Neue Studie schätzt doppelt so viele Todesfälle durch Covid-19 wie gemeldet

Eine neue Schätzung der weltweiten „Übersterblichkeit“ infolge von Covid-19 zeichnet ein wahrhaft erschütterndes Bild der tatsächlichen Lage in der andauernden Pandemie. Während laut offiziellen Zahlen mehr als 3,26 Millionen Menschen an Covid-19 gestorben sind, kommt die Studie auf 6,93 Millionen Todesfälle.

Die Studie wurde vom Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) durchgeführt, einem Forschungszentrum der University of Washington. Dr. Chris Murray und sein Team haben im Verlauf der Pandemie versucht, die Zahl der Erkrankungen und Todesfälle mit numerischen Methoden zu verfolgen und zu prognostizieren. Mehrere Behörden und Ministerien der US-Regierung berufen sich auf das Team um Dr. Murray.

Angehörige von Covid-19-Toten bei Feuerbestattungen auf einem Grundstück in Neu-Delhi, das in ein Krematorium umfunktioniert wurde, am 6. Mai 2021 (AP Photo/Ishant Chauhan)

Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass Berichte auf der Grundlage offizieller Statistiken inhärent die Zahlen zu niedrig ansetzen. Die Zahl der Tests und der Meldung von Todesfällen in einzelnen Ländern, Bundesstaaten und Provinzen ändert sich mit der Zeit und variiert sehr stark von Land zu Land. Außerdem werden die gemeldeten Fälle aus politischen Gründen manipuliert.

Durch eine Schätzung der Übersterblichkeit einer bestimmten Region – die Zahl der Todesfälle im Vergleich zu dem zuvor errechneten Durchschnitt für einen bestimmten Zeitraum – erhielten die Forscher des IHME ein zuverlässigeres Bild der Ausbreitung der Krankheit in allen untersuchten Ländern, da die Gesamtzahl der Toten generell relativ genau registriert wird. Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie wurde die weltweite Übersterblichkeit untersucht.

Murray erklärte bei der Veröffentlichung der Daten in einem Interview: „Als wir diese Analyse abgeschlossen hatten, war unser Bild vom augenblicklichen Ausmaß der Pandemie schlimmer, als wir es bisher gedacht hatten. Laut unserer Schätzung sind weltweit bereits 6,9 Millionen Menschen an Covid gestorben.“

Die USA, Indien, Mexiko, Brasilien und Russland sind laut der Studie die Länder mit den meisten Todesopfern durch Covid-19. In den USA sind 905.000 Menschen gestorben – 58 Prozent mehr als in den offiziellen Aufzeichnungen erfasst. In Indien und Mexiko liegt die Zahl der Todesfälle mit 654.000 bzw. 617.000 fast dreimal so hoch wie offiziell gemeldet. In Brasilien liegt die berichtigte Zahl der Toten mit fast 596.000 zirka 46 Prozent höher als die offiziellen Angaben. In Russland ist die Übersterblichkeit vergleichbar mit derjenigen in Brasilien und liegt mit 593.000 fast fünfmal so hoch wie offizielle Zählungen. Das ist etwa doppelt so viel wie die früheren Schätzungen zur Übersterblichkeit.

In anderen Ländern lag der Unterschied zwischen der Übersterblichkeit und der gemeldeten Sterblichkeit sogar noch höher. In Japan soll die Zahl der Toten mehr als zehnmal höher sein. In Ägypten, das von einer blutrünstigen, von den imperialistischen Mächten unterstützten Militärdiktatur regiert wird, gibt es laut der IHME zwölfmal mehr Tote, als das Regime gemeldet hat. In Kasachstan liegt die Zahl der Toten durch Covid-19 laut der IHME mindestens 14-mal höher, als die Regierung angibt.

Bemerkenswerterweise enthüllen diese korrigierten Zahlen, dass es in mehreren Regionen, die bisher relativ geringe Todeszahlen gemeldet haben, in Wirklichkeit sehr viele Covid-19-Todesfälle gegeben hat. So ist in Subsahara-Afrika die Zahl der tatsächlichen Fälle zwischen 1,6- und 4,1-mal höher als gemeldet, was bedeutet, dass die Zahl der Toten in diesen Ländern um Zehntausende über den bisher geschätzten Zahlen liegen könnte. Ähnlich stellt sich die Lage auf dem indischen Subkontinent und in zahlreichen Ländern Südostasiens und des Pazifikraums dar.

Die Covid-19-Sterblichkeitsraten – Tote pro 100.000 Einwohner – enthüllen auch in anderen Teilen der Welt katastrophale Zustände, vor allem in Osteuropa, dem Balkan und Zentralasien. Es ist kein Zufall, dass in allen diesen Regionen während der letzten drei Jahrzehnte aufgrund der Wiedereinführung des Kapitalismus und der imperialistischen Intrigen und Kriege die Bevölkerung einen drastischen Rückgang ihres Lebensstandards hinnehmen musste. In Aserbaidschan liegt die offizielle Pandemie-Sterblichkeitsrate beispielsweise bei 44,6, laut den Übersterblichkeits-Zahlen liegt sie jedoch mit 648,8 mehr als 14-mal höher. In Belarus ist die geschätzte Sterblichkeitsrate fast 17-mal höher als die offizielle Zahl – fast 460 Tote auf 100.000 Bewohner.

Im Gegensatz zu früheren Übersterblichkeits-Studien war das derzeitige Modell der IHME außerdem darauf ausgelegt, keine Todesfälle zu berücksichtigen, die nicht direkt durch das Virus verursacht wurden. Analysiert wurden sechs „Sterblichkeitstreiber aller Ursachen“ im Zusammenhang mit der Pandemie; das sind umfassende Kategorien, welche die Übersterblichkeit darstellen. Dazu gehören Covid-19 selbst, Todesfälle durch verzögerte oder unterlassene Gesundheitsversorgung, Todesfälle durch verstärkte seelische Erkrankungen und Drogenkonsum, eine Verringerung von Todesfällen durch Verletzungen wegen der Lockdowns und sozialen Distanzierungsmaßnahmen, weniger Tote durch andere Krankheiten wie Grippe, Masern und verringerte Todesfälle durch Lungenkrankheiten, weil viele dieser Personen stattdessen vorzeitig am Corona-Virus gestorben sind.

Die Berechnungen stützten sich außerdem nicht auf jährliche, sondern auf wöchentliche und monatliche Sterblichkeitsdaten, um ein klareres Bild davon zu erhalten, wie sich die Sterblichkeitsraten in unterschiedlichen Ländern mit der Zeit verändert haben.

Diese Herangehensweise ermöglichte es dem Team der IHME, die Zahl der Toten durch Covid-19 selbst dort korrekt zu kalkulieren, wo die Übersterblichkeit aus den genannten Gründen gesunken ist. Sie konnte auch zwischen Toten durch das Virus selbst und Toten durch die Auswirkungen der Pandemie auf die Gesellschaft differenzieren. Insgesamt konnten die Wissenschaftler 615.000 seit März 2020 Verstorbene ausschließen und dennoch ein sehr klares Bild von der gigantischen Zahl an Toten durch die Pandemie liefern.

Die Daten deuten auch auf viele weitere Bereiche hin, in denen die indirekten menschlichen Kosten des Virus untersucht werden müssen. Sie zeigen beispielsweise, dass die Zahl der Drogentoten in den USA im Vergleich zu letztem Jahr um 15.000 angestiegen ist, vermutlich als Ergebnis der gesteigerten Ängste und Depressionen infolge der immensen sozialen Krise.

Abgesehen davon macht die Studie deutlich, dass sogar die ungeheuer hohe Übersterblichkeitsrate vermutlich zu niedrig angesetzt ist. In Europa wurden Zahlen aus fünf Wochen des letzten Sommers nicht berücksichtigt, weil eine genaue Schätzung der Covid-Todesfälle durch eine Hitzewelle deutlich erschwert wurde. Die Autoren konnten zudem die gemeldete Gesamtmortalität aus Brasilien nicht heranziehen, weil dort fast seit Beginn der Pandemie die Todesfälle nur unvollständig registriert werden. Deshalb mussten sie auf sekundäre Quellen zurückgreifen.

Die Autoren erklärten weiter: „Wenn in den kommenden Monaten und Jahren mehr Beweise verfügbar werden, werden wir unsere Schätzungen zur Gesamtsterblichkeitsrate durch Covid-19 vermutlich in künftigen Ausführungen dieser Arbeit heraufsetzen müssen.“ Dies wird zweifellos besonders für Gebiete wie Subsahara-Afrika gelten, wo selbst die Zahl der gemeldeten Toten, der Maßstab dieser Methode, kaum zuverlässig und meist zu niedrig angesetzt ist.

Ein so offenes Eingeständnis der fortdauernden globalen Katastrophe darf die Arbeiterklasse nicht verängstigen, sondern muss sie aufrütteln. Die Zahl der Toten ist mehr als doppelt so hoch wie offiziell behauptet wird, vermutlich noch höher. Und die unkontrollierte Ausbreitung neuer Varianten in Ländern wie Indien treibt die Zahl der Toten auf neue Rekordstände. Weitere Millionen Tote werden sich nur verhindern lassen, wenn den dafür verantwortlichen Politikern und Oligarchen – die dafür sorgen, dass „die Leichen sich zu Tausenden auftürmen“, wie Boris Johnson sich ausdrückte – die Reaktion auf die Pandemie entrissen wird, und zwar durch die Methoden des Klassenkampfs und des Kampfs für den Sozialismus.

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