februar gab der Abgeordnete der Demokraten, Jason Crow, dem CNN ein Interview. Crow hatte in Trumps erstem Senatsprozess vor einem Jahr zu den Impeachment-Beauftragten gehört. In dem Interview wies er auf die Besonderheit des neuen Verfahrens hin: Der Prozess im Senat sei einzigartig, weil er „am Tatort stattfinden wird, mit Geschworenen, die selbst zu den Opfern des Verbrechens gehören“. Er verschwieg jedoch geflissentlich, dass andere Geschworene zu denjenigen gehören, die das Verbrechen begünstigt hatten, und dass sie eigentlich neben Trump auf der Anklagebank sitzen müssten, statt die Möglichkeit zu bekommen, die Taten des Ex-Präsidenten zu beschönigen und zu entschuldigen.
Zu den Senats-„Geschworenen“ gehören auch Josh Hawley und Ted Cruz, die versucht hatten, Bidens Wahlmännerstimmen aus Arizona und Pennsylvania anzufechten. Darunter ist auch Tommy Tuberville, der Senator aus Alabama, den Trump während des Angriffs aus dem Weißen Haus zu erreichen versuchte. Zu den Geschworenen gehören ein weiteres halbes Dutzend Senatoren, die Hawley und Cruz mit Wortmeldungen unterstützt haben, sowie eine viel größere Gruppe, angeführt vom republikanischen Minderheitenführer Mitch McConnell, die Trumps verlogener Behauptung über Wahlbetrug Glaubwürdigkeit verliehen. Mehr als einen Monat lang, bis zur Abstimmung im electoral college am 14. Dezember, hatten sie sich geweigert, Bidens Sieg anzuerkennen.
45 republikanische Senatoren, einschließlich McConnell, haben Senator Rand Pauls Auffassung unterstützt, dass es verfassungswidrig sei, die Amtsenthebung eines Präsidenten zu betreiben, der das Amt bereits verlassen hat. Dies ist zunächst ein verfassungsrechtlich falsches Argument, das dazu dienen soll, eine Aussprache über Trumps Taten im Zusammenhang mit dem Putsch vom 6. Januar zu vermeiden. Es ist jedoch mehr als das: Fast alle diese 45 Republikaner haben auf die eine oder andere Weise Trumps Kampagne unterstützt, um die Wahlergebnisse zu kippen. Politisch, zum Teil auch juristisch, sind sie Komplizen seiner Verbrechen. Sie vertuschen ihr eigenes Handeln, nicht nur seins.
So besteht das entscheidende Anliegen der Biden-Administration und der Demokratischen Partei nicht etwa darin, die hochrangige Verschwörung in der Republikanischen Partei und im Staat aufzudecken, die den Ereignissen vom 6. Januar zu Grunde lag, sondern sie zu vertuschen. Biden selbst besteht ausdrücklich auf einer „starken“ Republikanischen Partei, der „Einheit“ innerhalb des Staatsapparats und der „Überparteilichkeit“ der Tagespolitik der herrschenden Klasse. Die Folge wird sein, dass nicht nur Trumps Mitverschwörern eine vollständige Amnestie gewährt wird, sondern dass auch Trump selbst, trotz des Impeachments, weiterhin in der Republikanischen Partei zu den mächtigsten und einflussreichsten Figuren zählen wird.
Würden die politischen und gesellschaftlichen Kräfte hinter dem 6. Januar wirklich aufgedeckt, dann würde dies ihre Verbindung zu den Interessen der Finanzoligarchie offenlegen. Insbesondere würde die mörderische Politik offen sichtbar werden, mit der die herrschende Klasse auf die Pandemie reagiert.
Die Demokratische Partei ist, genau wie die Republikanische Partei, eine Partei der Wall Street und des amerikanischen Imperialismus. Die Demokraten mögen sich heute gegen faschistische Methoden zur Wehr setzen, besonders wenn ihre eigenen Leute betroffen sind. Sie setzen sich jedoch vorbehaltlos für die Verteidigung des amerikanischen Kapitalismus gegen die Arbeiterklasse ein. Das zeigt schon die Entschlossenheit, mit der alle Demokratischen Politiker trotz nach wie vor hoher Infektionsgefahr die Schulen und Arbeitsplätze öffnen, damit die kapitalistische Profitmaschine wieder auf vollen Touren laufen kann.
Die Ereignisse des 6. Januar sind ein Wendepunkt in der amerikanischen Geschichte. Aber sie sind nicht bloß aus Donald Trumps Kopf entsprungen. Trump selbst ist nur der verfaulteste Ausdruck eines langwierigen Prozesses, in dem die amerikanische bürgerliche Demokratie zusammenbricht. Grundlegende demokratische Rechte sind nicht länger mit Kapitalismus vereinbar. Der Kampf gegen Faschismus und Autoritarismus hängt von der Intervention der Arbeiterklasse ab, die sich mit einem sozialistischen Programm bewaffnen muss.